Nummer 238 - April 1994 | Paraguay

Bauern machen mobil

Protestaktionen und Großdemonstration für eine Agrarreform

“Subversives Gedankengut” verbreitet sich laut Ex-Parlamentarier Celso Ve­lasquez unter den paraguayischen Kleinbauern und -bäuerinnen, gar “Zu­stän­de wie in Chiapas” seien zu erwarten. Ein halbes Jahr nach Amtsan­tritt der de­mokratisch gewählten Regierung fordern die Campesinos mit Stra­ßenblockaden und Landbesetzungen die Einlösung der Wahlversprechen. Dabei werden sie von der katholischen Kirche unterstützt. Den vorläufigen Höhepunkt der Aktio­nen bildete eine Großdemonstration am 15. März.

Brigitte Müller

Von einem “vollen Erfolg” der Demon­stration sprechen die Bauernorganisatio­nen. An diesem Tag haben sich rund 25.000 Menschen in der Hauptstadt Asun­ción versammelt. Fünf Stunden dauerte die Kundgebung vor dem Parlamentsge­bäude, auf der die Bauern eine Agrarre­form, bessere soziale Versorgung und vor allem höhere Baumwollpreise forderten. Baumwolle ist, neben Soja, das Hauptex­portprodukt des Landes. Ein direkter Ver­kauf ihrer Ernte, etwa an brasilianische Zwischenhändler, ist den Kleinbauern und -bäuerinnen nicht erlaubt, die Preise wer­den von nationalen ExporteurInnen und der Regierung diktiert. Derzeit erhalten sie etwa 67 Pfennige (700 Guarani) pro Kilo. Um ihre Existenz zu sichern, verlangen die Bauern jedoch mindestens 95 Pfennige (1000 Guarani) für ein Kilo. Weiterhin setzen sie sich für die Freilassung jener Gefangenen ein, die bei Protesten gegen die Agrarpolitik festgenommen wurden.
Begonnen hatten die Aktionen der Bauern am 11. und 12. Februar, als sie den Groß­grundbesitz des früheren Vorsitzenden der Colorado-Partei, Blas Riquelme, im De­partment San Pedro besetzt hatten. Nach­dem die Polizei mit Tränengas und Schrotflinten gegen die Campesinos vor­gegangen war und etwa hundert Besetzer festgenommen hatte, begann eine Reihe von Demonstrationen und Straßenblocka­den. Bei blutigen Auseinandersetzungen wurde ein Mensch getötet und 200 weitere wurden verletzt. “Unsere Geduld ist er­schöpft”, sagt Bauernführer Rafael Ruiz Diaz. Diese Geduld hat lange gewährt. Seit 1958, als die Diktatur mit Militär ge­gen Demonstranten vorgegangen war, hat es keinen Protestmarsch gegeben, der mit der Demonstration im März vergleichbar wäre. StudentInnen- und SchülerInnenver­tretungen, die drei Gewerkschaftszentra­len und auch die katholische Kirche schlossen sich den Bauern und Bäuerin­nen in der Hauptstadt an.
Noch im Februar hatte der Bischof von Coronel Oviedo, Claudio Silvero, die fehlende Selbstorganisation der Bauern beklagt – heute warnen die Medien vor “Unruhen” wie in Chiapas. Sollte der Funken übergesprungen sein?

Regierung in Zugzwang

Die Regierung signalisiert Gesprächsbe­reitschaft. Schon mußte der Chef des Landreforminstituts, Cancio Urbieta sei­nen Hut nehmen. Präsident Juan Carlos Wasmosy hat angekündigt, eine Agrarre­form durchführen und die landwirtschaft­liche Produktion wieder ankurbeln zu wollen. Auf einem Treffen mit Bauern­vertreterInnen im Department Caaguazu jedoch versuchte er wieder einmal, sich mit fehlenden finanziellen Mitteln heraus­zureden. Mit seinem Kabinett wird Was­mosy, der, wie auch Ex-Diktator Stroess­ner, der Colorado-Partei angehört, die geforderte Landreform kaum durchführen können. Dort sind die Interessen der Mi­litärs und der GroßgrundbesitzerInnen, zu denen auch der Präsident selbst zählt, zu stark vertreten. Aus dem Abgeordneten­haus, in dem die Opposition die Mehrheit stellt, sind ganz andere Töne zu hören. Der Parlamentspräsident, Francisco de Vargas, versprach die Enteignung der GroßgrundbesitzerInnen und ein neues Agrargesetz. Ebenso wolle er sich für Straffreiheit für die demonstrierenden Kleinbauern und -bäuerinnen einsetzen. Inwieweit er sich damit durchsetzen kann, ist jedoch fraglich. Die Regierung war je­denfalls bisher nicht zimperlich und tat alles, um ein Gelingen der Aktion vom 15. März zu verhindern: Das Verkehrsmi­nisterium, das “Institut zum Wohl des ländlichen Sektors” (Instituto de Bienestar Rural) und die “Paraguayische Baumwoll­kammer” (Cámara Algodonera del Para­guay) drohten mit Sanktionen, falls die Bauern und Bäuerinnen an den Protesten teilnähmen. Mit einer Planierraupe, einem Lastwagen, Eisenstangen und “mi­gue­li­tos” (“Krähenfüßen”, die Autorei­fen durchlöchern) versuchte das Ver­kehrs­mi­nisterium außerdem, die Zufahrts­straßen zur Hauptstadt zu blockieren. Un­ter dem anhaltenden Druck der Bauern und Bäu­e­rinnen erbat sich Wasmosy 90 Tage Zeit, um die Probleme zu lösen. Wenn er es wirklich ernst meint, wird er viel zu tun haben: 76 Prozent der para­guayischen Fa­milien mit Agrarbesitz leben in Armut, während nur ein Prozent der Bevölkerung mehr als 70 Prozent des Bo­dens besitzt. Die Zahl der Landlosen wird von Bauern­organisationen gar auf 200.000 geschätzt. Dem Präsidenten bleibt nicht viel Zeit, die Bauern und Bäuerinnen je­denfalls schei­nen nicht bereit, so bald wieder in Pas­si­vi­tät zu verfallen.

Kasten:

Aufruf zur Unterstützung

In der deutschen Medienlandschaft taucht Paraguay praktisch nicht auf. Die Was­mosy-Regierung soll jedoch wissen, daß es auch hier Menschen gibt, die die Forde­rungen der Campesinos unterstützen und das repressive Vorgehen von Seiten des Staates verurteilen. Schreibt also massenhaft Protestbriefe und schickt sie an folgende Stellen:

                     Presidente de la República del Paraguay,
                         Ing. Juan Carlos Wasmosy, Fax: 00595-21-498809
                     Ministro de Agricultura y Ganadería,
                         Ing. Raúl Torres, Fax: 00595-21-419951
                     Ministro del Interior,
                         Carlos Podesta, Fax: 00595-21-44004
                     Presidente del Instituto de Bienestar Rural,
                         Ing. Hugo Halley Merin, Fax: 00595-21-44633
                     Cámara de Diputados,
                         Francisco de Vargas, Fax: 00595-21-49887
                     Cámara de Senadores,
                         Evelio Fernández Arevalo, Fax: 00595-21-448100

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren