Mexiko | Nummer 456 - Juni 2012

Windige Geschäfte

Transnationale Konzerne wollen den Bau von Windparks im Isthmus von Mexiko gegen den Widerstand der Bevölkerung durchsetzen

Die Region Istmo de Tehuantepec im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca ist mit 205 Kilometern Breite die schmalste Stelle zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik. Dadurch werden dort große Windstärken erreicht. Das lockt immer mehr transnationale Energieunternehmen in die Region, die mit dem Bau von Windparks begonnen haben. Die LN sprachen mit Bettina Cruz, Aktivistin der Asamblea zur Verteidigung des indigenen Landes im Isthmus von Tehuantepec.

Interview: Laura Haber und Max Wandel

Welche Auswirkungen haben die Windparks?

Die Windparks führen zu einem Konflikt zwischen den Interessen der Unternehmen und dem Leben der Gemeinden. Die Windparks bedeuten große Veränderungen für unser gesamtes Leben. Es gibt ökologische, soziale, kulturelle und ökonomische Auswirkungen.

Wie kommen die Windenergie-Unternehmen an das Bauland für die Windparks?

Das Gebiet gehört den indigenen Gemeinden und wurde uns von unseren Vorfahren vererbt. Es wird daher kommunal verwaltet. Nun beanspruchen die Unternehmen das Gebiet. Als erstes schrieb die mexikanische Regierung auf internationaler Ebene unser Land aus. Die Unternehmen verhandelten dann direkt mit den indigenen Bauern. Die Marginalisierung der indigenen Gemeinden hat dazu geführt, dass die Mehrzahl der Einheimischen Analphabeten sind. Sie sprechen oft nur ihre eigene Muttersprache, entweder Zapoteco oder Huave. Die Unternehmen haben die Menschen getäuscht, indem sie ihnen viel Geld versprachen. Den Menschen, die sich direkt aufzulehnen begannen, wurde gesagt, dass man nicht protestieren könne, da es ein Regierungsprojekt sei. Sollten sie sich weigern zu verpachten, würden sie enteignet. Es war eine Mischung aus Betrug und Zwang. Obwohl die Menschen nicht wollten, unterschrieben sie. So haben sich die transnationalen Konzerne großer Mengen an Ländereien bemächtigt und fühlen sich nun wie die Eigentümer des Isthmus.

Es gab also keinerlei Form von Entschädigung?

Doch, gab es. Die Leute bekamen zwischen 500 und 1000 Pesos pro unterschriebenem Vertrag. Oder 150 Pesos als erste Rate. Die Landaufteilung war der erste Schritt. Denn wenn man ein Projekt plant, muss man einen Platz haben, wo man sein Projekt durchführt, um finanzielle Mittel zu bekommen. Außerdem haben die Unternehmen versprochen, unsere Einnahmeausfälle zu entschädigen. In der Produktionsphase werden 12.500 Pesos pro Windrad im Jahr bezahlt, also ungefähr 1000 Dollar. Das ist nichts! „Wir werden sehr wenig Platz benötigen. Ein Windrad braucht ja nicht mehr als zehn Quadratmeter“, sagten sie. Aber das stimmt nicht. Die Windräder im Isthmus benötigen 30 bis 40 Quadratmeter Grundfläche. Dazu ein vier Meter tiefes Fundament aus 150 Tonnen Zement. Zusätzlich wird ein halber Hektar benötigt, um den Bagger aufzustellen. Das Gebiet, wo sie die Windräder aufstellen werden, ist für uns verloren. Die Wege werden wie Deiche erhöht und bei Regen gibt es Überschwemmungen. Unsere Kühe können dort nicht mehr weiden. Wasserkanäle werden zerstört. Man kann keinen Mais mehr aussäen. Der Mais ist Teil unserer Kultur und Religion und sichert unsere Ernährungssouveränität. Wenn es keinen Mais mehr gibt, muss man weggehen, um Arbeit zu suchen und sich ernähren zu können.

Man produziert also „grünen Strom“ – dabei gibt es negative Auswirkungen für die Umwelt.

