Wählen und Warten
Erst 26 Tage nach den Wahlen in El Salvador stehen die endgültigen Ergebnisse fest
Wer die Wahl hat, hat die Qual. In den wenigsten Fällen mag dies so zutreffen wie bei den letzten Wahlen in El Salvador. Das salvadorianische Wahlsystem ist laut dem im Lande ansässigen Vertreter der Vereinten Nationen, Roberto Valent, eines der demokratischsten der Welt. Internationale Beobachter*innen qualifizieren den Dreifachwahlprozess vom 1. März dieses Jahres als sauber, aber kompliziert. Zwei Wochen nach der Wahl wurde die Endauszählung für das mittelamerikanische Parlament verkündet, fünf Tage später die der Bürgermeisterwahlen. Doch die endgültige Zusammenstellung des nationalen Parlamentes, die eigentlich spätestens am 14. März hätte feststehen sollen, konnte erst am 27. März bekannt gegeben werden.
Demnach sieht die neue Sitzverteilung wie folgt aus: 32 für die rechte Republikanische Nationalistische Allianz (ARENA) und weitere drei in Koalition mit der Christlich Nationalen Partei (PCN); knapp gefolgt von der linken Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) mit 31 Sitzen. Klar abgeschlagen sind die weiteren Parteien: elf Sitze für die rechte Große Allianz für die Nationale Einheit (GANA), sechs für die Christlich Nationalen Partei (PCN) – davon je einer in Koalitionen mit der Christdemokratische Partei (PDC) sowie den Christdemokraten (CD) – sowie ein Sitz für PDC. Da die rechten Kräfte ARENA und GANA verfeindet sind, hat die FMLN, aus deren Reihen auch Staatspräsident Salvador Sánchez Cerén stammt, durchaus Chancen, ihre Koalition mit den kleineren Parteien fortzuführen. Verhandlungen der verschiedenen Fraktionen sind bereits im Gange. Falls keine weiteren Verzögerungen auftreten, treten am 1. Mai die neuen Amtsträger*innen ihren Dienst an.
Sicherlich ist die Wahl zum nationalen Parlament für die salvadorianische Bevölkerung am bedeutendsten, da hier die meisten Entscheidungen getroffen werden, die direkt den Alltag der Bevölkerung betreffen. Eine wichtige Rolle spielen hier auch die kleineren Parteien, um Reformen zuzustimmen oder abzulehnen, wie z.B. im Renten- oder Sicherheitswesen, das Gesetz zur Regulierung des Trinkwassers und Garantie auf Grundnahrung. Auch Fragen nach dem Umgang mit dem mittelalterlichen Gesetz zur Kriminalisierung der Abtreibung, wegen dem Dutzende Frauen auf Grund von Fehlgeburten im Gefängnis sitzen (siehe LN 489), spaltet die Gemüter dieses Gremiums.
Bei den Kommunalwahlen hingegen herrschte früh Klarheit, das Panorama hat sich wie folgt geändert: Die heißumkämpfte Hauptstadt fällt von ARENA an die FMLN. Deren Kandidat und künftiger Bürgermeister San Salvadors, Nayib Bukele, Sprössling einer wohlhabenden Unternehmerfamilie, steht für eine junge, weniger dogmatische Generation in seiner Partei. Bereits jetzt wird er von einigen Medien als späterer Präsidentschaftskandidat gehandelt. Bislang war Bukele Bürgermeister des bis daher weitgehend ignorierten Städtchens Nuevo Cuscatlan und konnte dort mit Pragmatismus und Kultur punkten, die Eröffnung einer städtischen Bibliothek ist landesweit nach wie vor eine Sensation. Linke Kritiker*innen befürchten allerdings, dass Bukele zu wenig die Parteilinie vertreten wird. Fakt ist, dass er wenig Berührungsängste zu den verschiedenen Gesellschaftssektoren zeigt. So hat er bereits einen konservativen Unternehmer in seinen Stadtrat eingeladen und sieht seinen Hauptfeind erklärtermaßen nicht in der landesweiten Rechten und Oligarchie, sondern in der Armut und Gewalt, unter der die Bevölkerung leidet.
Weitere Sympathiewerte bei der Bevölkerung dürfte Bukele seine Ankündigung einbringen, auf sein Bürgermeistergehalt zu verzichten und selbiges zu spenden. Sein unterlegener Kontrahent, Edwin Zamora von ARENA, hat bereits sein Interesse verlauten lassen, im Stadtrat von Bukele mitzuarbeiten. Die neuen pluralen Stadträte, die sich erstmals aus Vertreter*innen verschiedener Parteien zusammensetzen, werden mit einigen interessanten Konstellationen aufwarten.
Die zweitwichtigste Stadt im Ballungsraum der Hauptstadt, Santa Tecla, fiel hingegen an die Rechte. Im Morgengrauen nach der Wahl gratulierte der ehemalige Wirtschaftsminister und Kandidat der FMLN, Armando Flores, unter Tränen seinem Kontrahenten und Sohn des gleichnamigen ARENA-Gründers Roberto D’Aubisson zum Wahlsieg. Ein schmerzhafter Verlust für die FMLN, wurde Santa Tecla doch 18 Jahre von ihr regiert, davon 15 vom jetzigen Vizepräsidenten Oscar Ortiz.
Insgesamt präsentiert sich das Panorama im Großraum San Salvador ausgeglichener als nach der vorherigen Wahl. Die FMLN konnte einige Städte zurückerobern, so dass im übergeordneten Stadtrat des Hauptstadtballungsraumes nun sechs FMLN- und sechs ARENA- Bürgermeister*innen vertreten sind. Landesweit hat ARENA etliche Hauptstädte der Departamentos hinzugewonnen, die FMLN hält nur noch drei von 14. Eine dieser Hauptstädte hat jedoch spezielle Bedeutung: San Miguel, die zweitwichtigste Stadt El Salvadors, wurde 20 Jahre vom populistischen Will Salgado (GANA) regiert, dem man Beziehungen zu paramilitärischen Strukturen und Drogenkartellen nachsagt. Nun verspricht der 31 Jahre junge Kandidat der FMLN, Miguel Perreira, frischen Wind in der Stadt am Fuße des Vulkans von San Miguel im Osten des Landes. Salgado will die Wahl allerdings anfechten.
Nimmt man die Anzahl der ungültig gemachten Stimmzettel als Maßstab, so war die Wahl für das mittelamerikanische Parlament PARLACEN für die Bevölkerung am wenigsten interessant. Teilweise waren diese mit Botschaften versehen wie „Ihr kostet nur unser Geld“ oder „zu nichts Nutze“. Das mag daran liegen, dass die mittelamerikanische Integration, die unter anderem eine starke Förderung durch die EU erhält und in deren Rahmen Freihandelsverträge wie das Assoziierungsabkommen AdA ausgehandelt werden, für die Bevölkerung weitestgehend abstrakt bleibt. Von den 20 salvadoranischen Sitzen erhalten ARENA und FMLN je acht, GANA zwei und jeweils einen PCN und PDC.
In Erinnerung dürften diese Wahlen vor allem wegen des langen Wartens auf Ergebnisse bleiben. Die Gründe dafür sind in der Vorgeschichte des Urnengangs zu suchen. Drei Monate zuvor beschloss das Verfassungsgericht ein neues Wahlverfahren, welches es dem*der Wähler*in ermöglicht, verschiedene Abgeordnete diverser Parteien auszuwählen („panaschieren“), dabei muss jede*r Kandidat*in mit einem Foto auf der Wahlliste vertreten sein. Gleichzeitig kürzte die Kammer das Budget der Wahlkommission. Zwei folgenreiche Entscheidungen. Die erste führte dazu, dass sich die Anfertigung der Wahlunterlagen verzögerte und das Wahltribunal in kürzester Zeit Wahlhelfer*innen und die Bevölkerung im Umgang mit den komplizierten Stimmzetteln und dem differenzierten Auszählungsverfahren ausbilden musste. Die zweite verleitete die Wahlkommission dazu, mit Informatikprogrammen für Stimmenauszählung und Hochrechnung günstige, aber wenig erfahrene lokale Unternehmen zu beauftragen.
