El Salvador | Nummer 240 - Juni 1994

Abschied von der revolutionären Vergangenheit

Radio Venceremos auf neuem Kurs

“Hier ist Radio Venceremos, die Stimme des salvadorianischen Volkes, mit ak­tuellen Berichten über den heldenhaften Kampf unseres Volkes gegen den US-Imperialismus und seine Statthalter in San Salvador. Wir senden aus dem be­freiten Gebiet in Morazán, El Salvador.” So oder ähnlich schepperte es mor­gens und abends um sechs Uhr während der Bürgerkriegsjahre aus vielen Transistorradios in El Salvador – in grauenhafter technischer Qualität, aber mit viel revolutionärem Pathos. Das war einmal.

Reimar Paul

Für viele FMLN-Kämpfer und Kämpfe­rinnen, aber auch für die Campesinos/as und sonstige BewohnerInnen in den kontrol­lierten Zonen gehörte das Abhören der aktuellen Berichte von den Kriegsfron­ten, garniert mit Informationen über Menschenrechtsverletzungen und ei­nem kleinen, aber feinen Kulturpro­gramm, zum täglichen Muß. Auch für ausländi­sche KorrespondentInnen war Radio Venceremos (RV), “la voz oficial del FMLN”, oftmals die einzige alterna­tive Informationsquelle zu den übrigen, vom Militär gleichgeschalteten, Hörfunk- und Fernsehsendern des Landes.
Unzählige Legenden ranken sich um das von Joaquín Villalobos (Chef des damals noch “Revolutionäres Volksheer” heißen­den ERP) initiierte und kontrollierte Ra­dio, um den Alltag des Sprechers “Santiago” und der Redaktions-Crew, die den Sender unter schwierigsten militäri­schen und technischen Bedingungen am Laufen hielten. Berühmt wurde auch die geniale Finte, eine als Köder ausgelegte Radio-Attrappe leitete das Ende des Ar­mee-Obersten und Aufstandsbekämp­fungs-Experten Monterrosa ein.
Die Zeiten haben sich geändert. Der Bür­gerkrieg ist vorbei, die FMLN eine politi­sche Partei, die im Parlament die Opposi­tonsbänke drückt. Und Radio Venceremos ist ein legalisierter und mit offizieller Fre­quenz ausgestatteter Sender, der aus ei­nem schicken Studio in San Salvador täg­lich 18 Stunden lang ein Musik- und Wortprogramm für die von den Radio-Machern sogenannte Sociedad Civil aus­strahlt. Seinen Betrieb und die rund 25 Beschäftigten finanziert das Radio durch Projektmittel der den Grünen nahestehen­den Stiftung “Buntstift” – und durch Wer­bung.

“ARENA war eher da”

Bei der Suche nach Klienten ist Radio Venceremos nicht wählerisch. Spots von kleinen und mittleren Unternehmen wer­den ebenso gesendet wie vorfabrizierte Kassetten von Ministerien, Behörden und Nicht-Regierungsorganisationen. “Wir würden gerne auch mit großen Firmen wie Coca-Cola ins Geschäft kommen,” sagte RV-Geschäftsführer Carlos López schon vor einem Jahr. “Das würde unsere jour­nalistische Unabhängigkeit erhöhen.” Während des zurückliegenden Wahl­kampfes strahlte Radio Venceremos – wie übrigens die allermeisten der rund 80 Rundfunkstationen im Land – Werbespots aller kandidierenden Parteien aus.
Die Linkskoalition aus FMLN, Demokra­tischer Konvergenz (CD) und der kleinen, inzwischen von der Auflösung bedrohten sozialdemokratischen National-Revolu­tionären Bewegung (MNR) akzeptierte dies – bis die RV-Chefs wenige Tage vor der ersten Wahlrunde am 20. März ent­schieden, sich statt in die Abschlußwahl­sendung der Koalition in das Wahlpro­gramm der rechtsradikalen Regierungs­partei ARENA einzuklinken. Drei Stun­den lang konnte oder mußte die RV-Höre­rInnenschaft am Abend des 17. März Hetzpropaganda gegen “Kommunisten” und “Terroristen” über sich ergehen bzw. sich mit seichten Episoden aus dem Leben des Armando Calderón Sol berieseln las­sen. “ARENA war eher da,” begründete Carlos López seine Präferenz. Die Koali­tion habe sich erst “sehr spät” entschieden, eine eigene Kette zu organisieren. Und da sei der Vertrag mit der Regierungspartei schon unter Dach und Fach gewesen. Man habe schon damals überlegt, die gesamte Werbung bei RV zu stoppen, berichtet Héctor Silva, verantwortlich für die Öf­fentlichkeitsarbeit der Koalition. “Daß ge­rade Radio Venceremos das ARENA-Pro­gramm ausgestrahlt hat, war sehr schmerzhaft für uns.”
Für die Stichwahl am 24. April ließ die Koalition in einem Tonstudio ein Hörspiel produzieren, das sich satirisch mit den Verwicklungen von Calderón Sol in die Machenschaften der Todesschwadrone und mit seinen Familienproblemen – der ARENA-Präsidentschaftskandidat soll seine Frau verprügelt haben – auseinan­dersetzte. Die Kassette wurde verschie­denen Radiostationen als bezahlter Wer­bespot angeboten. Radio Venceremos lehnte die Ausstrahlung ab, weil, so Nach­richten-Chef Marvin Galéas, “das An­schreiben keine Unterschrift aufwies.” Auch nachdem der linke Gewerkschafts­dachverband UNTS die presserechtliche Verantwortung für das Tondokument übernahm, blieb RV bei seiner ablehnen­den Haltung.
Für Héctor Silva war damit das Maß voll. “Keine Anzeigen mehr in Radio Vence­remos”, beschloß die Koalition. RV sei­nerseits reagierte mit einer Presseerklä­rung auf den Werbe-Entzug. “Wir lassen uns durch politischen oder wirtschaftli­chen Druck nicht erpressen,” heißt es in dem Papier vom 15. April. “Unpar­tei­lich­keit, Glaubwürdigkeit und die Ethik blei­ben unser wesentliches Bollwerk.” Die Rechtspresse in Form der Tageszeitungen Prensa Gráfica und El Diario de Hoy griff das RV-Statement be­gierig auf und schrieb genüßlich Artikel über die “wach­senden Konflikte” inner­halb der salvadorianischen Linken.
Ein neuerliches Gespräch zwischen Héc­tor Silva und den RV-Verantwortlichen brachte dann scheinbar noch einmal eine Annäherung. Radio Venceremos bot für die Endphase des Wahlkampfes 30 ko­stenlose Spots an, die Koalition machte ihre Entscheidung über den Anzeigenent­zug rückgängig. Nur für wenige Tage al­lerdings. Am 20. April, vier Tage vor der Wahlentscheidung, erschien in der Prensa Gráfica eine ARENA-Anzeige, mit einer Auflistung aller Radios, die sich am Abend in die neuerliche Propaganda-Kette der Regierungspartei zuschalten würden. Wieder mit dabei: Radio Venceremos.
Das Spektakel um die Wahlsendung hat viele salvadorianische Linke endgültig in ihrer Ansicht bestärkt, Radio Venceremos habe die letzten Reste seiner revolutio­nären Geschichte über Bord geworfen, um sich dem gesellschaftlichen Zeitgeist und konkret den neuen politischen Orientie­rungen des ERP anzupassen. Obwohl formal unabhängig und finanziell von die­ser Organisation nicht mehr ausgehalten, widerspiegelt RV dennoch mehr oder we­niger getreu den politischen Kurs der ERP-Führungsgruppe um Villalobos. Diese betreibt auf politischer Ebene den Ausstieg aus der FMLN und schielt nach neuen politischen Allianzen in der Mitte. Das Radio, vordergründig überparteilich, bricht mit der Linken und biedert sich an die Rechte an und bereitet so das entspre­chende Terrain für die ERP-Führung pu­blizistisch vor.

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