Kolumbien | Nummer 346 - April 2003

Vermintes Terrain

Die FARC-Guerilla distanziert sich nach mehreren Bombenanschlägen vom Terrorismus

Nach dem Mord an einem US-Amerikaner und der Verschleppung drei weiterer durch die Guerilla gewinnt der kolumbianische Konflikt an Brisanz. Die USA verstärken ihre Militärpräsenz. Angesichts mehrerer Bombenanschläge und festgefahrener Gespräche zwischen Regierung und Paramilitärs wird den KolumbianerInnen deutlich, das sich auch unter Präsident Uribe nicht viel bewegt. In einem Schreiben Anfang Februar setzten die FARC wieder einen politischen Akzent, die Aussichten auf eine friedliche Lösung bleiben dennoch trübe.

Tommy Ramm

Die FARC werden einen hohen Preis zu zahlen haben“, prophezeite ein sichtlich beeindruckter Tom Davis. Der republikanische US-Abgeordnete suchte Ende Februar Bogotá auf, um einen der vielleicht einschneidensten Vorfälle unter die Lupe zu nehmen, der dem kolumbianischen Konflikt eine neue und unheilvolle Note geben könnte: die verstärkte Einmischung der USA in den innerkolumbianischen Konflikt.
Am 13. Februar machte eine US-amerikanische Kleinmaschine vom Typ Cessna in der südkolumbianischen Provinz Caquetá eine Notlandung. An Bord vier US-Amerikaner sowie ein kolumbianischer Pilot, die im Auftrag der US-Regierung und unter Leitung der kalifornischen Militär-Firma Microwave Inc. einen Spionageflug über der Region durchgeführt hatten. Ihre Aufgabe war das Aufspüren der Positionen von Guerilla-KommandantInnen, die danach in Armeeoperationen getötet oder gefangen genommen werden sollten.
Nach offiziellen Angaben hatte die Maschine einen technischen Schaden, der sie zur Landung zwang. Andere Darstellungen gehen von einem gezielten Abschuss durch die Guerilla der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC-EP) aus, die dieses Gebiet seit Jahrzehnten dominiert. Nur wenige Minuten nach der Bruchlandung erreichten diese das Wrack und fanden die Besatzung leicht verletzt vor. Weitere Minuten später lebten nur noch drei. Die RebellInnen töteten den Piloten und einen US-Amerikaner per Genickschuss, die anderen wurden verschleppt.

Bush: “Skrupellose Mörder“

Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. US-Präsident George W. Bush nannte die FARC in einem Fernsehinterview „skrupellose Mörder“ und betonte, dass allein die Guerilla für das Wohlbefinden der verschleppten US-Amerikaner verantwortlich sei. Zwar haben die FARC seit Jahren mindestens zwei US-Amerikaner in Geiselhaft, doch keine besitzen solche Brisanz wie die drei Söldner. Schließlich handelt es sich um Militärpersonal im Auftrag der US-Regierung. Um die Bedeutung zu unterstreichen, wurden am 26. Februar 49 Marines der US-Armee auf den Weg nach Bogotá geschickt, um bei der Suche der Verschleppten mitzuhelfen.
Damit sind erstmals US-Soldaten direkt in den Konflikt involviert. Zwar spricht die US-Botschaft in Bogotá nur von Unterstützung der kolumbianischen Befreiungsoperationen – rund 5000 Soldaten wurden dafür abgestellt -, doch Beobachter wie der kolumbianische Historiker und ehemalige Friedenskommissar Daniel Garcia-Peña gehen von einer offensiveren Beteiligung aus. „Sollten in den nächsten Wochen weitere US-Amerikaner ums Leben kommen, haben wir bald 4.000 und nicht 400 US-Soldaten im Land“. Was erwartet er für die FARC? „Das Ende“, so Garcia-Peña. „Die USA werden in solch einem Fall nicht Ruhe geben, bis sie ihr Ziel erreicht haben“. Nach seiner Ansicht wäre das Schicksal der FARC durch die massive militärische Einmischung der USA in den innerkolumbianischen Konflikt besiegelt.
Überraschenderweise sehen diese das anders: Ein US-Botschaftssprecher nannte die FARC militärisch nicht besiegbar. So sei deren Beseitigung „nur durch eine fundamentale Schwächung zu erreichen, die sie am Verhandlungstisch bedingungslos machen würde“. Das Ziel der USA sei es, durch Militärhilfe die kolumbianische Armee und den Staat in diese Ausgangsposition zu bringen.

