Nummer 365 - November 2004 | Peru

Das Goldfieber von Cajamarca

Ein Entwicklungsmodell der Weltbank in der Kritik

Die größte Goldmine Lateinamerikas heißt Yanacocha und produziert fast ein Achtel der peruanischen Exporte. Doch mit den Gewinnen wuchsen vor Ort auch Armut und Umweltprobleme. Mitte September verhinderten Proteste die Ausbeutung neuer Goldvorkommen.

Rolf Schröder

Im Jahre 1532 erhielt Francisco Pizarro ein unglaubliches Angebot. Der Inkaherrscher Atahualpa erklärte sich bereit, seinen Gefängnisraum im Andenstädtchen Cajamarca mit Gold aufzufüllen, falls ihn der spanische Invasor dafür freilassen würde. Nachdem der Handel notariell besiegelt war, ließ Atahualpa alles Gold aus königlichen Palästen und Tempeln nach Cajamarca schaffen. Indianische Goldschmiede mussten die erhaltenen Gegenstände einschmelzen und daraus Barren formen. 1,3 Millionen Goldpesos kamen zusammen, ein für damalige Verhältnisse riesiges Vermögen. Damit war die Gier der Spanier nach dem Edelmetall vorübergehend gestillt. Wie versprochen durfte Atahualpa sein Gefängnis verlassen. Aber seine Freiheit war der Tod: Pizarro ließ ihn auf der Plaza von Cajamarca hinrichten.
Das Goldfieber ist nun nach Cajamarca zurückgekehrt. Aber heute sind es keine spanischen Invasoren, sondern US-amerikanische Investoren vom Minenkonzern Newmont Corporation, die Einheimische Goldbarren herstellen lassen. Sie betreiben zusammen mit der peruanischen Firma Buenaventura seit 1992 eine Mine mit dem indigenen Namen Yanacocha und holen das Edelmetall aus den Bergen rings um das 2.700 Meter hoch gelegene Städtchen. Zuvor hatte die peruanische Regierung den InvestorInnen ebenfalls ein hervorragendes Angebot unterbreitet. Sie lockte diese mit Steuervorteilen, schwächte die Umweltschutzgesetze ab und garantierte die Enteignung des auszubeutenden Terrains. Die InvestorInnen ihrerseits versprachen der ansässigen Bevölkerung Arbeit und Wohlstand, dem Land Devisen und neueste Minentechnik. Das, so fand die Weltbank, war nicht nur ein gutes Geschäft für beide Seiten, sondern auch ein ausgezeichnetes Entwicklungsmodell. Deswegen übernahm sie selbst gleich fünf Prozent der Anteile von Yanacocha.

Mondlandschaft mit orangen Seen

Die Mine liegt hoch oben über der Stadt. Wer auf Yanacocha herabschauen möchte, muss sich auf fürchterlichen Schotterpisten die Berge hinauf winden. Es geht an kleinen Bauernhöfen vorbei, an Kartoffelfeldern und Wiesen mit schwarzweißen Kühen. Allmählich sinkt die Temperatur, die Landschaft wird karger. Auf etwa 4.100 Metern Höhe, an einem Ort namens Maqui Maqui, zieht sich ein riesiger Maschendrahtzaun über einen Hügel, die Grenze zum Minengebiet. Über den Zaun hinweg fällt der Blick weiter unten auf treppenförmig übereinander geschichtetes Gestein. Am Fuß der Treppen breiten sich riesige Becken mit orangefarbenem Wasser aus. Die Gegend gleicht einer Mondlandschaft. Kein Strauch, keine Blume, kein Tier weit und breit, nicht einmal ein Vogel. Es ist bedrückend still.
Der Bauer Nicolás Cruzado wohnt in der Nähe. Anfang der 90er Jahre musste er einen großen Teil seines Landes an die Mine verkaufen. Für 30 US-Dollar pro Hektar. Heute zahlt die Mine für ähnliche Landstücke das 300-fache. Aber damals, als die ersten Landkäufer anrückten, konnten die Bauern und Bäuerinnen nicht wissen, wieviel Gold unter ihren Feldern lag. 40 indigene Bauernfamilien aus Maqui Maqui verkauften ihr Land unter Preis. Die meisten von ihnen waren AnalphabetInnen, sie unterschrieben mit einem Fingerabdruck. Cruzado wurde doppelt hereingelegt: „Die Agenten der Mine wollten auf unserem Land gegen Bezahlung Messungen vornehmen und boten uns dafür einen Vertrag an“, klagt der Bauer. Ohne es zu wissen unterzeichneten er und seine NachbarInnen damit den Verkauf ihres Landes. Jetzt sind die meisten Familien verschwunden, die Einkünfte aus der Landwirtschaft reichen nicht mehr. Cruzado erinnert sich wehmütig, dass hier früher sogar Heilkräuter wuchsen. Es gab Hirsche, Füchse, Adler und Vizcachas (Wollhasen). Heute ist nichts mehr da. Nur die Berge. „Und die“, seufzt Cruzado, „hat die Mine abgeflacht und kaputt gemacht.“

