Trickreich gegen den Trend
Der Kampf des peruanischen Präsidenten Fujimori um den Machterhalt
Auf den ersten Blick sehe es schlecht aus für Alberto Fujimori. Alfredo, Taxifahrer in Lima, fährt sich mit dem Zeigefinger über den Hals, als er auf die Wahlchancen des amtierenden Präsidenten angesprochen wird. Natürlich ist das symbolisch zu verstehen und soll nicht heißen, daß er Fujimori am liebsten unter der Guillotine sähe. Doch die Stimmung auf der Straße ist von der wirtschaftlichen Krise geprägt, die den Subkontinent überzieht. Wer weniger Geld in seinen Taschen findet als vor einem Jahr, macht dafür den Präsidenten verantwortlich. So auch die Taxifahrer, deren Anzahl sich mit steigender Arbeitslosigkeit rapide vermehrt. „Zehn Jahre Fujimori, das reicht,“ meint nicht nur Alfredo. Auch in Meinungsumfragen für die im April 2000 stattfindenden Präsidentschaftswahlen liegt Fujimori hinter dem amtierenden Bürgermeister von Lima, Alberto Andrade, zurück.
Aber wer Alberto Fujimori kennt, kann sich sicher sein: der Präsident wird alle Register ziehen, um das sich für ihn ankündigende Unheil noch einmal abzuwenden. Fujimori hat seine Kandidatur noch nicht offiziell verkündet. Dennoch präsentiert er sich in den Medien, als sei der Wahlkampf bereits in vollem Gange. Gelegenheit dazu bieten ihm die zahlreichen Unwetterkatastrophen, von denen Peru auch im Jahr nach dem Abzug vor El Niño heimgesucht wird. Anders als sein nicaraguanischer Kollege Arnoldo Aleman steht Fujimori stets in Gummistiefeln, Regenjacke und Schutzhelm bereit. Er beaufsichtigt höchstpersönlich Bergungs- und Aufräumarbeiten, wenn gerade ein Dorf überflutet oder von einer Lawine verschüttet wurde. Sogar der Probleme einzelner MitbürgerInnen nimmt er sich an.
Geburt im Präsidentenhubschrauber
So ordnete der unermüdlich die Krisengebiete überfliegende Präsident kürzlich die Evakuierung einer Frau an, die bereits in den Wehen lag. Sie durfte ihren Sohn im Präsidentenhubschrauber zur Welt bringen. Als Dank erhielt der Bub von der glücklichen Mutter den wohlklingenden Namen Kenyi Alberto. Doch das elterliche Glück war offenbar auch auf Seiten Fujimoris, dessen neugeborener Sohn ebenfalls auf den Namen Kenyi hört. Strahlend wog er das schreiende Baby vor surrenden Kameras in seinen Armen. Besser könnte auch die Dramaturgie einer Telenovela nicht sein. Fujimori hat in den letzten Jahren konsequent auf seine Wiederwahl hingearbeitet. Drei VerfassungsrichterInnen, die festgestellt hatten, eine zweite Wiederwahl sei gemäß der peruanischen Verfassung nicht zulässig, mußten ihren Hut nehmen. Denn nach Auffassung der Regierung steht im Jahr 2000 die erste Wiederwahl des seit 1990 amtierenden Präsidenten an. Sie argumentiert, er sei im Jahre 1995 zum ersten Mal nach der 1993 in Kraft getretenen neuen Verfassung gewählt worden. Gegenüber der alten Verfassung war damals im wesentlichen ein Artikel geändert worden: die bis dato untersagte Wiederwahl des Präsidenten wurde für eine weitere Periode zugelassen. Durch das Ausscheiden der drei RichterInnen ist das Verfassungsgericht zur Zeit unterbesetzt und darf laut Gesetz nicht mehr über Verfassungsklagen entscheiden.
Die oberste Wahlbehörde, das Jurado Nacional de Elecciones (JNE), dem fünf Juristen angehören, könnte sich einer erneuten Wiederwahl Fujimoris ebenfalls in den Weg stellen. Bis Mai letzten Jahres wäre dies mit einfacher Mehrheit möglich gewesen. Da diesem Gremium zwei Parteigänger des Präsidenten angehören, verabschiedete Fujimori ein neues Gesetz, das für derartige Beschlüsse eine Mehrheit von 4:1 fordert. Den letzten Versuch, Fujimori zu stoppen, startete im vergangenen Jahr eine Initiative mit dem Namen Foro Democrático (Demokratisches Forum). Sie sammelte 1,4 Millionen Unterschriften für ein Referendum gegen die Wiederwahl. Laut Verfassung hätte das Referendum damit zugelassen werden müssen. Doch das JNE erkannte einen Teil der Unterschriften nicht an und verkündete, ein Referendum sei nur zulässig, wenn sich mindestens 48 Abgeordnete des Kongresses dafür aussprächen. Kurz zuvor hatte das JNE noch versichert, eine Zustimmung des Parlaments zu einem Referendum sei nicht erforderlich. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, daß die Opposition im Kongreß nur maximal 45 Stimmen zusammenbringen konnte. Insgesamt hat sich Fujimori in kontinuierlicher Arbeit seit 1990 genügend Machtmittel verschafft, um die Rechtslage nach seinen Vorstellungen verändern und beliebige Personen mit Anklagen überziehen zu können. Obwohl er im Kongreß über eine absolute Mehrheit verfügt, übergeht er vielfach sogar die Legislative. Eine ganze Reihe von Dekreten der Regierung werden ohne Zustimmung des Parlaments durchgesetzt. Das lahmgelegte Verfassungsgericht kann nicht einschreiten. Die Justiz steht weitgehend unter Kontrolle von zwei Regierungskommissionen, die ursprünglich eine Justizreform für Gerichte und Staatsanwaltschaft in die Wege leiten sollten.
