Amazonien | Brasilien | Nummer 531/532 - September/Oktober 2018

WIDERSTAND IN AMAZONIEN

Kampf gegen illegale Holzfällerei fordert erneutes Mordopfer aus den Reihen der indigenen Guajajara

Sie fanden seinen Körper am Morgen des 12. August in der Nähe des Flusses, mit gebrochenem Genick. Jorginho Guajajara war eine führende Persönlichkeit der Guajajara, die im brasilianischen Bundesstaat Maranhão, im Teil des zur Amazonien-Region zählenden nordostbrasilianischen Bundesstaates, wohnen und dort seit Jahren gegen illegale Holzfäller*innen kämpfen.

Von Lea Fauth

Wächter des Waldes Die Guardiões da floresta kämpfen gegen Abholzung des Urwaldes (Foto: survivalinternational.org)

 

Zunächst hatte keine öffentliche Behörde sich des Falls Jorginho Guajajara angenommen. Dann behauptete die Polizei aus der naheliegenden Stadt Arama, dass der Mann durch Ertrinken umgekommen sei. Die Guajajara-Gemeinde bestreitet das heftig und hat nun auf föderaler Ebene die Polizei hinzugezogen, die den Körper exhumiert, um erneut zu überprüfen, unter welchen Umständen der Guajajara-Führer umgekommen ist. Erst Ende September kann mit Ergebnissen der Untersuchung gerechnet werden.

Für die Guajajara ist sicher: Es war Mord – und nicht der erste. Im Konflikt mit den illegalen Holzfäller*innen seien seit dem Jahr 2000 rund 80 Gemeindemitglieder umgebracht worden, berichten sie. Die meisten Toten haben sie am selben Ort oder in der Umgebung gefunden, eben­falls mit gebrochenem Genick. Dort, in der Nähe des Flusses, verläuft die Grenze zwischen der Gemeinde der Guajajara und der Gemeinde Arama.

Allein im Jahr 2016 wurden drei Guardiões durch die Holzmafia getötet

Mit Jorginho Guajajara hat es einen Anführer der Gemeinde getroffen, der besonders aktiv gegen die Holzmafia gewesen war. Der 56-Jährige war Teil der Widerstandsgruppe Guardiões da floresta („Wächter des Waldes“), die seit Jahren gegen das Abholzen des Urwalds kämpft. „Wir patroullieren, wir finden die Holzfäller, zerstören ihre Arbeitsgeräte und schieben sie ab“, sagte einer von ihnen ohne seinen Namen zu nennen im Mai gegenüber der Nichtregierungsorganisation Survival International, die sich für die Rechte indigener Völker einsetzt. „Wir haben viele Holzfäller gestoppt. Es funktioniert.“ Im Mai erst hatten die Guardiões eine Bande von Holzfäller*innen überwältigt und deren mit illegal gefälltem Holz beladenen Wagen in Brand gesetzt. Laut dem Onlineportal IHU waren diese Holzfäller*innen eine polizeilich gesuchte Bande, die von den Guardiões gefangen genommen und später einer bewaffneten Einheit der brasilianischen Umweltbehörde Ibama übergeben wurden.

Ein Video des brennenden Trucks schickten die „Wächter des Waldes“ an Survival International mit der Bitte um Verbreitung. Sie berichteten in diesem Zuge von mehreren durch die Holzmafia gelegten Bränden im Wald und von immer wieder neuen Morddrohungen gegen die Guajajara. Allein im Jahr 2016 wurden drei Guardiões durch die Holzmafia oder deren Auftragsmörder*innen getötet, wobei nicht klar ist, ob es sich dabei eventuell um dieselben Personen handeln könnte.

Das Gebiet Araribóia, in dem die Guajajara wohnen und wo die Holzmafia rodet, gilt als eines der bedrohtesten in Amazonien, was die Vernichtung des Urwaldes betrifft. 70 Prozent des Gebietes wurden laut dem staatlichen Forschungsinstitut INPE bereits abgeholzt. Dabei leben in dieser Region auch einzigartige Tiere und Pflanzen, die es nirgendwo sonst in der Amazonas-Region gibt.

Eigentlich steht das Gebiet unter Natur- und Erhaltungsschutz, doch faktisch tut die brasilianische Regierung nichts, um das zu kontrollieren, geschweige denn durchzusetzen. Die Guajajara beklagen, dass die Holzfäller*innen und ihre Auftragsmörder*innen straffrei bleiben. Im Sommer 2017 reiste eine Gruppe der Wächter*innen in die Stadt Imperatriz und besetzte Büroräume öffentlicher Behörden, um gegen die Untätigkeit der Regierung zu protestieren. Mehrere Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass eine enge Verbindung zwischen der Holzmafia und der Politik besteht, sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene. Die Mafia sei „agressiv, mächtig und bewaffnet“, so Stephen Corry, Vorsitzender von Survival International.

„Die Arbeit der Wächter ist extrem mutig und unglaublich riskant“, meint auch Sônia Guajajara, ebenfalls eine führende Persönlichkeit der Gemeinde, die sich brasilienweit in Verbänden engagiert und die bei den nächsten brasilianischen Präsidentschaftswahlen in Brasilien für die sozialistische Partei PSOL als Vizepräsidentin kandidieren wird. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte sie kurz nach dem Tod von Jorginho Guajajara: „Das ist nur einer der vielen Morde in Maranhão, der deshalb verübt wurde, weil indigene Völker ihr Land gegen Rodung schützen.“ Sie wolle die Untätigkeit der Regierung nicht länger hinnehmen, sagte die Politikerin.

Den Guardiões geht es auch um den Schutz der benachbarten Gemeinde der Awá, die jeden Kontakt mit Menschen außerhalb des Amazonas zurückweist und sich selbst nicht in der Lage sieht, der Holzmafia entgegenzutreten. Viele Awás wurden in den 1990er Jahren von Auftragsmörder*innen erschossen, einmal mehr vermuten sie die Holzmafia dahinter. „Die Awá sind unsere Verwandten und können nicht überleben, wenn ihr Wald vernichtet würde“, sagt einer der Guardiões. „So lange wir leben, kämpfen wir weiter für uns alle hier. Für die, die hier leben, und für die Natur.“

Besonders schwierig festzustellen ist, für welche Firmen die illegalen Holzfäller*innen in der Region von Araribóia roden. Die organisierten Morde und die Straflosigkeit, das Stillschweigen der brasilianischen Regierung, scheinen zumindest auf Geldmittel hinzuweisen. Neben der Holzmafia gibt es auch illegale Jagdaktivität, gegen die brasilianische Autoritäten genauso untätig bleiben. Auch Jäger*innen gefährden sowohl das Naturschutzgebiet als auch das daran gebundene, kulturelle Leben der dort ansässigen Gemeinden.

Trotz des Mordes an Jorginho Guajajara scheinen die Gemeinde und die Wächter des Amazonas jedoch nicht aufzugeben. Im Gegenteil: Sie gehen gezielt an die Öffentlichkeit. Die Guardiões haben auch eine Email-Vorlage verfasst, die Unterstützer*innen an die brasilianische Regierung schicken können, um sie zum Handeln aufzufordern. Bis jetzt wurden über 18.000 solcher Mails verschickt. Mit Sônia Guajajara steht weiterhin eine starke Persönlichkeit an ihrer Spitze, die für mehr Öffentlichkeit sorgen kann, auch wenn sie als Kandidatin der PSOL derzeit wegen des Wahlkampfes nicht mehr vor Ort ist.

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