Mexiko | Nummer 202 - April 1991

“Weniger Staat – mehr Gerechtigkeit”

Die enge Bindung zwischen der regierenden “Partei der institutionalisierten Revolution” (PRI) und dem mexikanischem Staat hat dazu geführt, daß der enorme Vertrauensverlust der PRI auch auf den Staat übertragen wird. Diesem Legitimationsverlust begegnet der mexikanische Präsident Salinas de Gortari mit seiner, im Wahlkampf verkündeten, Modernisierung Mexikos. Die Formel seiner Modernisierungspolitik lautet: weniger Staat – mehr Gerechtigkeit. Die Stärke der Intervention des mexikanischen Staates in die Wirtschaft hatte in der Vergangenheit die Möglichkeiten eingeschränkt, den MexikanerInnen soziale Gerechtigkeit zu geben, so Salinas’ Fazit. Früher sei mehr Staat mit mehr sozialer Gerechtigkeit gleichgesetzt worden. Der heutige Staat müsse andere Aufgaben erfüllen als der der Vergangenheit. Mit der Modernisierung des Staates will Salinas daher auch den mexikanischen Staat reformieren. Hierin liegt ein eindeutiger Bruch mit der PRI-Politik der Vergangenheit. Reformen ließen bis jetzt den Staat und die PRI weitgehend unverändert.

Carlos Echegoyen

Salinas nähert sich der Halbzeit seiner Amtszeit, und schon jetzt ist deutlich geworden, daß selten zuvor ein mexikanischer Präsident so viele Weichen für tiefgreifende Veränderungen in allen gesellschaftlichen Sektoren gestellt hat wie er. Mit der Privatisierung von Schlüsselsektoren der Wirtschaft (Banken, Telekommunikation und rentable Unternehmen, wie z.B. der Kupfermine Cananea) sowie die weitere Öffnung der Tore für ausländische Investoren bzw. Investitionen (einschließlich in der Erdölindustrie), werden radikale Veränderungen der wirtschaftlichen Strukturen vorgenommen. All diese Schritte bedeuten eine klare Abwendung von der bisherigen mexikanischen Politik, in der der Staat oder seine Institutionen einerseits die Kontrolle über die Schlüsselsektoren hatten und andererseits die wirtschaftliche Entwicklung mitbestimmten. Erklärtes Ziel dieser Politik ist erstens die Vereinheitlichung der Strukturen mit denen der US-amerikanischen Wirtschaft. Dies ist für Salinas einer der entscheidenden Schritte, um sein historisches Projekt, die Bildung einer Freihandeiszone mit den USA bzw. Kanada, zu verwirklichen. Zweitens soll das Vertrauen der ausländischen und mexikanischen Privatwirtschaft in das Land verstärkt werden. Mexiko hat inzwischen Brasilien von Platz 1 auf der Liste der lateinamerikanischen Länder mit den höchsten ausländischen Investitionen verdrängt. Und drittens soll die Privatisierung der staatlichen Unternehmen die materielle Basis der alten PRI-Bürokratie treffen, die einen Teil ihrer Existenz auf die Nutznießung dieser Unter- nehmen baute. Mit der Schwächung der alten Garde der Partei (die “Dinosaurier”) sollen vor allem die traditionellen Gewerkschaften innerhalb der PRI getroffen werden. Hier befinden sich auch die meisten GegnerInnen der Privatisierungspolitik von Salinas, nicht zuletzt weil diese von einer Reform der PRI begleitet wird. Der letzte Parteikongreß Ende letzten Jahres verabschiedete denn auch eine Reform der Partei. Diese schränkt die Möglichkeiten der drei Volkssektoren innerhalb der PRI (Gewerkschaften. BauerInnen und Volksorganisationen) bei der KandidatenInnenaufstellung für die Gemeinde und Gouverneurswahlen ein. Die Hegemonie der neuen Führungsgruppe (Technokraten) innerhalb der PRI, die schon unter de la Madrid deutlich wurde, wird dann nicht mehr gestärkt sein.
Salinas’ Modernisierungs- bzw. Privatisierungspläne schaffen nicht nur innerhalb der Partei GegnerInnen, sondern ebenso bei einem Großteil der Bevölkerung. Einerseits konnte die Inflation unter Kontrolle gebracht werden (1990 lag sie bei 30% und 1989 bei 19,7%) und 1990 erzielte die mexikanische Wirtschaft ihre größte Wachstumsrate (3,9%) seit 9 Jahren. Andererseits liegt des Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 14% unter dem von 1981 und 8,4% unter dem von 1983. Fast die Hälfte der mexikanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Diese Pläne werden nämlich von einer Politik des Einkommens- und Lohnver- falls begleitet, die die Abwertung der mexikanischen Arbeitskraft fortsetzen wird. In Mexiko liegt der Mindestlohn mit 1/57 US$ pro Tag unter dem von Korea, Singapur, Hongkong und Taiwan.

