El Salvador | Nummer 248 - Februar 1995

“Bis zum Stern in der Fahne”

Interview mit Rubén Zamora von der Demokratischen Konvergenz

Rubén Zamora trat 1980 aus der Christdemokratischen Partei El Salva­dors aus und war in den Bürgerkriegs­jahren in der mit der FMLN verbün­deten Demokratisch-Re­volutionären Front (FDR) aktiv. Nach mehreren Jah­ren im Exil kehrte er 1988 in sein Land zurück. Bei den Präsident­schafts­wahlen vom März und April 1994 kandidierte Zamora für ein Links­bündnis, dem unter anderem die Demokratische Konvergenz (CD) und die FMLN angehörten. Dabei unterlag er deutlich dem Bewerber der rechten Regierungspartei ARENA, Calderón Sol.

Interview: Reimar Paul

LN: Seit dem Friedensabkommen vom Januar 1992, spätestens seit den soge­nannten Jahrhundertwahlen im ver­gan­genen Jahr, ist El Salvador aus den in­ternationalen Schlagzeilen ver­schwun­den. Wie kommt der Demokra­ti­sie­rungsprozeß voran?
Rubén Zamora: Erstens: Mit dem Frie­dens­abkommen wurde der Grundstein für einen politischen Wandel, eine Trans­formation der Gesellschaft, gelegt. Dieser Übergangsprozeß ist aber noch längst nicht abgeschlossen. Zweitens gibt es große Fortschritte bei der Ent­mili­ta­risierung des öffentlichen Lebens. Der Einfluß der Armee ist gesunken, die alten Sicherheitsorgane sind ver­schwun­den, die neue zivile Polizei ist in­zwischen im gan­zen Land präsent. Zum dritten sind erste Anzeichen einer neuen Streitkultur sicht­bar, die den früheren Stil der Ausein­an­dersetzung ablöst. Es gibt mehr Frei­räume für Diskussionen und in bestimm­ten Be­rei­chen auch für Vereinbarungen.
Wo sehen Sie Defizite?
Die Landübertragung an ehemalige Sol­daten und FMLN-Kämpfer wird von der Regierung sabotiert. Es gibt noch keine Vereinbarung über die Entschädi­gung der Repressionsopfer. Die alten, un­gerechten Strukturen im wirtschaftlichen und so­zialen Bereich sind noch intakt.
Die Karten werden neu gemischt
In den vergangenen Monaten haben sich die politischen Kräfte neu for­miert. Es gab Spaltungen, und es ent­stehen ganz neue Parteien. Wie be­werten Sie diese Entwicklung?
Daß das Parteienspektrum in Bewe­gung gerät, ist eine Folge des Frie­dens­prozesses. Die bestehenden Par­teien wa­ren ein Produkt des Krieges. Die FMLN entstand als kriegführende Organi­sation. ARENA war eine politi­sche Ant­wort der Rechten auf den Be­ginn des Krieges. Die Christdemokratie orientierte sich neu, als sie während des Krieges an der Regierung war. Jetzt befindet sich die Gesellschaft in einem Nachkriegszustand. Es gab also ein Mißverhältnis zwischen dem beste­henden Parteienspektrum und der ak­tuellen po­litischen Situation. Alle großen Parteien sind im vergangenen Jahr folgerichtig in eine Identitätskrise geraten. ARENA hat sich gespalten. Es gibt eine neue rechte Partei, die PLD (Liberal-De­mokratische Partei). Die FMLN hat sich in zwei Flügel gespal­ten. Die Christdemo­kratie hat sich ge­spalten. Die einzigen Oppositions­par­teien, die sich nicht ge­spalten ha­ben, sind die kleineren Gruppen, die Demokratische Konvergenz und das evange­lische “Movimiento Unidad”. Aber diese Spal­tungen sind jetzt voll­zogen, nun werden die Karten neu ge­mischt.
