Tierische Korruption
Die Regierung Luiz Inácio Silva büßt an Glaubwürdigkeit ein
Gestählt von den Wunden ihrer [oppositionellen] Lehrzeit wird die PT die Trikolore der Ethik, des Wandels und der Hoffnung aufrecht zu halten wissen.“ Die emphatischen Worte José Genoinos lassen ahnen, wie sehr die Regierung Luiz Inácio Lula da Silvas im Moment in der Kritik steht und fast scheint es, als würde sich der Vorsitzende der Arbeiterpartei (PT) nach den seeligen Jahrzehnten in der Opposition zurücksehnen. Damals waren noch andere für die ökonomischen Probleme zuständig und die PT klagte über korrupte RegierungsvertreterInnen. Heute veröffentlicht Genoino Stellungnahmen in der Zeitung La Insignia und betreibt Schadensbegrenzung im Fall „Waldomirogate“, einem Korruptionsskandal, welcher der Regierung im Moment ebensolche Schwierigkeiten bereitet wie die schwächelnde Wirtschaft.
Seit im Februar diesen Jahres bekannt wurde, dass Waldimiro Diniz, der mittlerweile gechasste Berater des Präsidialamtsministers José Dirceu, Parteispenden von den BetreiberInnen des verbotenen Glücksspiels jogo de bicho (Tierspiel) erhielt, ist Dirceu nicht aus den Schlagzeilen gekommen (vgl. LN 357). Die Parteiführung der PT spricht von einer politischen Kampagne gegen den oft als Chefstrategen des Präsidenten dargestellten Dirceu. Sergio Bermudes bemühte in der Tageszeitung O Globo gar ein religiöses Gleichnis. Dirceu die Schuld an dem moralischen Fehlverhalten von Diniz zu geben, wäre ebenso absurd wie Jesus Christus für den Verrat von Judas verantwortlich zu machen.
Damit es nicht gar zu einer Kreuzigung oder Schlimmerem kommt, hat die Regierung von Beginn an verhindert, dass sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss (CPI) mit dem Fall beschäftigen darf. Dabei hat sie laut André Ferrari von Socialismo Radical (einer trotzkistischen Plattform in der PT) „die gleichen Methoden angewandt wie die vorherige Regierung und enormen Druck ausgeübt, Jobs versprochen und Abgeordnete des Kongresses bestochen.“ Aber eine solche Untersuchung wäre ohnehin überflüssig gewesen, denn Dirceu gab Ende März bekannt, dass es seit dem Amtsantritt der PT vor 16 Monaten nicht einen Korruptionsfall gegeben hätte.
Schwarzes Schaf in der PT
Diniz’ Sündenfall liegt vor dieser Zeit, in der er als rechte Hand Dirceus als Mittler zwischen der Exekutiven und den Kongressabgeordneten fungierte. Als schwarzes Schaf vorgeführt, rettet er nun die moralische Diskurshoheit seiner Herde, denn der Beweis dafür, dass das im Jahre 2002 erhaltene Geld tatsächlich zur Finanzierung des PT-Wahlkampfes verwendet wurde, konnte bisher nicht erbracht werden.
So abgeklärt wie neuerlich war die PT nach Bekanntwerden der Bestechungsvorwürfe jedoch nicht. Noch bevor Diniz als alleiniger Schuldiger isoliert werden konnte, wurden zunächst „die brasilianischen Bingohallen zur politischen Hauptbühne“, wie die Internetzeitung infobrazil formulierte. Da das jogo de bicho – ein illegales, aus der Zoolotterie von Rio de Janeiro hervorgegangenes Wettspiel – verdeckt in Bingo-Stuben gezockt wird, ließ die Regierung per Dekret alle entsprechenden Räumlichkeiten schließen.
In Folge dessen demonstrierten im März in São Paulo über 30.000 betroffene Angestellte gegen diese Ersatzhandlung. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Força Sindical, Pereira da Silva, zeigte sich empört: „Niemand hätte gedacht, dass die Regierung Lula wegen einer politischen Krise Brasilianer entlassen würde.“ Anfang Mai hob eine Senatsmehrheit das Regierungsdekret dann wieder auf. Es ist weniger die Niederlage bei der Abstimmung selbst, als vielmehr der offensichtliche Positionswechsel, der sich erneut negativ auf die Glaubwürdigkeit der Regierung auswirkt. Schließlich war die PT vorher für eine Legalisierung des Glücksspiels eingetreten.
Elefanten im Reservat
Dass die PT aus pragmatischen Gründen von ihren Standpunkten abweicht, wird auch an anderen Stellen sichtbar. So haben José Dirceu und José Genoino den Gouverneur des Bundesstaates Roraima, Flamarion Portela, eingeladen, in die PT einzutreten, obwohl seine bisherige Politik eigentlich nicht mit den Posititionen der Arbeiterpartei in Einklang zu bringen ist. Aber für einen Sitz mehr im Senat lassen sich anscheinend doch Gemeinsamkeiten finden, auch wenn damit alte WählerInnen der PT verprellt werden.
Die Indigenen in Roraima beispielsweise, die große Hoffnungen an den Regierungsantritt von Lula geknüpft hatten, können sich nicht so recht mit dem neuen Parteigenossen Portela anfreunden: Dem Magazin Isto É zufolge machte dieser nämlich seine Mitgliedschaft in der PT davon abhängig, dass das Indigenenreservat von Raposa/Terra do Sol nicht als ein zusammenhängendes Gebiet anerkannt wird. Genau das wurde den verschiedenen indigenen Gruppen aber immer wieder – auch von Lula persönlich – versprochen. Seit der Aufnahme Portelas in die PT am 18. März letzten Jahres, ginge die politische Klasse „mit der Subtilität eines Elefanten“ gegen indigenes Land vor, schrieb damals der Rat der Indigenen von Roraima (CIR). Damit verflüchtige sich die Hoffnung in die Regierung „wie der Rauch der vielen Brandrodungen, die Roraima in den letzten Monaten quälten“, so der CIR weiter.
Die GegnerInnen des Reservates argumentieren, das das geplante Gebiet von 1,6 Millionen Quadratkilometern ein Hemmnis für die Entwicklung Roraimas darstelle – schließlich dürften entgegen den wirtschaftlichen Interessen von großen ReisfarmerInnen und Bergbaufirmen durch dieses zusammenhängende Territorium keine Straßen gebaut werden. Diese verlangen vielmehr, dass die Indigenengebiete in der Form von Inseln festgelegt werden.
Heuschrecken im Haushalt
Den wahren Grund für die Stagnation in Roraimas sieht der Sachverwalter des Bundesministeriums für Öffentlichkeit, Dr. Darlan Dias, indes woanders. „Ich bin erst seit einer Woche in Roraima, doch reicht diese Zeit, um zu sehen, dass hier die Entwicklung nicht durch die indigenen Gebiete verlangsamt wird, sondern durch die Korruption“, sagte er der CIR anlässlich eines Besuchs in Roraima im letzten Jahr. Dementsprechend sehen die Indigenen der CIR in der Diskussion um die Zusammenlegung der Grundstücke lediglich einen Versuch, von den Korruptionsvorwürfen an die Regierung des Staates abzulenken.
Ein lockerer Umgang mit öffentlichen Geldern wird auch Flamarion Portela nachgesagt. Er soll in einem Fall, mittlerweile als „Heu-schrecken-Skandal“ (escândalo dos gafanhotos)bekannt geworden, mitgewirkt haben. Dabei wurden auf einfallsreiche Art und Weise 297 Millionen Reais (etwa 70 Millionen Euro) an öffentlichen Geldern veruntreut. Die beteiligten StaatsdienerInnen bezahlten über Jahre hinweg fiktive Funktionäre (die sogenannten Heuschrecken oder Gespenster) aus dem Haushalt und behielten die Mittel tatsächlich selbst ein. Dreißig öffentliche Bedienstete sollen sich an diesen Finanztransfers „sattgefressen“ haben.
Der ehemalige Gouverneur von Roraima, Neudo Campos, ist nun, zusammen mit anderen Ex-Regierungsbeamten, wegen Veruntreuung und Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Obwohl Portela unter Campos den Vizegouverneur stellte, will er von diesem groß angelegten Betrug nichts gewußt haben.
Zwar hat Portela bereits zugegeben, dass ihm der Fall schon während seiner Tätigkeit als Vizegouverneur (zwischen 1999 und 2002) „oberflächlich“ bekannt war. Er behauptet aber, als Vizegouverneur habe er nicht genug Macht gehabt, um gegen die „Unregelmäßigkeiten“ vorzugehen: „Ich habe davon gehört, wie viele davon gehört haben, aber man konnte es nicht beweisen.“ erklärte Portela im Dezember 2003.
Selbst von der Heuschreckenstrategie profitiert zu haben, streitet er jedoch ab und gibt an, seit seiner Wahl zum Gouverneur Maßnahmen ergriffen zu haben, „um diese Heuschreckerei zu beenden.“ Er sehe sich auf der Bank des Klägers und nicht als Angeklagter, sagte er weiter.
Doch es mehren sich die Verdächtigungen, dass Portela nicht immer so souverän gegen die „Schädlingsplage“ vorgegangen ist.
Um gegen den heutigen Gouverneur vorzugehen, benötigt der oberste Gerichtshof jedoch die Zustimmung der Legislative. Allerdings sind gegen sechs der 24 Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung von Roraima selbst Untersuchungsverfahren eingeleitet worden. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass auch sie Löcher in den Haushalt gefressen haben.
Indes ist unabhängig vom „Heuschreckenfall“ gegen Portela ein Verfahren vor dem obersten Wahlgerichtshof anhängig. Er wird angeklagt, seine wirtschaftliche Macht während des Wahlkampfes 2002 zugunsten seiner Wiederwahl missbraucht zu haben.
Die PT schweigt zu all dem. Man zögert, den Gouverneur zu entlassen. Genoino gibt keine Interviews mehr zu diesem Thema und Portela ist erstmal auf unbestimmte Zeit beurlaubt worden. „Der Kampf gegen die Korruption, eine der Flaggen der PT, wird zunehmend von den leitenden Figuren der PT zerissen“, lautet das Urteil der CIR. Genoino muss wohl die Ethik in der „Trikolore der PT“ gegen den Pragmatismus eintauschen.