Mexiko | Nummer 349/350 - Juli/August 2003

„Zuerst muss man die Menschen verändern“

Interview mit VertreterInnen mexikanischer Bauernorganisationen

Ende Mai waren Felipe Arreaga, Celsa Valdovinos Ríos, Rey Mancilla Flor und Rosalía Santiago López in Berlin zu Gast, um ihre Organisationen vorzustellen. Bei den Verhandlungen über das „Nationale Abkommen zum Land“ waren sie nicht dabei. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihnen über ihre Schwierigkeiten, einheimischen Mais zu verkaufen angesichts der Konkurrenz von US-amerikanischem Genmais.

Dinah Stratenwerth, Harry Thomaß

Ihr wohnt alle vier auf dem Land. Wie hat sich die Situation dort seit dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens NAFTA 1994 verändert?

Mancilla Flor: Auf dem Land geht es abwärts, weil wir im Wettbewerb nicht mithalten können.
Wenn zum Beispiel ein Bauer einer Tortillería Mais anbietet, lehnt diese seinen Mais ab. Die BäckerInnen kaufen lieber Genmais. Er kommt aus den Vereinigten Staaten, ist billiger und bringt mehr Ertrag als der einheimische Mais. Außerdem ist er weicher und lässt sich besser verarbeiten.

Und was ist der Nachteil an diesem Genmais?

Mancilla Flor: Wenn man ihn erneut aussät, erntet man weniger. Er hält nur für eine Saison. Den einheimischen Mais hingegen kannst du dein ganzes Leben lang aussäen. Jedes Mal, wenn du erntest, behältst du Samen zurück und säst sie erneut aus. Die Genmais-Saat ist sehr teuer.
Valdovinos Rios: Oft überreden sie einen Bauern, Genmais auszusäen. Durch die Bestäubung übertragen sich die veränderten Gene auch auf Mais, der noch nicht genmanipuliert ist. Und wie gesagt, man kann diesen Mais nur einmal aussäen. Die Bauern werden auf diese Weise von den Firmen abhängig, bei denen sie die Samen kaufen.

Kann man mit dem Verkauf von Mais überhaupt noch Geld verdienen?

Santiago López: Die Preise verfallen. Zudem wird viel Werbung für chemische Produkte gemacht, die bei der landwirtschaftlichen Produktion nützlich sein sollen. Sie sind inzwischen auch notwendig, weil die Böden schon so ausgelaugt sind.
Allein um etwas für den Eigenbedarf zu ernten, muss man also schon einiges investieren. Die Leute überlegen sich daher, ob es sich überhaupt noch lohnt, Landwirtschaft zu betreiben. Viele gehen lieber weg vom Land. Sie suchen sich eine andere Arbeit und kaufen sich ihr Essen.

Wohin gehen sie?

Arreaga: Die meisten gehen in die USA, die anderen in die Städte. In vielen Fällen gehen die Kinder arbeiten und lassen ihre Eltern zurück, weil die in der Stadt erst recht nichts finden würden. Die Kinder kehren aber oft nicht zurück und vergessen ihre Eltern.
Mancilla Flor: Aus manchen Dörfern gehen vierzig bis fünfzig Prozent der BewohnerInnen. Sie haben keine andere Wahl. Es lohnt sich einfach nicht mehr, Land zu bewirtschaften. Durch die neue Stufe von NAFTA werden immer mehr Menschen emigrieren. Ich denke, genau das ist das Ziel der Politiker. Das war die Idee von Salinas de Gotari (siehe vorangegangener Artikel). Du bekommst deine Landtitel, und dann geht die Geschichte von vorne los: Das Land fällt in die Hände einiger Weniger, die ArbeiterInnen anstellen und mehr produzieren. Es ist sehr leicht, sein Land zu verkaufen. Die Leute, die emigrieren, verkaufen ihr Land. Sie lieben es nicht mehr, wollen nicht mehr säen, nicht mehr damit arbeiten, sondern es nur noch vergessen, weil es ihnen an allem fehlt: an Essen, an Transportmöglichkeiten, an Strom. Das ist traurig.

Wollt ihr, dass der Artikel 27 wieder eingeführt wird, also das kommunaler Landbesitz (ejidos) wieder unverkäuflich wird?

