Mexiko | Nummer 322 - April 2001

Von Fox kommt nichts Konkretes

Gespräch mit dem Indígenavertreter Raúl Gatica

Mit dem Marsch der Zapatisten wurden in der Öffentlichkeit Hoffnung auf einen Dialog zwischen Indígenas und dem neuen Präsidenten Vicente Fox entfacht. Die Indígenas selbst stehen den Foxschen „Dialogangeboten“ größtenteils skeptisch gegenüber. Dies gilt auch für den Vertreter der Indigenenorganisation CIPO aus Oaxaca, Raúl Gatica.

Martin Ling

Der Marsch der Zapatisten ist vorbei. Doch der in vielen Medien erwartete Dialog mit dem Präsidenten Vicente Fox kommt trotzdem nicht in Gang. Wie schätzen sie den Marsch ein?

Der Marsch war zu allererst ein erneuter Beleg für die Stärke unserer Brüder von der EZLN (Zapatistisches Heer zur Nationalen Befreiung). Zum zweiten führte er zu einer Stärkung der indigenen Völker insgesamt. Wir haben uns versammelt, geeinigt und marschieren gemeinsam in eine Richtung. Drittens ist die Situation der Indígenas durch den Marsch in die Öffentlichkeit, auch in die internationale, getragen worden und damit auch die Einsicht in die Notwendigkeit, dass sich an der Situation etwas ändern muss. Das ist für uns nicht nur eine Hoffnung, sondern auch eine erneute Bestätigung dafür, dass die Völker, die kämpfen, kein Recht haben, die Hoffnung aufzugeben.

Das kurzfristige Ziel, das Subcomandante Marcos genannt hat, ist die Verabschiedung des Gesetzes über indigene Rechte und Kultur. Gehen Sie mit seiner Auffassung konform?

Sicher. Wir haben das Abkommen von San Andrés 1996, in dem dieses Gesetz vorgesehen war, mit erkämpft und unterschrieben. Doch uns ist klar, dass damit nur ein Basis geschaffen wurde, für all die vielen Dinge, die es auf dem Wege zu echter Autonomie noch zu erreichen gilt. Das Abkommen war ein erster Schritt, aber sicher kein Endpunkt. Grundsätzlich gilt: Eine Transformation wird nicht durch Gesetze erreicht. Natürlich muss ein Gesetz erst einmal verabschiedet werden. Doch dann gilt es das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen und umzusetzen. Das zeigt sich an unserer wunderschönen Verfassung, die so vieles verspricht, was in der Realität kaum gehalten wird. Alles was erreicht wurde — und zwar überall in der Welt —, wurde von Menschen und Bewegungen erreicht, die es gewagt haben, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen.

Von Linken in der PRD (Partei der Demokratischen Revolution) wurde kritisiert, dass die Indígenas sich derzeit ausschließlich auf ihre Probleme konzentrieren würden. Damit gäben sie eine Perspektive für die Gesamtgesellschaft, eine Option für einen Machtwechsel auf, da sie nur 15 Prozent der Bevölkerung stellen.Was halten Sie von dieser Kritik?

Ich halte das, bei allem Respekt, für eine inakzeptable Polemik. Diejenigen die behaupten, dass das Gesetz für die indigenen Rechte und Kultur allein den Indígenas zu Gute käme, scheinen offensichtlich die Inhalte nicht zu kennen. Es geht dabei neben den spezifischen Rechten für die Indígenas um ganz allgemeine Menschenrechte für alle, um soziale und ökonomische Rechte. Zum Beispiel um die Verfügungshoheit über die natürlichen Ressourcen, um politische Partizipation und Repräsentation auf nationaler Ebene, um die Akzeptanz der kulturellen Diversität und Förderung aller verschiedenen Kulturen und Sprachen. Die Kritiker aus der PRD haben eine überholte, orthodoxe Sicht der Welt. Sie billigen allein der Arbeiterklasse zu, dass sie die Welt verändern kann.

Wie beurteilen Sie den neuen Präsidenten Vicente Fox und sein Dialogangebot?

Sein Dialogangebot entspricht exakt dem der Vorgängerregierung der PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) unter Ernesto Zedillo. Aus unserer Sicht hat es lediglich einen Regierungswechsel gegeben, aber keinen Machtwechsel. In Mexiko bestimmen nach wie vor die elf mächtigsten Familien das politische Geschehen. Die Diktatur des transnationalen Kapitals existiert ebenso ungebrochen wie der Einfluss des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.
Genau genommen gibt es gar kein konkretes Dialogangebot von Fox. Was es gibt, ist eine Offensive im Fernsehen und den anderen Medien. In dieser Kampagne verspricht Fox, die Probleme der indigenen Völker zu lösen. Faktisch passiert ist aber nichts. Keine der drei zapatistischen Voraussetzungen für einen Dialog wurde bisher erfüllt. Es gibt auch kein Ende der Repression. Die Paramilitärs greifen weiter die Zivilbevölkerung an. In Oaxaca gab es im Januar und Februar neue Überfälle. Das ist die Sprache von Fox. Kurzum: Es hat sich nichts geändert.

