Bitte ein Bit(coin)! An Automaten wie diesem in El Zonte wird Bargeld gegen Bitcoin getauscht (Foto: Karlalhdz via Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0))
Im Juni 2021 überraschte Nayib Bukele, der erst 40-jährige Präsident El Salvadors, die internationale Bitcoin-Gemeinde und die eigene Bevölkerung mit einer Video-Nachricht von der „Bitcoin 2021 Conference“ in Miami. Als weltweit erster Staat versprach das kleine zentralamerikanische Land, die bisher wichtigste und bekannteste Digitalwährung als legales Zahlungsmittel einzuführen. In Windeseile segnete das von seiner Partei Nuevas Ideas kontrollierte Parlament das sogenannte Bitcoin-Gesetz ab. Am 7. September wurde der Bitcoin als zweites legales Zahlungsmittel nach dem US-Dollar eingeführt, der 2001 den Colón abgelöst hatte.
Damit schafft El Salvador eine bis dato einzigartige Situation: Während der US-Dollar von der US-amerikanischen Zentralbank kontrolliert wird, kommt der Bitcoin gleich ganz ohne Staat aus. Dank seiner Blockchain-Technologie werden Transaktionen dezentral organisiert und die Ausgabe neuer Zahlungseinheiten über den enormen Energieverbrauch knapp gehalten, der bei der „Prägung“ neuer digitaler Münzen anfällt. Bitcoin-Fans feiern diese Technologie als revolutionäre Befreiung von staatlicher Manipulation und Einflussnahme – und Bukele sich selber als Visionär einer finanziellen Avantgarde.
Tatsächlich ist der Bitcoin für den Alltagsgebrauch wegen seiner hohen Volatilität nicht sonderlich attraktiv und wird bisher vor allem als spekulatives Investitionsobjekt genutzt. Wie im Casino sind mit dem Erwerb des Bitcoins hohe Gewinne möglich, aber eben auch hohe Verluste. Erfahrung damit hat auch Bukele selbst gemacht: Nach eigenen Angaben auf Twitter hat Bukele mit öffentlichen Geldern bisher mindestens 1.391 Bitcoins zu einem durchschnittlichen Preis von etwa 50.000 US-Dollar pro Bitcoin erworben. Laut Berechnungen der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg lag ihr Wert Mitte Januar 14 Prozent niedriger als ihr durchschnittlicher Einkaufspreis. Damit hätte Bukele nach heutigem Stand rund zehn Millionen US-Dollar aus der Staatskasse verspielt.
Angesichts der unberechenbaren Wirtschaftspolitik von Bukele ist der Risikoaufschlag für salvadorianische Staatsanleihen zudem stark ange- stiegen, was den Schuldendienst aus Zins- und Tilgungszahlungen nach oben treibt. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Einigung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Kredit von 1,3 Milliarden US-Dollar weiterhin in der Schwebe ist. Dass der IWF ihn überhaupt gewährt, wird angesichts der Entwicklungen im Land zunehmend unwahrscheinlicher.
Gleichzeitig lehnt die deutliche Mehrheit der salvadorianischen Bevölkerung den Bitcoin ab. Entsprechend einer Umfrage der Zentralamerika- nischen Universität UCA haben 70 Prozent gar kein oder nur wenig Vertrauen in die Digitalwährung. Das liegt auch daran, dass die Einführung des Bitcoin holprig verlief: Die staatliche Chivo-App für Bitcoin-Transaktionen ließ sich auf vielen Plattformen nicht installieren. Zudem hatten sich viele Personen mit falschen Identitäten registriert, um das Startgeschenk der Regierung von 30 US-Dollar für die Installation der App zu erhalten. Nach zwei Tagen war dessen Wert auf 28 US-Dollar gesunken, weil der Bitcoin-Kurs gefallen war. Am 15. September, dem Jahrestag der Unabhängigkeit, demonstrierten Tausende Salvado- rianer*innen gegen die Regierung und die Einführung des Bitcoin, ein weiterer großer Protestmarsch folgte im Oktober. Zwar ist Bukele weiterhin enorm populär mit Zustimmungsraten von über 80 Prozent, von denen andere Regierungen nur träumen können, doch hat seine Beliebtheit erste Kratzer bekommen.
Der Gegenwind hat Bukele nicht von seinem Kurs abgebracht. Im Gegenteil: Mit einer aufwändigen medialen Inszenierung hat Bukele Ende November vor einer Gruppe von Bitcoiner*innen am Strand von El Salvador neue Projekte angekündigt. Er verspricht den Verkauf von Bitcoin-Bonds im Wert von insgesamt einer Milliarde US-Dollar – wohl nicht zufällig entsprechend in etwa in der Höhe des vom IWF zurückgehaltenen Kredites. Ein Teil der Kredite soll zur Finanzierung von „Bitcoin-City“ verwendet werden: einer neu zu schaffenden Stadt innerhalb des salvadorianischen Staatsgebietes mit weitreichender Autonomie für Bitcoin-Investor*innen. Die Energie für die Stadt soll aus dem anliegenden Vulkan Conchagua gespeist werden. Er soll auch den Hunger nach Energie für die Prägung digitaler Münzen stillen. Dass die Energiekosten eigentlich viel zu hoch sind, um die Prägung von Bitcoin in El Salvador rentabel zu machen, hat der Euphorie unter Bukeles Anhänger*innen keinen Abbruch getan.
