Ecuador | Nummer 591/592 - September/Oktober 2023 | Wahlen

Wahlen inmitten der Sicherheitskrise

Die gewählten Kandidat*innen stehen vor enormen Herausforderungen

Schusssichere Westen, Militär und Polizeipräsenz – das sind die Bilder, die von den Wahlen Mitte August in Ecuador bleiben werden. Bis vor kurzem war Ecuador bekannt für Sicherheit und Stabilität in der Region und fand deshalb wenig Beachtung, auch weil die Schlagzeilen sonst aus den umliegenden Ländern kamen. Jetzt wurden die Wahlen von Morden an verschiedenen Politikern überschattet. Neben der Abstimmung über die beiden Präsidentschafts-kandidat*innen für die Stichwahl wurden auch ein neues Parlament gewählt und in zwei Volksbefragungen weitreichende Naturschutz-entscheidungen getroffen.

Von Eva Gertz
Ecuadors Nationalversammlung Wer hier einzieht, muss sich auf einiges gefasst machen (Foto: Cristian Medina, CC BY-SA 2.0)

Absehbar war das Ergebnis der Wahlen am 20. August nicht, da die 18 Millionen Ecuadorianer*innen außerplanmäßig zu den Urnen gerufen worden waren. Der noch amtierende Präsident und Banker, Guillermo Lasso, hatte im letzten Jahr immer mehr an Zustimmung verloren. Das haben die Kommunalwahlen und das Scheitern einer Volksbefragung zur Bestätigung seiner Politik im Februar deutlich gezeigt. Als Reaktion auf ein Amtsenthebungsverfahren wegen Vorwürfen der Unterschlagung und des Verlusts der politischen Handlungsfähigkeit löste er schließlich im Mai dieses Jahres das Parlament auf. Dafür nutzte er ein Instrument aus der Verfassung, das ihm unter bestimmten Voraussetzungen die gleichzeitige Auflösung des Parlaments und einen Rücktritt vom Amt des Präsidenten ermöglicht. Damit wurden Neuwahlen für die Exekutive und Legislative ausgelöst, denn das Fortbestehen eines politischen Schwebezustandes hätte dem Staat in seinem inneren Machtgefüge geschadet.

Ecuador befindet sich in einer massiven Sicherheitskrise, die sich in den letzten Jahren immer weiter verschärft hat. Seit 2021 etablierten sich die internationalen Drogenkartelle auch in Ecuador, erkennbar unter anderem an der Zunahme von Massakern in Gefängnissen. Bis dahin war Ecuador ein Land, das nicht durch Unsicherheit und Gewalt auffiel, da es für Kartelle als Transitland relativ uninteressant war. Das hat sich nun geändert. Ecuador liegt zwischen Peru und Kolumbien, den größten Kokainproduzenten der Welt, und ist nun nach Angaben der Vereinten Nationen zum größten Umschlagplatz für Kokain geworden. Die Kartelle in Ecuador sind keine rein lokalen Akteure, wie sie seit den 80er Jahren in Mexiko und seit den 90er Jahren in Kolumbien aktiv sind. Es handelt sich vielmehr um internationale, teilweise auch mexikanische oder europäische Akteure, die sich ihre Transportrouten sichern wollen. Dafür sind vor allem die Häfen, besonders Guayaquil, von Bedeutung. Mit 3.568 Morden allein in den ersten sechs Monaten 2023 ist Ecuador inzwischen eine der gefährlichsten Regionen der Welt. Dies geht auch einher mit Attentaten auf Politiker*innen. Neben dem Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio wurden auch die Bürgermeister Augustin Intriago und Pedro Briones erschossen. Dabei ging es weniger um deren politische Orientierung, sondern eher um eine Machtdemonstration der Kartelle, um die Staatlichkeit und die Regierung an sich anzugreifen.

Internationale Drogenkartelle lassen die Gewalt eskalieren

Die enorme Zunahme von Gewalt und die Etablierung von parastaatlichen Strukturen stellt eine massive Herausforderung für die politischen Institutionen da, die darüber hinaus schon länger mit Korruption zu kämpfen haben. Antworten auf eine solche Situation zu finden und der Bevölkerung wieder Hoffnung zu geben, sind die schwierigen Aufgaben, denen sich der*die neue Präsident*in stellen muss.

So standen am 20. August acht Kandidat*innen zur Wahl für die Präsidentschaft. Die beiden Bestplatzierten, Luisa Gonzáles und Daniel Noboa, gehen nun am 15. Oktober in eine Stichwahl um das Amt. Luisa Gonzáles ist die erste Frau, die es in Ecuador jemals in eine Stichwahl geschafft hat. Sie kandidiert für die Partei Revolución Ciudadana (Bürgerrevolution) des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa. Die Juristin holte mit rund 33 Prozent der Stimmen den Sieg, ob sie es auch in der Stichwahl schafft, ist jedoch unklar. Mit ihr im Rennen ist Daniel Noboa, der für eine liberale Unternehmergeneration steht und mit 24Prozent der Stimmen überraschte. Der Name Noboa erscheint auf Wahlzetteln zur Präsidentschaft in Ecuador dabei nicht zum ersten Mal, denn sein Vater, der erzkonservative Unternehmer Álvaro Noboa, hatte bereits 1998, 2002, 2006, 2009 und 2013 kandidiert und jedes Mal verloren. Christian Zurita, der die Kandidatur vom ermordeten Fernando Villavicencio übernahm, belegte Platz drei und verfehlte damit die Stichwahl.

In Ecuador schien es bisher bei jeder Wahl eine ideologische Bipolarität gegeben zu haben, in der sich die Wähler*innen für oder gegen den „Correismo“ zu entscheiden hatten. Rafael Correa, regierte Ecuador zwischen 2007 und 2017 und ist nach wie vor in den politischen Debatten präsent. Seit einigen Jahren kann er diese jedoch nur noch indirekt beeinflussen, durch Einwirken auf seine Partei oder über Social Media, nachdem er nach Belgien emigriert ist, um einer 8-jährigen Haftstrafe wegen Korruption zu entgehen. Viele der nun ausgeschiedenen Kandidaten haben ihre Unterstützung für Noboa verkündet, doch der*die neue Präsident*in hat nur eine kurze Amtszeit vor sich, da die nächsten Wahlen regulär im Mai 2025 stattfinden.

Der Einfluss Correas ist noch groß

Zudem ist die Parteienlandschaft Ecuadors unübersichtlich und verwirrend. Spaltungen, neue Bündnisse und Umbenennungen von Parteien und Koalitionen zu jeder Wahl machen einen Vergleich und eine Analyse fast unmöglich. Vor diesem Zusammenhang steht die linke Partei Revolución Ciudadana als größte politische Kraft einer Mehrheit aus konservativen Parteien in der Nationalversammlung mit insgesamt 137 Plätzen gegenüber.

Große Herausforderungen erwarten die Nationalversammlung und die*den zukünftige*n Präsident*in. Ein Weg aus der Sicherheitskrise heraus, institutionelle Stabilität und die Bekämpfung von Korruption sind nur die Spitze des Eisbergs. Wer das Rennen im Oktober um die Präsidentschaft machen wird, ist dabei nur eine der offenen Fragen. Wie der*die neue Präsident*in es schafft, Vertrauen in Politik, Staat und Institution wiederherzustellen eine andere. Diese ist aber ebenso wichtig, da die Akzeptanz autoritärer Regierungsformen in der Bevölkerung aufgrund von Enttäuschung über politische Unzuverlässigkeit und Angst in Bezug auf die zunehmende Gewalt zunimmt.


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