Nummer 487 - Januar 2015 | Peru

Wasser ernten mit den Berggeistern

Wie der Klimawandel das Leben der Menschen in Perus Andendörfern verändert

Kleinbäuerinnen und -bauern in den peruanischen Anden leiden schon jetzt besonders stark unter dem Klimawandel. Auf der 20. Weltklimakonferenz, die vom 01. bis 12. Dezember in Lima stattfand, wurde ein neues Klimaabkommen debattiert. In den betroffenen Andendörfern selbst müssen die Menschen ganz ungeachtet der Ergebnisse der Konferenz ihre eigenen Wege und Erklärungen finden, um mit den Konsequenzen des Klimawandels fertig zu werden.

Philipp Hedemann

„Die Wissenschaftler sagen, es liegt daran, dass die Erde immer wärmer wird. Ich glaube, es liegt daran, dass wir uns mit der Bibel in der Hand von den Apus, unseren Geistern, abgewendet haben“, fasst Marcos Mejia Vilca seine Sicht über den Grund des Klimawandels zusammen. Dann nimmt er getrocknete Koka-Blätter und frische Nelken und lässt sie vorsichtig in ein Wasserloch gleiten. Die Opfergabe in 4300 Meter Höhe soll den Apu des Wasserrückhaltebeckens Tapacchocha milde stimmen und dafür sorgen, dass er den Bauern und Bäuerinnen auch in Zukunft Wasser für ihre kargen Weiden schickt.
Peru ist eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder. Vom 1. bis 12. Dezember fand in der Hauptstadt Lima die 20. Weltklimakonferenz statt. Umweltschützer*innen hoffen, dass die 194 Vertragsstaaten sich dort auf die Grundzüge eines neuen Klimaabkommens einigen, das in diesem Jahr beim Gipfel in Paris beschlossen werden soll. Marcos Mejia Vilca kann nicht so lange warten. Der Mann, dem die Apus im Traum erschienen sind, spricht lieber direkt mit den Geistern.
„Früher war die Hitze nicht so heiß und die Kälte nicht so kalt. Es regnete mehr, wir wussten genau, wann die Wolken Wasser bringen, und der Hagel zerstörte nicht unsere Ernten. Eis und Schnee auf den Bergen speisten die Bäche. Aber heute ist das Wetter verrückt. Es wird immer schwieriger, hier zu überleben“, sagt der Mann, der sich noch an den steten Wechsel von Regen- und Trockenzeiten erinnern kann. Der maestro del agua (Wassermeister) sagt, er sei 60 Jahre alt, auch wenn sein von der grimmigen Kälte und der erbarmungslosen Sonne gegerbtes Gesicht auch das eines Achtzigjährigen sein könnte.
Vilca hat gelernt zu den Apus zu sprechen, karge Felder an steilen Hängen zu bestellen und Alpakas, Lamas, Schafe und Ziegen auf kargen Gebirgswiesen zu hüten. Um trotz des Klimawandels in den Anden überleben zu können, unterstützte die seit 20 Jahren aktive, lokale Hilfsorganisation Bartolomé Aripaylla (ABA) ihn und sein Dorf, das Wasserrückhaltebecken Tapacchocha zu bauen. In Quechua, der Sprache der indigen Andenbewohner*innen, heißt Tapacchocha „Nest des Wassers“. Dieses und 70 weitere von ABA errichtete „Wassernester“ helfen jetzt, die vom „verrückten Wetter“ verdörrten Berghänge wieder in saftige Weiden und fruchtbare Äcker zu verwandeln. Auf diesen wächst das Andengetreide Quinoa, die aus dem Hochgebirge stammenden Kartoffeln, Erbsen, Bohnen und Zwiebeln. Wer in der dünnen Luft einen Gipfel besteigt, sieht, dass die Hänge, die vor einigen Jahren noch braun waren, jetzt unterhalb der silbrig glänzenden Wasseraugen wieder grün sind.
