Argentinien | Nummer 247 - Januar 1995

Die Ästhetik der Herrschaft

Menem hat die politische Kultur verändert

Präsident Carlos Saúl Menem hat eine bedeutsame kulturelle Revolution reak­tionären Charakters in Gang gesetzt. Ihre Konsequenzen lassen sich nicht nur an der Regierungspolitik ablesen, sondern beherrschen auch das öffentliche Leben. Das Land ist in politischer wie kultureller Hinsicht autoritärer gewor­den. Eine neue Form der Herrschaftsstrategie bildet sich heraus, in der sich Wirt­schaftsliberalismus mit dem politischen Stil vermischt, den Präsident Menem bei den Peronisten gelernt hat.

Beatriz Sarlo aus: NACLA Nr. 28.2 Übersetzung: H. Hartmann

Eine Untersuchung der verblüffend leicht erreichten Veränderungen während der Amtszeit Menems muß zwei Aspekte be­rücksichtigen: Zum einen haben die kon­kreten Auswirkungen der sozioökonomi­schen Krisensituation weite Teile der ar­gentinischen Bevölkerung dazu gebracht, ein stark geschwächtes Parlament, eine bis in die Reihen des Obersten Gerichts der Regierung untertänige Justiz, sowie eine immer machtvollere Exekutive zu akzep­tieren. Zum anderen ändert sich das Wahrnehmungsverhalten von Politik durch “postmoderne” oder “post-politi­sche” Betrachtungsweisen, die eng mit dem Aufstieg des Fernsehens als politi­schem Medium verbunden sind.
Innenpolitische Befriedung
Menems Vorgänger Raúl Alfonsín war es weder gelungen, dem sich ständig ver­schlechternden Verhältnis zwischen Zivil­regierung und Militär entgegenzuwirken, noch die teilweise galoppierende Inflation in den Griff zu bekommen. Trotzdem schon unter Alfonsín die meisten Verfah­ren gegen die Verantwortlichen der Men­schenrechtsverletzungen unter der Militär­regierung eingestellt worden waren, stellte erst Menem eine innenpolitische Befrie­dung her, indem er auch die im Gefängnis sitzenden ehemaligen Junta-Mitglieder begnadigte. Die Strafverfolgung und die Verurteilung von denjenigen, die verant­wortlich für die brutalste Repression wa­ren, die Argentinien je erlebt hat, war ein überaus bedeutsamer Moment in der Wie­derherstellung eines Gerechtigkeitsideals und des kollektiven Erinnerungsvermö­gens an die Ereignisse unter der Diktatur gewesen. Der plötzliche Abbruch von Hunderten von Gerichtsverhandlungen und vor allem die Begnadigung von verurteil­ten und inhaftierten Militärs aber machten Menschenrechte zu einem Thema von ge­stern, einer Vergangenheit, die Menem hinter sich bringen wollte. Somit leitete er einen Kurs des “Vergessens” ein, von dem das Militär profitierte. Durch das von der Regierung betriebene Zuschlagen der Aktendeckel – die so mit jeder Form von Gerechtigkeitsempfinden brach – wurde die Instabilität des Verhältnisses zwischen Regierung und Militär deutlich verringert. Aber anderseits wurde damit auch die Er­innerung an die Ereignisse des letzten Jahrzehnts stark geschwächt. Die Begna­digungen beenden ein Thema, das nicht nur politisch oder rechtlich bedeut­sam ist, sondern auch eine herausragende morali­sche und kulturelle Relevanz hat.
Preisstabilität geht vor Sozialpolitik
Die Hyperinflation wurde erst einige Mo­nate nach Menems Amtsantritt durch Maßnahmen des Wirtschaftsministers Domingo Cavallo unter Kontrolle ge­bracht. Die wiederkehrenden Wellen von sprunghafter Geldentwertung hinterließen tiefe Eindrücke politischer wie auch kul­tureller Art in der argentinischen Bevölke­rung. Diese haben mittlerweile den Cha­rakter einer Besessenheit gewonnen, so daß öffentlich und privat fortlaufend wie­derholt wird, alles sei besser als eine Wie­derkehr der Inflation. Somit kam es unter weiten Teilen der Bevölkerung zur unaus­gesprochenen Übereinkunft, der Regie­rung Menem einen “Blankoscheck” unter der Bedingung auszustellen, daß eine mi­nimale Stabilität gewährleistet werde.