Kranke Kühe, tote Pferde

Ein paar hundert Meter unterhalb von Maqui Maqui lebt Antero Huamán mit seiner Familie. Er baut Kartoffeln und Quinua an, ein einheimisches Getreide. Auf seiner Wiese weiden ein paar Kühe. Huamán ist überzeugt: Das Wasser der Flüsse und Bäche, die von weiter oben kommen, ist vom Goldabbau vergiftet. Anders kann er sich nicht erklären, dass in den Bächen keine Forellen und Frösche mehr leben. Aber das ist nicht das Schlimmste. Die Mine hat auf ihrem Territorium Lagunen abgesperrt, aus denen Huamán und seine NachbarInnen früher über Kanäle mit Trinkwasser versorgt wurden. Damit bleibt ihnen nur das verseuchte Wasser aus den Bächen. Huamáns Kinder leiden an Hautausschlag, die Kühe geben weniger Milch, und zwei Pferde eines Nachbarn sind auf rätselhafte Weise qualvoll verendet. Alles die Schuld der Mine, meint Huamán und zeigt sich resigniert: „Wir Bauern haben protestiert und Briefe an die Mine geschrieben. Alles vergeblich. Sie werden uns noch umbringen!“
Nilton Deza, Biologe an der Universität Cajamarca und Vorsitzender einer Umweltschutzorganisation, hat mit hunderten von Bauern gesprochen, die solche Klagen bestätigen. Seit Beginn des Goldabbaus, sagt er, gebe es im Bodensatz der betroffenen Flüsse keine Insekten mehr, deren Vorkommen auf eine gute Wasserqualität hinweist. Stattdessen hätten seine Leute dort eine deutliche Übersäuerung des Wassers nachgewiesen und mehrfach eine gefährliche Überschreitung der Grenzwerte für Quecksilber, Blei, Arsen und das krebserregende Chrom 6 registriert – alles Mineralien, die sich beim Goldabbau aus dem bearbeiteten Gestein lösen. Haut- oder Augenkrankheiten, über die die Betroffenen am meisten klagen, zählen für Deza zu den typischen Folgen von Arsenvergiftungen. Auch Spuren des hochgiftigen Zyanids, mit dem die Mine das Gold aus dem erzhaltigen Gestein bindet, will Deza im Wasser gefunden haben. Doch UmweltschützerInnen wie er haben einen schweren Stand. Denn fast alle chemischen Laboratorien in der Umgebung arbeiten mit der Mine zusammen und sind von ihr abhängig. Bleibt nur der lange Weg in eines der privaten Laboratorien der Hauptstadt Lima, wo der chemische Nachweis eines einzigen Minerals in einer Wasserprobe 30 US-Dollar kostet. Das können Betroffene oder Umweltschutzverbände nur gelegentlich bezahlen.