Seit 1940 die Erdölindustrie verstaatlicht wurde und dies als ein Akt von nationaler Souveränität in die Geschichte Mexikos einging, hat kein mexikanischer Präsident es gewagt, die Verstaatlichung rückgängig zu machen. Jüngst, vor allem im Zusammenhang mit den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA, stellte die mexikanische Presse die Frage, ob auch die Privatisierung von PEMEX am Verhandlungstisch behandelt werde. Der mexikanische Präsident hat dies bisweilen vehement verneint. Inzwischen soll er auf diese von JournalistInnen gestellte Frage schon allergisch reagieren. Diesem Präsidenten traut man/frau inzwischen alles zu. Der politische Preis könnte jedoch zu hoch sein. So ließ sich Salinas etwas einfallen womit er die mexikanische Verfassung unterlaufen konnte. Dort ist die Verstaatlichung der PEMEX festgeschrieben.
Daran soll zwar nichts verändert werden, doch hat die mexikanische Regierung die Tore für ausländische Investitionen in diesem Sektor weit geöffnet. Das “schwarze Gold” selbst soll mexikanisch bleiben, während die Förderung durch- aus mit Hilfe von US-Firmen realisiert werden soll. So hat die mexikanische Regierung einen US-Kredit in Höhe von 5,6 Mrd US$ von der Eximbank erhalten, mit deren Hilfe technische Mittel aus den USA angeschafft werden und die Erdölförderung mit US-Hilfe realisiert werden soll. Damit werden die ausländischen Investoren ihren Einfluß auf PEMEX verstärken können. Daß auch dieser Schritt äußerst gewagt war, zeigt die Tatsache, daß dieses Vorhaben der Öffentlichkeit möglichst verschwiegen werden sollte. Anfang Februar wurde der stellvertretende Energieminister Escofet Artigas gefeuert, weil er das Vorhaben der Regierung, PEMEX für ausländische Investitionen und Investoren zu öffnen, publik machte.
Im Zusammenhang mit der Öffnung der Tore von PEMEX für das ausländische Kapital sollte nicht vergessen werden, daß eines der ersten Schritte in der Regierungszeit von Salinas die Verhaftung des Vorsitzenden der Erdölarbeitergewerkschaft (STPRM) La Quina war. Seine kritische Haltung gegenüber Salinas und seine Sympathie für den Oppositionsführer Cárdenas hätten eine zu große Bedrohung für Salinas’ Politik darstellen können.

Vollzogen wurde im Februar diesen Jahres die Privatisierung der mexikanischen Telefongesellschaft (TELMEX). Dieser Schritt zeigt die Entschlossenheit und das politischen Geschick, mit der Salinas seine Politik umsetzt. Gerade bei Telmex stellt sich die Frage, wieso auch höchstrentable staatliche Unternehmen verkauft werden. TELMEX war nach PEMEX das wichtigste und größte staatliche Unternehmen. Es stand 1990 auf Platz 31 auf der Liste der größten Unternehmen Lateinamerikas. Somit zeigt sich, daß vor allem die Privatwirtschaft weiter gestärkt und ausländische Investoren angelockt werden sollten. Die Mehrheitsanteile der TELMEX wurden unter das mexikanische Konsortium “Grupo Carso”, an die “Southwestern Bell Co. aus den USA und an die “Telecom” aus Frankreich aufgeteilt. Die Privatisierung von TELMEX hatte außerdem noch einen wohlüberlegten Nebeneffekt. Sie stärkte nämlich die Position der Telefonarbeitergewerkschaft (STRM). Sie gehört dem Dachverband der dem öffentlichen Sektor angehörenden Gewerkschaften FESEBES (Federación de Sindicatos de Empresas de Bienes y Servicios) an. Dieser wurde gegen den Willen von dem Führer des mexikanischen Gewerkschaftsverbandes (CTM), Fidel Velázquez, und mit Unterstützung von Salinas in den Arbeiterkongreß (CT) aufgenommen. Die Strategie der FESEBES, ist es die Notwendigkeit einer Modernisierung und Flexibilisierung der Industrieproduktion anzuerkennen, gleichzeitig eigene qualitative Politikkonzepte für eine Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsbeteiligung zu entwickeln, sowie die Beziehung zur Staatspartei PRI zu lockern, ohne jedoch den Rahmen staatlich vermittelter Sozialpakete zu verlassen.

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