// Nicht alles, was grün ist, glänzt

Kohleabbau in El Cesar, Kolumbien Manchmal ist Lithium auch nur das Gleiche in Grün (Foto: Leonard Mikoleit)

Endlich ein Gespräch auf Augenhöhe: Im Juni 2024 empfing der 1 Meter 70 große Bundeskanzler Olaf Scholz den nur wenige Zentimeter größeren argentinischen Präsidenten Javier Milei zur Unterredung abseits der Presse. Ein umstrittenes Treffen, nicht zuletzt, weil der selbsterklärte Anarchokapitalist dem eigenen Land ein Sparprogramm verordnet hat, das seinesgleichen sucht. Was den Sozialdemokraten Scholz mit dem Ultraliberalen Milei verbindet, ist vor allem die Handels- und Wirtschaftspolitik. Scholz will für die deutsche Industrie in Wasserstoff und Lithium investieren und Milei bietet die natürlichen Ressourcen Argentiniens zum Ausverkauf an. „Sie bringen den Kapitalismus aus der Defensive“, lobte der Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft Milei wenige Stunden vor dessen Aufwartung bei Scholz.
Seit einigen Jahren stellen sich westliche Staaten auf eine Produktion mit weniger fossilen Energien ein, denn das Verbrennen von Kohle, Gas und Erdöl ist einer der größten Treiber der globalen Klimakatastrophe. In Zukunft sollen fossile Energieträger durch nachhaltige Energiequellen ersetzt werden. Die „grüne Transformation“ wird mit Solar- und Windparks, Elektroautos und anderen Technologien vorangetrieben. Mit dem Umbau der Energieproduktion geht ein erhöhter Bedarf an metallischen Rohstoffen einher. Kupfer und Lithium, Kobalt und Seltene Erden, sie alle sind für den Ausbau der erneuerbaren Energien unverzichtbar.

Grün und erneuerbar soll die Energiewende sein – und gerecht. Deutsche Politiker*innen versprechen ihren Partner*innen aus dem Globalen Süden eine Transformation auf Augenhöhe. Wir erleben insofern eine diskursive Neuaufstellung der globalen Handels- und Wirtschaftspolitik, die deutliche Spuren der ursprünglich linken Nachhaltigkeits- und entwicklungspolitischen Debatten trägt. Umso dringender ist es, eine Kritik zu entwickeln, die die Perspektive der vom Rohstoffabbau betroffenen Bevölkerung ins Verhältnis zu Nachhaltigkeitsdebatten in Deutschland setzt.

In diesem Dossier unternehmen wir den Versuch, verschiedene Facetten der sich neu ausrichtenden deutschen Industriepolitik und ihrer Auswirkungen auf die Länder Lateinamerikas kritisch zu beleuchten. Eine Energiewende, die bei einem Wechsel des Brennstoffs verbleibt und ein „Weiter-So“ propagiert, verschiebt Umweltprobleme – und schafft neue. Das betrifft unter anderem die Frage, woher die Rohstoffe kommen, die für Windräder, Solarpaneele und Elektromobilität benötigt werden. Für die als „strategisch“ oder gar „kritisch“ eingestuften Rohstoffe ist die deutsche Industrie fast vollständig auf Importe angewiesen. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Ende der russischen Gaslieferungen ist Deutschland weltweit auf der Jagd nach neuen Energiezulieferern. Dabei setzen deutsche und europäische Politikerinnen weiterhin auf heimische, energieintensive Produktion, während sie besorgt den Erneuerbaren-Boom in China verfolgen. Die Entwicklungen dort und in den USA scheinen zu bestätigen: Der Umstieg auf klimaneutrale Energien ist zum Wettlauf um die wirtschaftliche Vorherrschaft geworden.

Die Energiewende verschiebt Umweltprobleme – und schafft neue

Auch Lateinamerika steht dabei zunehmend im Fokus der Investorinnen. Von Feuerland im Süden bis zur Sonora-Wüste im Norden: Der Kontinent verheißt ein enormes Potenzial, was die Erzeugung von Wind-, Solar-, oder Wasserkraft anbelangt. So überrascht es nicht, dass Regionen in Lateinamerika zur Investitionsfläche der immer selben Unternehmen werden, die bisher kaum für ihr „grünes“ und „nachhaltiges“ Wirtschaften bekannt sind: Pan American Energy, Uniper, Glencore, RWE, aber auch Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW. Es ist das transnationale Agieren dieser Unternehmen, die die Beiträge dieses Heftes verbinden, ebenso wie der Widerstand gegen sie.