Arreaga: Ja, damit die Bauern, die das Land bearbeiten, wieder unabhängiger sind vom Markt. Um das zu erreichen, müssen wir kämpfen, Märsche machen, laut sein, versuchen uns Gehör zu verschaffen. Die Leute sind jetzt besser organisiert. Unsere Organisation zum Beispiel hat sich dem Schutz der Umwelt verschrieben. Sie kämpft für den Erhalt des Waldes, aber auch für sauberes Wasser. Auf lange Sicht gesehen ist es auch ein Kampf gegen den Staat beziehungsweise gegen die zwei oder drei Leute, die in einer Region die Macht über all die ejidos haben. Es gibt sehr viel Repression auf dem Land.
Mancilla Flor: Unsere Organisation DERGHO versucht, den einfachen Leuten auf dem Land die Bedeutung und den Einfluss von Freihandelsabkommen für ihr Leben zu vermitteln. Sie werden ja sonst nie über etwas informiert. Wir gehen zu den Leuten auf dem Land und erklären ihnen, was das nordamerikanische Freihandelsabkommen für sie bedeutet. Wir gehen auch in die Städte, um die Menschen dort zu erreichen.

Habt ihr damit Erfolg?

Mancilla Flor: Die meisten sind mehr damit beschäftigt, sich überhaupt zu ernähren –nach dem Motto „Ist mir egal, erst einmal habe ich Hunger“. Aber sie müssen sich darüber klar werden, dass diese Entwicklungen zwischen Mexiko und den USA ihren Hunger nur verstärken werden. Andere fangen aber schon an, nach Informationen zu fragen. Wir wollen von unten Informationen verbreiten, uns dann organisieren und an größeren Märschen zum Beispiel in Mexiko-Stadt teilnehmen.

Hofft ihr auf einen Regierungswechsel oder habt ihr das Gefühl, das jede Regierung die ländlichen Gebiete vergisst?

Mancilla Flor: Also mit Fox wird das schwierig. Wenn man die Menschen auf dem Land fragt, so sagen viele, dass sie hoffen, dass López Obrador, der derzeitige Bürgermeister von Mexiko Stadt, 2006 die Wahlen gewinnt.
Aber um wirklich etwas zu verändern, muss man zuerst die Menschen verändern, damit sie sich mehr für das Allgemeinwohl verantwortlich fühlen. Denn wenn es so weitergeht, mit irgendwelchen Regierungsprogrammen, dann vereinigen sich nur die Leute, die bei den Programmen mitarbeiten, und diese Programme sind vielleicht noch nicht einmal besonders gut.
Arreaga: Ich habe überhaupt kein Vertrauen in Regierungen. Das Wichtigste ist, dass wir uns organisieren und, wie Subcomandante Marcos sagt, gehorchend befehlen. Wir sind schon so lange so arm, die Mexikaner haben die Nase voll davon, und immer gibt es neue Reden, neue Programme. Es gibt bessere und schlechtere Regierungen, aber ich glaube nur an die Mexikaner selbst, die ihr Leben verändern, nicht an irgendetwas anderes.

Das klingt nach Zapatisten.

Arreaga: Mir gefallen die Zapatisten. Aber ich mag es nicht, dass sie Waffen benutzen. An Parteien glaube ich nicht, auch nicht, dass es einen Wechsel geben wird. Denn die eigentliche Macht haben die Nordamerikaner.

Ist es nicht schwierig von der Zivilgesellschaft auf der einen und den Parteien auf der anderen Seite zu reden, denn die PRI ist eine Riesenpartei mit vielen Mitgliedern? Wie ist denn die Arbeit mit priistischen Organisationen wie CNP und CAP?

Arreaga: Die Parteien sagen: „Du gibst mir deine Stimme, und ich gebe dir dafür eine Kuh.“ Das ist ihre Art der Kontrolle. Und wir kämpfen gegen sie und diese Kontrolle, die sie durch Geld ausüben. Diejenigen, die auf der kommunalen Ebene Stimmen kaufen, werden von der regionalen und der föderalen Regierung gestützt. Das ist das System.
Mancilla Flor: Einer der Repräsentanten, mit dem wir arbeiteten, war bei einer Nichtregierungsorganisation, und dann war er plötzlich bei der PRI. Sie kaufen dich einfach. Das macht mich wütend. Erst verteidigt ein Repräsentant uns Bauern und dann wechselt er die Seite – nur wegen ein bisschen mehr Geld und Bequemlichkeit. So geht jede Gemeinschaft kaputt.

