(Foto: © JUNTAS Codeputadas)
In Kürze ist der 8. März, der Internationale Frauentag. Wie sehen Sie als JUNTAS dem Tag entgegen?
Joelma Carla: Wir beteiligen uns immer an den Kundgebungen zum Internationalen Frauentag. Der 8. März 2019 und 2020 waren fantastisch: wir inmitten unserer Wähler*innenschaft, eine super Stimmung. Der 8. März 2021 war dagegen wegen der Pandemie sehr traurig. In diesem Jahr bereiten wir eine Kundgebung vor, die wir fundamental wichtig finden, sie erinnert an Marielle Franco, eine Schwarze, feministische Abgeordnete in Rio de Janeiro. Es ist jetzt mehr als drei Jahre her, dass sie ermordet wurde. Sie war Mitglied unserer Partei, der PSOL. Wir fühlen uns verpflichtet, öffentlich zu machen, wie die Rechte der Frauen durch den Staat gebrochen werden.
Kátia Cunha: Außerdem wollen wir am 8. März mit unseren Wähler*innen über alle Maßnahmen sprechen, die wir in diesen drei Jahren für Frauen durchgeführt haben und gemeinsam bewerten, was wir noch nicht geschafft haben. Wir sind in einem Wahljahr. Es ist daher wichtig, unseren Wähler*innen zu sagen, dass die Stimme der Frauen durch unser Mandat großen Widerhall hatte, aber wir noch sehr viel mehr tun müssen.
Wie bewertet das Kollektiv denn die bisherige Amtszeit?
KC: Das aktuelle Landesparlament in Pernambuco ist das fundamentalistischste seit den 1980er Jahren. Unter den Abgeordneten gibt es einen Wettstreit darum, wer der größte Anhänger des Bolsonarismus ist oder der beste Evangelikale. Es ist daher nicht einfach Gesetze durchzubringen, die Frauenrechte garantieren.
Wir haben das Mandat 2019 mit sehr viel Enthusiasmus angetreten. Wir haben geglaubt, wir könnten die ganze Welt verändern (lacht), zumindest aber Pernambuco. Und dann sahen wir uns dieser Realität hier im Abgeordnetenhaus gegenüber. Trotzdem geben wir nicht auf und versuchen Gesetze durchzubringen. Die Pandemie hat unsere Form der Politik viel schwieriger gemacht: Wir konnten nicht mehr auf die Straße gehen und versuchten auf virtuelle Treffen auszuweichen. Wir konnten niemanden mehr einladen, niemanden treffen. Das war tragisch, denn das Markenzeichen unseres Mandats ist, dass wir sehr nah dran sind an den Menschen.
Würden Sie sagen, dass die politische Teilhabe in Ihrer Amtszeit zugenommen hat?
KC: Ja, auf jeden Fall. Wir haben zum Beispiel alle 14 indigenen Völker, die es in Pernambuco gibt, zu einer Sitzung in das Abgeordnetenhaus eingeladen. Dieses Gebäude hat das Aussehen eines Palastes, es ist sehr schick. Wenn Wähler*innen hier vorbeikommen, bleiben sie auf dem Bürgersteig vor dem Gebäude, sie haben Angst, es zu betreten. Und es gibt eine Kleiderordnung, es darf nicht in Shorts betreten werden. Aber wir haben es geschafft, dass die Indigenen in ihrer eigenen Kleidung kommen konnten, obwohl es einiges an Aufruhr und Diskriminierung am Eingang gab.
JC: An der Struktur dieses Abgeordnetenhauses haben wir wirklich etwas verändert. Die Leute wussten nicht einmal, dass sie sich in diesem Raum beteiligen oder wenigstens zuhören können. Ich erinnere mich an eine Anhörung wegen eines fundamentalistischen Abgeordneten und der Sicherheitsdienst ließ die Bürger*innen, die zuhören wollten, nicht hinein. Wir sind dann an den Eingang gegangen und haben dafür gesorgt, dass sie hineingelassen wurden. Das ist ihr Recht als Bürger*innen.
Wie hat sich die Partizipation der sozialen Bewegungen während der Pandemie entwickelt?
JC: Die Pandemie hat es unmöglich gemacht, dass wir die Territorien besuchen, die Quilombos, die indigenen Gemeinden, die Peripherie der Städte. All das gehört zu unserem Selbstverständnis als kollektives Mandat der Basisorganisationen. Wir versuchen, maximal transparent zu sein, wir machen nichts, was nicht veröffentlicht werden kann, was die Leute nicht wissen dürften. Im Gegenteil: Wir haben ein sehr transparentes und partizipatives Mandat gestaltet. Wir sind die Brücke zwischen Legislative und sozialen Bewegungen.
KC: Wir sind fünf Frauen, die sehr divers sind. Wir haben sogar Scherze darüber gemacht, dass wir es schaffen, omnipräsent zu sein, denn wir können uns ja an fünf Diskussionen gleichzeitig beteiligen. Wir haben das genutzt, um mehr Forderungen aus den Bewegungen aufzunehmen. Allein im ersten Jahr haben wir 17 öffentliche Anhörungen organisiert und 87-mal im Abgeordnetenhaus gesprochen. Wir haben 17 Gesetzesvorhaben eingebracht. In dieser Hinsicht hat das kollektive Mandat sehr gut funktioniert.
Was würden Sie als Ihren größten Erfolg bezeichnen?
KC: Das war die Umsetzung des Gesetzes zur Verhinderung von Zwangsräumungen (Lei despejo zero, Anm. der Red.). Niemand darf gezwungen werden, seinen Wohnraum zu verlassen, während es einen Notstand gibt. Das Gesetz gab es schon vor der Pandemie. In Pernambuco gibt es sehr viele bankrotte Zuckerbetriebe. Die Arbeiter und ihre Familien nutzen das Land daher, um Nahrungsmittel anzubauen. Die Besitzer dieser Betriebe versuchten während der Pandemie, die Besetzungen räumen zu lassen und die Arbeiter zu vertreiben.
Wir haben es geschafft durchzusetzen, dass alle Landbesetzungen von vor dem 20. März 2020, dem offiziellen Beginn der Pandemie, nicht geräumt werden durften. Dadurch haben wir sehr viele Familien vor der Räumung bewahrt, die sonst obdachlos auf der Straße gestanden hätten.
Gab es auch Niederlagen während der Amtszeit?
JC: Die extreme Armut hat in Pernambuco sehr zugenommen. Heute leben hier 1,2 Millionen Familien mit einem Pro-Kopf-Einkommen von null bis achtzig Reais (14 Euro, Anm. der Red.). Wir haben daher der Landesregierung das Projekt eines Notfall-Grundeinkommens vorgeschlagen, das es 60.000 Familien ermöglicht hätte, über sechs Monate 350 Reais (62 Euro, Anm. der Red.) zu beziehen. Das war vor zwei Jahren. Die Landesregierung hat dieses Projekt zwei Jahre lang ignoriert. Sie geht einfach über die Menschen hinweg, die nicht wissen, was sie zum Frühstück oder zu Mittag essen können. Es gibt keine Politik der öffentlichen Hand, die bei der Schwarzen Bevölkerung in der Peripherie oder in den indigenen Territorien ankommt. Wir finden das sehr besorgniserregend.
Wie groß ist die Bedrohung für weibliche, linke Abgeordnete in einem Brasilien unter Bolsonaro – hat es in den drei Jahren Gewalt oder Drohungen gegen Sie gegeben?
JC: Wir sind vor allem dem Widerstand einiger fundamentalistischer konservativer Parlamentarier ausgesetzt. Sie haben Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass Frauen diesen Ort der Macht besetzen. Sie haben gefordert, dass Robeyoncé Lima aus dem Abgeordnetenhaus entfernt wird. Sie ist Schwarz und trans und das stört das System. Was dauernd passiert, ist die Bagatellisierung von Gewalt. Früher haben die Leute in der Politik gegeneinander verbale Gewalt ausgeübt, jetzt gibt es auch direkte physische Aggressionen. Wir bewegen uns also in einem sehr gefährlichen Umfeld, selbst wenn wir keine direkten Bedrohungen erlebt haben.
2022 wird auch der Präsident Brasiliens gewählt. Wie schätzen Sie die Stimmung im Wahljahr ein?
KC: Wir sammeln gerade alle Kräfte, um diesen inhumanen Präsidenten abzuwählen. Die großen Parteien der Linken vereinen sich, um Bolsonaro zu besiegen. Wir als PSOL werden auf nationaler Ebene eine Allianz mit der Arbeiterpartei PT eingehen, um Präsident Lula zu wählen. Er ist die einzige Person, die in der Lage ist, Bolsonaro zu schlagen. Wir glauben nicht, dass Bolsonaro heute die Kraft hätte, einen Putsch anzuzetteln, aber er wird alles tun, um im Amt zu bleiben. Das Problem ist, dass es nicht nur Bolsonaro gibt, sondern auch seine Anhänger, die sehr gewalttätig sind. Wir befürchten also, dass es zu Gewaltakten kommen wird. Hier in Pernambuco ist die Situation ein bisschen anders, denn die PT unterstützt die Landesregierung der PSB. Deshalb werden wir eine eigene Kandidatur der PSOL unterstützen.
Wie blicken die JUNTAS in die Zukunft?
JC: Ich bin mir bewusst, dass zwischen uns Frauen Unterschiede bestehen, Klassenunterschiede, Unterschiede zwischen Schwarz und weiß. Aber der feministische Kampf ist der Kampf, der uns vereint. Räume zu besetzen, in Parteien, in der Gesetzgebung, in denen wir selbst über unsere Rechte entscheiden können, das gibt uns und unseren Kämpfen Sinn. Unser kollektives, feministisches, antirassistisches Mandat hat auf nationaler Ebene Bedeutung als Inspiration und Referenz gewonnen. Wir haben 33 Mandate von Frauen in der vergangenen Wahl von 2020 hinzugewonnen. Aber wir sind uns bewusst, dass wir noch mehr werden müssen. Denn ein einziges Mandat im Bundesstaat Pernambuco ist nicht genug. Und wir sind nicht der Gouverneur, sondern Abgeordnete.
KC: Wir hoffen, dass dieses Format, in dem wir Politik machen, dieses kollektive Mandat, andere inspiriert. Vor allem andere Frauen. Damit mehr von ihnen den Mut gewinnen, sich zu engagieren. Denn wenn wir die anderen einfach machen lassen, stellen wir ihnen einen Blankoscheck aus. Es ist notwendig, dass mehr Frauen institutionelle Räume besetzen und effektiv Politik für unsere Anliegen machen. Die Idee ist, dass wir es schaffen, zu inspirieren, zu fördern und mehr Frauen hierher zu holen, um diese Form der politischen Partizipation auszuüben.