Dauerhafte US-Präsenz absehbar

Kein kurzfristiges Ziel, zieht man die Stärke der FARC mit rund 20.000 KämpferInnen in Betracht. Momentan ist im Rahmen des 1999 angelaufenen Plan Colombia die Präsenz von 400 regulären US-Soldaten in Kolumbien erlaubt, weitere 400 US-Amerikaner können über private Militärfirmen im Land aktiv sein. Während die Aufgabe der Soldaten – meist US-Spezialeinheiten – auf die Ausbildung der kolumbianischen Armee konzentriert ist, führen die Söldner von technischen Wartungsarbeiten bis hin zu Sprüheinsätzen gegen Kokafelder alles durch.
Auf Grund der prekären Situation durch die Verschleppung der US-Amerikaner bemüht sich Washington jedoch um eine Aufweichung dieser Begrenzung. Versucht wird nun eine flexible Handhabung der maximal 800 US-Amerikaner. Demnach sollen mehr Soldaten für weniger technische Söldner nach Kolumbien kommen dürfen. War Ende Februar die Entsendung von 150 US-Marines zur Freikämpfung geplant, musste diese Zahl auf 49 revidiert werden, um nicht das Limit zu überschreiten. Dennoch gehen BeobachterInnen davon aus, dass sich derzeit 411 reguläre US-Soldaten in Kolumbien aufhalten. Offizielle und gleichzeitig verlässliche Zahlen gibt es nicht. Der Vertrag des Plan Colombia lässt dafür auch genügend Spielraum in einer Fußnote zu. In Ausnahmen und Momenten eines Notfalls ist eine kurzzeitige Überschreitung der Maximalgrenze erlaubt. Auslegungssache.

FARC-Vorschlag abgelehnt

Die Meinungen in der kolumbianischen Öffentlichkeit gehen weit auseinander, ob mit der Verschleppung der US-Amerikaner neuerlich über einen Gefangenenaustausch diskutiert werden soll. Während Vereinigungen von Angehörigen Verschleppter auf ein solches Abkommen mit der Guerilla drängen, schließen kolumbianische und US-amerikanische Regierung diese Möglichkeit zunächst kategorisch aus. Diesem Vorschlag der FARC Anfang März wurde eine Absage erteilt, genauso wie der geforderten Einstellung der Armeeoperationen im Caquetá.
Ein Dilemma für die Regierung aber auch für die Guerilla, die trotz Verschärfung ihrer Operationen keinen Verhandlungsspielraum mit der Rechtsregierung von Präsident Uribe Vélez gewinnen konnte. Nachdem er keine Erfolge in der Bewältigung des bewaffneten Konflikts erreichen konnte, befindet sich dieser nach Monaten erstmals auf einem deutlichen Abwärtstrend in den Meinungsumfragen, .