Auch heute sind die kulturellen Stempel der Inflation deutlich zu sehen. Zunächst setzte sich die Haltung durch, daß alle an­deren ökonomischen und sozialen Forde­rungen hinter der Erlangung von Preissta­bilität zurückstehen müßten, was sogar von den Hauptbetroffenen der neuen Wirtschaftspolitik geteilt wurde. Die Ge­sellschaft in ihrer Gesamtheit war bereit, den Preis zu zahlen, der von der Regie­rung als notwendig dargestellt wurde, um ein erneutes Abgleiten in eine chaotische wirtschaftliche und soziale Lage zu ver­hindern. Somit wurden die Ausführungen von Menem und Cavallo über die Vorzüge des freien Spiels der Marktkräfte und über die negativen Auswirkungen von Staats­eingriffen als Beschreibung einer Realität angenommen, die man zu akzeptieren habe. Die Wirtschaft wurde nicht mehr als Ausdruck veränderbarer sozialer Verhält­nisse gesehen, sondern wurde zu einem Naturereignis, dessen Auswirkungen man eben ertragen müsse.
Außerdem wurde der Bevölkerung einge­redet, man könne zur schnellen Wieder­herstellung von wirtschaftlicher Stabilität nicht alle institutionellen Formalitäten einhalten. Um die Inflation zu überwin­den, müsse man die Entscheidungsbefug­nisse in der Exekutive und nicht im Par­lament konzentrieren. Da man schnell und einheitlich handeln müsse, seien Debatten im Kongreß zu vermeiden, da sonst kost­bare Zeit zur Erlangung wirtschaftlicher Ordnung verloren ginge. So wurde die Rolle des Parlaments im politischen Pro­zeß als ein Hindernis für das Gemeinwohl dargestellt.
In diesem Zusammenhang bot sich Präsi­dent Menem der Rückgriff auf zwei Handlungsweisen. Zum einen konnte und kann er das Parlament durch das verfas­sungsrechtlich bedenkliche Mittel des Er­lassens von Dekreten übergehen. Diese Vorgehensweise hat die Exekutive zu einer legislativen Kraft gemacht und die Funktionen des Parlaments geschwächt. Zum anderen haben sich Menem wie auch Cavallo zu Vermittlern ihrer Politik in den Massenmedien gemacht und ein demago­gisches Verhältnis zur Öffentlichkeit her­gestellt. Der eine wurde so zum charisma­tischen Retter und der andere zum unfehl­baren Technokraten.
Populismus im nationalistischen Stil
Eine neue Form der Herrschaftsstrategie bildet sich heraus, in der sich Wirtschaft­liberalismus mit dem politischen Stil ver­mischt, den Präsident Menem bei den Pe­ronisten gelernt hat. 1989 erwarteten die Menschen vom neugewählten Menem, daß er ein populistisches Programm im nationalistischen Stil durchführen würde. Innerhalb einiger Monate allerdings über­zeugte er viele seiner Anhänger von der Notwendigkeit, einen scharfen Kurswech­sel hin zu einer neoliberalen und moneta­ristischen Politik zu verfolgen, die von Pe­ronisten bisher stets als Ausdruck oligar­chischer und anti-nationaler Haltung an­gesehen worden war. Diese ideologische Wandlung durchzog sowohl die Handlun­gen, als auch das Auftreten der Regierung.
Es ist erhellend, das öffentliche Auftreten Menems als populistischer Führer wäh­rend der Präsidentschaftskampagne 1988 mit seiner Präsenz bei einer Militärparade zwei Jahre später zu vergleichen, um Zei­chen einer einschneidenden kulturellen Neugestaltung zu verfolgen. Ein Wechsel wird deutlich, von Menem, dem Retter und der Hoffnung der Verarmten zu Menem, dem Garanten der Wiedereinset­zung der Mächtigen. Während des ersten Ereignisses stellte Menem alle Attribute eines plebejischen, massenmedialen Po­pulismus zur Schau, während die Symbole der Aussöhnung von Militär und Zivilre­gierung bei der Parade das Militär erhöh­ten und somit die “Operationen” krönten, die mit der Begnadigung begonnen hatten.