Die Unternehmen werden von Regierungen tatkräftig unterstützt. Auch die deutsche Regierung möchte für die heimischen Konzerne weltweit ein positives Investitionsklima für Projekte erneuerbarer Energien schaffen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Wasserstoff, das „Gas der Zukunft“, das mithilfe von erneuerbaren Energien erzeugt werden soll und künftig den Flugverkehr oder energieintensive Industrien „ergrünen“ lassen könnte. Milliarden von Euro werden von Deutschland über den H2Global Mechanismus zum Markthochlauf investiert und Energiepartnerschaften mit Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien und Uruguay abgeschlossen, um sich Zugänge zum Energiemarkt zu sichern. Die Investitionen in Wasserstoff, dessen Transport über den Atlantik ein ungelöstes Problem darstellt, sind ein noch größeres Unternehmerrisiko als auf den Kettensägen-Mann Milei zu setzen. Unabhängig davon werden die Projekte vorangetrieben und deutschen sowie europäischen Unternehmen lukrative neue Investitionsfelder eröffnet, unterstützt von der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder im Rahmen der Global Gateway-Initiative der EU.

Für die betroffenen Gemeinden macht es indes wenig Unterschied, ob ihr Zuhause einem Solarpark zur Gewinnung von grünem Wasserstoff weichen muss oder der Abbau von Kohle oder Kupfer ihre Lebensgrundlagen bedroht. Für viele Menschen wiederholen sich koloniale Ausbeu­tungs­muster, die auf die Aneignung von Territorien und Ausbeutung der Rohstoffe für die Lebensweise der Menschen anderswo abzielen – das Gleiche wie bisher, nur jetzt in grün.

Widerstand vor großen Herausforderungen

Der Widerstand gegen neue extraktivistische Projekte steht vor enormen Herausforderungen. Stellen sich Betroffene doch nun gegen eine Entwicklung, die als „grün“, also vermeintlich gut fürs Kima und die nachhaltige Entwicklung, etikettiert ist. Der Druck durch die Kürzung von Sozialleistungen und der Liberalisierung des Arbeitsmarkts rauben der betroffenen Bevölkerung zudem oft die Zeit, sich über die Großprojekte vor ihrer Haustür auch nur zu informieren.„Wir alle müssen mindestens acht Stunden am Tag arbeiten und trotzdem ist nicht genug Geld da, um die Familie zu ernähren“, sagt Carla Wichmann aus dem argentinischen Feuerland. „Für Fragen, wie ‚Wie sollen wir ohne Gas heizen?‘ braucht es Zeit und Informationen. Doch es wird immer schwieriger einfach mal innezuhalten und zu sagen ‚Nein, ich steige aus diesem Zug aus‘“, so die Aktivistin.

Sozial und ökologisch tragfähige Lösungen für die vielen Herausforderungen der Energiewende zu finden, ist nicht einfach. Es ist aber höchste Zeit, sich auf die Suche zu begeben. Einige davon gibt es in Lateinamerika, in konzeptionellen Überlegungen, in konkreten Widerständen und praktischen Ansätzen: Die Bewegung Parque para Penco in Chile beweist, dass Bergbauprojekte durch die Mobilisierung der lokalen Bevölkerung erfolgreich bekämpft werden können. Sie setzt dem grün angestrichenen Entwicklungsparadigma andere Konzepte wie das buen vivir oder Körper-Territorium entgegen.

Initia­tiven wie Terramar in Brasilien oder Bäuer*innen in Tecomaxtlahuaca, Mexiko zeigen, wie Energiewende breiter gedacht werden kann. Sie besinnen sich auf traditionelle Technologien der Nutzung von Meer und Land mittels Kreislaufwirtschaft. All diese Widerstände haben die Forderung nach einem grundlegenden Umdenken in Wirtschaft und Politik gemeinsam. Statt nur die ausgebeutete Energieform umzustellen und das extraktivistische Kapitalismusmodell beizubehalten, bestehen Aktivist*innen auf dem ganzen Kontinent darauf, dass die Verhältnisse grundlegend verändert werden müssen – mit gerechter Betei­ligung aller Menschen von der Basis aus. In einem ersten Schritt gehört dazu, die von extraktivistischen Projekten betroffenen Gemeinden in Entscheidungsprozesse einzubinden. Doch auch arbeitsrechtlich muss viel erreicht werden, sowohl für jene, deren Arbeitsplätze im Rahmen der Energiewende verschwinden, als auch für die, die in neuen, oftmals schnell aus dem Boden gestampften und unter Preisdruck stehenden Wasserstoffanlagen arbeiten. Ein gerechter Übergang kann, so die Aktivist*innen von Terramar, nur mit Menschlichkeit und Selbst­bestimmung funktionieren.

Jene emanzipatorischen Beispiele sind umso bedeutender, da konservative Kritik an den Erneuerbaren zunehmend Verbreitung findet. Längst popularisieren AfD und Co. die vermeintlich fatalen Auswirkungen der erneuerbaren Energien auf den Lebensstil einiger Weniger im Globalen Norden, um ein „Weiter-So“ der Fossilen zu erreichen. Dieses „Weiter-So“ widerspricht den realen Verhältnissen gleichzeitig weniger, als die gängigen Transformationsversprechen suggerieren. Auch wenn alle Segel auf Erneuerbare gesetzt zu sein scheinen: Die globale Nachfrage nach fossilen Energieträgern ist weiterhin hoch, bei Kohle ist sie laut der International Energy Agency (IEA) in den letzten Jahren sogar noch angestiegen. Solange kein endgültiges Aus für Fossile durchgesetzt wird, werden Unternehmen daher auch die letzten Reserven in den entlegensten Winkeln der Erde fördern. Während andere also den Kapitalismus aus der Defensive holen, muss eine internationalistisch denkende Zivilgesellschaft in die Offensive gehen.


