Mexiko | Nummer 383 - Mai 2006

Basisradios sehen Repression entgegen

Interview mit einem Medienaktivisten über das neue Mediengesetz

Ende März verabschiedete der mexikanische Senat das Ley Televisa, ein höchst umstrittenes neues Mediengesetz (siehe Kasten). Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Refugio, Kommunikationsguerillero vom Medienkollektiv Centro de Medios Libres (CML) aus Mexiko Stadt, über die neue mediale Ordnung und ihre Folgen für Meinungsfreiheit, Basismedien und Gesellschaft.

Nils Brock

Mexiko hat ein neues Mediengesetz und niemand scheint genau zu wissen, was es bedeutet. Die Kolumnisten der Tageszeitung La Jornada beispielsweise prophezeien wortreich die mediale Apokalypse und sind doch recht zurückhaltend mit schlüssigen Analysen des sogenannten Ley Televisa. Warum so viel Meinung und so wenige Erklärungen?

Dieses Gesetz ist tatsächlich eine harte Nuss. Zunächst einmal ist der Inhalt kaum zu entschlüsseln. Für den Durchschnittsbürger absolut unverständlich. Der Text ist ursprünglich von einer Anwaltskanzlei im Dienste von Televisa formuliert worden, dem größten mexikanischen Medienkonsortium. Wenig ist darüber bekannt, wie dieses Papier als Gesetzesentwurf im Kongress gelandet ist. Fest steht aber, dass dieser Text ausschließlich im Interesse privater Unternehmen verfasst wurde.
Die Leute, die dieses Gesetz entworfen haben, wissen bereits genau, wie es ihnen nützen wird. Wir sind dagegen gerade dabei, das herauszufinden. Einige Veränderungen sind aber offensichtlich. Bisher funktionierte der mexikanische Medienmarkt nach einem ziemlich autoritären Schema. Die Regierung entschied über die Vergabe von Lizenzen. In Zukunft wird das ein Gremium regeln, dass Frequenzen an den Meistbietenden vergibt. Das kann man nicht gerade als eine positive Veränderung bezeichnen.

Auf welche Weise hat der mexikanische Staat denn bisher die Entwicklung des mexikanischen Medienmarktes reguliert?

Der mexikanische Medienmarkt hat sich eigentlich nie groß bewegt. Ende der 20er Jahre begann eine Gruppe von Familien, sich der Kommunikationsmedien zu bemächtigen. Eine Zentralisierung setzte ein, die auch vom Staat mitgetragen wurde und ein privatwirtschaftliches Oligopol hervorbrachte. Heute sind weit mehr als 90 Prozent der mexikanischen Medien kommerziell. Der Großteil der restlichen Medien wird von der Bundesregierung verwaltet, denn die Gemeinden oder Bundesstaaten sind meist außen vor. Und natürlich gibt es auch einige gemeinschaftlich organisierte und freie Medien, meist jedoch in einer ziemlich prekären Lage, weil sie in der bisherigen Gesetzgebung nicht ausreichend bedacht waren.

Wird sich das mit dem neuen Gesetz ändern?

Nein, im Gegenteil. Das neue Mediengesetz, das gemeinschaftlich organisierte und freie Medien generell als illegal begreift, wird die Situation noch verschärfen. Ein entscheidender Punkt des neuen Gesetzes ist ja, dass die Räume in den elektronischen Medien, sprich die Frequenzen künftig versteigert werden. Und diese Versteigerungen werden wohl die zwei größten Medienunternehmen, Televisa und TV Azteca, unter sich ausmachen. Zumindest gemeinschaftlich organisierte Radios, die nicht die Mittel haben, sich ihre „Legalität“ zu erkaufen, sehen Repressionen entgegen.
Hinzu kommt die geplante Digitalisierung der Radio- und Fernsehsignale. Künftig werden Anwärter auf Lizenzen vorweisen müssen, dass sie technisch in der Lage sind, auf diese Weise zu übertragen. Für gemeinschaftlich organisierte Sender oder auch lokale Fernsehstationen wird es also unglaublich schwer werden, dieses Equipment zu organisieren und zu bedienen.

Was genau heißt in diesem Fall „Digitalisierung“? Werden auf diese Weise zusätzliche Frequenzen geschaffen oder wird die bisherige Übertragungsweise eingestellt?

Es scheint, als ob die analogen Radioübertragungen verschwinden werden. Die AM-Frequenzen auf jeden Fall. Es bleibt also nur noch FM übrig, allerdings als digitalisierte Variante. Das heißt, auf dem Frequenzabschnitt, auf dem bisher eine Station Platz fand, werden künftig fünf Sender übertragen können. Alle kommerziellen Sender die bereits eine Frequenz besitzen, werden mit der digitalen Variante beschenkt werden. Der Staat verdient also nichts, alles geschieht zum Wohl der großen Medienunternehmen.
Insgesamt eine schreckliche Entwicklung, denn eine zentrale Forderung der letzten Jahre war stets, mehr Frequenzen zu schaffen. Und jetzt wo es fünf mal mehr Frequenzen geben wird, scheinen die gemeinschaftlich organisierten Radios leer auszugehen. Die neuen Frequenzen werden unter den Medienunternehmen aufgeteilt, die bereits eine Lizenz besitzen oder das Geld haben, eine neue zu kaufen.

Wenn die kommerziellen Sender nicht mehr auf AM senden, könnte man die frei werdenden Frequenzen dann nicht für freies Radio nutzen?

Klar, die Möglichkeit weiter auf AM zu senden besteht. Das elektromagnetische Feld verschwindet ja nicht. Aber je weniger Stationen senden, um so leichter sind sie auch zu orten. Und im Allgemeinen ist es leider auch technisch schwieriger, auf AM zu senden.

Welche Schwierigkeiten kommen auf die indigenen Radiostationen zu? Im Senat sind ja bereits Stimmen zu hören, die Sendungen in indigenen Sprachen als Gefahr beschreiben – es sei schwer zu überprüfen, ob die Inhalte verfassungskonform sind.

In Mexiko war es eigentlich immer schon verboten, in indigenen Sprachen zu senden. Von den Integrationisten bis zum Aufstand der Zapatisten war die offizielle Politik immer bemüht, die Indigenen von ihrer rückständigen Kultur und Sprache zu befreien, damit sie irgendwann einmal im Okzident ankommen, in diesem Fall dem Mestizen-Mexiko. Erst die zapatistische Bewegung und ins besondere die Beschlüsse von San Andrés haben es zu einer Art Recht werden lassen, in indigenen Sprachen senden zu dürfen. Man fing gerade an, indigene Sprachen als eine nationale Realität zu akzeptieren. Jetzt sind eher Rückschritte zu befürchten.

Das hört sich ganz so an, als ob in naher Zukunft einige Konflikte auf die Basismedien beziehungsweise indigenen Radios zukommen.

Konflikte hat es immer gegeben. Schon beim Erlass des bislang gültigen Mediengesetzes gab es Proteste in vielen Teilen Mexikos und in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten. Die Forderung war schon damals, die Massenmedien partizipativer zu organisieren. Die gemeinschaftlich organisierten Radios etwa streiten seit über 30 Jahren für ein Senderecht.
Zwei der ersten Stationen, die auf Sendung gingen, waren Uniradios, eins in Guerrero und ein anderes in Puebla. Das war 1983. Als ein Tontechniker gefoltert wurde, schlossen beide Stationen wieder. Das zeigt sehr deutlich, auf welche Weise die Regierung unliebsame Stimmen zum Schweigen gebracht hat.

Gibt es ähnliche Fälle aus jüngerer Zeit, in denen der Staat ebenfalls gewaltsam gegen Basismedien vorgegangen ist?

In den ersten Monaten dieses Jahres wurden drei Radiostationen in Oaxaca von der Bundespolizei (PFP) überfallen. So etwas ist lange nicht passiert, zumindest in den letzten zehn Jahren. Die Überfälle geschahen allerdings zu einer Zeit, in der sich diese Stationen gemäß dem alten Mediengesetz zumindest noch als halblegal bezeichnen durften.

Meinst du, dass ein Regierungswechsel bei den Präsidentschaftswahlen im Juni eine Veränderung herbeiführen könnte? Gibt es eine Partei, die das neue Mediengesetz rückgängig machen könnte?

Alle im Kongress vertretenen Parteien haben für das Ley Televisa gestimmt. Unter den Senatoren gab es zwar eine kleine Debatte, aber die Mehrheit war am Ende dafür. Im Juni treten zu den Wahlen mit den Ultras von PAN, der Rechten PRI und der rechten Zentrumspartei PRD drei Parteien an, die alle mit einem mehr oder weniger ähnlichen Programm werben. Zwei Parteien wollen gemeinschaftlich organisierte Sender ganz ausradieren und die PRD will weder den Radiergummi ansetzen noch Unterstützung versprechen. Deshalb lassen sich viele Basisradios auch nicht auf die Parteien ein.

Trotzdem gibt es doch auch im Kongress entschiedene Gegner des neuen Mediengesetzes. Der Senator Javier Corral Jurado von der PAN zum Beispiel setzt sich zusammen mit dem Weltverband der Basisradios (AMARC) seit längerer Zeit für gemeinschaftlich organisierte Medien ein.

Es gibt immer Leute die ein Steckenpferd haben. Aber die Mehrheit der PAN hat bestimmt nicht vor, die Medien partizipativer zu organisieren. Corral hat sich sicher viel angelesen, hat Freude an dem Thema gefunden und ein bestimmtes Rundfunkmodell im Kopf. Aber dieser Typ repräsentiert nicht seine Partei. Die PAN hat seine Initiativen bisher stets durchfallen lassen.

Neben dem Wahlkampf der offiziellen Parteien findet in Mexiko ja gerade auch die von der EZLN organisierte „Andere Kampagne“ statt. Wird in diesem Zusammenhang auch das Ley Televisa thematisiert?

Natürlich. Mit dem Aufstand der Zapatisten setzte auch der Boom gemeinschaftlich organisierter Radios ein. Die meisten der heute existierenden Basisradios wurden damals gegründet.
Im Februar haben sich zudem viele Medienaktive im Rahmen der Sexta Declaración in Tlascala getroffen. Das waren um die 1.500 Leute, eine Fülle an Meinungen. Darunter nicht wenige, die längst nicht auf die Regierung und rechtliche Reformen schauen. In den letzten Jahren gab es einfach zuviel kontra. Deshalb geht es in der aktuellen Debatte auch vielmehr darum, wie eine gut funktionierende Basiskommunikation geschaffen werden kann. Nicht mehr die Regierungen, sondern die Gemeinschaft in der man Medienprojekte realisiert, legitimiert sie.
Ihr werdet also weiterhin auf Sendung bleiben.
Wir werden weiter den Mund aufmachen. Es liegt nun mal nicht in der Natur des Menschen still zu sein. Wir versuchen, gemeinschaftliche Kommunikation anzuregen und zu stärken. Wir können nicht darauf warten, dass uns irgendwann jemand die Erlaubnis dazu gibt.

Centro de Medios Libres: http://cml.vientos.info

KASTEN:
Ley Televisa

Trotz zahlreicher Proteste stimmten Ende März zwei Drittel des mexikanischen Senats für eine Neufassung des seit 1960 geltenden Mediengesetzes. Die KritikerInnen des so genannten Ley Televisa befürchten eine weitere Stärkung des bestehenden Oligopols privater Medienunternehmen und eine damit verbundene Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. Die Zukunft vieler gemeinschaftlich organisierter und freier Medien scheint bedroht.
So ermöglichen es die in dem Gesetz definierten technischen Dispositionen, dass die beiden größten Medienunternehmen Televisa und TV Azteca, die 80 Prozent des Medienmarktes kontrollieren, ihre Lizenzen kostenlos für digitale Übertragungen nutzen können. Da außerdem Lizenzen künftig nur noch verkauft und keine „Sendeerlaubnis“ mehr für öffentliche Kultur- oder Bildungssender vergeben werden sollen, fürchten die knapp 50 Stationen, die derzeit eine solche Sendelizenz besitzen, um ihre Zukunft. Geregelt werden soll der Medienmarkt von einer neuen Regulierungsinstanz, deren Mitglieder vom scheidenden Präsidenten Vicente Fox auf 16 Jahre ernannt werden. Diesem Gremium wird auch die Regulierung der Basisradios unterstehen, die im neuen Mediengesetz mit keinem Wort erwähnt sind und somit keinerlei Garantien für den künftigen Sendebetrieb oder ihre inhaltliche Unabhängigkeit besitzen.
Inzwischen haben verschiedene Medienverbände und Nichtregierungsorganisationen gegen das Gesetz Klage bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingereicht.

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