Hoffnungsträger der Armen
Die kulturelle Bedeutung des Wechsels von Kulisse und Aussage ist unschätzbar. Die Veranstaltung 1988 im Fußballstadion griff zurück auf die reichhaltigen Symbole der Geschichte des Peronismus. Menem erschien, ganz in weiß gekleidet, als Hoff­nungsträger, um vergangenes Unrecht wiedergutzumachen, als Anwalt der Nie­deren, als Politiker, der, aus dem Inneren des Landes kommend und verwurzelt im Herzen der Massenbewegung, die Bedürf­nisse und Sorgen der Menschen verstehen könne. Er versprach Umverteilung, Voll­beschäftigung und hohe Löhne in nächster Zukunft. Er benutzte Worte, die zur ideo­logischen Tradition seiner Zuhörerschaft paßten: Arbeit, Respekt, Würde, Zufrie­denheit, Gerechtigkeit. Unter Verwendung von populistischer Rhetorik versuchte er, den Platz einzunehmen, der seit dem Tod Perons verwaist ist: ein charismatischer Staatschef; eine Führungspersönlichkeit außerhalb des bürokratischen Apparates; ein Mann aus dem Landesinneren unter Politikern aus Buenos Aires; jemand mit Ehrfurcht vor den historischen Traditionen der peronistischen Bewegung.
Auf dieses Erscheinungsbild, das durch seine körperliche Präsenz im offenen Wahlkampfwagen “menemóvil” noch un­terstrichen wurde, gründete Menem seine Kandidatur und seine Wahlkampagne. Er bot dem politischen Theater seinen Körper an, der als fleischgewordene Verspre­chung seiner Botschaft sichtbar und be­rührbar war. Im Fußballstadion stieg er von Scheinwerferlicht umfangen in sein “menemóvil” – wie ein wahrer Held der volkstümlichen Erlösung, der mit der Ästhetik von Pop und Rock umzugehen weiß. In fluoreszierendem Weiß und von einem einzelnen Lichtstrahl erleuchtet, bewegte sich Menem durch das Stadion auf die Rednerbühne zu. In seiner Kam­pagne vermittelte Menem ständig das Ge­fühl von Nähe: man konnte ihn ankom­men oder vorbeigehen sehen; man konnte ihm folgen.
Aufwertung der Militärs
Während der Militärparade vom 9. Juli 1990 zeigte der neue Menem, nunmehr Präsident, daß sein kulturelles Zitieren des Peronismus der 50er Jahre nicht mehr war als eben ein Zitat, ein fragmentarisches Ereignis, welches in Anführungszeichen gesetzt werden muß.
Der Anblick der Militärparade war be­merkenswert: Die Streitkräfte breiteten sich durch die Straßen der Stadt aus, und auf einem Podium, umgeben vom ge­samten Kabinett, überschaute der Präsi­dent, unbeweglich, das Vorbeimarschieren der Truppeneinheiten. Auch wenn die Streitkräfte formell den Repräsentanten der Republik salutierten, so legitimierten eben jene Vertreter, mit starren Blicken die Parade fixierend, die umstrittenste In­stitution Argentiniens. Menem, der weiß, wie man kulturelle Ereignisse aufbauen muß, wandelte diese Parade in eine Aus­sage zugunsten der Wiederbegründung des Paktes zwischen Gesellschaft und Armee um.
