Abschied von der revolutionären Vergangenheit
Radio Venceremos auf neuem Kurs
Für viele FMLN-Kämpfer und Kämpferinnen, aber auch für die Campesinos/as und sonstige BewohnerInnen in den kontrollierten Zonen gehörte das Abhören der aktuellen Berichte von den Kriegsfronten, garniert mit Informationen über Menschenrechtsverletzungen und einem kleinen, aber feinen Kulturprogramm, zum täglichen Muß. Auch für ausländische KorrespondentInnen war Radio Venceremos (RV), “la voz oficial del FMLN”, oftmals die einzige alternative Informationsquelle zu den übrigen, vom Militär gleichgeschalteten, Hörfunk- und Fernsehsendern des Landes.
Unzählige Legenden ranken sich um das von Joaquín Villalobos (Chef des damals noch “Revolutionäres Volksheer” heißenden ERP) initiierte und kontrollierte Radio, um den Alltag des Sprechers “Santiago” und der Redaktions-Crew, die den Sender unter schwierigsten militärischen und technischen Bedingungen am Laufen hielten. Berühmt wurde auch die geniale Finte, eine als Köder ausgelegte Radio-Attrappe leitete das Ende des Armee-Obersten und Aufstandsbekämpfungs-Experten Monterrosa ein.
Die Zeiten haben sich geändert. Der Bürgerkrieg ist vorbei, die FMLN eine politische Partei, die im Parlament die Oppositonsbänke drückt. Und Radio Venceremos ist ein legalisierter und mit offizieller Frequenz ausgestatteter Sender, der aus einem schicken Studio in San Salvador täglich 18 Stunden lang ein Musik- und Wortprogramm für die von den Radio-Machern sogenannte Sociedad Civil ausstrahlt. Seinen Betrieb und die rund 25 Beschäftigten finanziert das Radio durch Projektmittel der den Grünen nahestehenden Stiftung “Buntstift” – und durch Werbung.
“ARENA war eher da”
Bei der Suche nach Klienten ist Radio Venceremos nicht wählerisch. Spots von kleinen und mittleren Unternehmen werden ebenso gesendet wie vorfabrizierte Kassetten von Ministerien, Behörden und Nicht-Regierungsorganisationen. “Wir würden gerne auch mit großen Firmen wie Coca-Cola ins Geschäft kommen,” sagte RV-Geschäftsführer Carlos López schon vor einem Jahr. “Das würde unsere journalistische Unabhängigkeit erhöhen.” Während des zurückliegenden Wahlkampfes strahlte Radio Venceremos – wie übrigens die allermeisten der rund 80 Rundfunkstationen im Land – Werbespots aller kandidierenden Parteien aus.
Die Linkskoalition aus FMLN, Demokratischer Konvergenz (CD) und der kleinen, inzwischen von der Auflösung bedrohten sozialdemokratischen National-Revolutionären Bewegung (MNR) akzeptierte dies – bis die RV-Chefs wenige Tage vor der ersten Wahlrunde am 20. März entschieden, sich statt in die Abschlußwahlsendung der Koalition in das Wahlprogramm der rechtsradikalen Regierungspartei ARENA einzuklinken. Drei Stunden lang konnte oder mußte die RV-HörerInnenschaft am Abend des 17. März Hetzpropaganda gegen “Kommunisten” und “Terroristen” über sich ergehen bzw. sich mit seichten Episoden aus dem Leben des Armando Calderón Sol berieseln lassen. “ARENA war eher da,” begründete Carlos López seine Präferenz. Die Koalition habe sich erst “sehr spät” entschieden, eine eigene Kette zu organisieren. Und da sei der Vertrag mit der Regierungspartei schon unter Dach und Fach gewesen. Man habe schon damals überlegt, die gesamte Werbung bei RV zu stoppen, berichtet Héctor Silva, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der Koalition. “Daß gerade Radio Venceremos das ARENA-Programm ausgestrahlt hat, war sehr schmerzhaft für uns.”
Für die Stichwahl am 24. April ließ die Koalition in einem Tonstudio ein Hörspiel produzieren, das sich satirisch mit den Verwicklungen von Calderón Sol in die Machenschaften der Todesschwadrone und mit seinen Familienproblemen – der ARENA-Präsidentschaftskandidat soll seine Frau verprügelt haben – auseinandersetzte. Die Kassette wurde verschiedenen Radiostationen als bezahlter Werbespot angeboten. Radio Venceremos lehnte die Ausstrahlung ab, weil, so Nachrichten-Chef Marvin Galéas, “das Anschreiben keine Unterschrift aufwies.” Auch nachdem der linke Gewerkschaftsdachverband UNTS die presserechtliche Verantwortung für das Tondokument übernahm, blieb RV bei seiner ablehnenden Haltung.
Für Héctor Silva war damit das Maß voll. “Keine Anzeigen mehr in Radio Venceremos”, beschloß die Koalition. RV seinerseits reagierte mit einer Presseerklärung auf den Werbe-Entzug. “Wir lassen uns durch politischen oder wirtschaftlichen Druck nicht erpressen,” heißt es in dem Papier vom 15. April. “Unparteilichkeit, Glaubwürdigkeit und die Ethik bleiben unser wesentliches Bollwerk.” Die Rechtspresse in Form der Tageszeitungen Prensa Gráfica und El Diario de Hoy griff das RV-Statement begierig auf und schrieb genüßlich Artikel über die “wachsenden Konflikte” innerhalb der salvadorianischen Linken.
Ein neuerliches Gespräch zwischen Héctor Silva und den RV-Verantwortlichen brachte dann scheinbar noch einmal eine Annäherung. Radio Venceremos bot für die Endphase des Wahlkampfes 30 kostenlose Spots an, die Koalition machte ihre Entscheidung über den Anzeigenentzug rückgängig. Nur für wenige Tage allerdings. Am 20. April, vier Tage vor der Wahlentscheidung, erschien in der Prensa Gráfica eine ARENA-Anzeige, mit einer Auflistung aller Radios, die sich am Abend in die neuerliche Propaganda-Kette der Regierungspartei zuschalten würden. Wieder mit dabei: Radio Venceremos.
Das Spektakel um die Wahlsendung hat viele salvadorianische Linke endgültig in ihrer Ansicht bestärkt, Radio Venceremos habe die letzten Reste seiner revolutionären Geschichte über Bord geworfen, um sich dem gesellschaftlichen Zeitgeist und konkret den neuen politischen Orientierungen des ERP anzupassen. Obwohl formal unabhängig und finanziell von dieser Organisation nicht mehr ausgehalten, widerspiegelt RV dennoch mehr oder weniger getreu den politischen Kurs der ERP-Führungsgruppe um Villalobos. Diese betreibt auf politischer Ebene den Ausstieg aus der FMLN und schielt nach neuen politischen Allianzen in der Mitte. Das Radio, vordergründig überparteilich, bricht mit der Linken und biedert sich an die Rechte an und bereitet so das entsprechende Terrain für die ERP-Führung publizistisch vor.