Unklares Profil
Das kolumbianische Linksbündnis Alternativer Demokratischer Pol erlebt eine Zerreißprobe
Das kolumbianische Linksbündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA) hat Ende September in öffentlichen Vorwahlen über seinen Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen im Mai 2010 abstimmen lassen. Dabei hat der eigentliche Favorit und ehemalige Verfassungsrichter Carlos Gaviria mit 201.115 Stimmen gegen Gustavo Petro mit 220.912 Stimmen verloren. Der dritte Kandidat, Edison Lucio Torres, spielte nur eine Nebenrolle. Die Beteiligung blieb äußerst niedrig. Wahlberechtigt waren nicht nur Parteimitglieder, sondern alle der 28,7 Millionen ins Wahlregister eingetragenen KolumbianerInnen. Der Sieg Petros war überraschend, die folgenden Spannungen innerhalb der Partei allerdings vorhersehbar.
Gaviria gab seinen Parteivorsitz noch am Wahlabend ab und gab zu verstehen, er werde die Kampagne von Petro nicht aktiv unterstützen. Das PDA befindet sich nun in einem Spannungsverhältnis: In der Partei unterstützte man bisher mehrheitlich Gaviria, Petro ist nun aber offizieller Kandidat. Es geht dabei nicht nur um Personen, sondern um miteinander unvereinbare Programme. Auf eine/n neue/n Vorsitzende/n konnte sich die Partei bisher nicht einigen. Man unterstütze Petros Kandidatur aber einstimmig, ließ das Exekutivkommittee verlauten.
Gustavo Petro ist Ex-Mitglied der Guerilla M-19, die 1991, ermöglicht durch die neue Verfassung, ihre Waffen ablegte und als Partei ins Parlament einzog. Sie ist heute als sogenannte Vía Alterna (etwa Alternativer Weg) Teil des Bündnisses PDA.
Petros Projekt der convergencia (in etwa: Übereinstimmung, Zusammengehen) mit allen, die eine erneute Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Uribes bei den Präsidentschaftswahlen 2010 verhindern wollen, wird in der kolumbianischen Presse denn auch als das einer moderaten, demokratischen Linken bezeichnet. Sie könne eine tatsächliche politische Alternative zur Uribe-Koalition darstellen, ist der Tenor.
Die „Rechte“ innerhalb des PDA wird als fragmentiert bezeichnet und scheint von einzelnen bekannten PolitikerInnen abhängig zu sein, die des öfteren auch gegeneinander vorgehen. Dennoch hat diese Strömung seit Anfang des Jahres 2009 an Stärke gewonnen. Unter anderem hat sich dadurch die Zusammensetzung des Exekutivkommittees der Partei zu ihren Gunsten verändert. Ein traditioneller Klientelismus macht sich zudem auch in der PDA immer mehr bemerkbar.
Die „strategischen Allianzen“, die Petro vorschlägt, beziehen auch den Präsidentschaftskandidaten der Liberalen Partei, Rafael Pardo, und den ehemaligen Bürgermeister von Bogotá, Lucho Garzón, mit ein. Pardo hatte bis 2004 den rechtsgerichteten Präsidenten Uribe unterstützt, war danach aber in die Liberale Partei zurückgekehrt. Garzón war bis Mai 2009 Mitglied des PDA und hat mit zwei anderen ehemaligen Bürgermeistern im September die Grüne Partei „übernommen“, die Ende der 1990er Jahre vom prominenten Entführungsopfer Ingrid Betancour gegründet worden war. Er tritt ebenfalls als Präsidentschaftskandidat gegen Uribe an. Sogar uribistische Sektoren, die den Paramilitarismus ablehnten, sollten laut Petro unter Umständen als „demokratische Rechte“ Teil des Bündnisses sein. Vielen SenatorInnen, die Uribe unterstützen, werden aber gerade Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen vorgeworfen; gegen über 60 wird seit letztem Jahr strafrechtlich ermittelt. Heftige Diskussionen hat es deshalb bereits zwischen den Organisationen der Opfer des Paramilitarismus und Staatsterrorismus und Teilen der Partei gegeben, wenn auch Petro die bekannten Verbindungen zwischen PolitikerInnenn und Paramilitärs immer verurteilt hat. Die Frage, wie stabil und kohärent eine solche Koalition des Polo mit dem „traditionellen Sektor der Politik“ sein könnte, ist also angebracht.
Der ursprüngliche Favorit des PDA, Carlos Gaviria, warnte vor Bündnisverhandlungen ohne jede Vorbedingung: „Wir können nicht alles über Bord werfen, was wir aufgebaut haben, wenn wir Uribe wirklich schlagen wollen“. Man brauche auf jeden Fall einen eigenen Kandidaten des PDA mit klarem Profil, und dies war auch auf dem Parteikongress im Februar mit der Parteibasis diskutiert und beschlossen worden. Ohne die Forderung nach strukturellen Veränderungen in der Politik unterscheide sich der Polo nicht mehr von den traditionellen Parteien.
Gaviria war noch im Februar auf dem Zweiten Parteikongress zum Parteivorsitzenden gewählt worden. Bei den Präsidentschaftswahlen 2006 hatte er als Gegenkandidat zu Uribe mit 20 Prozent der Stimmen immerhin das beste Ergebnis der kolumbianischen Linken überhaupt erzielt. Er repräsentiert den linken Flügel innerhalb des Bündnisses, wie zum Beispiel die Unabhängige und Revolutionäre Arbeiterbewegung (MOIR) oder die Kommunistische Partei Kolumbiens und wird von Gewerkschaften und großen Teilen der sozialen Bewegungen unterstützt. Sie hoffen, dass mit dem PDA tiefgreifende gesellschaftlichen Veränderungen möglich werden, die mit den heutigen Herrschaftsverhältnissen in Kolumbien ausgeschlossen sind. Die kolumbianische Presse bezeichnet diese Strömungen in der Partei gern als „radikal“.
Das PDA jedenfalls hat an Glaubwürdigkeit verloren und es scheint nicht einmal sicher, ob sich die Differenzen zwischen den verschiedenen Strömungen überhaupt überwinden lassen. Konnte man in den letzten Jahren noch feststellen, dass die kolumbianische Linke erstmals gemeinsam auftrat und damit als Alternative zur Rechtsregierung Uribes Erfolg hatte, ist dies jetzt ganz offensichtlich nicht mehr der Fall.
Das PDA gruppiert sich als Partei nicht mehr klar um ein gemeinsames politisches Programm mit klar definierten Zielen, sondern um eine Vielzahl verschiedener Tendenzen mit eigenen Interessen. Die politische Entwicklung der kolumbianischen Linken, die mit dem „Projekt“ PDA gestärkt werden sollte, wird dadurch gebremst. Der Elan, der angesichts der Ergebnisse bei den Präsidentschaftswahlen 2006 und bei den Regionalwahlen 2007 noch spürbar war, scheint verloren. Eher lässt sich von einer Krise des „linken Projekts“ sprechen. Besonders die Gewerkschaften und andere soziale Gruppen, die das Bündnis bisher mittragen, werden sich in einer „pragmatischen“ Neuausrichtung des PDA nur schwer wiederfinden.
Von der sozialen Basis hat sich die Parteispitze ohnehin entfernt. Indigene und andere soziale Organisationen hatten unabhängig vom PDA für den Oktober eine landesweite „MINGA popular“ mit Demonstrationen und Protestmärschen gegen die Regierung angekündigt, denen sich Studierende und SchülerInnen anschlossen. In Bogotá gingen circa 15.000 Menschen auf die Straße. Themen waren unter anderem der immer noch geplante Freihandelsvertrag mit den USA und die Assoziierungsabkommen mit der EU sowie die Politik der Regierung gegenüber den drei bis vier Millionen internen Flüchtlingen, die nicht in ihre Regionen zurückkehren können.
Währenddessen wird eine Wiederwahl Uribes im Jahr 2010 immer wahrscheinlicher. Schon die geringe Wahlbeteiligung bei den Vorwahlen der Opposition war für die Uribe-Koalition ein sehr positives Zeichen. Weder die Wirtschaftskrise und die steigenden Arbeitslosenzahlen, noch der Abhörskandal um den Geheimdienst DAS, der JournalistInnen, GewerkschafterInnen und MenschenrechtlerInnen ausspioniert hatte, konnten ihm etwas anhaben. Auch die bestürzenden Zahlen von bis zu 25.000 in den letzten 20 Jahren von Paramilitärs verübten Morden, die am 30. September von der Staatsanwaltschaft veröffentlicht wurden, waren in Kolumbien kaum eine Meldung wert. Da wird in den großen Medien eher die negative Berichterstattung über die venezolanische Regierung intensiviert. Noch weniger scheint das Abkommen über die Nutzung von sieben kolumbianischen Militärbasen durch die USA ein Problem zu sein oder der wieder aufgenommene Prozess gegen den Vizepräsidenten Francisco Santos, dem vorgeworfen wird, paramilitärische Todesschwadronen in der Hauptstadt mit aufgebaut zu haben.
Bisher hat das Oberste Gericht allerdings nicht das Referendum zur Verfassungsänderung anerkannt, das Uribe eine dritte Kandidatur ermöglichen soll. Das Gericht wird die Entscheidung wohl erst im Januar veröffentlichen; danach soll das Referendum stattfinden. Außerdem wird im Kongress über Änderungen am Wahlgesetz diskutiert; zum Beispiel über die Offenlegung der Herkunft von Wahlkampfgeldern. Interessanterweise wurde diese Diskussion von denselben SenatorInnen angestoßen, die sich eigentlich schon im Wahlkampf befinden. Sie verhielten sich so „wie Fußballspieler, die die Spielregeln ändern, wenn das Spiel schon angefangen hat“, urteilte die Wochenzeitung Semana. Dennoch scheinen die Wahlen so gut wie entschieden.