Der Wahltag an sich verlief kontrolliert und friedlich. Der vielfach angekündigte Großangriff der maras (kriminelle Jugendbanden) als Reaktion auf einige Offensiven auf ihre Führungsstrukturen und Verschärfung der Sicherheitsbedingungen in den Gefängnissen in den letzten Monaten, blieb in der Form aus. Es kam jedoch am Vorabend der Wahl zu einigen Festnahmen von Bandenmitgliedern, welche in bewaffneten Hausbesuchen Ausweisdokumente konfiszierten. Auch kam es Berichten der Bevölkerung zufolge im Vorfeld der Wahl zu Einschüchterungsmaßnahmen, so wurde den Einwohner*innen bestimmter Gemeinden unter Androhung geraten, nicht zur Wahl zu gehen. Da die maras über eine gut funktionierende territoriale Vernetzung verfügen, und im Zweifelsfall vermutlich tatsächlich herausbekommen können, wer zur Wahl gegangen ist und wer nicht, ist demzufolge eine unbekannte Anzahl von Wahlberechtigten zu Hause geblieben. Eine Auswirkung auf die allgemeine Wahlbeteiligung ist nicht auszuschließen. Diese fiel insgesamt relativ gering aus und lag nach bisherigen Hochrechnungen nur bei 44 Prozent.
Die Urnenauszählung begann pünktlich zur Schließung der Wahllokale um 17 Uhr, einige Büros schlossen allerdings erst um zehn Uhr morgens die Akten der Erstauszählung. Die Wahlbüros setzen sich aus Vertreter*innen der verschiedenen Parteien zusammen, welche zur Schließung der Wahllokale gemeinsam die Urnen auszählen und jeweils einen eigenen Durchschlag der Akte bekommen.
Presse und Bevölkerung warteten in der Nacht auf erste Hochrechnungen – vergebens. Bereits gegen Mitternacht wurde klar, dass es ein Problem mit der Datenübertragung gab. Der linksorientierte Leiter des Wahltribunals (TSE), Julio Olivo, äußerte: „Es gab eine Sabotage des Übermittlungsprozesses. Wir werden dies vor Gericht beweisen und eine Reihe von Köpfen wird rollen. Sie haben dem Wahlprozess unschätzbaren Schaden zugefügt und wollen das TSE diskreditieren.“ Damit zielt er auf ARENA, denn die Informatikabteilung des Tribunals ist in der Hand von Funktionär*innenen dieser Partei. Bei der Beauftragung des Unternehmens Soluciones Aplicativas hatte das TSE sich auf Empfehlungen der Techniker*innen verlassen. Ein Algorithmus, der Daten aus der Gemeinde mit jener der Parlamentswahl vermischte, sorgte für den Absturz der vorläufigen Auszählung.
Das Wahltribunal muss noch entscheiden, ob es der Petition der Rechten nachgibt, die Urnen, welche Anomalien vorweisen, zwecks Überprüfung zu öffnen. Laut Gesetz ist dem nur stattzugeben, falls die Summe der betroffenen Stimmen das Gesamtergebnis verändern könnte. Das Thema ist delikat, da in der salvadorianischen Geschichte des letzten Jahrhunderts eben dieser Eingriff wiederholt zur Manipulation der Ergebnisse missbraucht wurde, um Militärdiktaturen zu erhalten.
Erstaunlich für ein polarisiertes Land wie El Salvador ist, dass die Wartezeit auf das amtliche Endergebnis nicht in Gerangel um Stimmen und Posten der jeweiligen Parteien ausartet. Streitigkeiten gibt es vor allem darum, wer die Verantwortung für die Situation zu tragen hat.
Die US-Botschafterin Carmen Aponte attestierte dem salvadorianischen Volk eine außerordentliche Geduld. Unklar ist, ob diese Ausdruck von Apathie, einer seit einigen Jahren anhaltenden Pattsituation der zwei politischen Hauptkräfte ARENA und FMLN, oder eines politischen Reifeprozesses 25 Jahre nach Unterzeichnung der Friedensverträge ist.