Ecuador | Nummer 453 - März 2012

„Vergeben, aber kein Vergessen“

Ecuadors Präsident gewinnt den Rechtsstreit gegen rechte Publizisten und verzichtet auf ihre Bestrafung

Seitdem in Ecuador 2007 die Regierung der Bürger_innenrevolution die Amtsgeschäfte übernommen hat, wird die Macht der privaten Medienkonzerne begrenzt. Ecuadorianische Gerichte verurteilten im Februar in zweiter Instanz Verfasser und Verantwortliche verleumderischer Inhalte über den Präsidenten Rafael Correa zu hohen Strafen. Nach dem juristischen Erfolg „vergibt“ Correa. Die Strafen werden ausgesetzt. Derweil steht die Abstimmung über ein neues Kommunikationsgesetz, das die Medienlandschaft neu ordnen soll, noch aus.

Hanno Bruchmann

Dass juristische Verfahren gegen oligarchische Medien in Ecuador Aussicht auf Erfolg haben, ist neu. „Es hat sich gezeigt, dass der medialen Macht der Prozess gemacht werden kann“, heißt es in einer Erklärung des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa von Ende Februar. Nachdem sich Correa mit dem Politbüro seiner Partei Alianza País, Freunden und seiner Familie beraten hatte, gab er in dem Statement zudem großzügig bekannt, denen „zu vergeben, die es eigentlich nicht verdienen“. Correa ist mit der juristischen Feststellung, dass er verleumdet wurde, zufrieden und begnadigte die drei Herausgeber und einen Kolumnisten der oppositionellen Zeitung El Universo am 27. Februar. Auch gegen die beiden zu Geldstrafen verurteilten Autoren des Buches Der große Bruder ließ Correa Gnade walten und verzichtet auf Vollstreckung.
Der größte Rechtsstreit bezieht sich auf den 30. September 2010, als der Staatschef bei einem Putschversuch von desertierten Polizei- und Militäreinheiten angegriffen, festgehalten und mit dem Tode bedroht wurde. Mehrfach erging über Polizeifunk die Aufforderung, den Präsidenten umzubringen. Auf mit Correa sympathisierende Demonstrant_innen und die Spezialeinheit, die zu seiner Befreiung eingesetzt war, wurde scharf geschossen. Mindestens fünf Todesopfer durch Kugeln der Putschist_innen waren zu beklagen.
Den Ereignissen des 30. September 2010 widmete einer der lautesten Streithähne der oligarchischen Presse, der Redakteur Emilio Palacio, im Februar 2011 einen Kommentar. Der erschien in der Zeitung El Universo mit dem Titel „Keine Lügen mehr“. Darin bezeichnet er Correa nicht nur als „Diktator“, sondern wirft ihm auch „Verbrechen gegen die Menschheit“ vor. Correa habe das Gefecht provoziert, den Putschversuch inszeniert und Todesopfer billigend in Kauf genommen, so Palacio. Demgegenüber berichteten Beobachter_innen von einer aufgeheizten Stimmung, die private Medien unmittelbar vor dem Putschversuch erzeugt hatten; sie waren über die Pläne anscheinend informiert. Der Staatschef erstattete Anzeige wegen Verleumdung.
Palacio sowie die Herausgeber der größten ecuadorianischen Tageszeitung, als Verantwortliche für deren Veröffentlichung, wurden mehrmals aufgefordert, die Vorwürfe zurückzunehmen, sich dafür zu entschuldigen und eine Richtigstellung abzudrucken. Darauf ließen sich weder Palacio noch die Direktoren von El Universo, die drei Brüder Carlos, César und Nicolás Pérez ein. Es schien fast so, als wollten sie verurteilt werden und den Skandal um eine von ihnen unterstellte „Einschränkung der Redefreiheit“ möglichst groß erscheinen lassen.
Am 20. Juli 2011 wurden sie zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Zusätzlich sollten sie insgesamt 40 Millionen US-Dollar Schadensersatz zahlen. Die Angeklagten gingen bis zum Obersten Gerichtshof. Doch der bestätigte das Urteil im Falle Palacios am 28. Dezember letzten Jahres und im Falle der Brüder Pérez am 16. Februar dieses Jahres. „Das Urteil zeigt, dass die Pressefreiheit nicht nur für diejenigen ist, die es sich leisten können, sondern für alle“, verlautbarte Correa und ergänzte, dass er den Prozess nicht wollte, sondern es lieber gehabt hätte, wenn El Universo sich korrigiert hätte.
Palacio war direkt nach dem ersten Richter_innenspruch im August nach Miami gereist, von wo aus er den Prozess verfolgte. Stunden nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs begab sich auch einer der Herausgeber, Carlos Pérez, in die panamaische Botschaft und beantragte Asyl. Dieses wurde zunächst gewährt, nach der Rücknahme der Strafe aber wieder aufgehoben.
In einem weiteren Gerichtsverfahren wurden am 7. Februar 2012 die beiden Autoren des Buches Der große Bruder (erschienen 2010), Juan Carlos Calderón und Christian Zurita, zur Zahlung von jeweils einer Million US-Dollar Entschädigung an Rafael Correa verurteilt. Im Buch beschuldigten sie den Präsidenten, von der unrechtmäßigen Vergabe staatlicher Aufträge an die Firma seines jüngeren Bruders Fabricio Correa gewusst zu haben. Auch Calderón und Zurita bot das Staatsoberhaupt mehrmals an, die Anschuldigungen zurückzunehmen, damit er die Anzeige fallen lassen könne. Dem kamen die Autoren nicht nach. Die zuständige Richterin bestätigte, dass die Autoren nicht genügend Beweise hätten, um so eine Behauptung aufzustellen. Sie folgte damit Correas Argumentation, dass er als Person und Bürger „moralischen Schaden“ erlitten habe.
Die Prozesse wurden unter großer nationaler und internationaler medialer Aufmerksamkeit geführt. Das Thema ist delikat und dreht sich um die Definition der Pressefreiheit. In einem Kommentar der Washington Post vom 12. Januar wurde der Vorwurf erhoben, in Ecuador würden Journalist_innen verfolgt und die Autoren von Der große Bruder wären wegen der Dokumentation der staatlichen Verträge mit Fabricio Correa verurteilt worden. Dem widersprach Präsident Correa in einer ausführlichen Stellungnahme: „Was die Washington Post nicht schreibt, ist, dass die Autoren zufällig Journalisten sind, die aber wegen der Behauptung verurteilt wurden, der Präsident habe davon gewusst.“ Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño sieht die ecuadorianische Regierung als Ziel einer internationalen Medienkampagne, weil ihre Reformen griffen, sie Auslandsschulden reduziere und sich die Kräfteverhältnisse veränderten.
Immer wieder springen die Lateinamerikanische Pressegesellschaft (SIP), Human Rights Watch oder Reporter ohne Grenzen im Namen der Meinungsfreiheit den Medienoligarch_innen bei. Aber selbst Reporter ohne Grenzen riet jüngst mit Bezug zum Fall El Universo, mit Beleidigungen und Bezeichnungen wie „Diktator“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nicht leichtfertig umzugehen.
Palacio und die Brüder Pérez hatten angekündigt, vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof zu ziehen. Dieser hatte vorbeugend gefordert, die Strafe gegen El Universo zurückzunehmen. Nach der Aussetzung der Strafe erklärte die Ex-Präsidentin der Institution allerdings, die Befugnisse seien von El Universo überschritten worden. Schließlich habe Correa das Recht, seine Persönlichkeitsrechte zu verteidigen. Maßnahmen sind nun hinfällig. „Hoffen wir, dass die Verurteilten aufhören, sich als Opfer darzustellen“, sagte Correa.
Durch die Entscheidung, die Strafe nicht vollziehen zu lassen, scheint sich der Präsident als gütiger Katholik darstellen und sein Ansehen im internationalen Umfeld aufbessern zu wollen. Innenpolitisch findet die Entscheidung sicher Zustimmung bei moderaten Kräften, kann aber auch als Befriedung vor der Präsidentschaftswahl 2013 gelten: Laufend kommt es zu heftigen Gefechten zwischen Correa und den privaten Medien, die er als „korrupt“ bezeichnet. In einem 2011 veröffentlichten Essayband sieht der Journalist und Kommunikationswissenschaftler Gustavo Abad in Ecuador einen Fight Club, in dem die politische gegen die mediale Macht im Ring steht. Viel zu kurz bei diesen Debatten kommt die Demokratisierung der und das Recht auf Kommunikation, das auch in Ecuador wesentlich durch unabhängige, nicht profitorientierte Organisationen getragen werden muss. Im Wesentlichen betrifft dies kommunitäre Medien, die mithilfe eines Kommunikationsgesetzes Förderung erhalten sollen, damit sie in Zukunft neben privaten und staatlichen Medien einen Anteil von mindestens einem Drittel ausmachen werden.
Die größten Medien Ecuadors befinden sich im Besitz weniger einflussreicher Familien, wie der Familie Pérez, die mit diesen Mitteln ihre liberalen oder konservativen Interessen vertreten und durchsetzen. Bereits in der Verfassunggebenden Versammlung wurden private Medien häufig kritisiert, die ohne Rücksicht auf Wahrhaftigkeit und Persönlichkeitsrechte die politischen Gegner_innen niederschrieben. Mit der Verfassung von 2008 wurde ein neues Kommunikationsgesetz auf den Plan gerufen, das den gesamten Medienbereich umstrukturieren und klare rechtliche Regelungen zu verbotenen Inhalten und deren Sanktionierung festlegen soll. Darunter fallen Jugendschutz, Gewaltverherrlichung, rassistische, sexistische und andere diskriminierende Inhalte. Seit dem Referendum im Mai 2011 ist auch klar: Erstellt und überprüft werden die Richtlinien durch einen Regulationsrat. Erst im November letzten Jahres hat das Parlament die zweite und abschließende Lesung durchgeführt. Die Zustimmung einiger Mitglieder_innen der Regierungsfraktion und anderer Fraktionen wie der indigenen Partei Pachakutik sind nach wie vor nicht sicher. Die Abstimmung wird in diesem Jahr erwartet.
„Wir müssen aus der Gegenwart und aus der Geschichte lernen, für eine echte soziale Kommunikation kämpfen, in der private Geschäfte die Ausnahme sind, nicht die Regel; wo die Redefreiheit ein Recht aller ist und nicht das privilegierter Oligarchen, die eine Druckerei erben und sie auf den Namen von Scheinfirmen auf den Cayman-Inseln anmelden“, schrieb Correa mit Verweis auf das Medienunternehmen El Universo in einem offenen Brief an den Obersten Gerichtshof. Von Angriffen auf die Pressefreiheit zu sprechen, ist nach dem Ausgang der Verfahren auf alle Fälle schwieriger geworden.

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