Anders als in der Bitcoin-Gemeinde finden die Vorschläge Bukeles unter Volkswirt*innen kaum Unterstützung. Schließlich verträgt sich die extreme Volatilität des Bitcoin schlecht mit dem wirtschaftspolitischen Ziel makroökonomischer Stabilität als Grundlage für verlässliche Investitionen und langfristiges Wachstum. Warum geht Bukele also ein derart riskantes Experiment ein – allen Warnungen von Expert*innen zum Trotz? Als offizielle Begründung verweisen Bukele und seine Unterstützer*innen auf die Vereinfachung von Zahlungen für all jene, die keinen Zugang zum formalen Bankensystem haben. Demnach kann jeder, der über ein Smartphone verfügt, am globalen Zahlungsverkehr teilhaben. Vor allem das Senden der sogenannten remesas, der Überweisungen vor allem aus den USA durch die über zwei Millionen Migrant*innen mit salvadorianischen Wurzeln, soll einfacher und billiger werden. Die remesas machen über 20 Prozent des Bruttosozialprodukts El Salvadors aus.
Das offizielle Argument pro Bitcoin ist aus mindestens drei Gründen fadenscheinig: Erstens fallen weiterhin Transaktionskosten an, wenn US-Dollar zunächst in Bitcoin und dann wieder zurück in US-Dollar getauscht werden müssen. Zweitens bedarf es im Prinzip keiner staatlichen Erlaubnis, um internationale Geldsendungen per Bitcoin durchzuführen. Denn genau darin liegt ja die Besonderheit des Bitcoin: Die Transaktionen funktionieren ohne staatliche Legimitation. Drittens ist finanzielle Inklusion sehr viel mehr, als globale Zahlungen in digitalen Währungen abschließen zu können. Viel wichtiger für ärmere Haushalte ist der Zugang zu sicheren Sparoptionen, Krediten zu vernünftigen Konditionen und grundlegenden Versicherungsprodukten. Es grenzt an Zynismus, den Zwang, Zahlungen in einer spekulativen Vermögensform entgegennehmen zu müssen, als finanzielle Inklusion zu verkaufen.
Der Bitcoin als Nebelkerze, die vom autoritären Staatsumbau ablenkt
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Die mediale Aufmerksamkeit rund um Bitcoin, Bitcoin-City und Bitcoin-Bonds sind auch Nebelkerzen, die vom autoritären Umbau des Staates ablenken, den Bukele in einem atemberaubenden Tempo vorantreibt. Er hat in der Rekordzeit von nur zwei Jahren die Gewaltenteilung und demokratische Kontrollmechanismen abgeschafft. Er hat etwa ein Drittel der Richter*innen abbestellt und gesetzeswidrig die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes mit regierungstreuen Jurist*innen besetzt, die ihm – verfassungswidrig – seine Wiederwahl erlaubt haben. Die Zusammenarbeit mit der Internationalen Kommission gegen Straffreiheit und Korruption in El Salvador (CICIES), die er erst vor zwei Jahren gemeinsam mit der Organisation Amerikanischer Staaten gegründet hatte, hat Bukele aufgekündigt. Auch Journalist*innen und andere Kritiker*innen geht der Präsident aggressiv an und hat Einschüchterungen gegen sie ermutigt und toleriert. Erst kürzlich wurde nachgewiesen, dass die Telefone von mindestens 35 Journalist*innen und Oppositionellen von der israelischen Spionagesoftware Pegasus überwacht wurden. Man kann davon ausgehen, dass Bukele hinter der Überwachung von Journalist*innen und Oppositionellen steckt.
Sollte Bukele es schaffen, dank Bitcoin-Bonds die drohende Zahlungsunfähigkeit auch bei einem Ausfall weiterer Kredite vom IFW abzuwenden, so hätte er ausreichend Zeit, seine Machtposition abzusichern, bevor der Stern seiner Popularität sinkt. In diesem Fall würde Bukele auf lange Jahre die Politik des Landes bestimmen. Das benachbarte Nicaragua der Ortegas auf der anderen Seite des Golfo de Fonseca, nicht weit entfernt von der geplanten Bitcoin-City, steht als mahnendes Beispiel für eine Familiendiktatur, auf die auch El Salvador unter dem Clan der Bukeles zusteuert. Geht das Experiment schief, so stehen dem geplagten Land schwere soziale, wirtschaftliche und politische Konflikte bevor. In beiden Fällen zahlen 6,5 Millionen Salvadorianer*innen einen hohen Preis für das Experiment ihres Präsidenten.