Argentinien | Nummer 403 - Januar 2008

Tod am Tag der Menschenrechte

Folterer Héctor Febres stirbt vier Tage vor der Urteilsverkündung

Die neue argentinische Präsidentin Cristina Kirchner hat ihr Amt angetreten. In der Antrittsrede betonte sie ihren politischen Willen, die Gerechtigkeit im Land voran zu treiben, insbesondere die Verfahren gegen die Verantwortlichen der Diktaturverbrechen. Die juristische Aufarbeitung ist jedoch langsam und mühselig. Und oft sind die Täter schneller als die Gerechtigkeit – und sterben vor einem Urteilsspruch.

Olga Burkert

Die Liste der Verfahren gegen die Folterer und Schergen der Diktatur ist lang. Ebenso der Weg zur Verurteilung, der aus sehr kleinteiliger juristischer Arbeit besteht. Außerdem drängt die Zeit. Viele der Angeklagten haben bereits ein hohes Alter erreicht und können immer wieder mit ärztlichen Attesten einem Gefängnisaufenthalt entgehen. Oder fristen in gemütlichem Hausarrest ihr Dasein. Wenn sie nicht sterben, bevor sie eine gerechte Strafe erhalten.
Wie Héctor Antonio Febres. Der berühmt berüchtigte Folterer war Präfekt der Mechanikerschule der Marine (ESMA), eines der größten Folterzentren des Landes während der Diktatur. Hier war er an zahlreichen Entführungen von Kindern beteiligt, die den inhaftierten Müttern geraubt und an Militärs oder andere Regimetreue regelrecht verteilt wurden. Am 14. Dezember dieses Jahres sollte das erste Urteil in einem Verfahren verkündet werden, das im Zusammenhang mit der ESMA stand. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen Febres wegen Freiheitsberaubung und Folter von Gefangenen sowie illegalem Kindesraub. Er galt als Schlüsselfigur im Geheimnis um das Schicksal der in der ESMA geborenen und illegal zur Adoption freigegebenen Kinder. Eine der AnwältInnen der Anklage, Myriam Bregman, sagte auf einer Pressekonferenz: „Er war ein Mann, der den Bestimmungsort eines jeden illegal angeeigneten Kindes in der ESMA kannte und die Namen all derer, die sie ‚adoptierten‘.“ Die Staatsanwaltschaft und die Anklage hatten 25 Jahre Haft gefordert. Febres selbst schwieg sich beharrlich aus und hielt alle Informationen stets zurück. Und er wird für immer schweigen. Denn er starb, wie Pinochet vor einem Jahr, am internationalen Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember.
Seit dem Ende der Militärdiktatur werden an eben diesem Tag der Menschenrechte die argentinischen Präsidenten vereidigt, dieses Jahr zum ersten Mal eine Präsidentin. In ihrer Antrittsrede verkündete Cristina Fernández de Kirchner: „Ich bin die Präsidentin, die durchführen wird, was die Mütter und Großmütter von mir verlangen.“ Gemeint waren die Mütter und Großmütter der Plaza de Mayo, Mütter und Großmütter der Verschwundenen der argentinischen Militärdiktatur. Sie stehen international für den Kampf um Gerechtigkeit für die Opfer der Diktatur.
Cristina Kirchner präsentierte sich auch bei ihrem Amtsantritt wie gehabt als Präsidentin der Kontinuität des sozialen, politischen und ökonomischen Projekts ihres Vorgängers und Ehemanns Néstor Kirchner. Gleichzeitig gab sie sich als Reformerin und Protagonistin des Wandels in wichtigen Regierungsfragen. Vor allem außenpolitisch hatte sie sich bereits während ihres Wahlkampfes zu Wort gemeldet – im Gegensatz zu Néstor Kirchner, der sich eher auf innenpolitische Themen konzentrierte. Zu ihrem Amtsantritt reisten dann auch zahlreiche Staats- und RegierungschefInnen nach Buenos Aires an.
Neben ihrem außenpolitischen Engagement kündigte Kirchner außerdem eine Verbesserung der staatlichen Institutionen sowie eine Reform des Justizsystems an, „damit die Argentinier die Gerechtigkeit wieder als einen Wert wahrnehmen, der Gleichgewicht und Verbesserung bedeutet, und ihre Sicherheit zurück erlangen können.“
