Sie sei „vom Drogenhandel finanziert“ worden, eine „Verteidigerin von Banditen und Verbrechern“. Nichts davon stimmt, aber auf diese Weise beschimpfte ein rechter Mob auf sozialen Medien die Stadträtin Marielle Franco, die am 14. März in ihrem Auto erschossen wurde.
Marielle Franco war schwarz und lesbisch, sie hatte Untersuchungsausschüsse über Polizeigewalt in die Wege geleitet und sich gegen den Rassismus und Sexismus in der brasilianischen Gesellschaft engagiert. Deshalb wurde sie ermordet, viele ihrer Freund*innen vermuten die Mörder*innen in den Reihen der Polizei. Die Reaktionen der Rechten auf dieses Verbrechen machen auf erschreckende Weise klar, wie weit antidemokratisches und autoritäres Gedankengut in Teilen der brasilianischen Bevölkerung verbreitet ist.
Die Gesellschaft ist gespalten. Das zeigt sich auch an der Bewertung des Ex-Präsidenten Luiz Inácio „Lula“ da Silva. Lula will bei den Wahlen im Oktober erneut als Präsidentschaftskandidat antreten und liegt auch in allen Umfragen vorne. Die Rechte wollte ihn schnellstmöglich hinter Gittern sehen – Lula wurde in zweiter Instanz zu über zwölf Jahren Haft wegen passiver Korruption und Geldwäsche verurteilt. Die Höhe der Strafe ist völlig überzogen, rechte Politiker*innen, die ebenfalls knietief im Korruptionssumpf stecken, mussten nie eine solche juristische Verfolgung befürchten – ein Sieg des Rechtsstaats bedeutet das Urteil nicht, doch als den feiern es die bürgerlichen Medien Brasiliens. Nun wurde der Wunschkandidat eines großen Teils der Bevölkerung in einem zweifelhaften Verfahren einfach beseitigt.
Doch diese Rechtsbeugung ist nicht das Schlimmste: Einen Tag vor dem Gerichtsentscheid über Lulas Antrag auf Haftverschonung hatte der Oberbefehlshaber der brasilianischen Armee, General Villas Boas, via Twitter durch die Blume mit einem Putsch gedroht, sollte das Gericht Lulas Antrag stattgeben. Politik und Justiz schwiegen größtenteils zum angedrohten Verfassungsbruch, auf Twitter klatschten tausende Brasilianer*innen noch Beifall und forderten sogar eine politische Intervention der Militärs.
Und auch im Rennen der potenziellen Präsidentschaftskandidat*innen manifestiert sich der Aufschwung der Rechten in der Person von Jair Bolsonaro, der in allen Umfragen auf den zweiten Platz kommt. Dass Bolsonaro eine autoritäre Regierung befürwortet, hatte er bereits mehrfach deutlich gemacht. Im Juli 2016 erklärte er: „Der Fehler der Diktatur [von 1964 bis 1985] war, dass sie gefoltert und nicht getötet haben.“ Bolsonaro legitimiert seine autoritären Phantasien damit, dass er ja auf der Seite der „gesetzestreuen Bürger“ stehe und gegen die korrupten Eliten sei. Doch schließt er auch explizit alle Favelabewohner*innen, Schwarzen, Indigenen, Lesben, Schwule, Trans*personen aus, die nicht in sein Bild des „guten“ Bürgers passen; sie würde er wohl am liebsten alle verschwinden lassen, nimmt man ihn beim Wort.
So rückt der Kampf um die Vergangenheit wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte. Der hässliche Schatten der Militärdiktatur, nie wirklich verschwunden, wird momentan wieder bedrohlich lang. Das Amnestiegesetz, das den Folterern von damals noch immer Straffreiheit garantiert; die Polizeigewalt in den Favelas und die ungestraften kriminellen Machenschaften der Großgrundbesitzer*innen auf dem Land; die überkommenen, seit Kolonialismus und Sklaverei unangetasteten Eigentumsverhältnisse: Sie alle sind Symptome eines Gemeinwesens, das sich seiner Vergangenheit nicht gestellt hat. Marielle Franco hat diese Strukturen benannt und bekämpft – und hat dafür mit dem Leben bezahlt.