Nicaragua | Nummer 301/302 - Juli/August 1999

Die nächste Katastrophe

Nicaragua droht neues Unheil: ein politischer Pakt zwischen Regierung und FSLN-Elite

Hurrikan Mitch hat nicht nur die ökologischen Probleme der nicaraguanischen Gesellschaft offengelegt und vertieft, sondern auch ihre politischen. Während lokale autonome Organisationen der Bevölkerung und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) am adäquatesten auf die Notsituation nach Mitch reagierten, wurde die Unfähigkeit und Korruption der Regierung offenkundig. Zugleich basteln die Regierungspartei PLC und die FSLN an einem Pakt, der ihre Macht absichern soll.

Otmar Meyer

Mitch hat die Vernetzung der vielfältigen Organisationsansätze der Zivilgesellschaft gefördert, ihre Glaubwürdigkeit gestärkt und ihre politischen Spielräume erweitert. Die Notwendigkeit einer politischen Dezentralisierung und Umverteilung staatlicher Ressourcen zugunsten der Gemeindeverwaltungen wurde deutlicher und findet mehr Echo in der Bevölkerung.
Die Zentralregierung und die Regierungspartei PLC haben nach Mitch weiter an Glaubwürdigkeit verloren. Jüngste Meinungsumfragen machen es deutlich: 57 Prozent glauben, daß der Präsident korrupt ist, nur 20 Prozent sympathisieren mit der Regierungspartei, die FSLN favorisieren ebenfalls nur 20 Prozent.
Die Hilfsgelder aus dem Ausland, die über Regierungsstellen abgewickelt werden, kommen nur sehr spärlich bei den Menschen vor Ort an. Die Regierung hat keine Strategie für den Wiederaufbau des Landes. Die Pläne, die auf der Konferenz in Stockholm Ende Mai präsentiert wurden, sind eine Aneinanderreihung von Projekten, die stark von traditionellem Entwicklungsdenken geprägt sind. Die Regierung hat die Chance verpaßt, gemeinsam mit der organisierten Zivilgesellschaft eine Strategie zu entwickeln, die die vielfältigen Erfahrungen der letzten Jahre aufgreift.
Statt dessen bleibt die Mehrheit, speziell die am stärksten betroffenen Sektoren der verarmten Landbevölkerung, weiter Objekt in staatlichen Projekten. Die nachhaltige soziale, wirtschaftliche und organisatorische Entwicklung wird nicht gefördert.
Während Mitch eine verzweifelte Warnung war, den Raubbau und die Zerstörung der natürlichen Ressourcen zu stoppen, geht dieser Prozeß beschleunigt weiter. Auf Konferenzen wird der Schutz des Lebens und der Ressourcen hochgehalten, währenddessen zweifelhafte Konzessionen von Regierungsstellen gemeinsam mit bewaffneten Banden die Abholzung der letzten großen Naturreserven in Bosawas, Rio San Juan und an der Atlantikküste absichern.

Alemán = Korruption

Vetternwirtschaft, Bereicherung und Absicherung ihrer Machtpositionen sind die wesentlichen Merkmale der Regierungspartei, die von einer kleinen Gruppe um den Präsidenten Arnoldo Alemán dominiert wird.
Als Anfang 1999 bekannt wurde, daß Arnoldo Alemán und seine Familie ihr Eigentum in den letzten sieben Jahren um 900 Prozent vermehren konnten, wurde damit eine neue Welle zur Aufdeckung staatlicher Korruption ausgelöst. Zum ersten Mal entstand eine organisierte Bewegung gegen den Machtmißbrauch.
In der nicaraguanischen Gesellschaft wächst das Bewußtsein, daß die Korruption ein wichtiges strukturelles Element ist, das jede Entwicklung verhindert, und daß sie deshalb organisiert bekämpft werden muß.
Nur 18 Prozent der Bevölkerung kann sich noch den Grundwarenkorb leisten. Die Kindersterblichkeit ist mittlerweile die höchste in ganz Lateinamerika, der Analphabetismus hat über 40 Prozent erreicht. Die Gesellschaft zerfällt weiter zu einem Konglomerat aus grenzenloser Gewalt, Rechtlosigkeit, Drogenhandel und Drogenkonsum.
In jüngsten Umfragen erklären 80 Prozent der Jugendlichen, daß sie das Land verlassen möchten, weil sie für sich keine Zukunft in Nicaragua sehen.