Gemeint ist Gerechtigkeit vor allem für diejenigen, die sich seit fast 30 Jahren für eine juristische, aber auch eine psychisch-soziale Bewältigung der traumatischen Vergangenheit in Argentinien einsetzen. Cristina Kirchner betonte sichtlich ergriffen, sie hoffe, dass „sich unter ihrer Regierung die Verfahren gegen die Verantwortlichen des größten Völkermords der (argentinischen, Anm. d. Red.) Geschichte konkretisieren“ und „nach 30 Jahren endlich zu einer Strafe führen“ werden. „Das schulden wir den Opfern, ihren Angehörigen, den Überlebenden“, so die neue Präsidentin.
Diese Verschreibung an die Menschenrechte, oder zumindest die öffentlichkeitswirksame Betonung derselben, ist ein Merkmal des politischen Auftretens der Kirchners. Und macht einen Großteil ihrer Popularität in der argentinischen Gesellschaft aus. Unter dem Mandat von Néstor Kirchner wurden 2003 die Amnestiegesetze annulliert, die die Militärs seit Ende der 1990er Jahre vor einer strafrechtlichen Verfolgung schützten. Seit Aufhebung des so genannten Schlusspunkt- und Befehlsgehorsamgesetzes wurden zahlreiche Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (wieder) aufgenommen. Dieser Umbruch in der Erinnerungspolitik des Landes ist aber auch einer internationalen Konjunktur der Menschenrechtsdebatte geschuldet.
Auch Cristina Kirchner will nun den Kampf für Menschenrechte und Gerechtigkeit vorantreiben. Wie aber steht es um die juristische Aufarbeitung der zahlreichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Argentinien? Ein herber Rückschlag im Kampf um Gerechtigkeit ist das jähe Ende des ersten ESMA-Prozesses gegen Héctor Febres: Vier Tage vor der Urteilsverkündung wurde Febres tot in seiner Zelle gefunden. Jetzt wird niemals zu erfahren sein, was und wie viel er wusste.
Zunächst wurde offiziell verkündet, Febres sei an einem Herzinfarkt gestorben. Doch schon einen Tag später kündigte die zuständige Richterin eine Autopsie des Toten an. Am Tag der geplanten Urteilsverkündung stand fest: Folterer Febres starb aller Wahrscheinlichkeit nach durch eine Vergiftung mit Zyankali. Die Gerichtsmediziner fanden eine hohe Dosis des Giftes im Körper des Gefangenen. Schon die bläuliche Färbung im Gesicht des Toten hatte auf eine mögliche Vergiftung hingedeutet. Umgehend wurden Haftbefehle gegen den Vorsteher des Marinegefängnisses, Rubén Iglesias, und einen Wachbeamten erlassen. Beide wurden ihrer Posten enthoben.
Febres genoss weit reichende Privilegien während seiner Haft im Gefängnis der Marine: Seine Zelle glich einem privaten Appartement. Sie bestand aus zwei Zimmern und war unverschlossen, so dass Febres ein- und ausgehen konnte wie es ihm beliebte. Ebenso frei verkehrten BesucherInnen und seine Familie, die ihm Essen und andere Dinge mitbringen konnten, ohne dass irgendetwas vom Gefängnispersonal kontrolliert wurde. Sein Körper wurde erst elf Stunden nach dem Eintreten des Todes entdeckt. Die AnwältInnen der Anklage nahmen eine regelmäßig ausgesprochene Forderung der Menschenrechtsbewegung auf und forderten eine umgehende Verlegung aller Militärs aus der „Privathaft“ in den normalen staatlichen Strafvollzug.
Es wird sich zeigen, ob sich unter der Regierung von Cristina Kirchner etwas Grundlegendes an diesen Umständen ändert und die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit mit allen Konsequenzen vorangetrieben wird. Febres war, wie viele andere vor ihm, schneller als die Justiz und der politische Wille. Sein Tod zeigt, dass es in der argentinischen Gesellschaft immer noch Kräfte gibt, die eine Aufklärung der Verbrechen der Vergangenheit verhindern wollen. Ob Febres sich selbst vergiftete oder durch Fremdeinwirkung starb – zurück bleibt, wieder einmal, ein bitterer Nachgeschmack des Hohns gegenüber der Gerechtigkeit.

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