Weißer Rauch: Das Spiel ist aus
Mexikos PRI hat einen neuen Präsidentschaftskandidaten
Manche halten den destape, die Bekanntgabe eines neuen PRI-Kandidaten also, für eine der wichtigsten Aufgaben eines amtierenden Präsidenten. Das verrückte dabei: Die PRI wartet darauf, daß der Präsident den Kandidaten ernennt, und solange weiß nicht mal der Parteivorsitzende, was passieren wird, aber alle betrügen alle, geben falsche Erkärungen ab und versuchen, die Bürger hinters Licht zu führen. Schönes Land, wo der „tapadismo“ eine der wichtigsten Werte der politischen Kultur ist.
Aber hier die Gegenbeispiele, die uns zu differenzieren helfen: Vor ein paar Tagen ernannte die PAN (Partido Acción Nacional) in einem demokratischen Parteitag ihren Kandidaten, und das gibt ihr viel überzeugendes politisches Kapital. Und vor einigen Wochen ernannte die PRD (Partido de la Revolución Democrática) ebenso ihren Kandidaten, ohne Spielchen, und obwohl manche sagen, Cuauhtémoc Cárdenas sei schon vorher ausgekungelt, war es ein offener Vorgang.
Zum Glück hat sich in Mexiko einiges geändert und der Kandidat der PRI hat heute kein automatisches Freilos zum Präsidentenamt mehr. Es wird zumindest angenommen, daß man dorthin mitterweile mit errungenen, und nicht mit fabrizierten Wählerstimmen gelangen muß. Auf welche Art auch immer, der nächste Präsident muß aus den Wahlen hervorgehen, legitimiert durch eine durchsichtige und glaubwürdige Wahl. Alles andere würde uns sehr teuer zu stehen kommen.
Wir reden viel über die Hindernisse für die Demokratie, aber wenig über die eigenen Beschränkungen unserer politischen Kultur. Obwohl der Kandidat Colosio die Wahlen erst einmal gewinnen muß, wurde ihm am Tag seines destapes durch Radio und Fernsehen soviel Raum gegeben, als handle es sich schon um den nächsten Präsidenten. Auch wenn sich langsam eine Kultur des Wahlkampfes entwickelt hat, wird die Präsidentennachfolge zwischen einer gespaltenen Opposition (PRD und PAN) und der Staatsmaschinerie entschieden werden.
Die wichtigste Forderung bleibt, daß die Wahlen im August sauber verlaufen. Dafür müssen mehrere Bedingungen erfüllt werden: Wir müssen eine zivilisierte Debatte haben, die Spielregeln respektieren und ein Klima schaffen, in dem die WählerInnen sich ein Urteil bilden und durch ihre Stimmen frei entscheiden können.
Am Tag des destape waren die Medien sehr darum bemüht, den Lebenslauf von Colosio zu verbreiten. Interessanter ist aber, warum er gewählt wurde: Colosio vertritt am besten die Interessen Salinas‘. Die anderen Kandidaten, Pedro Aspe (Finanzminister) und Manuel Camcho (Regent Mexiko- Stadts), die ein Projekt mit klarem politischem und ökonomischem Profil entworfen hatten, blieben auf der Strecke. So funktioniert unser politisches System.
Colosio hat, als er die Kandidatur annahm, zwischen all dem PRI-Geschwätz ein paar interessante Dinge gesagt: Bereitschaft, an einer Debatte mit der Opposition teilzunehmen, Offenlegung der Finanzierung des Wahlkampfes, Kontinuität der Wirtschaftspolitik Salinas‘ und eine Sozialreform. Das Motto scheint zu sein: „Mehr Fortschritt!“, obwohl man genauso hätte sagen können: „Mehr Demokratie!“, denn das wird die große Achse der Nachfolge sein. Nur, setzt jeder eben seine Prioritäten anders.
Man darf nicht vergessen, daß Colosio eine merkwürdige Kombination darstellt. Obwohl er völlig unter Salinas Fittiche steht, wurde unter seinem Parteivorsitz die erste Länderregierung der Opposition anerkannt und die Partei 1991 umstrukturiert. Aber er war auch noch Vorsitzender der PRI während der postelektoralen Konflikte in den Bundesstaaten Guanajuato, Michoacán und San Luis Potosí. Später war er als Sozial- und Ummweltminister verantwortlich für das ökonomische Solidaritätsprogramm der Regierung (PRONASOL). Auf diese Punkte und besonders auf die Organisatoren der Kampagne wird man achten müssen, denn: Sag mir, wer deine Wahlkampfmanager sind, und ich sage dir, welche Kampagne uns erwartet.
Kann sein, daß die Überlegungen der Regierung so lauten: Die Punkte, die mit der Ratifizierung der Freihandelsvertrages und der wirtschaftlichen Anpassung gewonnen wurden, reichen aus, um die Wahlen zu gewinnen, denn das Projekt Salinas‘ ist langfristig angelegt. Und die Hegemonie der Partei reicht aus, um die reibungslose Nachfolge zu gestatten.
In dieser Strategie gibt es mehrere Schwachstellen, die die Opposition ausnutzen müßte. All die Hoffnungen, die sich mit dem Freihandelsvertrag verbinden, werden allenfalls langfristig zum tragen kommen. Derzeit aber haben wir große und alltägliche ökonomische Probleme. Außerdem ist die PRI mitten in einer Übergangsphase: Sie ist nicht mehr die unbesiegbare Maschine, aber ohne die Nabelschnur des Staatsapparates ist sie keine wettbewerbsfähige Partei. Sie ist „die Partei der Revolution“, wie ihr Kandidat sagte, aber in einem Land, wo „revolutionär sein“ irgendetwas oder gar nichts heißen kann.
Als Abschluß sei an die Wahlen am 28. November in Yucatán erinnert. Obwohl durch den destape die Blicke abgelenkt wurden, verliefen sie nicht sauber, und die Opposition der PAN beginnt schon, ihren Protest zu organisieren. Es scheint, daß den Wahlfabrikanten der PRI mal wieder Öl übergelaufen ist. Vielleicht ist Yucatán nur eine Panne, vielleicht ein Omen, wir wissen es nicht.