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ILLUSTRATOR*INNEN

 

 

Agustina Di Mario kommt aus Alta Gracia in der Provinz Córdoba, Argentinien. Sie zeichnet, um, wie sie selbst sagt, auszudrücken, was sie denkt und fühlt. Instagram: @aguslapiba
(Bild: Agustina Di Mario)

 


Die afrobrasilianische Illustratorin Denise Silva ist aktivistisch im Kontext des Schwarzen Feminismus organisiert. Mit ihrer Kunst protestiert sie, wie sie selbst sagt, gegen jede Art von Diskriminierung und Ungerechtigkeit. Dabei richtet sie ihren Fokus auf die Ermächtigung Schwarzer Frauen. Instagram: @ise_camaleoa
(Foto: privat)

 


In ihrer Kunst kombiniert Emmalynn González ihre Praxis auf dem Gebiet der psychischen Gesundheit mit ihren Erfahrungen als Frau aus Puerto Rico. Hierfür wählt sie bunte, helle und retro anmutende Farben, um ernste und tabuisierte Themen gleichermaßen zugänglich zu machen. Instagram: @eg_atelier
(Foto: privat)

 

Magda Castría ist eine argentinische Illustration, Grafikde-signerin, Feministin und Antispeziesistin. Instagram: @magdacastria
(Bild: Magda Castría)

 


Manai Kowii
ist kichwa Künstlerin und glaubt, wie sie selbst schreibt, an das Träumen und an die Arbeit im Kollektiv. Sie ist Mitbegründerin des Kollektivs Warmi Muya, in dem Künstlerinnen verschiedener indigener Gruppen in Ecuador aktiv sind. Instagram: @narymanai
(Foto: privat)

 


Mora Galafassi aus Argentinien arbeitet als Illustratorin und Verlagsgraphikerin. Ihre Zeichnungen wurden in mehreren Büchern und der Zeitschrift Prosódica arte y pensamiento desde los márgenes veröffentlicht. Instagram: @mora.gala
(Foto:privat)

 


Die Zeichnerin und Malerin Paulyna Ardilla beschäftigt sich in ihrer Kunst mit sexueller Aufklärung und weiblicher Lust. Instagram: @paulyna_ardilla
(Foto: privat)


Pilar Emitxin ist feministische Illustratorin und Graphikdesignerin. Sie ist Teil des Bündnisses Ni Una Menos Córdoba und Redaktionsmitglied der Zeitschrift Amazonas. Außerdem arbeitet sie mit selbstverwalteten feministischen Organisationen und Asambleas zusammen, die im Kontext von Landkämpfen in Argentinien und ganz Abya Yala aktiv sind. Instagram: @emitxin
(Foto: privat)

 

Producciones y Milagros Agrupación Feminista sind eine kleine mexikanische Organisation mit einem der größten auf feministische Bewegungen und Frauenkämpfe spezialisierten Fotoarchiv in Mexiko und Lateinamerika. Unter dem Motto „Lebendiges Archiv – Lebendige Erinnerung“ bringen sie Archivaufnahmen als kollektive Paste-up-Aktionen in Form von Illustrationen oder interaktiven Fotoausstellungen wieder zurück auf die Straße. Instagram: @produccionesymilagros

 


Shawna Pancarita Farinango ist otavalo-kichwa digitale Künstlerin. Ihre Arbeit ist, wie sie selbst sagt, inspiriert von der Widerstandskraft ihrer Gemeinschaft, der Schönheit der Pachamama und den starken und mächtigen warmí (Frauen), die sie umgeben. In ihrer Arbeit thematisiert sie, was es bedeutet, in einem „marginalisierten Braunen indigenen Körper zu leben.“ Instagram: @jasmine_shawnaf
(Foto: Eli Farinango)

 


Die Illustratorin Valeria Araya aus Santiago de Chile ist Teil der Colectiva Mecha. Sie wurde für die Publikation „Latin Identities: The best Latin American Illustrations 2019“ und im Jahr 2020 für den Publikumspreis der 14. Ausgabe des Illustrationspreises Lateinamerika ausgewählt. Ihre Kunst ist eine ständige Kreuzung zwischen dem Analogen und Digitalen und betrachtet Frauen aus einer alltäglichen und politischen Sicht. Wenn sie nicht gerade zeichnet, probiert sie neue Techniken wie Collage oder Keramik aus und schaut Filme, statt zu schlafen. Instagram: @onreivni
(Bild: Valeria Araya)


Xueh oder Xuehka bezeichnet sich als Verteidigerin von Gleichheit und Vielfalt und glühende Verfechterin der Freiheit. Sie studierte Bildende Kunst an der Nationalen Universität von Kolumbien, Illustration an der Kunstschule Diez in Madrid und Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Weissensee in Berlin, wo sie derzeit auch lebt. Instagram: @xuehka
(Foto: María Luisa Rapela)

 


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