Menem war sich bewußt, daß die Begna­digung alleine nicht ausreichte, da sie sich auf zunächst juristischem und nicht auf kulturellem Gebiet bewegte. Deswegen trug er dafür Sorge, daß die Aufwertung des Militärs in einem innerstädtischen, bedeutsamen Rahmen stattfand. Der noch immer bestehende Konflikt zwischen Ge­sellschaft und Militär benötigte eine alle­gorische Auflösung in Form einer fünf­stündigen Parade, die in einer langen und ermüdenden Übertragung die Fernsehbild­schirme entlangrollte. Die stete visuelle Wiederholung von Panzern, Flugzeugen und marschierenden Einheiten hatte eine tiefgreifende ideologische Bedeutung, da durch die immer gleichen Bilder nur eine Aussage wahrzunehmen war: Die Zeit des Debattierens über die Diktatur ist vorbei. Gleichzeitig wurde zudem deutlich, daß jedwede Diskussion über eine Zukunft, deren Gestalt bereits in ihren Umrissen feststand, ebenfalls nicht erwünscht ist. Die Versöhnung der Regierung Menem mit den Streitkräften nahm andere Allian­zen sowohl mit einheimischen Wirt­schaftskräften wie auch mit den USA vorweg, was sich in der Zusammenkunft von Truppenverbänden, Mitgliedern der Zivilregierung und ausländischen Bot­schaftern deutlich widerspiegelte.
Einfache Lösungen gesucht
In einem Land mit einer starken Prä­sidentschaft wie Argentinien spielt der Staatschef eine bedeutsame Rolle bezüg­lich der Diskursbestimmung. Menems Stil ist auf die Massenmedien zugeschnitten: er verachtet Ideen; er klammert komple­xere Fragen häufig aus; er folgt den Re­zepten für einfache Lösungen; er sieht auf nachdenkliche und beratschlagende Arten der politischen Entscheidungsfindung herab und er weist zynisch alle Werte der peronistischen Tradition zurück, die auf das Ideal einer gerechten Gesellschaft ab­zielen. Dieser Stil hat bedeutendes Ge­wicht in der gegenwärtigen kulturell-poli­tischen Krise.
Die Konsequenzen sind deshalb so be­denklich, weil heutzutage nur vorsichtig abwägende Politikgestaltung, die Unab­hängigkeit der drei Regierungsgewalten sowie das vollständige Funktionieren der politischen Institutionen einem präsiden­tialen Willen Paroli bieten könnten, der ganz und gar an den Interessen der Mäch­tigen ausgerichtet ist. Durch massenme­diale Moral, Ästhetik und Kultur wurden die Grundwerte einer gerechten und ko­operativen Gesellschaft durch einen Wirt­schaftdarwinismus ersetzt, der prägend für eine neue, individualistische Ellenbogen­kultur wirkt.
Audiovisuelle Hegemonie
Ein Aspekt der gegenwärtigen Auseinan­dersetzung zwischen Politik und Gesell­schaft ist die Schwächung der öffentlichen Kultur. Als politische Diskussionen, par­lamentarische Vertretung und andere Formen kollektiver Partizipation weniger bedeutsam wurden, besetzten die Medien und insbesondere das Fernsehen einen entscheidenden Platz zur Herstellung von Öffentlichkeit.
Heute ist es unmöglich, an Politik ohne Fernsehen zu denken. Diese Entwicklung gilt zwar für alle westlichen Länder, hat aber in Argentinien eine andere Bedeu­tung, da eine Bildungskrise sowie stei­gende Analphabetenraten mit einer audio­visuellen Hegemonie über die symboli­sche Dimension des Sozialgefüges zu­sammentreffen. Dieser Prozeß wird von privaten Fernsehkanälen vorangetrieben, die sich einzig an Profitmaximierung aus­richten. Im argentinischen Fernsehen gibt es kein starkes Gegengewicht zum Kapi­talismus: Der einzige Staatssender befin­det sich fest in Regierungshand, und es gibt keinerlei sonstige öffentliche Kanäle. Der Markt entscheidet derzeit alleine über Beschaffenheit, Ästhetik und Ideologie der audiovisuellen Sphäre.
In diesem Raum werden Politik und poli­tische Kultur geformt, lediglich in Reak­tion auf Verschiebungen und Interessen des kapitalistischen Marktes der symboli­schen Güter, ohne daß es Gegengewichte oder Ausgleichsmechanismen gäbe. Eine gemeinsame Kultur wird vorgespiegelt, die Darsteller verbindet, deren symboli­sche und tatsächliche Macht sehr unter­schiedlich sind. Dies mag zwar ein Mini­mum von kulturellem Zusammenhalt ga­rantieren, ist aber nicht im Sinne einer Gemeischaft verbindend.