Klar. Für die Bauarbeiten wird alles abgeholzt. Durch die Bodenerosion wird der fruchtbare Humus vernichtet. Die Artenvielfalt wird geschwächt. Es ist grüner Strom, weil die Unternehmen behaupten, dass es „grüner Strom“ sei. Wer sind denn diese Unternehmen? Das sind dieselben, die den Klimawandel ausgelöst haben. Und in ihren Händen ist der Strom. Wenn wir, ohne den Kontext zu beachten, Unternehmen unterstützen, die diese Art von grünem Strom produzieren, beenden wir gleichzeitig das Leben der Gemeinden.

Wer profitiert von dem Strom, der in den Windparks produziert wird?

Coca-Cola, Cruz Azul, Walmart, Cementos de Mexico, Soriana,… Das sind die Profiteure. Nicht wir. In Mexiko müssen die Produktionskontrolle, die Verteilung und der Verkauf des Stroms gemäß der mexikanischen Verfassung in den Händen der Bundeskommission für Elektrizität sein. Die Verfassung wurde allein dafür reformiert, damit die Unternehmen im Isthmus tätig werden können. Auflage ist nun, dass nur Unternehmen hereingelassen werden, die für ihren eigenen Bedarf produzieren. Deshalb haben sich die Energieunternehmen mit anderen Unternehmen zu großen Konzernen zusammengeschlossen, zum Beispiel Eléctrica Francia mit Heineken oder Iberdrola mit Oxxo. All das, damit Coca-Cola oder Walmart sagen können: „Wir sind grün! Wir sind gar nicht so böse.“

Wie haben Sie sich organisiert, um dieser negativen Entwicklung für Menschen und Umwelt entgegenzuwirken?

Das kann von einer Person ausgehen, die ihre Parzelle nicht verpachten möchte, bis zu Kollektiven, die gemerkt haben, welche Auswirkungen das Projekt mit sich bringt. Der Kommissar für öffentliche Güter der Gemeinde San Dionisio del Mar zum Beispiel wurde nach Spanien eingeladen. Man bezahlte ihm die Reise und brachte ihn dazu, den Vertrag zu unterschreiben. Jetzt ist das ganze Dorf im Aufstand. Seit dem 29. Januar halten sie das Rathaus besetzt und fordern seinen Rücktritt. Es gibt also viele Formen der Organisation: Mobilisierung, Informationsinitiativen, direkte Aktionen. Bei einem Projekt stehen die Entschädigungszahlungen seit drei Jahren aus. Nun werden die Kabel, Leitungen und Rohre durchtrennt um die Windparks zu stoppen. Oder Ländereien werden besetzt, um Bauarbeiten zu verhindern.

Am 22. Februar dieses Jahres wurden Sie verhaftet. Weshalb hat man Sie angeklagt?

Die Bundeskommission für Elektrizität und die Unternehmen sind hier Verbündete. Deshalb gibt es eine Bewegung gegen die Haftbefehle der Kommission. Wir fordern, die Energie als Menschenrecht anzusehen, und dass – wenn schon gegen unseren Willen Strom in der Region produziert wird – wir, die indigenen Gemeinden, auch davon profitieren. Mein Mann und ich wurden wegen unserer Teilnahme an einer Demonstration angeklagt, wo ich darüber gesprochen hatte, dass wir die hohen Strompreise nicht bezahlen sollten. Wir sollten nicht zulassen, dass man uns die alten, manuellen Strommesser gegen elektronische austauscht. Das wäre ein Schritt hin zu mehr Kontrolle. Wenn man dir den Strom per Satellit abstellt, ohne dass jemand kommt, den du davonjagen kannst, gegen wen sollst du dann noch handeln? Das war es, was ich gesagt habe. Laut Anklage habe ich „gegen den nationalen Konsum und Reichtum“ gehandelt. Das heißt, es ist ein politisches Vergehen. Sie sagen, ich hätte die Leute aufgewiegelt. Mein zweites Vergehen ist „illegale Freiheitsberaubung“. Mir wird vorgeworfen, ich hätte die Angestellten der Bundeskommission für Elektrizität ihrer Freiheit beraubt. Denn immer wenn wir eine Demonstration vor dem Gebäude abhielten, schlossen sich die Angestellten selbst ein und ließen niemanden herein. Nachdem eine Kaution bezahlt wurde, bin ich nun wieder auf freiem Fuß. Aber mein Prozess läuft weiter.

Von welcher Seite kommen die Repressionen, denen sie ausgesetzt sind?

