“Bis zum Stern in der Fahne”
Interview mit Rubén Zamora von der Demokratischen Konvergenz
LN: Seit dem Friedensabkommen vom Januar 1992, spätestens seit den sogenannten Jahrhundertwahlen im vergangenen Jahr, ist El Salvador aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden. Wie kommt der Demokratisierungsprozeß voran?
Rubén Zamora: Erstens: Mit dem Friedensabkommen wurde der Grundstein für einen politischen Wandel, eine Transformation der Gesellschaft, gelegt. Dieser Übergangsprozeß ist aber noch längst nicht abgeschlossen. Zweitens gibt es große Fortschritte bei der Entmilitarisierung des öffentlichen Lebens. Der Einfluß der Armee ist gesunken, die alten Sicherheitsorgane sind verschwunden, die neue zivile Polizei ist inzwischen im ganzen Land präsent. Zum dritten sind erste Anzeichen einer neuen Streitkultur sichtbar, die den früheren Stil der Auseinandersetzung ablöst. Es gibt mehr Freiräume für Diskussionen und in bestimmten Bereichen auch für Vereinbarungen.
Wo sehen Sie Defizite?
Die Landübertragung an ehemalige Soldaten und FMLN-Kämpfer wird von der Regierung sabotiert. Es gibt noch keine Vereinbarung über die Entschädigung der Repressionsopfer. Die alten, ungerechten Strukturen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich sind noch intakt.
Die Karten werden neu gemischt
In den vergangenen Monaten haben sich die politischen Kräfte neu formiert. Es gab Spaltungen, und es entstehen ganz neue Parteien. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Daß das Parteienspektrum in Bewegung gerät, ist eine Folge des Friedensprozesses. Die bestehenden Parteien waren ein Produkt des Krieges. Die FMLN entstand als kriegführende Organisation. ARENA war eine politische Antwort der Rechten auf den Beginn des Krieges. Die Christdemokratie orientierte sich neu, als sie während des Krieges an der Regierung war. Jetzt befindet sich die Gesellschaft in einem Nachkriegszustand. Es gab also ein Mißverhältnis zwischen dem bestehenden Parteienspektrum und der aktuellen politischen Situation. Alle großen Parteien sind im vergangenen Jahr folgerichtig in eine Identitätskrise geraten. ARENA hat sich gespalten. Es gibt eine neue rechte Partei, die PLD (Liberal-Demokratische Partei). Die FMLN hat sich in zwei Flügel gespalten. Die Christdemokratie hat sich gespalten. Die einzigen Oppositionsparteien, die sich nicht gespalten haben, sind die kleineren Gruppen, die Demokratische Konvergenz und das evangelische “Movimiento Unidad”. Aber diese Spaltungen sind jetzt vollzogen, nun werden die Karten neu gemischt.
Neu im Parteienspektrum ist eine sozialdemokratische Gruppierung, die mit dem Austritt vom Joaquín Villalobos ERP und der Mehrheit des RN (Nationaler Widerstand) aus der FMLN entstanden ist. Gibt es für diese Strömung eine politische Zukunft?
Vielleicht, aber bestimmt nicht unter einem sozialdemokratischen Etikett. Sozialdemokratische Parteien gab es schon immer, aber sie hatten nie eine Basis in der Bevölkerung. ERP und RN sind für mich die Verlierer des vergangenen Jahres. Zuerst wollten sie gar nicht aus der FMLN raus. Dann wollten sie die ganze FMLN auflösen. Als das nicht klappte, wollten sie austreten und so viel wie möglich mitnehmen, vom Vermögen bis hin zum Stern in der Fahne. Schließlich mußten sie ohne alles gehen. Die neue Strömung hat noch keine politische Identität und weiß noch nicht einmal, ob sie sich als Partei oder als eine Bewegung definieren soll.
Wo sieht Ihre eigene Partei, die Convergencia Democrática, ihren Standort in dem neuen Parteienspektrum?
Wir haben jetzt eine gute Position. Wir haben uns nicht gespalten, wir haben keine Krise erlebt wie die anderen Parteien. Wir haben uns im vergangenen halben Jahr von einer Koalition zu einer richtigen Partei entwickelt, in der die ursprünglichen Mitgliedsorganisationen keine Bedeutung mehr haben. Über Bündnisse bei den kommenden Kommunal- und Parlamentswahlen 1997 kann ich noch nichts sagen. Wir warten ab, wie sich die FMLN entwickelt, wie sich die beiden christdemokratischen Gruppierungen entwickeln und was aus der sozialdemokratischen Strömung wird.
Welche politischen Ziele muß sich die Linke bis zu diesen Wahlen setzen?
ARENA muß die politische Hegemonie im kommunalen Bereich und im Parlament entrissen werden. Im Parlament muß die Opposition nur zwei Mandate dazugewinnen, um die Mehrheit zu stellen. Gleichzeitig muß mehr politischer Druck ausgeübt werden, damit die Friedensvereinbarungen endgültig umgesetzt werden.
Wer soll diesen Druck machen? Die FMLN ist mit sich selbst beschäftigt und reibt sich in der parlamentarischen Arbeit auf. Und die Volksorganisationen scheinen kaum noch zu existieren.
Ebenso wie die alten Parteien sind auch die meisten Volksorganisationen unter Kriegsbedingungen entstanden. Die Neuordnung des politischen Parteiensystems wird auch zur Gründung neuer, unabhängiger Volksorganisationen führen.
Es scheint, daß Sie Ihres Lebens als Politiker noch nicht überdrüssig sind. Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle in der zukünftigen Politik El Salvadors?
Weil sich die meisten Parteien in einer Krise befinden und vor allem mit internen Querelen beschäftigt sind, muß ich derzeit so etwas wie den Feuerwehrmann für die Opposition spielen. Aber meine eigentliche Aufgabe sehe ich darin, den politischen Diskurs voranzubringen, neue Inhalte und neue Forme der politischen Auseinandersetzung zu suchen. Das wesentliche Ziel für mich ist, das Verhältnis zwischen der politischen Klasse und der Gesellschaft neu zu definieren. Ich wiederhole, wir befinden uns noch mitten in einem Übergangsprozeß. Das ist wie das Durchschwimmen eines Flusses. Die Gefahr dabei ist weniger, daß man an das ursprüngliche Ufer zurückgetrieben wird, sondern, daß man mittendrin von der Strömung weggerissen wird und niemals das andere Ufer erreicht.