Literatur | Nummer 371 - Mai 2005

Zwischen zwei Kulturen

César Aira: Die Mestizin. Aus dem Spanischen von Michaela Meßner und Matthias Strobel. Nagel & Kimche, Zürich 2004. 252 Seiten, 19,90 Euro.

Inga Opitz

Zwischen zwei Kulturen

Ema ist Mestizin und Gefangene im doppelten Sinne: als Insassin eines spanischen Gefangenenlagers am äußersten Rande der Kolonie wird sie bei einem Überfall von Indígenas erneut gefangen genommen. César Airas Roman Die Mestizin begleitet Ema durch die unterschiedlichen Lebenserfahrungen, die sie in beiden Kulturen macht.
Eine kuriose, melancholische Atmosphäre prägt den Roman. Das ruhige Leben der Indígenas, die sich im Vorüberziehen der Zeit treiben lassen, steht dabei in völligem Kontrast zu dem der derben, permanent betrunkenen Soldaten, die als die eigentlichen „Wilden“ der Pampa erscheinen. Damit dreht sich in Airas Roman das von dem argentinischen Schriftsteller Domingo F. Sarmiento im 19. Jahrhundert konstruierte Bild der Zivilisation der Städte und der Barbarei der Provinzen um: Die skrupellose Grausamkeit der aus der Stadt in die Provinz strafversetzten Soldaten beherrscht das Bild. Die Indígenas hingegen erscheinen als kultivierte Melancholiker. Der Roman beschreibt, wie das Geldwesen, und damit der Beginn des Kapitalismus, das Leben beider Kulturen verändert.
Wer jedoch einen spannenden, packenden Roman erwartet, wird enttäuscht werden. Die Spannung ist aber auch nicht Anspruch des Buches. Vielmehr scheint der behagliche Rhythmus der Geschichte um die Protagonistin Ema die Lebensphilosophie der Indígenas ästhetisch widerzuspiegeln. Und gerade seine melancholische Langsamkeit macht Die Mestizin zu einem faszinierenden Buch.
Die Mestizin, ein frühes Werk des argentinischen Schriftstellers, erschien bereits 1981 während der letzten argentinischen Militärdiktatur unter dem Titel Ema, la cautiva. Mittlerweile umfasst Airas Werk über dreißig Romane und er gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller Argentiniens. Um so mehr sollte es verwundern, dass er bisher so wenig Beachtung in Deutschland gefunden hat.

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