Nummer 468 - Juni 2013 | Peru

Vorteil der einen, Nachteil der anderen

Uneinigkeit in der peruanischen Regierung verhindert Mitsprache der Gemeinden bei der Konzessionierung ihres Bezirks

Seit 2011 ist das Konsultationsgesetz in Peru ratifiziert, das den Indigenen Mitsprache bei Investitionsprojekten in ihren Territorien sichern soll. In Cañaris, einem Bezirk in den nördlichen Anden Perus wurden dessen ungeachtet Konzessionen auf 96 Prozent der Fläche genehmigt, ohne die Anwohner_innen zu Rate zu ziehen. Das Ministerium für Energie und Bergbau (Minem) erkennt die Bewohner_innen schlicht nicht als Indigene an.

Johanna Wollin

Monatelang hatte das kanadische Bergbauunternehmen Candente Cooper AG in Cañaris Erkundungen durchgeführt und Bodenproben gesammelt. Cañaris liegt auf etwa 3.000 Meter Höhe, acht Stunden nordöstlich von der Küstenstadt Chiclayo. Insgesamt umfasst der Bezirk mit seinen Dörfern und Gemeinden an die 5.000 Einwohner_innen und erstreckt sich mit seinen idyllischen Nebelwäldern über 289 Quadratkilometer. Neben Gold- und Silbervorkommen begründen vor allem massive Kupferreserven die geplante 1,5-Milliarden-Dollar-Investition von Candente Cooper.
Als der Konzern Anfang dieses Jahres den Bau der Minen Cañariaco Norte und Sur ankündigte, war der Aufruhr groß. Die Einwohner_innen des betroffenen Gebiets lehnten das Vorhaben ab und organisierten Demonstrationen, die von Sicherheitskräften mit Tränengas zerstreut wurden. Verhandlungen zwischen Gemeindemitgliedern und Vertreter_innen des Unternehmens laufen derzeit noch. Vorerst will Candente Cooper auf weitere Bohrungen verzichten. Offiziell wegen der rückläufigen Nachfrage durch die Wirtschaftskrise. Der Konzern verspricht als Gegenleistung für die Duldung seiner Arbeiten, mehrere soziale Projekte zu fördern, um die Armut der Bevölkerung zu lindern.
Die Anwohner_innen fürchten die Umweltverschmutzung, insbesondere die Kontaminierung des Wassers durch die Metallgewinnung. Candente Cooper will giftige Substanzen in Behältern unter der Erde „sicher“ lagern. Diese Methode wurde nach Informationen der peruanischen Tageszeitung La República bisher lediglich in einem Küstendorf in Chile getestet. Dessen Bewohner_innen ziehen jetzt gegen ein Unternehmen aus der Schweiz vor Gericht. Wegen Umweltverschmutzung.
Wie während der Proteste in Cañaris bekannt wurde, hatte das Ministerium für Energie und Bergbau (Minem) rund 278 Quadratkilometer des Gebiets konzessioniert. 96,18 Prozent der gesamten Fläche. In Gemeinden wie San Juan beinhaltet das die Dorfkirche, das Rathaus und den Dorfplatz. Unter den Profiteur_innen befinden sich Privatpersonen sowie 14 Bergbauunternehmen. Unter ihnen die Exploraciones Milenio AG und wohlbekannte Ableger der kanadischen Barrick und der US-amerikanischen Newmont. Letztere ist für das Großprojekt „Conga“ in der Nähe von Cajamarca verantwortlich, das im letzten Jahr zu Massenprotesten in der Region führte. Anfang April begann das Minem 4.500 Gasherde an Familien aus ärmlichen Verhältnissen in Cañaris zu verteilen. Ob das als Beeinflussung verstanden werden kann, ist nicht klar. Offiziell ist die kostenlose Ausstattung Teil einer landesweiten Kampagne.
Bürgerrechtler_innen und Kritiker_innen bezeichnen die Konzessionen indes als illegal. Das Minem habe das sogenannte Gesetz zur vorherigen Konsultation nicht beachtet. Es beruht auf der Konvention 169 der Internationalen Arbeiterorganisation (ILO), einer UN-Sonderbehörde. Indigenen und in Stämmen lebenden Völkern sollen so Grundrechte garantiert werden, unter anderem die Mitbestimmung über Eingriffe in ihren Lebensraum. Peru unterzeichnete das Abkommen 1995. Das dazugehörige Konsultationsgesetz wurde erst 2011 ratifiziert und ist seitdem höchst umstritten.
Es beinhaltet zum Beispiel kein Vetorecht für indigene Gemeinden. Außerdem wurde die ergänzende Datenbank aller indigenen Völker Perus bisher nicht veröffentlicht. Laut La República soll diese bereits seit Juni 2012 fertig sein. Das Vizeministerium für Interkulturalität, das sich dieser Aufgabe annehmen sollte, veröffentlichte bisher lediglich eine Anleitung zum Ablauf einer Konsultation. Der Grund für die Verzögerung ist eine Kontroverse zwischen einzelnen Ministerien bei der Definition „indigener“ Völker. Denn nur sie hätten einen Anspruch auf vorherige Konsultation. Richtlinien der ILO lassen dazu viel Interpretationsraum. Folglich weiß bis heute niemand, wer einen Anspruch auf die vorherige Konsultation hat und wer nicht.
Die internen Differenzen führten Anfang Mai 2013 zum Rücktritt des Vizeministers für Interkulturalität Iván Lanegra. Er begründete diesen Schritt mit dem fehlenden Rückhalt in der Exekutive, Quechua-sprechende Gemeinden in die Datenbank aufzunehmen. Genau dafür hatte er sich während seiner Amtszeit eingesetzt. Energie- und Bergbauminister Jorge Merino soll den Präsidenten Humala überzeugt haben, diese auszugrenzen, laut Quellen von Reuters. So erklärte der Präsident kürzlich: „In den Anden ist ein Großteil der Gemeinden von Campesinos besiedelt, indigene Gemeinden sieht man hauptsächlich in den Regenwäldern.“
Die verzögerte Veröffentlichung der Datenbank ist aber nicht nur ein Produkt definitorischer Differenzen: Sie bietet Vorteile für verschiedene Eigeninteressen. Dem Minem wird die Genehmigung von Konzessionen vereinfacht. Noch gibt es keine offizielle Datenbank, an die es sich halten müsste. Das wiederum kommt Humalas Politik des wirtschaftlichen Wachstums „als Motor für soziale Inklusion“ zugute. So soll sich der Energie- und Bergbauminister Merino gefragt haben, welche Bedeutung die Konvention 169 habe, wenn man Armut bekämpfen müsse. Er äußerte die Befürchtung, durch das Konsultationsrecht Investitionen im Milliardenbereich aufzuhalten.
Juan Carlos Ruiz vom Institut für Rechtsverteidigung (IDL) sieht in dem Ganzen eine systematische Verletzung des Konsultationsrechts. Er ist überzeugt, dass die indigenen Gemeinden automatisch seit 1995 das Recht auf vorherige Konsultationen gehabt hätten, nicht erst seit 2011. Das würde für die peruanische Regierung die Revision von im Schnitt 90.000 seither vergebenen Konzessionen bedeuten. Noch ein Grund, die Datenbank nicht zu veröffentlichen.
Von diesen Interessenkonflikten und Meinungsunterschieden ist nun Cañaris betroffen. Obwohl für 64 Prozent der Bevölkerung Quechua die Erstsprache ist, lehnt das Minem die Anerkennung ihrer indigenen Identität ab. Dass ihre Kleidung „traditionell“ ist und sie hauptsächlich von der Landwirtschaft leben, begründet den Anspruch auf vorherige Konsultation nicht. Selbst wenn ihnen dieses Recht zugesprochen würde, könnten sie kein Veto einlegen, um ihr Land vor Umweltverschmutzung zu schützen. Solange die Datenbank nicht veröffentlicht wird und keine realistische Definition indigener Völker gefunden wird, wird keine Klarheit herrschen. Zum Vorteil der einen, zum Nachteil der anderen.

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