Schlag ins Herz der Elite

Im Gegenteil: Am 7. Februar detonierte eine 250 Kilo-Bombe in dem hauptstädtischen Nobelclub El Nogal. An scharfen Kontrollen und Überwachungskameras vorbei, konnten die AttentäterInnen wahrscheinlich über Monate hinweg eine Autobombe präparieren, die bei ihrer Detonation 36 Menschen, darunter Kinder, in den Tod riss.Über 160 Menschen wurden verletzt.
Nur wenige Stunden danach deklarierte die Regierung die FARC für den Anschlag verantwortlich und startete eine diplomatische Offensive im Ausland, deren Ziel die politische Marginalisierung der RebellInnen beschleunigen sollte. Mehrere lateinamerikanische Staaten ließen sich dazu überzeugen, die Guerilla als „terroristische Vereinigung“ zu deklarieren. Venezuela und Brasilien sahen davon ab, um nicht die Tür für Verhandlungen endgültig zuzuschlagen.
Bereits Wochen zuvor verübten vermutlich die FARC in Bogotá mehrere Bombenanschläge, die auf eine Verbesserung ihrer urbanen Strukturen zurückgeführt werden. Der Anschlag auf den Club El Nogal gilt jedoch in vielerlei Hinsicht als Höhepunkt. In der Öffentlichkeit hat sich mit einem Schlag wieder die Gewissheit durchgesetzt, dass der Staat gegen solche Attentate ohnmächtig ist. Hatte Präsident Uribe mit seinem Konzept der „demokratischen Sicherheit“ – mehr Militär, Polizei und Überwachung – im letzten Jahr die Wahlen gewonnen, wurde dieses am 7. Februar innerhalb Sekunden ad absurdum geführt.
Der Club El Nogal galt als das bedeutendste Zentrum der politischen und wirtschaftlichen Elite Kolumbiens. Bis vor einem Jahr noch war der jetzige Innenminister Fernando Londono Präsident des Clubs. Galt die kolumbianische Oberschicht im Norden Bo-gotás zwar seit jeher als gefährdet, aber nicht ernsthaft bedroht, hat sich diese Situation nun geändert. Der Konflikt beschränkt sich nun nicht mehr nur auf das Land und die Armenvierteln der Städte.

FARC unschuldig?

Wie aus heiterem Himmel lancierten die FARC am 9. März, also gut einen Monat nach dem Anschlag, ein Kommuniqué, in dem sie die Verantwortung für den Anschlag auf den Club El Nogal abstreiten. Nur selten gibt die größte Guerillaorganisation des lateinamerikanischen Kontinents ein Statement zu ihren Aktionen ab. Umso mehr lässt sich deshalb vermuten, dass die TäterInnen tatsächlich anderswo zu suchen sind. „In den staatlichen Stellen“, so die FARC, die eine gründliche interne Untersuchung eingeleitet hatten, um die Schuld nachzuprüfen. In ihrem Schreiben machte sie Geheimdienststellen für die Tat verantwortlich, welche so versuchen wollten, die FARC international zu marginalisieren. Dennoch geben Regierung und Untersuchungskommissionen an, dass die Guerilla die Verantwortung für den Anschlag trage. Handfeste Beweise konnten sie aber nicht vorlegen.
Weit bedeutender für AnalystInnen ist jedoch der Charakter des Schreibens und dessen Deutung. Mehrere BeobachterInnen sehen in dem Kommuniqué einen Wechsel der FARC im Umgang mit der öffentlichen Meinung. „Sie wollen zeigen, dass sie als Organisation weiterhin politisches Interesse haben“, meint Teófilo Vasquez vom politischen Forschungsinstitut CINEP. So hob die Guerilla hervor, dass laut ihrer 8. Konferenz aus dem Jahre 1993 dem Terrorismus abgeschworen wurde und daran festgehalten wird. Wie erklären sich dann aber die vielen Anschläge der letzten Monate? Für Garcia-Peña ist klar, dass spätestens nach der Bombe in dem Club eine interne Diskussion eingesetzt habe. „Innerhalb der FARC sind Zweifel über die eigene Strategie aufgekommen”, so Garcia-Peña. Er hält es nicht für ausgeschlossen, dass das FARC-Oberkommando mit dem Bekennerschreiben die Tat verurteilen wollte und für den Fall, dass dieser Anschlag unbekanntermaßen durch die eigenen Leute verursacht wurde, diese frei agierenden Milizen zurück zu pfeifen.
„Denn die FARC werde in der Erinnerung nicht mit skrupellosen Mordanschlägen in Verbindung gebracht“, so der Ex-Präsidentschaftskandidat Lucho Garzón. Der Anschlag habe zudem solch starke internationale Auswirkungen gezeigt, dass das Image weiter beschädigt wurde. Zudem, so Garzón, sei der Anschlag gegen die politische Klasse gerichtet, mit der man einen zukünftigen Friedensprozess zu gestalten habe. „Möglicherweise sehen die FARC den politischen Horizont des Konflikts nicht mehr so klar und bemühen sich nun, Boden für einen Friedensprozess zu gewinnen“, meint Garzón.

