MARÉ ROCKT

Freitagabend, Vila do Pinheiro. Harte Gitarrenklänge erklingen im Favela-Komplex Maré. Eine Straße ist gesperrt. Vor einer kleinen Bar steht eine improvisierte Bühne. Auf dieser geben heute drei Bands ihre selbstkomponierten Rocksongs zum besten.

Seit mehreren Jahren finden im Favela-Komplex Maré unabhängige und kostenlose Rockkonzerte statt. Organisiert werden die Events von der Gruppe „Rock in Bewegung“, die im Jahr 2009 von Bewohner*innen der Maré gegründet wurde. Stein des Anstoßes war der große Erfolg der Veranstaltung „Rock in Maré“. Damals fanden in der Gemeinde Konzerte und politische Veranstaltungen auf zahlreichen öffentlichen Plätzen statt. Heute lässt sich der Erfolg von „Rock in Bewegung“ auch an Zahlen ablesen: mehr als 200 Bands sind in den letzten Jahren in Maré und anderen Favelas im Norden von Rio de Janeiro aufgetreten. Erst kürzlich spielten 18 Bands aus allen Teilen der Stadt bei einem Festival in Maré.

Ziel der Veranstalter*innen ist es, die unabhängige Musikszene weiter zu demokratisieren. Zwischen den Konzerten ist das Mikrophon offen für Reden. Produzent*innen und Musiker*innen können auf der Bühne ihre Konzerte und CDs bewerben. DJs spielen in den Pausen Klassiker der Rockgeschichte.

Marcos Vinicius studiert Design und kommt seit einem Jahr zu den Konzerten. Er glaubt an die mobilisierende Kraft der Musik: „Rock in Bewegung gibt den lokalen Bands die Möglichkeit, gesehen und gehört zu werden.“ Mit seinen Freund*innen besucht Vinicius mindestens einmal im Monat die Rockkonzerte in Maré. „Brasilianische Künstler haben mehr Anerkennung verdient“, findet Vinicius. Der Favela-Komplex ist musikalisch ein diverser Ort. Auch andere Stilrichtungen, wie Rap, Forró oder Baile Funk, sind hier stark vertreten. „Ich glaube, dass jedes Musikevent dazu beiträgt, die heimische Kultur zu stärken“, meint Vinicius.

Lange Zeit stellte „Rock in Bewegung“ die Events ganz alleine auf die Beine. So wurde bei den Konzerten die eigene Ausrüstung benutzt. In den letzten Jahren hat sich die Rockszene jedoch professionalisiert. Zentraler Grund dafür ist, dass die Gruppe „Rock in Bewegung“ im Jahr 2015 einen Preis des Kultursekretariats von Rio de Janeiro gewann und so als „lokale Kultur“ anerkannt wurde. Dadurch erweiterten sich die Möglichkeiten für die Gruppe. Seitdem finden immer mehr Konzerte mit immer besserer Technik statt. Kürzlich veranstaltete „Rock in Bewegung“ Festivals in der Bundesuniversität Fluminese (UFF) und in einer Bibliothek. Auch ist es heute möglich, Ton- und Videoaufnahmen der Konzerte zu machen. Die Veranstalter*innen, die vorher komplett unentgeltlich arbeiteten, können sich mittlerweile einen kleinen Lohn auszahlen.

Auch ohne große finanzielle Unterstützung  sollen in Zukunft weiterhin Konzerte stattfinden.

Reginaldo Costa ist Musiker und Koordinator von Rock in Bewegung. Der 35-Jährige betont, dass das Projekt durch den Preis gewachsen ist: „Uns ist es gelungen, eine höhere Stabilität und bessere technische Qualität zu erreichen. Das ist sonst sehr schwierig für die unabhängige Musikszene.“ Neben den Veranstalter*innen stemmt eine Vielzahl von Freiwilligen das Projekt. Auch der lokale Handel helfe, die Veranstaltungen durchzuführen, sagt Costa. So verkaufen lokale Gewerbetreiber*innen Getränke und Lebensmittel am Rande der Konzerte und machen im Vorfeld Werbung für die Rockevents.

Neben den Konzerten versucht „Rock in Bewegung“ auch eine Bestandsaufnahme der Szene durchzuführen. So werden Probleme und Bedürfnisse der alternativen Musikszene diskutiert. Im Moment wird außerdem ein Dokumentarfilm über die Szene gedreht, der die Entwicklung des Projekts zeigen soll. Zudem organisierte die Gruppe Workshops für die Bewohner*innen von Maré, um zu zeigen, wie man mit professioneller technischer Ausrüstung umgeht. Auch ohne große finanzielle Unterstützung sollen in Zukunft weiterhin Konzerte stattfinden.

Costa stellt fest: „Unsere Konzerte sind aus zwei Gründen immer voll: Es gibt hier einfach viele Rockfans und einen Mangel an öffentlichen Räumen“. Zwar gebe es zahlreiche kulturelle Projekte in Maré, diese seien aber immer noch nicht ausreichend, um der hohen Nachfrage und dem kreativen Potenzial der Gemeinde nachzukommen. Viele Bewohner*innen können sich nicht die teuren Eintrittskarten für die Konzerte von internationalen Bands leisten, die fast ausschließlich in der reichen Südzone stattfinden. „Für mich sind die Events so wichtig, da sie von uns Bewohnern gemacht werden“, sagt Costa. „Wir kriegen keine Sichtbarkeit von außen, aber die Aufmerksamkeit in unserem Territorium macht einen großen Unterschied.“ So hat sich in Maré eine lebendige Rockszene entwickelt: Immer mehr Bewohner*innen kleiden sich in der szenetypischen schwarzen Kleidung und wo früher fast ausschließlich Baile Funks-Rhythmen den Ton angaben, dröhnen heute auch immer mehr harte Gitarrensounds durch die engen Gassen der Gemeinde.

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