Justiz in Fujimoris Diensten
Wie effizient Fujimori die Justiz einsetzt, um KritikerInnen aus dem Weg zu räumen, zeigt der bekannte Fall des Unternehmers Baruch Ivcher, vormals Besitzer des Fernsehkanals 2. Ihm wurde nach kritischen Reportagen mit dubiosen Begründungen die peruanische Staatsangehörigkeit entzogen, die laut Gesetz Voraussetzung für den Betrieb eines Senders ist. Nach seiner Flucht ins Ausland wurde er wegen angeblicher Zollvergehen in Abwesenheit zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Der Geheimdienst SIN (Servicio de Inteligencia Nacional), von Vladimiro Montesinos geleitet, ergänzt die Maßnahmen der Justiz. Er wird von der Opposition unter anderem beschuldigt, Verbrechen der Todesschwadron Colina autorisiert und kontrolliert zu haben. Im vergangenen Jahr stellte sich heraus, daß auf Veranlassung des SIN die Telefone von Parlamentsabgeordneten und der oppositionellen Presse abgehört wurden. Auch die Polizei, die Policia Nacional del Peru (PNP), steht unter Kontrolle des SIN, denn im Mai 1998 verkündete Fujimori ein Dekret, das unter dem Vorwand der effektiveren Verbrechensbekämpfung die Infiltration der PNP durch den SIN erlaubt.
Der Opposition macht es Fujimori so schwer wie möglich, eine Liste zu den Wahlen aufzustellen. Er verabschiedete ein Wahlgesetz, nach dem jede Partei oder Gruppierung, die einen Kandidaten präsentieren möchte, etwa 520.000 Unterschriften vorlegen muß. Das sind 4 Prozent der Wahlberechtigten. Viele potentielle KandidatInnen werden schon an dieser Hürde scheitern. Die Politik des Präsidenten läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß er die Macht um jeden Preis zu erhalten versucht. Das Problem: ein zweiter aussichtsreicher Kandidat aus den Reihen seiner Regierungspartei Cambio 90 / Nueva Mayoria ist nicht in Sicht.
Erfolgreicher Gegenspieler: Alberto Andrade
Zu den möglichen Gegenkandidaten: An erster Stelle in den Meinungsumfragen liegt Alberto Andrade, der amtierende Bürgermeister von Lima. Auch er hat seine offizielle Kandidatur noch nicht erklärt. In Lima gewann er große Popularität durch seine Anstrengungen, das historische Zentrum der Stadt von illegalen StraßenhändlerInnen zu säubern und wichtige Plätze neu herzurichten. Als er 1995 zum ersten Mal für das Bürgermeisteramt in Lima kandidierte, betonte er, daß er nicht der Opposition angehöre, aber auch nicht in allen Punkten mit der Regierungspolitik übereinstimme. Da er als ebenso autoritär wie Fujimori eingeschätzt wird, zweifeln viele Linke in Peru, ob sich unter seiner Präsidentschaft viel ändern würde. Ursprünglich war Andrade Mitglied der konservativen Partei PPC. Doch als nach dem Desaster der Regierung Alan García das Ansehen der traditionellen Parteien in Peru sank und unabhängige Kandidaten sich als chancenreicher bei Wahlen herausstellten, trat er aus der Partei aus. Zu den Bürgermeisterwahlen gründete er die Bewegung Somos Lima – „Wir sind Lima“, deren Namen er vorsorglich schon in Somos Peru korrigiert hat. Wichtiger als ein politisches Programm sind in der peruanischen Politik offenbar Gefühle. Andrade wiegt zwar bislang keine Neugeborenen in seinen Armen, doch er hat sich für ein Herz als Parteilogo von Somos Peru entschieden. Fujimori versuchte dem Bürgermeister in weiser Voraussicht Steine in den Weg zu legen, kürzte ihm die Mittel und konterkarierte seine Politik, wo er nur konnte. Aber das machte Andrade nur beliebter.
Ein anderer Kandidat ist auf jeden Fall für eine Überraschung gut – der ehemalige Präsident des staatlichen Peruanischen Instituts für Sozialversicherungen, IPSS, Luis Castaneda Lossio. Er gehörte früher der Accion Popular, der Partei des ehemaligen Präsidenten Belaúnde, an und präsentiert sich jetzt aus den gleichen Gründen wie Andrade als unabhängiger Kandidat. Ihm gelang die Sanierung des IPSS, und er wehrte sich erfolgreich gegen dessen drohende Privatisierung. Das trug ihm vor allem die Sympathie jener Bevölkerungsschichten ein, die sich eine private Krankenversicherung nicht leisten können. In Meinungsumfragen liegt Castaneda mit immerhin rund 15 Prozent der Stimmen an dritter Stelle. Mit der Sammlung von Unterschriften für seine Kandidatur hat er bereits begonnen.
Als weitere Kandidaten haben Alberto Borea, wie Andrade Ex-PPC-Mitglied, und Alejandro Toledo, der schon bei den letzten Wahlen antrat, ihren Hut in den Ring geworfen. Sie wollen sich aber in Vorwahlen vom Demokratischen Forum bestätigen lassen, so daß nur einer von beiden übrig bleiben wird. Beide gelten als weniger aussichtsreich als Andrade oder Castaneda. Alle erwähnten Kandidaten gehören der politischen Rechten an. Sie sprechen sich für eine Unabhängigkeit der Justiz, die Respektierung der Menschenrechte und eine Demokratisierung der Institutionen aus. Vor allem Castaneda und Borea kritisieren zwar die neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung Fujimori, doch werden sie es kaum wagen, sich mit dem IWF anzulegen.
Die Linke ist heillos zerstritten
Ein Kandidat der heillos zerstrittenen Linken ist nicht in Sicht. Sollte noch jemand ins Rennen geschickt werden, hätte er ohnehin nicht die geringste Chance. Die Izquierda Unida (IU), die zu den Wahlen 1985 und 1990 noch aussichtsreiche Kandidaten präsentierte, ist nach dem Wahldesaster von 1995 fast in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Allenfalls im Kongreß sind für linke Abgeordnete einige wenige Sitze zu erreichen, besonders dann, wenn sie sich mit anderen Oppositionskreisen auf einer Liste zusammenschließen. Dies taten verschiedene Ex-IU-Mitglieder 1995 mit Erfolg in der UPP (Unidad Popular del Peru). Anführer dieser momentan größten Oppositionsgruppe im Kongreß ist der ehemalige UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar, der sich mit Ende der Legislaturperiode aus dem politischen Leben zurückziehen wird. Das weitere Schicksal der UPP ist noch unklar.
Fujimori, momentan mit etwa 30 Prozent der Stimmen gehandelt, kann mit Sicherheit noch zulegen. Wie das möglich ist, demonstrierte er bereits erfolgreich im Wahljahr 1995: Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst, persönliche Einweihungen von Schulen in allen Landesteilen, Elektrifizierung und Wasserversorgung von entlegenen Dörfern oder neugegründeten Pueblos jóvenes in Lima und Zuteilung von Besitztiteln für LandbesetzerInnen, falls keine Ansprüche Dritter bestehen. Nach der Privatisierung vieler staatlicher Unternehmen hat Fujimori genügend Mittel für solche Zwecke zur Verfügung. Auch das Militär kooperiert gern mit dem Präsidenten. Soldaten werden zu Straßenarbeiten in die Randgebiete Limas geschickt und schneiden ihren Mitbürgern umsonst die Haare. Sollten alle diese Maßnahmen nicht fruchten, bieten sich weitere Manöver an.
Im Jahr 2000 nur ein Wahlgang?
Die Opposition befürchtet, die Regierung könnte das Wahlsystem ändern. Falls kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen erhält, müssen nach dem jetzigen System die beiden Kandidaten mit dem besten Ergebnis in einer Stichwahl noch einmal gegeneinander antreten. Da die Opposition im zweiten Wahlgang voraussichtlich geschlossen den Gegenkandidaten zu Fujimori unterstützen wird, ist es für den amtierenden Präsidenten leichter, im ersten Urnengang mit einfacher Mehrheit zu gewinnen. Es böte sich aus Regierungssicht also an, den zweiten Wahlgang rechtzeitig per Gesetz zu eliminieren und den Sieger der ersten Runde zum Präsidenten zu erklären.
Letzter Ausweg: Wahlfälschung
Als letztes Mittel bleiben Wahlmanipulationen. In Peru lebt etwa 25 Prozent der Bevölkerung in Notstandsgebieten, die unter Kontrolle des Militärs stehen. Auch der Wahlprozeß wird dort von den Streitkräften geleitet. Unter anderem transportieren Soldaten die Wahlurnen zu den Auszählstellen. Kritiker aus der Opposition befürchten, insgesamt könnten bis zu 10 Prozent der Stimmen manipuliert werden. Angesichts dieser Möglichkeiten der Regierung zweifelt auch Taxifahrer Alfredo an einem wirklichen Machtwechsel: „Fujimori ist schlau und äußerst trickreich. Er manipuliert, wo er nur kann.“ Die Gegenkandidaten werden es schwer haben. Auch Andrade und Castaneda. Doch Fujimoris großes Problem ist die gegenwärtige Wirtschaftskrise. Wenn nicht bald ein Aufschwung in Sicht ist, könnten am Ende doch alle Tricks vergeblich gewesen sein.