Neu im Parteienspektrum ist eine sozialdemokratische Gruppierung, die mit dem Austritt vom Joaquín Villalobos ERP und der Mehrheit des RN (Nationaler Widerstand) aus der FMLN entstanden ist. Gibt es für diese Strömung eine politische Zu­kunft?
Vielleicht, aber bestimmt nicht unter einem sozialdemokratischen Etikett. So­zialdemokratische Parteien gab es schon immer, aber sie hatten nie eine Ba­sis in der Bevölkerung. ERP und RN sind für mich die Verlierer des vergangenen Jah­res. Zuerst wollten sie gar nicht aus der FMLN raus. Dann wollten sie die ganze FMLN auflösen. Als das nicht klappte, wollten sie aus­treten und so viel wie mög­lich mit­nehmen, vom Vermögen bis hin zum Stern in der Fahne. Schließlich muß­ten sie ohne alles gehen. Die neue Strö­mung hat noch keine politische Iden­ti­tät und weiß noch nicht einmal, ob sie sich als Partei oder als eine Be­wegung de­finieren soll.
Wo sieht Ihre eigene Partei, die Convergencia Democrática, ihren Stand­ort in dem neuen Parteienspek­trum?
Wir haben jetzt eine gute Position. Wir haben uns nicht gespalten, wir ha­ben keine Krise erlebt wie die anderen Par­teien. Wir haben uns im vergange­nen hal­ben Jahr von einer Koalition zu einer richtigen Partei entwickelt, in der die ur­sprünglichen Mitglieds­organisat­ionen kei­ne Bedeu­tung mehr haben. Über Bünd­nis­se bei den kom­menden Kommunal- und Parla­ments­wahlen 1997 kann ich noch nichts sagen. Wir warten ab, wie sich die FMLN entwickelt, wie sich die bei­den christ­demokratischen Gruppierun­gen ent­wickeln und was aus der sozial­demo­kra­tischen Strömung wird.
Welche politischen Ziele muß sich die Linke bis zu diesen Wahlen setzen?
ARENA muß die politische Hege­monie im kommunalen Bereich und im Parla­ment entrissen werden. Im Parla­ment muß die Opposition nur zwei Man­date dazu­gewinnen, um die Mehr­heit zu stellen. Gleichzeitig muß mehr poli­tischer Druck ausgeübt werden, damit die Friedensver­einbarungen end­gül­tig umgesetzt werden.
Wer soll diesen Druck machen? Die FMLN ist mit sich selbst beschäftigt und reibt sich in der parlamentarischen Arbeit auf. Und die Volksorganisatio­nen scheinen kaum noch zu existieren.
Ebenso wie die alten Parteien sind auch die meisten Volksorganisationen unter Kriegsbedingungen entstanden. Die Neu­ordnung des politischen Par­teiensystems wird auch zur Gründung neuer, unabhän­giger Volksorganisatio­nen führen.
Es scheint, daß Sie Ihres Lebens als Politiker noch nicht überdrüssig sind. Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle in der zukünftigen Politik El Salvadors?
Weil sich die meisten Parteien in ei­ner Krise befinden und vor allem mit internen Querelen beschäftigt sind, muß ich derzeit so etwas wie den Feuer­wehrmann für die Opposition spielen. Aber meine eigentli­che Aufgabe sehe ich darin, den politi­schen Diskurs voranzubringen, neue In­halte und neue Forme der politi­schen Aus­einandersetzung zu suchen. Das we­sent­liche Ziel für mich ist, das Verhältnis zwi­schen der politischen Klasse und der Ge­sellschaft neu zu definieren. Ich wie­der­hole, wir befin­den uns noch mitten in ei­nem Über­gangs­prozeß. Das ist wie das Durch­schwimmen eines Flusses. Die Ge­fahr dabei ist weniger, daß man an das ur­sprüngliche Ufer zurückgetrieben wird, sondern, daß man mittendrin von der Strö­mung weggerissen wird und nie­mals das andere Ufer erreicht.


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