Das Arsenattentat

Im Namen der Mine streitet Peter Orams, der zuständige Umweltingenieur, kategorisch ab, dass die Bauern weniger Wasser zur Verfügung hätten oder dieses kontaminiert sei.
Die Mine habe sich von Anfang an verpflichtet, Wasseranalysen durchzuführen, und das geschehe regelmäßig. Das saure Wasser werde behandelt, gesammelt und in ein Becken gepumpt. Dort filtere man die verschiedenen Schwermetalle heraus und mache sie unschädlich. Am Ende lägen die Werte der Schwermetalle im Wasser unterhalb der gesetzlichen Höchstgrenze. Kühe, die weniger Milch geben, Kinder mit Hautausschlägen, Krebstote unter den Bauern?
Orams geht zum Angriff über. Er hätte schon die unmöglichsten Dinge gehört, woran die Mine schuld sein solle. In den meisten Fällen gehe es darum, dass die Bauern den Minenbetreibern Geld abpressen wollten.
Zwei größere Umweltkatastrophen kann Orams aber nicht abstreiten. Im Juni 2000 verlor ein Lastwagen auf dem Weg nach Lima Quecksilber, das in Yanacocha als Nebenprodukt gewonnen wird. Auf einer Strecke von 40 Kilometern wurden 151 Kilogramm des giftigen Minerals verschüttet. Mehr als 1000 Menschen erkrankten schwer. Sie sammelten das Quecksilber zum Teil mit bloßen Händen von der Straße auf. Bis heute werden als Folgeerscheinungen Fehlgeburten registriert. Und als im gleichen Jahr Unmengen toter Forellen in einem Bach gefunden wurden, der aus dem Abbaugebiet der Mine kommt, stellten SpezialistInnen eine Arsenvergiftung der Fische fest.
Die Mine erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt und behauptete, ihre GegnerInnen hätten von einer Brücke absichtlich Arsen ins Wasser geschüttet. Zwei Jahre später starben in einem nahe gelegenen Zuchtbetrieb erneut zehntausende Forellen. Dieses Mal verzichtete Yanacocha auf eine Anzeige.

Yanacocha – das Kronjuwel der Goldminen

Yanacocha ist derweil zur größten Goldmine Lateinamerikas angewachsen. Die Rekordausbeute im Jahr 2003, 87 Tonnen Gold im Wert von knapp einer Milliarde US-Dollar, ist auch von wirtschaftlichem Gewicht.
Damit stammt nämlich die Hälfte der peruanischen Exporterlöse aus dem Minensektor, ein Viertel aus dem Goldabbau und allein ein Achtel aus Yanacocha. Der Newmont-Konzern, der Minen in aller Welt unterhält, bezeichnet die Mine zu Recht als sein Kronjuwel. Denn die Produktionskosten für das Edelmetall sind in Peru die niedrigsten auf der Welt: Die Mine zahlte 2003 lediglich eine Gewinnertragssteuer von 1,8 Prozent (!) an den peruanischen Staat. Nicht einmal eine Gebühr für Ressourcenabbau wurde bislang erhoben, wie das zum Beispiel im Nachbarland Chile üblich ist.
Inzwischen ist zwar ein Gesetzentwurf auf dem Weg, darin sind aber Ausnahmeregelungen für den Goldsektor vorgesehen.

Hoher Gewinn, geringer regionaler Nutzen

Die Abzahlung der Auslandsschulden frisst unterdessen etwa 20 Prozent des peruanischen Staatshaushalts. Während also ein Großteil der Steuergelder ins Ausland fließt, kommt davon kaum etwas nach Cajamarca zurück. Dort hat sich wiederrum die Zahl der EinwohnerInnen seit 1990 auf 140.000 verdoppelt, obwohl die Mine nur ein paar tausend Arbeitskräfte beschäftigt. Die Menschen kamen in der Hoffnung auf Arbeit und Wohlstand, doch in ihrem Gefolge zogen Prostitution und Kriminalität in die einst verschlafene Kolonialstadt ein. Während bis Ende 2003 etwa 450 Tonnen Gold die Region verließen, ist Cajamarca in der nationalen Skala der ärmsten Regionen vom viert- auf den vorletzten Platz zurückgefallen.
Im Entwicklungsmodell Yanacocha bleibt für Peru nur die klassische Rolle eines wirtschaftlich schwachen Landes, das seine Ressourcen feilbietet.