“Großzügigkeit” mit den Paramilitärs

Schuldig oder unschuldig – auf Seiten der Uribe-Regierung besteht weiterhin kein Interesse, mit der Guerilla in Friedensverhandlungen zu treten. Weder mit den FARC, noch mit der kleineren Guerilla des Nationalen Befreiungsheers (ELN), mit der es in der Vergangenheit sporadische Verhandlungskontakte auf Kuba gab.
Anders dagegen mit den ultrarechten paramilitärischen Verbänden unter Carlos Castaño. Am 20. Januar begann eine Kommission unter dem Hochkommissar für Frieden, Luis Carlos Restrepo, Gespräche mit den Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen AUC aufzunehmen. Geheim und mit einem kaum bekannten Verhandlungsplan. Mit Unterstützung der katholischen Kirche sollten bis Mitte diesen Jahres Konditionen ausgehandelt werden, deren Konkretisierung bis Ende 2003 in einer Entwaffnung der Paramilitärs münden sollten.
Es benötige „Großzügigkeit“, um zu einem Einverständnis zu kommen, so der Friedensbeauftragte Restrepo, Bezug nehmend auf die Forderungen politischer Organisationen, auf keinen Fall Straflosigkeit walten zu lassen. Die Paramilitärs werden für die schlimmsten Gräueltaten innerhalb des kolumbianischen Konflikts verantwortlich gezeichnet. Unzählige Massaker an der Zivilbevölkerung tragen den Namen der AUC. Waren die AUC in der Vergangenheit ein Tabu-Thema, was Verhandlungen betraf, nahm die Rechtsregierung unter Uribe sofort Kontakt auf. Dem Präsidenten werden beste Verbindungen zu den Para-Chefs nachgesagt.

Ausstieg aus Verhandlungen

Doch schon wenige Tage nach offiziellem Verhandlungsbeginn hinter verschlossenen Türen steckte der Prozess in einer Sackgasse. Zunächst forderte Castaño die Aufhebung des US-Auslieferungsantrags wegen Drogenhandels, um nicht juristisch belangt werden zu können. Im gleichen Atemzug stellte er die Bedingung, dass die AUC nicht weiter als terroristische Vereinigung tituliert werden. Und: Für Gespräche müsse die Regierung in der nordwestkolumbianischen Provinz Urabá, dem Kernzentrum der AUC, ein Territorium entmilitarisieren. Eine Forderung, die von der Regierung nicht abgewiesen wurde, obwohl eine entmilitarisierte Zone für die Guerilla nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit unvorstellbar geworden ist und regelmäßig abgelehnt wird.
Aber den schwersten Rückschlag für eine heftig umstrittene Annäherung zwischen AUC und Regierung lieferten die Paramilitärs selbst. Seit gut einem Jahr strukturell und organisatorisch zerstritten, kündigten die zwei wichtigsten Blöcke der AUC ihren Ausstieg aus den Verhandlungen an, was Castaño de facto die Autorität entzogen hat. Am 30. Januar erklärte der Para-Kommandeur des Blocks Élmer Cardenas, Alfredo Berrío Alemán, der schätzungsweise 25 Prozent der AUC repräsentiert, dass die Konditionen nicht für einen erfolgreichen Friedensprozess gegeben seien. Kurz zuvor stieg der Block Metro, aktiv in der Region um die Metropole Medellín, ebenfalls aus.
„Nach dem 15. März haben die AUC die Möglichkeit, Protagonisten des Friedens zu sein“, so Castaño noch zuversichtlich im Januar. „Im gegenteiligen Fall könnten wir als die Gruppe in die Geschichte eingehen, die sich kaum noch von Kriminellen unterscheidet“. Daran zweifelt schon lange niemand mehr.

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