Nummer 504 - Juni 2016 | Queer

“WIE EIN HARTER SCHLAG INS GESICHT”

LGTBI*-Aktivistin* Frenessys Sahory Reyes über die Diskriminierung von Trans*Frauen in Honduras

Frenessys Sahory Reyes schildert den LN die systematischen Menschenrechtsverletzungen gegenüber Trans*Personen in Honduras. Insbesondere Trans*Frauen erfahren polizeiliche und familiäre Gewalt.

Von Interview: Lea Fauth
Frenessys Sahory ReyeS gehört zu den bekanntesten Trans*Aktivist*innen in Honduras. Sie arbeitet seit 2007 mit der Organisation LGBTI Arcoíris („Regenbogen“) zusammen und ist Mitbegründerin der Frauen-Gruppe Muñecas de Arcoíris („Regenbogenpuppen“). Allein seit Ende Juni 2015 wurden sechs Mitglieder von Arcoíris ermordet, darunter vier Trans*frauen. Mehrere Aktivist*innen der Organisation mussten ins Exil fliehen. Frenessys war im Mai in Deutschland und berichtete in Berlin, Hamburg und München über die aktuelle Menschenrechtslage in Honduras und die Kämpfe der LGTBI- Community in Zeiten verschärfter politischer Repression und allgegenwärtiger Hassverbrechen. Die international gängige Abkürzung LGTBI* steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transexual/Transgender, Intersexual. Das Sternchen soll der von manchen Menschen gewünschten Uneindeutigkeit in Identitätsfragen gerecht werden. (Foto: Lea Fauth)
Frenessys Sahory Reyes
gehört zu den bekanntesten Trans*Aktivist*innen in Honduras. Sie arbeitet seit 2007 mit der Organisation LGBTI Arcoíris („Regenbogen“) zusammen und ist Mitbegründerin der Frauen-Gruppe Muñecas de Arcoíris („Regenbogenpuppen“). Allein seit Ende Juni 2015 wurden sechs Mitglieder von Arcoíris ermordet, darunter vier Trans*frauen. Mehrere Aktivist*innen der Organisation mussten ins Exil fliehen. Frenessys war im Mai in Deutschland und berichtete in Berlin, Hamburg und München über die aktuelle Menschenrechtslage in Honduras und die Kämpfe der LGTBI- Community in Zeiten verschärfter politischer Repression und allgegenwärtiger Hassverbrechen. Die international gängige Abkürzung LGTBI* steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transexual/Transgender, Intersexual. Das Sternchen soll der von manchen Menschen gewünschten Uneindeutigkeit in Identitätsfragen gerecht werden. (Foto: Lea Fauth)

Sie leben als Trans*Frau in Honduras – einem der gefährlichsten Länder weltweit für LGTBI*-Personen.
Das Leben einer transsexuellen Frau ist in einer machistischen und patriarchischen Gesellschaft besonders schwierig, da wir nichts als Gewalt begegnen. Eine lesbische Frau kann in manchen Fällen noch unbemerkt davonkommen. Das größte Problem haben wir Trans*Frauen. Auch für die Trans*Männer ist es sehr schwer, aber nicht so sehr wie für die Trans*Frauen. Im Fall eines Trans*Mannes, der eine Umwandlung vornimmt, um seine Identität des männlichen Geschlechts zu verwirklichen, klatschen sie vielleicht noch Beifall. Aber im Fall einer Trans*Frau, die eine Umwandlung vornimmt, um eine weibliche Geschlechts- identität zu bekommen, treten der Machismus und das Patriarchat in unserer Gesellschaft deutlich zu Tage.

Warum gibt es einen solchen Hass gegenüber der LGTBI*-Gemeinschaft?
Honduras ist eigentlich ein laizistischer Staat, aber es gibt in der Gesellschaft einen religiösen Fundamentalismus, in dem ein Diskurs des Hasses geführt wird. Die Verachtung gegenüber der LGTBI*-Gemeinschaft wird dadurch befeuert. Zum Teil wird den Leuten erzählt, dass wir die Feindinnen Gottes seien. Frauen, die einen Penis haben, seien Dämonen der Finsternis, die nur kommen, um den Frieden der anderen zu stören. Manche verwenden den Begriff der sozialen Sauberkeit und sagen, dass sie LGTBI*-Personen ausrotten werden. Andere Menschen versuchen, LGTBI*-Personen anzuheuern, um sie als Drogenkuriere zu benutzen.

Gab es für die LGTBI*-Gemeinschaft Veränderungen seit dem Militärputsch von 2009?
Ja, seit dem Militärputsch 2009 verbietet uns die Polizei in Honduras den Zugang zu öffentlichen Räumen und Plätzen, zum Beispiel zum Historischen Zentrum in der Hauptstadt Tegucigalpa. Viele unserer Kameradinnen* verkaufen dort Sachen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Umsatz, den sie damit machen, wird ihnen dann von der Polizei weggenommen.
Aber auch die Gewalttaten häufen sich. Vor dem Staatsstreich gab es jährlich vielleicht zwei Morde an LGTBI*-Personen. Im Jahr 2009, dem Jahr des Militärputsches, mussten wir 25 Morde verzeichnen, 2010 waren es glaube ich 32 oder 33, 2011 wurden es noch mehr, 38 oder 39. Und so geht es seitdem immer weiter. Eine Gefährtin wurde neulich zusammengeschlagen, weil sie an einer LGTBI*-Demonstration teilgenommen hatte.

Wer begeht diese Morde und Gewalttaten?
In erster Linie die Polizei. Wir haben die Hypothese, dass Polizisten sich zivil kleiden, wenn sie diese Gewalttaten begehen. Sie gehen beispielsweise zu prostituierten Trans*Personen und geben sich als Kunden aus, um dann Gewalt an ihnen auszuüben. Ich denke da an eine Kameradin* von mir, die inzwischen in Europa im Exil lebt. Ein Polizist hatte sich bei ihr als Kunde ausgegeben. Mit zwei anderen Personen hat er sie dann mit Gewalt in ein Auto gezerrt. Sie kam mit achtzehn Messerstichen davon.
Zum anderen gibt es interfamiliäre Situationen, in denen es zu Gewalt kommt. Wenn die Familien merken, dass ein Familienmitglied ihre Identität als Trans*Frau annimmt, verstoßen sie sie von zu Hause, oder greifen sie an – sei es mit Schusswaffen oder durch Schläge. Da machen auch andere Verwandte wie Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen mit.

Müssen alle Trans*Personen mit ihren Familien brechen?
Nein. In unserer Organisation Arcoíris haben wir ein Netzwerk für Familienmitglieder und vor allem für Eltern von LGTBI*-Personen aufgebaut. Es gibt manchmal Eltern, die die Geschlechtsidentität ihres Sohnes oder ihrer Tochter akzeptieren. Denen bieten wir unsere Begleitung an, weil der gesellschaftliche Druck auch auf sie sehr groß ist.

Wie geht es Jugendlichen, die sich zu ihrer Trans*-Identität bekennen?
Kinder und insbesondere Mädchen im Alter von 16 bis 17 Jahren haben große Schwierigkeiten. Wenn sie aus ihrem Zuhause verstoßen werden, weil sie sich über ihre Geschlechteridentität klar werden, bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, als auf der Straße zu leben. Ihre Verletzlichkeit wird oft von Kriminellen ausgenutzt – deren Gewalt fallen vor allem Trans*Mädchen zum Opfer. Bei Arcoíris setzen wir uns für die Verfolgung solcher Straftaten ein – denn in den allermeisten Fällen bleiben sie unbestraft. Wenn Trans*Mädchen von kriminellen Menschen geschlagen oder ausgeraubt werden, dann macht die Polizei dabei eher mit und leiht den Gewalttätigen ihre Elektroschocker. Die ganze Kindheit und Jugend vieler Trans*Personen wird dadurch zerstört.

Sie sind Mitbegründerin* von Muñecas de Arcoíris, der Unterorganisation von Arcoíris für Trans*Frauen Wie geht die Organisation mit den genannten Problemen um?
Wir sind das kritische Auge der Gesellschaft. Seit 2009 hat Arcoíris eine sehr wichtige Rolle bei der Forderung nach unseren Rechten. Das fängt damit an, dass wir unsere Gemeinschaft sichtbar gemacht haben. Mittlerweile wissen die Menschen, dass es LGTBI*-Bewegungen gibt. Arcoíris ist aber auch ganz einfach ein Raum, in dem wir ungestört leben können, voller Harmonie und Kameradschaftssinn. Mir hat es geholfen, über mein niedriges Selbstwertgefühl hinwegzukommen. Es ist ein Raum, wo wir in Ruhe und Frieden ein- und ausatmen können. Wenn wir dort rauskommen, ist die Realität wie ein harter Schlag ins Gesicht: Beleidigungen, verbale und psychische Verletzungen, aber auch physische.

Wie reagieren Sie auf Diskriminierung und Beleidigungen in Ihrem Alltag?
Wenn ich alleine bin, gehe ich oft unbemerkt als Frau durch. Wenn ich aber mit anderen Genossinnen unterwegs bin, dann gibt es viel Diskriminierung, weil noch nicht alle von ihnen sich einem hormonellen Umwandlungsprozess unterzogen haben. Ich gehe dann ruhig auf die Leute zu und sage: „Bitte, haben Sie doch Respekt! Wir respektieren Sie ja auch.“

Ist eine Geschlechtsumwandlung beziehungsweise Hormonbehandlung in Honduras überhaupt möglich?
Wir müssen uns auf eigene Faust mit Medikamenten und Hormonen behandeln. Für Kranke gibt es in Honduras ja schon keine Medikamente – bei Therapien für Trans*Personen sieht es noch viel schlechter aus. Ich habe in einem Gesundheitszentrum um Beratung gebeten, und jemand hat mir etwas von dem Wort Gottes erzählt, und dass sie mich bei diesem Prozess nicht begleiten könnten. Ich wollte aber weiblicher sein und Oberweite haben – also beschloss ich, Hormone zu nehmen. Aber das ist sehr risikoreich, denn jeder Körper funktioniert anders. Es gibt bei diesen Therapien Vor- und Nachteile. Ich habe Genossinnen, die sich Mineralöl oder pflanzliches Öl spritzen, um Brüste zu haben. Über die Jahre schädigt das aber die Gesundheit; die Brüste laufen zum Teil lila an. Manchmal läuft das Öl auch aus und verteilt sich in Körpergliedern, was extrem gesundheitsschädigend ist.

Wie ist die Gesetzeslage in anderen Bereichen für die LGTBI*-Gemeinschaft?
In Honduras gibt es eine große Kluft zwischen Theorie und Praxis, was Gesetze betrifft. Es gibt beispielsweise das Schutzgesetz, von dem wir uns viel erhofft hatten. Aber da lagen wir falsch. Der Staat Honduras hat einstweilige Maßnahmen gegen Mitglieder der LGTBI*-Gemeinschaft getroffen, anstatt sie zu schützen. So wie das ja auch mit der ermordeten Umweltaktivistin Berta Cáceres passiert ist, die indigene Völker vertreten hat. Hinzu kommt ein Gesetz, das Proteste kriminalisiert. Niemand kann mehr demonstrieren, sonst kommt man ins Gefängnis.

Werden Sie selbst auch verfolgt?
Ich glaube, die Rundreise, die ich hier gerade mache, hat mich noch verletzlicher für meine Rückkehr gemacht. Das fing schon an, als ich am Flughafen war und das Land verlassen wollte. Man wollte die Einladung sehen, die ich bekommen hatte und durchlöcherte mich mit Fragen. In Honduras ist das nicht normal: Man kann einfach reisen, niemand stellt Fragen. Deshalb hatte ich gleich das Gefühl, dass der Staat mich genau beobachtet. Wahrscheinlich werde ich bei meiner Rückkehr von den Behörden verfolgt werden, weil ich jetzt für mein Engagement für Menschenrechte bekannt bin. Das Problem dabei ist, dass die internationale Gemeinschaft solche Dinge mitfinanziert.

Wie meinen Sie das?
Andere Länder geben Honduras Geld, um die Menschenrechte zu fördern. Aber von der aktuellen Regierung werden die Gelder aus diesen Stiftungen und politischen Kampagnen für ganz andere Sachen verschleudert. Es gibt viel Korruption. Ich mache gerade eine Rundreise durch Deutschland, um darauf aufmerksam zu machen, welchen Problemen wir als Menschenrechtsverteidigende ausgesetzt sind. Damit die internationale Gemeinschaft Druck auf die honduranische Regierung ausübt. Wir wollen zeigen, was die wahre Situation ist. Wenn der Staat um Hilfe bittet, werden Fotos von irgendwelchen Treffen mit Minderheiten gemacht, um sich vor der internationalen Gemeinschaft zu rechtfertigen. Aber in Wirklichkeit wird nichts für unterdrückte Minderheiten getan. Da wird nur etwas vorgetäuscht.

Die LGTBI*Community in Honduras
Diskriminierung, Bedrohungen, Überfälle, Folter und Mord an LGBTI*-Personen sind Alltag. Seit 2009 sind in dem mittelamerikanischen Land, das nur ca. 10 Millionen Einwohner*innen hat, über 200 Morde aktenkundig. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl noch weitaus höher ist. Laut einem Bericht des Ökumenischen Büros aus München werden LGBTI*-Personen in Honduras durchschnittlich nur 40 Jahre alt, während ihre heterosexuellen Mitbürger*innen durchschnittlich ein Alter von 76 Jahren erreichen. Die Rundreise durch Europa hatte eigentlich der Menschenrechtsaktivist Donny Reyes vorgesehen. Da es aber kurz davor zu einem versuchten Überfall auf den bekannten LGBTI*-Aktivisten kam, reiste seiner Stelle Frenessys Sahory Reyes nach Europa.

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