“Wir haben der Regierung keinen einzigen Erfolg abringen können”
Interview mit VertreterInnen der comandancia des EZLN:
Wie würdet Ihr die entscheidenden Gründe für den Aufstand der ZapatistInnen in Chiapas beschreiben?
Comandante Ramón (C.R.): Wir als Zapatistische Befreiungsarmee haben immer wieder betont, daß wir den bewaffneten Kampf aufgenommen haben, weil wir die Fruchtlosigkeit eingesehen haben, mit friedlichen Mitteln gegen die Regierung zu kämpfen. Denn sie hat uns gar nicht angehört und ist nicht auf unsere Bedürfnisse und Forderungen eingegangen. Es blieb uns keine andere Möglichkeit, als uns zu organisieren und die Waffen zu erheben. So haben wir am 1. Januar 1994 den bewaffneten Kampf aufgenommen. Wir glauben, daß uns die Regierung zumindest so zuhört.
Gilt das auch heute noch?
C.R.: Zu Beginn des Krieges sah es so aus, als ob die Regierung uns endlich zuhören würde. Seit dem Beginn der Friedensgespräche von San Andrés gibt die Regierung zwar immer wieder vor, auf unsere Forderungen eingehen zu wollen, aber wir sehen auch ihre tatsächlichen Beweggründe. Denn ihre Haltung weist nicht darauf hin, daß sie unsere Probleme wirklich lösen will. Sie wollen uns nur hinhalten und zum Aufgeben bringen, das ist die Politik der Regierung.
Damit greifst Du schon auf die nächste Frage vor: Welche Erfolge habt Ihr als Zapatistische Befreiungsarmee drei Jahre nach dem Beginn des bewaffneten Kampfes vorzuweisen?
C.R.: Unser Volk hat sich sein Land zurückgenommen – das wird jetzt wieder gemeinschaftlich bearbeitet. Genauso wie wir es immer gesagt haben, bearbeiten wir das von uns kontrollierte Land in kollektiver Form. Denn: Wenn wir es aufteilen, reicht es nicht für alle. Wir haben unser ursprüngliches Land und etliche Großgrundbesitztümer zurückgewonnen. Das sind unsere Fortschritte, aber die Regierung hat uns immer wieder vertrieben, sie steht letztlich dahinter, daß die guardias blancas organisiert und Campesinos bewaffnet wurden, damit wir uns untereinander bekriegen. Das spielt sich momentan in den Konfliktgebieten ab.
Wir haben jedoch der Regierung bislang keinen einzigen konkreten Erfolg abringen können. Der entscheidende Fortschritt unseres Kampfes liegt darin, daß wir die Unterstützung großer Teile der Zivilgesellschaft gewinnen konnten. Das Hauptgewicht liegt im Moment auf dem politischen Kampf. So konnte die Arbeitsgruppe zur Rechtslage und zur Kultur der indigenen Bevölkerung ihre Arbeit aufnehmen, und es gibt einige Abkommen, aber die Regierung hat bisher nichts eingehalten. Nicht einen Punkt.
Die letzten Tage haben deutlich gemacht, daß die Regierung weiterhin zeigen will, wer Herr im Hause ist. Wie kann das EZLN dieser Politik begegnen?
C.R.: Wir geben unseren Kampf nicht auf, denn das ist der Wille des Volkes. Wir machen keinen einzigen Schritt zurück, wir werden weiterkämpfen. Die Regierung stellt uns Fallen, mit dem Ziel, daß wir den Dialog abbrechen. Den Krieg hat letzten Endes die mexikanische Zivilgesellschaft gestoppt, und wir müssen ihren Willen respektieren. Aber einige Erfolge haben wir in den drei Jahren durchaus errungen. Als wir den bewaffneten Aufstand begannen, wußten wir nicht, ob das Volk auf unserer Seite stehen würde. Und jetzt sehen wir, daß das Volk Gerechtigkeit fordert. Denn wir führen unseren Kampf für ganz Mexiko, nicht nur für Chiapas. Wenn wir den Frieden erreichen, gilt er nicht nur für Chiapas, sondern für ganz Mexiko.