Die Kleinbauern und -bäuerinnen in den peruanischen Anden haben den Klimawandel nicht verursacht und können ihn nicht aufhalten, doch sie leiden besonders heftig unter ihm. Einige von ihnen haben im Radio gehört, „dass die Fabriken in den großen Ländern das Wetter verrückt gemacht haben“. Manche glauben, dass die vielen Erdbeben in den Anden die Erdachse und damit das Wetter aus dem Lot gebracht haben. Andere vermuten, dass sie mitverantwortlich dafür sind, dass mittlerweile weder Kalender noch die Blüte der Kakteen anzeigen können, wann es Zeit ist, die Saat auszubringen.
„Wahrscheinlich straft Gott die Menschen dafür, dass sie sich gegenseitig umgebracht haben“, vermutet Máxima Fernandes. Die 47-Jährige kann sich noch gut daran erinnern, dass zwischen 1980 und 1995 die maoistische Terrororganisation Leuchtender Pfad und die damalige Regierung Massaker unter den Andenbevölkerung anrichteten. Rund 70000 Menschen bezahlten den Terror mit ihrem Leben. In der armen Provinz Ayacucho, in der Máxima ihre Felder bestellt, gab es die meisten Opfer. „Hinzu kam, dass wir mit chemischem Dünger und Gift das Gleichgewicht der Natur durcheinander gebracht haben“, glaubt die Mutter von sieben Kindern. Als ihre Tochter Mariluz geboren wurde, geriet das Wetter aus dem Takt. So erinnert sich die Bäuerin. Mariluz ist heute 23 Jahre alt. Ob es die von Gott verhängte Strafe oder der vom Mensch verursachte Klimawandel ist – die Folgen sind die gleichen. Weniger Niederschlag und immer extremeres Wetter. Seitdem das Klima sich änderte, war die Landwirtschaft in über 3500 Meter Höhe ein steter Kampf ums Überleben, und von der Regierung in der fernen Hauptstadt Lima gab es kaum Unterstützung. Máxima drückt es so aus: „Wir waren vergessene Leute, und das Leben war nicht rosig.“
Doch mit einer Rückbesinnung auf jahrhundertealte, doch während des Bürgerkrieges verloren gegangener Weisheiten, unterstützt die Hilfsorganisation ABA die Bauern und Bäuerinnen mittlerweile bei der Anpassung an den Klimawandel. Eine der wiederentdeckten Techniken ist das „Säen und Ernten von Wasser“. Schon die Inkas verstanden Wasser als lebendige Materie, die man hervorlocken kann. Mit madres del agua (Mütter des Wassers) genannten Pflanzen, die das Wasser mit ihren langen und schwammartigen Wurzeln an die Oberfläche ziehen sollen, Terrassierungen, alten Saaten, ausgeklügelten Bewässerungstechniken, natürlichem Dünger und ABA gelingt es Máxima Fernandes mittlerweile wieder, sich und ihre Kinder von ihren Feldern zu ernähren. Doch Hilfsorganisationen wie ABA können nicht überall sein. In einem kleinen Dorf drei Geländewagen-Stunden nordöstlich der Touristenstadt Cusco sind sie nicht. Ohne die Unterstützung von Landwirtschaftsexpert*innen versucht Florencio Tunquipa Casilla dort seinem eineinhalb Hektar großen Feld auf 3800 Meter Höhe genug für sich und seine sechs Kinder abzuringen. Vor neun Monaten verlor er seine ganze Kartoffelernte durch scharfen Frost. Auch Casillas Vater und Großvater waren Bergbauern. Doch so eine eisige Kälte vor der Erntezeit haben sie nie erlebt. „Früher war es einfacher, hier zu leben. Heute macht das Wetter es fast unmöglich“, erzählt der verzweifelte Bauer vor einem eingestürzten Lehmhaus. Casilla kannte die Leute, die darin lebten. Weil die Ernten immer schlechter ausfielen, flohen sie vor einigen Jahren in die Stadt. Auch Casilla versuchte, sich dort durchzuschlagen, doch weil es in den peruanischen Städten mittlerweile Abertausende Klimaflüchtlinge gibt und der Bauer nur drei Jahre zur Schule ging, fand er kaum Arbeit. Nach acht Jahren kehrte er auf sein inzwischen noch stärker ausgedörrtes Feld zurück.