Welche Perspektiven gibt es dann überhaupt noch?

Die Perspektive ist dieselbe wie in den letzten Jahren. Wir müssen uns weiter organisieren, mobilisieren und Widerstand leisten.

Mit oder ohne Waffen?

Wir sind eine zivile Organisation. Wir kämpfen ohne Waffen. Dafür haben wir uns entschieden. Generell gibt es aber unterschiedlichste Formen des Widerstandes. Jede entspringt einer konkreten Analyse der jeweiligen Gegebenheiten. Die einen entscheiden sich für den bewaffneten Kampf, die anderen für den unbewaffneten. Wir sind der Meinung, dass wir bei einem offenen Krieg alles verlieren würden. Deswegen setzen wir auf den friedlichen Weg.

Was halten Sie von der These, dass Fox die Guerillas in gute, nicht mit Waffengewalt kämpfende, und schlechte, auf Gewalt setzende Guerillas spalten will, um letztere dann mit verstärkter Repression zu bekämpfen?

Diese Tendenz ist ja keine neue. Das war schon die Strategie des großen Kapitals unter Fox’ Vorgänger Ernesto Zedillo. Das ist eine klassische Strategie, mit der versucht wird, eine Vereinigung der verschiedenen Widerstandsbewegungen zu verhindern.

KASTEN

Repression gegen Indígenas auch unter Fox

Raúl Gatica ist Sprecher der zivilen Indigenenorganisation „Consejo Indígena Popular de Oaxaca – Ricardo Flores Magón“ (CIPO-RFM) im Bundesstaat Oaxaca. Die Polizei in Mexiko fahndet zur Zeit nach Gatica. Seinem minderjährigen Sohn wurde die Festnahme angedroht, wenn er den Aufenthaltsort seines Vaters nicht verraten würde. Amnesty international hat aus diesem Grund für sie und andere Mitglieder des CIPO eine urgent action gestartet.

Der CIPO ist eine soziale Organisation, die unabhängig vom Staat oder irgendwelchen Parteien agiert.
Im CIPO sind Frauen und Männer der Völker der Amuzgo, Chatino, Chinanteco, Mixe, Mixteco, Triqui, Zapoteco wie auch zahlreiche Mestizen zusammengeschlossen.

Der CIPO ist die Dachorganisation für das Komitee zur Verteidigung der Rechte des Volkes (CODEP), der gemeinsamen indigenen Verteidigungsfront (FUDI), der indigenen Organisationen zur Verteidigung der Menschenrechte in Oaxaca (OIDHO) und der Sozialen Magonistischen Bewegung (MSM)

Durch diese Koalition wollen sie unter anderem verhindern, dass die verschiedenen Organisationen bei Verhandlungen mit der Regierung gegeneinander ausgespielt werden. Der CIPO-RFM bezieht sich in seinem Namen auf den liberalen Sozialreformer Flores Magón, der sich für die allgemeinen Menschenrechte einsetzte. Er starb am 20.11.1922. Der 20. November ist für die mexikanische Nation überhaupt ein wichtiger Jahrestag. Er markiert den Beginn der mexikanischen Revolution im Jahr 1910.

Formal wurde der CIPO am 18. November 1997 in Oaxaca gegründet – die Vorbereitungen liefen seit 1992.
Die höchste Instanz ist der Rat der Räte, dem 17 Mitglieder angehören, davon 9 Frauen.

Der CIPO ist aktiv auf dem Gebiet der Menschenrechte, sozialer Dienstleistungen (Wasser-, Stromversorgung etc.), Landbesitzfragen, Kommunikation (Radio etc.), Kulturpflege (traditionelle Tänze etc.), Nachhaltiger Entwicklung, Unterstützung von Migranten, Frauen, traditioneller Regierung (Ausarbeitung von lokalen Statuten).

Der CIPO wird von staatlicher Seite verfolgt. Im Januar 2000 wurde ein Mitglied des Indianerrates in Santiago Xanica ermordet.

Mit dem Regierungsantritt von Fox hat sich in Oaxaca die Lage nicht im geringsten verbessert. Im Gegenteil: In Oaxaca patrouillieren Soldaten nun auf offener Straße. Übergriffe von Polizisten und Paramilitärs sind auch nach dem Regierungsantritt von Fox an der Tagesordnung.

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