Organización Ecologista de la Sierra de Petatlán y Coyuca de Catalán, Guerrero
(Umweltorganisation der Sierra de Petatlán und Coyuca de Catalán)
Zu der Selbsthilfeorganisation der Ökobauern und -bäuerinnen gehören die BewohnerInnen von 28 Dörfern der Coyuquilla-Täler und des Petatlán-Tales in der Region Costa Grande nördlich von Acapulco. In dieser Region findet seit Jahren ein erbitterter Kampf der Bauern und Bäuerinnen gegen den flächendeckenden Holzeinschlag statt, dem in den letzten acht Jahren rund 40 Prozent der Wälder in dieser Region zum Opfer fielen. Die Ziele der Ökobauern und -bäuerinnen sind die Erhaltung der natürlichen Umwelt, der Schutz der Biodiversität und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. Die Umweltorganisation der Sierra de Petatlán und Coyuca de Catalán bewacht 3000 Hektar wiederaufgeforsteten Wald, um Waldbrände zu verhindern. Ebenso führt sie Projekte zur Erhaltung der Böden und zur Wiederaufforstung durch.
Vertreter/in: Felipe Arreaga und Celsa Valdovinos Ríos

Desarrollo Rural de Hidalgo A.C. (DERHGO), Hidalgo (Ländliche Entwicklung von Hidalgo)
DERHGO wurde 1978 in Tulancingo/Hidalgo mit dem Ziel gegründet, die Lebensbedingungen der kleinbäuerlichen indigenen und nicht-indigenen Bevölkerung der Region durch Hilfe zur Selbsthilfe zu verbessern. Ansatzpunkt ist das Recht auf (gesunde) Ernährung. DERHGO unterstützt die Bäuerinnen und Bauern durch Seminare und Beratung, unter anderem zu Bewässerung, Viehwirtschaft, Vermarktung von Milchprodukten, Wiederaufforstung und Infrastrukturverbesserung. Gemeinsam mit drei weiteren Organisationen hilft DERHGO den Bäuerinnen und Bauern bei der Aussaat, Verarbeitung und Vermarktung des während der spanischen Kolonialzeit verbotenen, hoch nährstoffhaltigen Amaranth. Aufgrund zahlreicher Verletzungen der bürgerlich-politischen Menschenrechte in der Region gründete sich 1990 als Nebenarm von DERHGO das Comité Sergio Méndez Arceo, Pro Derechos Humanos de Tulancingo, A.C.. Es betreut die Opfer solcher gewalttätigen Übergriffe und bietet Kurse und Seminare zum Thema Menschenrechte an.
Vertreter: Rey Mancilla Flor

Unión de Pueblos Chochomixtecos, Oaxaca (Union der Völker der Chochomixtecos)
Die Organisation gründete sich offiziell 1991, hat aber ihre Wurzeln in interkommunitären Versammlungen von TeilnehmerInnen des von der Organisation Enlace Rural A.C. eingeführten Programms „Sobrevivencia campesina“ (bäuerliches Überleben). Mittels der „campesino a campesino“ Methode (Erfahrungsaustausch der Bauern und Bäuerinnen untereinander) arbeitet die Organisation daran, die Techniken nachhaltiger Landwirtschaft unter den indigenen Kleinbauern und -bäuerinnen zu verbreiten. Zudem versucht sie die sozioökonomischen Bedingungen vor allem in den Bereichen Ernährung, Gesundheit und Ausbildung, der indigenen Bevölkerung in der Region Mixteca Alta zu verbessern.
Vertreterin: Rosalía Santiago López


Hola!

Wenn Dir gefällt, was du hier liest, dann unterstütze unsere ehrenamtliche Redaktion doch mit einem Abo! Das gibt's schon ab 29,50 Euro im Jahr. Oder lass uns eine Spende da! Egal ob einmalig 5 Euro oder eine monatliche Dauerspende – alles hilft, die LN weiter zu erhalten, Gracias ❤️

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren