Kolumbien | Nummer 372 - Juni 2005

Ziviler Widerstand mitten im Krieg

Interview mit den kolumbianischen Bauernvertretern Erasmo Sierra und Mario Martínez

In Kolumbien werden Dorfgemeinschaften immer wieder durch Militärs und Paramilitärs von ihrem Land vertrieben, um dieses für extensive Weidewirtschaft oder Monokulturen nutzbar zu machen. Doch gegen diese Vertreibung leisten immer mehr BewohnerInnen Widerstand. Während Kleinbauern und -bäuerinnen in Magdalena Medio versuchen, über den Status eines „Kleinbäuerlichen Schutzgebiets“ (Zona de Reserva Campesina ) ihr Land zu sichern, haben einige afrokolumbianische Gemeinden im Chocó waffenfreie „Humanitäre Zonen“ ausgewiesen, um ihre Autonomie und ihre Landrechte verteidigen zu können. Im Gespräch mit den Lateinamerika Nachrichten berichten Erasmo Sierra, Gemeinderatspräsident einer afrokolumbianischen Gemeinde im Chocó, und Mario Martínez, Schatzmeister der Bauernvereinigung des Valle de Cimitarra in Magdalena Medio (ACVC), von ihrer jeweiligen Situation und ihren Strategien zum Schutz vor Enteignungen und Übergriffen.

Interview: Maria Fernández, Susanne Schmitz

Don Mario, Unter der Regierung von Andrés Pastrana wurde Ihre Region in Magdalena Medio 1998 zu einem „Kleinbäuerlichen Schutzgebiet“ erklärt. Unter der jetzigen Regierung von Álvaro Uribe wurde Ihnen dieser Status wieder aberkannt. Was können Sie uns von der Entwicklung berichten?
Mario Martínez: Wir haben diese Schutzzone einrichten dürfen, nach dem die Landbevölkerung aus unserer Region Mitte der 90er Jahre vertrieben worden war. Die „Reservas Campesinas“ sind gesetzlich garantierte Schutzgebiete, innerhalb derer nur kleinbäuerliche Landwirtschaft betrieben werden darf. Jeglicher Großgrundbesitz ist hier verboten. In Kolumbien gibt es sieben dieser Schutzgebiete. Sie sind strengen Auflagen unterzogen: Sie müssen beispielsweise einen Landnutzungsplan erstellen, die natürlichen Ressourcen schützen und einen Plan zur Nachhaltigkeit aufstellen.
Im Jahr 2003 wurde uns der Schutzstatus von Präsident Uribe unter dem Vorwand wieder entzogen, die Zone wäre zu einem Rückzugsgebiet der Guerilla geworden. Er bedient damit die Interessen der Großgrundbesitzer, die das Land für eine extensive Weidewirtschaft und für Ölpalmen-Plantagen nutzen wollen. Wir Bauern arbeiten dort heute aber weiter, als wäre sie noch eine „Reserva Campesina”. Wir führen soziale Projekte durch, vor allem solche zur Selbstversorgung und werden dabei von internationalen Institutionen wie der EU finanziell unterstützt.
Unsere wirtschaftliche und gesundheitliche Situation ist jedoch sehr schwierig. Seit fünf Jahren können wir unsere landwirtschaftlichen Produkte nicht mehr vermarkten, weil der Staat eine Wirtschaftsblockade über unsere Region verhängt hat. Wir müssen zusätzliche Steuern auf Lebensmittel und Medikamente abführen, sowie auf alles, was wir in die Region einführen. Andernfalls werden wir beschuldigt, Lebensmittel und Medizin für die Guerilla zu transportieren. Früher mussten wir das Geld an die Militär- bzw. Paramilitärposten zahlen, heute wird die Steuer direkt beim Einkauf in den Läden drauf gerechnet. Wir können auch immer nur kleine Mengen einkaufen und wer einen Laden hat, muss regelmäßig zur Basis der Militärs oder der Paramilitärs gehen, um diese Steuer zu bezahlen.

Wie sieht Ihre Strategie aus, um wieder den Status einer „Reserva Campesina“ zu erlangen?
Mario M.: Wir organisieren in der Region internationale Treffen, um den staatlichen und den internationalen Stellen vor Augen zu führen, dass diese Gebiete wirklich nur von Kleinbauern und -bäuerinnen genutzt werden und nicht von der Guerilla. Im Juli 2004 haben wir ein internationales Treffen organisiert, auf dem es um Koka und Menschenrechte in unserem Konfliktgebiet ging. Das nächste Treffen wird diesen Juli stattfinden. Letztes Jahr kamen 800 bis 1000 Leute aus unserer Region, sowie über 120 Leute aus ganz Kolumbien und dem Ausland.
Darüber hinaus arbeiten wir mit der Anwaltsorganisation Humanidad Vigente zusammen, um unseren Rechtsstatus zurück zu erlangen. Denn er beinhaltet auch eine Agenda zum Schutz der Menschenrechte, die auch der Staat respektieren muss.

Don Erasmo, Ihre Gemeinde war 30 Monate von ihrem Land vertrieben. Wie hat das alles angefangen?
Erasmo Sierra: Bis 1997 wussten wir gar nicht, was diese „Paras” sind, von denen wir immer wieder hörten. Doch dann traf ich in jenem Jahr am Fluss Atrato auf eine Gruppe von 300 Vertriebenen. Sie berichteten, wie am Vortag ihr Dorf bombardiert worden war und dass noch über 3300 weitere Menschen auf der Flucht seien. Unsere Gemeinde hat dann versucht, sie alle bis zu uns zu bringen. Wir konnten gar nicht begreifen, was diesen Menschen passiert war. Und wir dachten, uns selbst könnte nichts geschehen. Aber dann wurde ein Repräsentant unserer Gemeinde umgebracht und da haben wir Angst bekommen. Wir sind alle geflohen. Zusammen mit anderen Gemeinden erreichten wir Pabarandó Grande, da waren wir dann schon 9000 Menschen. Es war ein großer Exodus. Dort blieben wir 16 Monate. Wir hatten Kontakt zu verschiedenen Organisationen, mehreren Diözesen und der Caritas. Sie berichteten uns, dass wir nicht zurück auf unser Land könnten, da es von Paramilitärs und Militärs besetzt worden wäre. Wir sind dann nach La Marina weitergezogen, wo wir weitere 14 Monate blieben, bevor wir wieder auf unser Land zurückkehren konnten.

Bei Ihrer Rückkehr haben Sie festgestellt, dass große Flächen Urwald gerodet worden waren. Im Jahr 2001 haben Sie schließlich mit Hilfe von Justicia y Paz Anklage erhoben, da auf den Flächen illegal Ölpalmen angepflanzt worden waren.
Erasmo S.: Ja, im Jahre 2003 haben wir eine Untersuchungskommission einberufen: Sie bestand aus Vertretern von NGOs und Gesandten des Innenministeriums, der Vizepräsidentschaft, der Ombudsstelle sowie internationalen Beobachtern. Im Curvaradó-Becken hat die Kommission dann 8000 Hektar Ölpalmen-Plantagen vorgefunden. Die Palmen waren schon zwei Jahre alt und standen auf dem Kollektivland der afrokolumbianischen Gemeinden. Da wurde uns völlig klar, dass die Vertreibungen zum Ziel hatten, uns das Land wegzunehmen. Wir haben uns dann Anwälte gesucht und mit Unterstützung von Justicia y Paz und Peace Brigades International geklagt. Dafür mussten wir eine zweite Untersuchungskommission durchführen. Diesmal war die INCODER beteiligt, jene Behörde, die uns damals die kollektiven Landtitel überreicht hatte.
Dabei entdeckten wir nur ein Jahr später, dass nun auf 18.000 Hektar Ölpalmen standen. Dafür hatten sie den Urwald roden müssen. Es wurde immer deutlicher, dass es sich hier nicht um eine losgelöste Aktion von Paramilitärs oder Militärs handelte, sondern dass der Staat dahinter stehen musste: Er schützt die Besitzer der Palmenplantagen, indem er garantiert, dass kein Bauer dieses Land betritt.
Mario M.: Der ganze Konflikt in Kolumbien ist ein Riesengeschäft für die beteiligten Unternehmen! Der Staat gibt Geld für Waffen, Hubschrauber, Flugzeuge und Pestizidbesprühung aus, aber nichts für soziale Zwecke.
Erasmo S.: Die Plantagenbesitzer, unter anderem die Firma Urapalma, verfügen über Landtitel, die sie angeblich von Personen bekommen haben, die schon lange tot sind! Zum Beispiel von einem Freund von mir, mit dem sie angeblich im Jahr 2002 verhandelt hätten, der aber schon 1995 gestorben ist. Die Behörden reagieren auf solche Vorfälle gar nicht. Also passiert das alles mit dem Wissen des Staates. Denn sonst hätte er Soldaten geschickt, um diese Plantagenbesitzer wieder von dem Land zu jagen. Justicia y Paz hat den Fall bis vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht, der schließlich wegen der illegalen Palmpflanzungen und den damit zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen besondere Schutzmaßnahmen beschloss.
Wenn Herr Präsident Uribe von seinen Reisen aus Deutschland, Frankreich oder Italien zurückkehrt, heißt es in den Nachrichten, er habe Hilfe erbeten zum Schutze der vertriebenen Zivilbevölkerung. Das ist eine große Lüge. Uribe organisiert das Geld, um es ins Militär und die Paramilitärs zu investieren. Bei uns in der Gemeinde wird nichts investiert. Es gibt seit acht Jahren keine Schule mehr, keinen Gesundheitsdienst, keine Straßen, nichts. Wir leben von dem, was wir selbst anbauen.
Wegen dieser Vernachlässigung durch den Staat haben wir schließlich die drei „Humanitären Zonen“ gegründet. Aber auch deshalb, weil wir überhaupt keinen Respekt mehr vor dem Staat haben. Wir haben die Zonen deutlich markiert, weder die Paramilitärs, noch die Guerilla, noch das Militär dürfen sie betreten.

Mario, während Ihres Aufenthaltes in Deutschland erreichte Sie die Nachricht, dass 70 Haftbefehle gegen Mitglieder Ihrer Organisation erlassen wurden. Mit welcher Begründung ist dies geschehen?
Mario M.: Seit vielen Jahren werden sozial engagierte Personen systematisch unter Druck gesetzt. Früher wurden die Leute einfach umgebracht. Heute gibt es mehr internationale Aufmerksamkeit, was eine gewisse Sicherheit bietet. Der Staat muss subtiler vorgehen: Er erlässt Haftbefehle, meist mit der Begründung, die sozialen Organisationen stünden mit der Guerilla in Verbindung. Oder sie werfen dir Terrorismus, Widerstand gegen die Staatsgewalt oder Drogenhandel vor. Der Staat will die Organisationen schwächen, indem er ihre Führer verhaften lässt und Prozesse anzettelt, die dann drei, vier oder fünf Jahre dauern, sie danach wieder freilässt und sagt, sie hätten sich doch geirrt. Auf diese Weise wollen sie heute die Bauernorganisationen und sozialen Bewegungen aushebeln.

Stehen die Dorfgemeinschaften, die Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen erlebt haben, miteinander in Kontakt?
Mario M.: Ja, wir stehen in permanentem Kontakt, über Internet und natürlich über unsere Veranstaltungen. Aber zu den Veranstaltungen zu reisen bedeutet auch immer eine Gefahr. Wichtiges Kommunikationsmittel ist für uns auch die Internetseite von Prensa Rural. (www.prensarural.org)
Erasmo S.: Die Reise nach Deutschland war sehr wichtig für uns, da wir hier ein großes Interesse an unserer Problematik erlebt haben, sowohl an Schulen als auch bei Abgeordneten. Enorm wichtig ist für uns die Unterstützung zum Beispiel in Form von Briefaktionen, wie sie von deutschen Organisationen wie Kolko e.V. durchgeführt werden.

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