Protest formiert sich –nicht nur in Cajamarca

Deshalb wächst die Unzufriedenheit vor Ort. Nur hatten Proteste gegen die Ausbeutung neu entdeckter Goldvorkommen auf Grund der wirtschaftlichen Macht der Yanacocha-Mine zunächst wenig Aussicht auf Erfolg.
Das änderte sich, als örtliche Widerstandsgruppen Mitte September 2004 zu einem regionalen Streik aufriefen (siehe Kasten). Vorbild war hier das Tal von Tambogrande, das an der nördlichen peruanischen Küste liegt, wo die Bevölkerung schon seit Jahren erfolgreich gegen den Bau einer Goldmine durch die kanadische Firma Manhattan Minerals Corporation protestiert (siehe LN 361/362). Unzähligen Protestmärschen, Streiks und Blockadeaktionen folgte im Jahre 2002 ein Plebiszit, bei dem über 90 Prozent der AnwohnerInnen der Mine eine Absage erteilten.
Der Widerstand gegen die hemmungslose Ausbeutung von Ressourcen formiert sich auch in anderen Teilen Lateinamerikas. Dort, wo sich das Goldfieber und die Gier nach Rohstoffen ausbreiten, fühlt sich die Bevölkerung immer häufiger betrogen und ausgenutzt. Wie einst Atahualpa.

KASTEN:
Der Streit um den sechsten Berg

Fünf Berge um Cajamarca fielen dem Goldfieber bereits zum Opfer. Jetzt haben die Minenbetreiber einen sechsten ausgespäht. Der heißt Cerro Quilish und beherbergt neben dem Edelmetall die einzige saubere Trinkwasserquelle der Stadt. Deshalb fürchten nicht nur 8000 indigene Bäuerinnen und Bauern um ihre Gesundheit: Meinungsumfragen zufolge lehnt eine klare Mehrheit der EinwohnerInnen die Ausweitung des Goldabbaus auf dem Cerro Quilish ab. Der Bürgermeister Cajamarcas erklärte vor ein paar Jahren den Berg sogar zur geschützten Zone. Die Mine klagte dagegen und verlor in zwei Instanzen. Doch das oberste Verfassungsgericht mahnte ein unabhängiges Gutachten an. Daraufhin erlaubte das Ministerium für Energie und Bergbau den Minenbetreibern die Aufnahme von geologischen Untersuchungen am Cerro Quilish.
Derweil setzen sich der neue Bürgermeister Cajamarcas und die örtlichen Medien ebenfalls für die Goldförderung am Cerro Quilish ein. Den Umweltschützer Nilton Deza wundert das nicht. Ihm zufolge finanzierten die Minenbetreiber dem Bürgermeister ein Postgraduierten-Studium in Spanien. Und Deza kennt eine ganze Reihe einheimischer JournalistInnen, die auf der Gehaltsliste der Mine stehen. Der Eigentümer der lokalen Zeitung Panorama besitzt sogar eine Firma, die zu den Zulieferbetrieben der Mine zählt. Die Mine selbst präsentiert sich als Wohltäterin. Sie rüstet die örtliche Polizei mit Schutzwesten aus, verteilt an Schulen gratis Unterrichtsmaterialien und fördert den beliebten Karnevalsumzug.
Es sah also so aus, als wäre die Ausbeutung des Cerro Quilish nicht mehr zu verhindern, bis örtliche Widerstandsgruppen Anfang September begannen, den Zugang zur Mine zu blockieren und einen regionalen Streik auszurufen. Am 15. September blieben in Cajamarca Banken, Schulen, Geschäfte und Behörden geschlossen. Der Cerro Quilish wurde besetzt, die Straßenverbindung zur Küste gesperrt, und Zehntausende gingen auf die Straße. Mit Erfolg: Die Regierung ordnete die sofortige Einstellung aller Arbeiten am Cerro Quilish an. Jetzt wird eine gerichtliche Entscheidung auf der Grundlage von Gutachten erwartet.

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