Habt Ihr damals am 1. Januar 1994 bereits mit einer derartigen Unterstützung gerechnet oder wie habt Ihr die Lage eingeschätzt?
C. R.: Wir sind nicht davon ausgegangen, daß uns die Bevölkerung als Armee akzeptieren würde. Und wir dachten nicht, daß der Krieg schon nach 6 oder 12 Tagen zu Ende gehen würde. Wir hatten uns zehn Jahre lang vorbereitet und hatten nicht eingeplant, daß wir uns so schnell zu Gesprächen zusammensetzen würden.
Der Kampf im EZLN bedeutet zweifellos erhebliche Einschränkungen in vielerlei Hinsicht. Worauf müßt Ihr als ZapatistInnen verzichten?
Comandante Leticia (C.L.): Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die Kämpferinnen im Zapatistischen Befreiungsheer zu organisieren und auf ihre Arbeit vorzubereiten, damit sie gemeinsam mit uns kämpfen können. Schließlich sind wir Frauen am stärksten benachteiligt und wurden seit vielen Jahren nie richtig wahrgenommen. Deshalb mußten wir kämpfen, um Veränderungen und ein würdiges Leben für die Compañeras zu erreichen. Das Opfer, das wir für die Teilnahme am Kampf aufbringen, ist erheblich, denn für uns Frauen ist es immer schwieriger, unser Zuhause und die Familie zu verlassen. Es ist viel Arbeit, die uns oft schwerfällt, aber was bleibt uns anderes übrig? Wenn wir nicht kämpfen, wird sich unsere Lage nie verändern.
Die zapatistischen Kämpferinnen haben sicherlich keine Kinder…?
C. L.: Einige schon. Wir haben alle das Recht, selbst zu entscheiden, was wir machen wollen. Hier wird kein Unterschied gemacht zwischen denen, die Kinder haben, und denen, die keine haben. Das Entscheidende ist es, zum Kampf bereit zu sein. Keiner der zapatistischen Kämpferinnen wird in Sachen Lebensweise etwas verboten.
Wie groß ist der Anteil der Frauen im EZLN? Gibt es gleich viele Männer und Frauen oder sind die Männer in der Überzahl?
C.L.: Das Verhältnis ist in etwa gleich. Und es werden auch keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gemacht. Wir stehen in einem gemeinsamen Kampf, und die Männer sind sich über die wichtige Rolle der Frauen im Klaren. Viele Compañeros kämpfen für die Verbesserung ihrer Lage und für Frieden und Demokratie, für Gerechtigkeit und Würde. Das vor allem wollen wir für unsere Compañeras erreichen, nicht nur für die indigenistischen Compas, denn wir sind weitaus mehr. In der ganzen Welt gibt es Leute, die den Kampf der ZapatistInnen mit Interesse verfolgen.
Durch die Berichterstattung aus Mexiko haben wir in letzter Zeit vor allem von der Comandante Ramona gehört. Welche Rolle spielt sie innerhalb der zapatistischen Frauen?
C. L.: Sie war die Vertreterin aller Frauen innerhalb des EZLN. Wie gesagt, wir sind ein Kollektiv, und sie hat uns alle beim Indígena-Kongress in der Hauptstadt vertreten. Damit alle sehen konnten, daß wir keine Probleme haben, uns als Frauen in der Öffentlichkeit zu präsentieren und in einen anderen Bundesstaat zu fahren.
In den Nachbarländern Guatemala und El Salvador sind jahrelange Guerillakriege zu Ende gegangen, die vor allem im Fall El Salvadors auch militärisch erfolgreich waren. Dort hat sich die FMLN aber mittlerweile in das politische Alltags-Geschehen und Geschäft integriert und von den Zielen des einstigen Kampfes entfernt. Welche Überlegungen stellt Ihr an, um einen ähnlichen Ausgang in Chiapas zu vermeiden?
Comandante Valentín (C.V.): Wir vergleichen uns nicht mit dem Kampf in El Salvador. Unser Kampf begründet sich auf die Tradition von Emiliano Zapata. Auch Zapata hat nicht darum gekämpft, an die Macht zu kommen. Seine Hauptforderung war die, das Land solle denen gehören, die es bearbeiten. Auch wir wollen, daß uns das Land zurückgegeben wird: Denn das Land gehört uns. Es gehörte unseren Großvätern, Urgroßvätern, und es ist uns weggenommen worden. Die FMLN in El Salvador ist im Gegensatz zu unseren Ansprüchen eine Partei, die gerne die Macht übernehmen würde. Wir aber wollen die Macht nicht. Wir wollen, daß es Freiheit gibt, Demokratie, Gerechtigkeit – alles für alle (“todo para todos”). Dafür kämpfen wir.
Bedeutet das, wenn die soziale Gerechtigkeit einmal erreicht ist, zieht Ihr Euch zurück und geht nach Hause?
C.V.: Wenn wir das erreichen sollten, ziehen wir uns nicht zurück, sondern führen die politische Arbeit fort. Auch wenn unsere Ziele erreicht sind, hören wir, sofern es uns dann noch gibt, nicht auf zu kämpfen. Das Land muß noch wiederaufgebaut werden.
Welche Mindestforderungen müssen erfüllt sein, damit Ihr den bewaffneten Kampf zugunsten des rein politischen aufgebt? Und sogar die Wollmützen absetzt?
C.V.: Nicht bevor die letzte der von uns geforderten Arbeitsgruppen eingerichtet ist. Wir wollen sechs verschiedene Verhandlungsgruppen ins Leben rufen. Aber im Augenblick ist der Dialog praktisch unterbrochen. Denn die Regierung will uns nicht als Gesprächspartner akzeptieren. Wenn die Regierung sich weiterhin so arrogant verhält, geben wir natürlich auch keinen Schritt nach. Wir müssen momentan weiter auf die Waffen setzen, weil uns kein anderer Weg bleibt.
Comandante, warum schreibst Du alle Fragen auf?
Comandante Ramón: Ich tue das deshalb, weil alles, worüber wir hier sprechen, nicht auf diesen Augenblick beschränkt bleiben kann. Wir handeln als Kollektiv, wir sprechen als Kollektiv, und alle Fragen richten sich an uns als Kollektiv. Und so kommen die Interviewfragen auch unserem Volk zu Ohren. Denn ich kann hier nicht als Einzelperson sprechen. Alle wollen wissen, was die internationale Gemeinschaft interessiert, welche Fragen sie stellen. Oft werden uns Dinge versprochen, die nicht eingehalten werden. Oder es wird behauptet, die Interviews werden veröffentlicht, und nichts davon geschieht, die Sachen landen in den Archiven oder wer weiß wo. Außerdem bin ich sehr vergeßlich.
Ein anderes Thema: Zumindest im Ausland wird das Bild der ZapatistInnen im Wesentlichen durch den Subcomandante Marcos bestimmt. Gleichzeitig ist der Chiapas-Konflikt aber ein Kampf der Indígenas für Forderungen der Indígenas. Wie geht Ihr mit diesem scheinbaren Widerspruch um?
C.V.: Richtig, die meisten nehmen nur den Subcomandante Marcos wahr. Aber da besteht eine Verwirrung, weil Marcos nicht die Führung ist. Marcos ist lediglich ein Compañero mehr. Marcos sind wir alle. Warum sage ich das so? Weil die Führung kollektiv funktioniert, die Führung liegt bei den schon erwähnten Komitees, den Revolutionären Indígena-Untergrundkomitees. Von ihnen hängt ab, was gemacht wird. Marcos kann nicht alleine entscheiden, sondern die Leitung arbeitet alles kollektiv aus.
Bedeutet das nicht, daß durch die Konzentration der Medien auf Marcos ein etwas verzerrtes Bild vom EZLN erzeugt wird?
C.V.: Nein. Er ist zwar am meisten hervorgetreten, und darum wird er am ehesten anerkannt. Aber wenn wir von der Leitung sprechen, die wie gesagt bei den Komitees liegt, dann weiß ja keiner, wo die genau sind. Da ist der Unterschied, bei Marcos wissen sie, wo er ist, aber von den Untergrundkomitees eben nicht. Das ist geheim.
C.R.: Um das etwas zu ergänzen, was Comandante Valentín eben gesagt hat: Zu der Frage, warum der Subcomandante Marcos immer auf den Fotos erscheint, ist zu sagen, daß wir im EZLN keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Leuten machen. Wer sich bei uns einreihen möchte, wird akzeptiert, Frauen, Männer, Mestizen. Hauptsache, er will sich unserem Kampf anschließen, egal welches Geschlecht, welche Religion er hat. Und so hat der Subcomandante Marcos durch seine Arbeit und unsere Unterstützung den Posten erworben, den er jetzt einnimmt. Marcos erscheint unter anderem häufiger auf Fotos, weil er die militärische Führung hat. Er hat den Auftrag, die Truppen zu befehlen, die Genehmigung, diese Arbeit zu machen, aber auch er unterliegt den Entscheidungen des Untergrundkomitees.
Unter welchen Schwierigkeiten leidet Ihr und leiden alle Indígenas in Chiapas derzeit am meisten? Was macht der Bevölkerung hier am meisten zu schaffen?
C.R.: Das größte Problem für unsere Völker sind die Militarisierung, die paramilitärischen Gruppen, die Aufstandsbekämpfung, die “weißen Wachen” (guardias blancas), die von der Regierung geschaffen wurden, um unsere Völker zu schwächen, die Menschenrechtsverletzungen durch die Bundesarmee. Sie bestimmen im Moment entscheidend unser Leben und das unserer zapatistisch kämpfenden Bevölkerung.
Und was schränkt, abgesehen von der Repression, die Entwicklung der Menschen in dieser Region am meisten ein?
C.R.: Ein großes Problem ist, daß die Campesinos wegen der Anwesenheit des Militärs im Moment ihre Felder nicht mehr bestellen können. Sie erlauben uns praktisch keine Feldarbeit. Das Leben wird dadurch immer schwieriger, denn aufgrund der Blockade durch die Armee produzieren wir weniger. Es gibt daher bei unseren Völkern mehr Hunger als sonst ohnehin schon.
Jeder im politischen Kampf Engagierte hat ja nicht Ziele vor Augen, sondern auch Träume und Hoffnungen. Was sind Eure Hoffnungen für die Zukunft? Von welchem Mexiko träumt Ihr für das Jahr 2000?
C.R.: Das wissen wir noch gar nicht. Träume können wir uns viele vorstellen, darüber, wohin wir in drei Jahren kommen könnten. Aber dazu können wir noch nichts sagen, weil wir uns an die Tatsachen halten müssen. Wenn wir uns etwas vornehmen, kann es sein, daß wir es nie erreichen. Wir werden weitermachen. Denn wir erleben die größten Probleme der indigenen Völker wirklich und faßbar als Krankheiten. Hier gibt es keine Kliniken, keine Ärzte, es sterben viele Kinder an Unterernährung. Die Regierung führt seit vielen Jahren Krieg gegen uns, aber wir haben es nicht gemerkt. Und darum müssen wir weitermachen. Für uns steht bei den Verhandlungen auch nicht das Niederlegen der Waffen zur Disposition, solange die Regierung diese Probleme nicht löst.