FSLN ohne Alternativen

Die FSLN als stärkste Oppositionspartei hat dazu keine Alternativen. Ihre Vorschläge zum Wiederaufbau des Landes nach Mitch unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Regierung.
Befreit vom Druck des Regierens unter Kriegsbedingungen und Blockade, hat die FSLN es nach 1990 nicht geschafft, sich der organisierten Zivilgesellschaft anzunähern sowie deren Erfahrungen und Vorschläge ernsthaft aufzugreifen.
Mehr und mehr SandinistInnen finden dort aber eine reale Möglichkeit, ihren Willen nach Veränderung umzusetzen. Die Parteistrukturen sind ausgehöhlt und repräsentieren nur noch eine kleine Elite des Apparats, der daran interessiert ist, seine politischen und wirtschaftlichen Spielräume auch unter der Regierung Alemán zu festigen.

Pakt der politischen Eliten

Die Regierung, in der Krise zunehmend national und international in Frage gestellt und eine geschwächte Opposition ohne Alternativen reagieren mit Spitzengesprächen, die in einem sogenannten „Pakt“ münden sollen, der das politische und wirtschaftliche Überleben beider Gruppierungen absichern soll.
Das wirtschaftliche Kernstück des Pakts besteht in der Absicherung des beim Regierungswechsel erworbenen Eigentums der FSLN-Elite. Bei der sogenannten „Piñata“ wurde ein Teil des Staatseigentums und der privatisierten Betriebe von FSLN-Mitgliedern übernommen. Inzwischen konzentriert sich dieses Eigentum in den Händen einer kleinen Gruppe von Gewerkschafts- und FSLN FunktionärInnen.
Im Gegenzug soll die FSLN die Korruption der Alemán-Riege decken. Praktisch drückt sich das so aus, daß die FSLN im Parlament die Behandlung der Korruptionsfälle blockiert und in der Öffentlichkeit die Korruption herunterspielt.
Das politsche Kernstück des Pakts besteht in der Etablierung eines Zweiparteiensystems. Der Staat soll zwischen PLC und FSLN aufgeteilt werden. Dazu soll die Wahlgesetzgebung und die Verfassung „reformiert“ werden. Die wichtigsten Elemente dieser „Reformen“ sind:
– Abschaffung der „Bürgerlisten“. FSLN und PLC haben Angst, daß bei den nächsten Wahlen unabhängige Listen und KandidatInnen an Gewicht gewinnen könnten.
– Modifizierung der Wahlfinanzierung, die den kleinen Parteien die Teilnahme an Wahlen erschweren soll.
– Besetzung des Obersten Wahlrates und der lokalen Wahlräte durch Funktionäre der beiden Parteien.
– Verschiebung der Gemeinderatswahlen (vorgesehen für Oktober/2000) und Zusammenlegung mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Oktober 2001. Angesichts ihrer Schwäche versprechen sich beide Parteien bessere Resultate, wenn im Paket gewählt wird.
– Erweiterung des Obersten Gerichtshofs von zwölf auf 16 Mitglieder. Diese sollen gemeinsam von PLC und FSLN bestimmt werden. Das ist der Versuch, dieses staatliche Organ unter verstärkte Parteienkontrolle zu bringen.
– Veränderungen im nationalen Rechnungshof: Dem jetzigen Rechnungsprüfer Augustin Jarquín sollen, ebenfalls von FSLN und PLC, zwei KollegInnen zur Seite gestellt werden.
Jarquín spielt eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung staatlicher Korruption. Er hat Gerichtsverfahren gegen Arnoldo Alemán und den Bürgermeister von Managua initiiert. Vor diesem Hintergrund läuft eine schmutzige Kampagne, um Jarquín kaltzustellen und den Rechnungshof strukturell unter Kontrolle zu bringen.
Die Mehrheit der Bevölkerung und die Basis der FSLN lehnen den Pakt ab, der in diesen Wochen ausgehandelt wird. Er hat nichts mit ihren täglichen Problemen und deren Lösungen zu tun, sondern wird die Krise noch verschärfen.
Der Pakt hat die FSLN-interne Opposition gegen den Parteiapparat verstärkt und eine Debatte der unterschiedlichen Gruppierungen und Strömungen gefördert. Zusammen mit einem Block von Zentrumsparteien rufen sie für Anfang Juli zu einer landesweiten Demonstration gegen den Pakt auf.

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