Von Seiten des Staates und von Seiten der Unternehmen. Die letzten Barrieren für das Projekt sollen nun abgebaut werden. Und das sind wir Oppositionelle. Gegen die Gemeinde Dionisio del Mar laufen 40 Anklagen. Es gibt auch einzelne Personen, die bis zu sieben Anklagen gegen sich haben. Die Unternehmen heuern zudem ehemalige Militärs oder Polizisten an, um uns einzuschüchtern. Und sie steuern die Leute, die von dem Projekt profitieren. Die Gruppe der Lastwagenfahrer zum Beispiel ist wie eine mobile Eingreiftruppe der Unternehmen. Am 28. Oktober 2011, auf der Rückfahrt von einer Kundgebung, wurden wir von der Straße abgedrängt, mich haben sie geschlagen und mir die Pistole an die Schläfe gehalten. Als wir später in Unión Hidalgo ankamen, gab es einen Toten. Wir dachten erst, es sei einer unserer Mitstreiter. Aber es war einer der Leute, die uns überfallen hatten. Wir fordern die Aufklärung dieses Mordes, weil mir und meinem Mann vorgeworfen wurde, die Schuld an dem Toten zu tragen. Sie sagten, mein Mann hätte ihn aus dem Wagen heraus erschossen. Es wurde aber bewiesen, dass er an dem Tag gar nicht anwesend war. Jetzt heißt es, dass wir die Anstifter des Mordes seien.

Der Widerstand richtet sich gegen die Windparks einerseits und gegen die hohen Strompreise andererseits. Wie erklären Sie sich, dass die Strompreise in Mexiko so hoch sind?

Eigentlich gibt es ja Subventionen. Mexiko produziert sogar ein Drittel mehr Strom als es selbst verbraucht. Die Privatisierung des Energiesektors hat die hohen Preise ausgelöst. Die Subventionen werden abgebaut und, ohne dass es Gesetzesänderungen gab, sind es inzwischen die Energieunternehmen, die die Strompreise diktieren.

Bald finden in Mexiko die Präsidentschaftswahlen statt. Gibt es Kandidat_innen, die sich zum Thema Energie geäußert haben?

Nur López Obrador. Alle reden über Strom, aber laut Peña Nieto und Vásquez Mota muss alles komplett privatisiert werden. Obrador hat zumindest gesagt, dass der Strom nicht privatisiert werden und den Menschen dienen sollte.

Welche Möglichkeiten hat die Bevölkerung, gegen diese Situation anzugehen?

Die einzige Möglichkeit ist, dass wir kämpfen. In Chiapas zum Beispiel zahlen viele Gemeinden seit 15 Jahren keinen Strom. Sie haben dort mit eigenen Technikern eine autonome Infrastruktur aufgebaut. Die Bundeskommission lassen sie in ihr Gebiet erst gar nicht herein. Wenn man ihnen den Strom abstellen will, dann üben sie solange Druck aus, bis der Strom wieder freigegeben wird.

Wie wird sich die Situation in Zukunft entwickeln?

Das Ganze wird sich weiter zuspitzen. Es wird mehr Repression und größere Probleme geben. Die Unternehmen wollen ihre Pläne einhalten und das Projekt abschießen. Wir wollen aber unser Leben, so wie wir es kennen, weiter leben. Wir wollen keine Almosen, um damit bei Walmart shoppen zu gehen. Unsere ganze Kultur wird vernichtet. Sie wollen sogar auf unseren heiligen Stätten Windräder bauen. Das ist so, wie wenn man in einer Kirche einen Windpark bauen würde.

Zur Zeit machen Sie eine Rundreise durch Deutschland. Mit welchem Ziel und welchen Hoffnungen?

Die Technologie der Windparks kommt zum Großteil aus Deutschland. Das heißt, dass eben hier Arbeitsplätze geschaffen werden. Oder in Spanien oder Dänemark. Und in Mexiko? Wie viele wurden wohl dort geschaffen? Immer wenn wir erzählen, dass wir gegen das Windparkprojekt sind, heißt es, dass wir falsch liegen. In Deutschland wollen wir über die Auswirkungen, die Windparks haben können, aufklären. Dieser Strom ist in privaten Händen und mit ihm wird ein Geschäft gemacht. Natürlich hoffen wir auch auf Unterstützung von außerhalb, vor allem bei der Informationsverbreitung.

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