Honduras | Nummer 373/374 - Juli/August 2005

Zucht und Ordnung

In Honduras zerstören Shrimps-Farmen Lebensräume von Menschen und Tieren

Seit 1972 werden in Honduras Wälder abgeholzt und Lagunen in kontrollierbare Becken umgeformt, um Platz zu schaffen für das, was Regierung, Weltbank und andere Geldgeber als den Weg zur Entwicklung für eine der ärmsten Regionen des Landes ansehen: die industrielle Krabbenzucht. Wirtschaftsstarke Lebensmittelfirmen aus den USA, aber auch aus Großbritannien, Spanien und Deutschland machen seither ihre Gewinne in Honduras auf Kosten der ansässigen Bevölkerung und der Umwelt.

Jonas Rüger / LN

Der Golfo de Fonseca im Süden von Honduras nahe der Grenze zu Nicaragua: Im Jahr 1999 wurden die üppigen Mangrovenwälder und Lagunen in die RAMSAR-Liste besonders schützenswerter Feuchtgebiete aufgenommen. Heute sind dort, wo einst Mangroven standen und zahlreiche Wasservögel auf Fischfang gingen, an vielen Stellen nur noch schlammige Sumpflöcher und umzäunte, künstlich angelegte Becken zu sehen. Bewaffnete Wächter gehen auf Patrouille.
Krabben sind heute das zweitwichtigste Exportgut der honduranischen Landwirtschaft nach Kaffee und haben damit sogar die Bananenproduktion überholt. Früher noch als teures Luxusprodukt für Feinschmecker bekannt, ist der Marktpreis für Garnelen in den letzten Jahren kontinuierlich gefallen. Der Grund dafür ist vor allem das Entstehen einer Garnelenindustrie. Garnelen werden nicht mehr im offenen Wasser gefangen, sondern in riesigen Becken gezüchtet. Dafür wurden in Honduras tausende Hektar Mangrovenwald abgeholzt. Fast 70 Prozent des wichtigen Ökosystems, das eine Vielzahl verschiedener Pflanzen- und Tierarten beherbergt und durch die Minderung der Küstenerosion auch Schutz vor Fluten und Hurrikanen bietet, wurde zerstört.

Gefahr für Menschen
und Tiere

Auch durch die Einleitung von Chemikalien und Antibiotika in den Wasserkreislauf schädigen und töten die Zuchtfirmen Fische, Vögel, Krebse und Pflanzen. Dabei benutzen sie in Europa verbotene Mittel (zum Beispiel Neguvón von Bayer), um die Garnelen vor Krankheiten zu schützen. Der enorme Wasserverbrauch der Becken führt außerdem zu einem sinkenden Wasserspiegel und einem erhöhten Salzgehalt des Wassers in den Mangrovenwäldern.
Aber nicht nur in der Natur sind die Auswirkungen der massenhaften Garnelenzucht sichtbar. Die BewohnerInnen der benachbarten Dörfer beklagen, dass die Krabbenindustrie nur wenige Arbeitsplätze schafft und diese zum Großteil nur schlecht bezahlte und auf die Erntezeit befristete Stellen in den Packanlagen sind. Zudem würden die Krabbenfarmen traditionelle Fanggründe zerstören oder den ansässigen Fischern den Zugang verwehren. Vielen von ihnen wurde durch die rückläufigen Fischbestände die Lebensgrundlage entzogen, so dass sie jetzt in den Fabriken der Shrimpsindustrie arbeiten müssen. Dort herrschen oft miserable Arbeitsbedingungen: Niedrige Löhne, auf kurze Zeiträume befristete Verträge, Gesundheitsrisiken, sexuelle Belästigungen und fristlose Kündigungen sind keine Seltenheit.
Als Ausdruck der Besorgnis wurde 1988 das Comité para la Defensa y Desarrollo de la Flora y Fauna del Golfo de Fonseca (CODDEFFAGOLF) gegründet. Aber der Konflikt besteht weiter. Seit 1990 sind bereits zwölf Fischer von den bewaffneten Wachen der Krabbenfarmen getötet worden. Ermordet zur Einschüchterung des Widerstandes, sagen die Mitglieder von CODDEFFAGOLF. Ertappt beim Krabbendiebstahl, erklären die Wächter und Firmensprecher. Gründliche Untersuchungen durch die honduranische Justiz stehen ebenso aus wie Antworten auf die Frage, ob einfacher Diebstahl den Gebrauch von Schusswaffen rechtfertigt.