In Peru produzieren Kleinbauern und -bäuerinnen wie Casilla 80 Prozent der im Land konsumierten Nahrung. Wenn sie durch den Klimawandel immer weniger ernten, zerstört dies nicht nur ihre Existenz, sondern könnte langfristig auch die Ernährung der 30 Millionen Peruaner*innen gefährden. Noch befinden sich 70 Prozent aller tropischen Gletscher in Peru, doch die steigenden Temperaturen lassen sie immer schneller abschmelzen. Die Wasserversorgung des wüstenartigen Küstenstreifens, in dem fast zwei Drittel aller Peruaner*innen leben, wird so immer schwieriger. Zudem bedroht der Temperaturanstieg den ungewöhnlichen Reichtum an Pflanzen und Tieren im Land und macht schon heute viele Menschen krank. „Weil es immer weniger Wasser gibt, müssen wir oft dehydrierte und unter- oder mangelernährte Kinder behandeln“, sagt Luz Malpartida, Gesundheitsreferentin in der Andenprovinz Paucartambo.
Der ehemalige Umweltaktivist und jetzige Umweltminister Manuel Pulgar-Vidal versucht diesen gefährlichen Entwicklungen entgegenzuwirken, doch die in den letzten Jahren ins Straucheln geratene peruanische Wirtschaft macht seinen Job immer schwieriger. Der jahrelange Boom basierte vor allem auf der Ausbeutung von Bodenschätzen. Der schwächelnden Konjunktur versucht die Regierung jetzt unter anderem mit Absenkungen von Umweltstandards im Bergbau entgegenzutreten. Wirtschaftsschutz steht in Peru fast immer vor Umwelt- und Klimaschutz. Viele vermuten, dass der frustrierte Umweltminister deshalb nach der Klimakonferenz in Lima zurücktreten wird.
Zuvor nutzten jedoch über 80 im Netzwerk Grupo Perú COP20 zusammengeschlossene Gewerkschaftsverbände, Bauern- und Bäuerinnenorganisationen, kirchliche und indigene Gruppen sowie Umweltschutzbewegungen die größte Konferenz Perus, um Druck zu machen. Die Grupo fordert, dass alle Teilnehmerstaaten sich verpflichten, ihre Emissionen ab 2015 deutlich zu senken und die Industriestaaten als Hauptverursacher des Klimawandels ausreichende Mittel für Anpassungsprojekte in Entwicklungsländern zur Verfügung stellen.
Während bei Redaktionsschluss auf der Klimakonferenz noch um einen Kompromiss über die Grundzüge eines neuen Klimaschutzabkommens gerungen wird, gibt es auch ungeachtet der Ergebnisse viele pessimistische Stimmen. Juan Vaccari Chávez, Direktor des peruanischen Instituts für Entwicklung und Umwelt, glaubt nicht daran, dass durch die Mammutveranstaltung ein Durchbruch erzielt werden kann. „In Peru sind der Staat und die Regierung schwach und die Unternehmen stark – und viele Unternehmen wollen eine Ausbeutung der Natur ohne Rücksicht auf die Umwelt“, sagt der bekannte Aktivist. Und selbst wenn die Klimaschützer*innen am Ende der Konferenz auf dem Papier einige Erfolge vorzuweisen haben, bleibt Chávez skeptisch. Der Aktivist: „Von vorangegangen Klimakonferenzen wissen wir, dass ein großer Unterschied besteht zwischen dem, was beschlossen und dem, was umgesetzt wird.“
Geisterbeschwörer Marcos Mejia Vilca weiß nicht, was auf vorangegangenen Konferenzen beschlossen und was davon umgesetzt wurde. Doch auch er verlässt sich lieber auf seine Apus und die Wasserrückhaltebecken als auf Verträge und Lippenbekenntnisse.

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