Nummer 591/592 - September/Oktober 2023 | Peru

Wie viel Tote willst du noch, Dina?

Fotostrecke von der dritten Mobilisierung nach Lima gegen die Regierung von Dina Boluarte

Fotos und Texte: Vale Soldevilla Montoya, Lima Übersetzung: Theresa Utzig
(Alle Fotos: Vale Soldevilla Montoya)

Die Forderung nach Achtung der Demokratie reichte aus, um die Menschen ab dem 19. Juli auf die Straße zu bringen. Der Ruf nach einem Rücktritt von Dina Boluarte vereinte verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Forderungen, die sich zum Teil sogar gegenseitig widersprechen. Die Menschen wollen die Schließung des Kongresses, fordern eine Verfassungsgebende Versammlung, vorgezogene Wahlen und politische Reformen. Zwar fehlte den Demonstrant*innen ein gemeinsamer politischer Horizont, trotzdem gingen sie gemeinsam auf die Straße, um anzuklagen. Der Zerfall der Demokratie, die Repression, die Gewalt und die fehlende Anerkennung trieben eine Gruppe zum Protest, die bei den ersten beiden großen Mobilisierungen nicht in Erscheinung getreten war: die Mitte und die liberale Rechte.

“Du sollst nicht tötet. Beendet die Verfolgung. Neuwahlen im Jahr 2023. Wir sind Quechua, wir sind Aymara. Durch uns fließt das gleiche lut. Nein zur Straflosigkeit. Gerechtigkeit.”

Die aktuellen Proteste begannen im Dezember 2022, und sind als Teil einer Regierungskrise zu verstehen, die das Land seit 2016 erfasst hat. Nach dem vom damaligen Präsidenten Pedro Castillo angekündigten Selbstputsch vom 7. Dezember 2022 und der anschließenden Amtsenthebung übernahm Dina Boluarte, die Vizepräsidentin, das Regierungsgeschäft. Die ersten Demonstrationen fanden im Süden des Landes statt, in dem eine Mehrheit der Unterstützer*innen Castillos leben und seine Wiedereinsetzung forderten. Es ist nicht schwer, ihre Empörung zu verstehen: Castillo wurde des Wahlbetrugs beschuldigt, seine Gegner weigerten sich, ihre Niederlage zu akzeptieren.

22. Juli 2023. Demonstrant*innen halten ein Schild mit der Aufschrift “Juliaca leistet Widerstand, Helden des 9. Januar” in Erinnerung an die 18 Ermordeten

Bevor Castillo sein Amt antrat, lancierte die unterlegene Partei Fuerza Popular unter der Führung von Keiko Fujimori eine regelrechte Terrorkampagne gegen den designierten Präsidenten. Dieser Kampagne schlossen sich auch die Partei des konservativen Bürgermeisters von Lima, Rafael Lopez Aliaga, die Renovación Popular, an, ebenso Massenmedien, so in der Fernsehsendung Cuarto Poder. Obwohl die Kampagne die offizielle Verkündung des Wahlsiegers um mehrere Wochen verzögerte, wurde Castillo schließlich zum Präsidenten erklärt. Sobald er an der Regierung war, taten die Opposition und die Mainstream-Medien ihr Bestes, um ihn zu diskreditieren, oft in rassistischen und klassistischen Tönen. Doch auch Castillos Regierung war nicht fehlerfrei. Seine Zeit war geprägt von Widersprüchen und einer teils illegitimen Regierungsführung.

22. Juli 2023: “Kein Queer mit Dina, der Mörderin” Der Begriff Marika ist hier eine Selbstbezeichnung, die sich queere Menschen als widerständige Praxis angeeignet haben

Im Laufe der Tage zeigte Dina Boluarte ihr wahres Gesicht: Sie ging ein Bündnis mit der rechten Opposition ein und unterdrückte brutal diejenigen, die sie an die Regierungsmacht gebracht hatten. Am 9. Januar 2023 fand in Puno das Massaker von Juliaca statt, bei dem 18 Angehörige der Aymara-Bevölkerung bei Protesten ermordet wurden. Die jetzige dritte Mobilisierung nach Lima wurde als ein Schrei der Reaktion und der Überdrüssigkeit empfunden. Dina soll gehen, der Kongress soll gehen und „sie alle sollen gehen“, wie es bei den Protesten während der letzten drei oder vier Regierungen des Landes gefordert wurde.

Die Delegation von Juliaca leistet Widerstand und gedenkt der Toten

Zu den protestierenden Gruppen gehörten Delegationen aus mehreren Provinzen des Landes, insbesondere aus dem Süden. Auch die feministische Bewegung, die LGBTIQGemeinschaft und Künstler*innen-Gruppen schlossen sich dem Widerstand an.

Mobilisierung von Aymara-Frauen

Das Mitte-rechts-Lager, vertreten durch die Morado-Partei, war stark vertreten. Die progressive Linksmitte forderte vorgezogene Neuwahlen, die traditionellere und konservativere Linke verlangte die Freilassung von Castillo, und die gemäßigte Linke betonte in Koalition mit Arbeiter*innen und indigenen Gruppen die Forderung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung.

“Du kannst den Regen kaufen, du kannst die Sonne kaufen, aber mein Leben kannst du nicht kaufen” Mit Fotografien der mehr als 60 Menschen, die seit Dezember 2022 bei Protesten umgekommen sind, behangene Statue

Über all diese Forderungen wurde rege diskutiert, der gemeinsame Nenner war derweil klar: Die Regierung Boluarte solle zurücktreten und sich der Justiz stellen.

“In Demokratien werden Protestierende nicht getötet”

Die Proteste werden von einem aus Puno stammenden Protestlied begleitet. Dessen Text wird teilweise auf Aymara gesungen:

Esta democracia ya no es democracia
esta democracia ya no es democracia
Dina asesina el pueblo te repudia
Dina asesina el pueblo te repudia

¿Cuántos muertos quieres,
para que renuncies?
¿Cuántos muertos quieres,
para que renuncies?

Dina runa sipiq manan munaykichu
Dina hiwayiri janiwa khitis munktamti

Sueldos millonarios para los corruptos
Balas y misiles para nuestro pueblo
Sueldos millonarios para los corruptos
Balas y misiles para nuestro pueblo

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