Der Staat verschließt
die Augen

Durch die Garnelenzucht werden in Honduras unersetzliche natürliche Ressourcen zerstört. Die Menschenrechte auf Wasser – soeben erst von der Europäischen Union erneut bestätigt – , Leben und Gesundheit werden ebenso systematisch verletzt wie nationales Umwelt-, Straf- und Zivilrecht. Justiz und Regierung bleiben jedoch untätig. Dem Widerstand der AnwohnerInnen wird mit Einschüchterung und Aggression begegnet. Der Staat verschließt Augen und Ohren.
Zu diesem Schluss kommt auch das Tribunal Centroamericano del Agua (TCA), eine unabhängige ethische Schlichtungsinstanz für Wasserkonflikte mit einer illustren Jury aus anerkannten AkademikerInnen, ExpertInnen und hohen FunktionärInnen bis hin zu ehemaligen UNO-BotschafterInnen. In seinen Urteilen zu der von der CODDEFFAGOLF eingereichten Klage erklärt es die Krabbenfarmen der Verletzung von Menschenrechten und Umweltgesetzen für schuldig. Zudem wird in beiden Fällen der honduranische Staat für die Vernachlässigung seiner Pflichten zum Schutze der BürgerInnen und zur Durchsetzung der Gesetze verurteilt.
Obwohl die Richtersprüche des TCA rechtlich nicht bindend sind, war das Niveau an öffentlicher Aufmerksamkeit, das die Urteile erzeugten, beachtlich. Bei ihrer Rückkehr von der Anhörung in Costa Rica wurden die VertreterInnen von CODEFFAGOLF am Flughafen von Radio- und Fernsehteams empfangen. Dokumentarfilmer der BBC hatten sie bereits zur Verhandlung begleitet.
Auch die Solidarität in der Bevölkerung nimmt zu. Die Krabbenindustrie war neben dem Tagebau und der zunehmenden Entwaldung durch kommerziellen Holzeinschlag das Hauptthema eines landesweiten „Sternmarsches für das Leben“ mit tausenden TeilnehmerInnen. Bis zur Ankunft in der Hauptstadt Tegucigalpa am 30. Juni entwickelte sich der Protestzug zur größten Demonstration der letzten Jahrzehnte. Ob dies Regierung oder Unternehmen zum Umdenken bewegt, bleibt abzuwarten.

KASTEN:

Mit der Garnelenzucht in Guatemala und Honduras beschäftigt sich auch der Dokumentarfilm Der Garnelenring von Dorit Siemers und Heiko Thiele. Die Filmemacher beleuchten darin die Garnelenindustrie im Kontext der neoliberalen Globalisierung. Sie besichtigen mit der Umweltorganisation Redmanglar (Mangrovennetz) eine Shrimpsfarm und sprechen mit Profiteuren und Leidtragenden der Massenzucht von Garnelen. Fischer und ehemalige Arbeiter der Garnelenfabriken, die die verschlechterten Arbeits- und Lebensbedingungen kritisieren, kommen ebenso zu Wort wie der Direktor des Dachverbandes der Shrimpsindustrie von Honduras. Dabei beleuchten die AutorInnen nicht nur Einzelschicksale, sondern stellen die Shrimpsfarmen als Auswirkung internationaler Großprojekte wie dem Plan Puebla Panama dar. Dabei geschehen nur manche Dinge im Verborgenen, wie die nächtliche Verunreinigung der Mangrovenwälder mit den Abwässern aus den Garnelenbecken. Der größte Teil der Machenschaften der mit IWF-Geldern geförderten Shrimpsindustrie wird vom honduranischen Staat zumindest geduldet. Ein interessanter und informativer Film über die Garnelenindustrie, bei dem allerdings manch einem der Appetit auf Shrimps gründlich vergehen könnte.
Der Garnelenring. Der Globale Supermarkt zerstört Mangrovenwälder, Artenvielfalt und Lebensgrundlage der Küstenbevölkerung. Ein Film von Dorit Siemers und Heiko Thiele, DVD/VHS, Deutschland 2005, 55 Min. Verleih: film@zwischenzeit-muenster.de . Der Garnelenring ist der erste Film einer vierteiligen Reihe zum Themenkomplex Globalisierung.

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