Politik nach Mediendiktat
Der Diskurs der Massenmedien kompri­miert die Gesellschaft und gibt das Bild einer einheitlichen kulturellen Landschaft vor, in der Widersprüche in einem weit­läufigen Raum vieler Stimmen aufgelöst werden, die sich nicht unbedingt aufein­ander beziehen. Es ist nicht so, daß die Medien besonders demokratisch wären, sondern sie müssen einfach alle Diskurse mit einbeziehen, um einen umfassenden, universalen Raum präsentieren zu können. Dieser Medienästhetik gibt die Politik nach. Die Medien werden als Vertreter der Allgemeinheit akzeptiert. Die Politik nimmt sogar die formalen und rhetori­schen Limitierungen an, die ihnen die Medien auferlegen: Geschwindigkeit, Vielfalt, Redefluß – Eigenschaften, die häufig an eine politische Show oder an akustische Bruchstücke aus den USA er­innern.
Überzeugt von der Bedeutung der Medien bei der Herstellung von Öffentlichkeit, akzeptieren Politiker die Auffassung, daß Ideenaustausch, längere Debatten, kom­plizierte Ausführungen und die Darstel­lung tiefgründiger Positionen nicht fern­sehgerecht seien. Sie pflegen eine mediale Selbstdarstellung, die sowohl auf der Ver­einfachung ihrer Aussagen, wie auch auf der Illusion von Nähe und Vertrautheit ba­siert: “Wir sind nicht anders als ihr; wir repräsentieren euch und umgeben uns gleichzeitig mit Fernseh-Berühmtheiten. Wir vertreten die Menschen durch das, was ihnen am nächsten ist: der Fernseher im Wohnzimmer oder in der Küche.” Da­durch entsteht eine Armut an Meinungen, ein Ausdünnen immer komplexerer Pro­bleme und ein Bilderfluß, in dem das “hier und jetzt” auf Vergeßlichkeit baut. Um zu existieren, brauchen Politiker – die klassi­schen Vermittler zwischen Bürgern und Institutionen – das Fernsehen, um zum Großen Allumfassenden Vermittler zu werden. Sie sind Gefangene der Massen­medien.
Dieser Wechselwirkung ist schwer zu wi­derstehen. Politik wird durch den Nach­richtensprecher aufgebaut, die Nachrich­tensendungen gewichten die eingehenden Meldungen. Die Glaubwürdigkeit wird den politischen Köpfen genommen und nunmehr von den Chefetagen der Mas­senmedien aus verwaltet. Streitkultur wurde durch ein politisches Trugbild ver­drängt, welches nicht in politischen Insti­tutionen gedeiht, sondern in der Welt des Fernsehens beheimatet ist. Politik in den Massenmedien wird den Gesetzen unter­geordnet, die den audiovisuellen Fluß steuern: starker Eindruck, große Mengen undifferenzierter visueller Information und eine künstliche Schwarz/Weiß-Male­rei, die eher an eine Seifenoper als an ein öffentliches Forum erinnert.
Präsident Menem ist fraglos ein Meister der audiovisuellen Kommunikation. Sein Stil hat sich nahtlos dem Stil des Fernse­hens angepaßt. Er hat sein Image nicht durch Darlegung von Ideen begründet, was eine kritische Auseinandersetzung verschiedener Werte und Interessen er­laubt hätte, sondern durch eindrucksvolle Kurzauftritte, die vorsichtig aufeinander abgestimmt sind und in denen ein simples Freund/Feind-Schema präsentiert wird.
Politik braucht Ideen und Bilder
Obwohl es nicht realistisch ist, nostalgisch von der Rückkehr der Politikformen zu träumen, die vor der Kulturrevolution der Massenmedien existierten, ist es doch schwer zu akzeptieren, daß Politik nur in dem von den Medien erlaubten Rahmen besteht. Man kann sich Veränderungen in der Politik der Medien vorstellen. Zwei­fellos sind Fernsehnachrichten nicht über­all so schlecht wie in Argentinien, und müssen nicht alle Korrespondenten sensa­tionssüchtige Agitatoren sein. Es gibt kein mit dem Fernsehen verbundenes Schick­sal, dem man nicht entkommen könnte.
Das Erscheinungsbild der Politiker ent­steht nicht nur in den Medien. Wir können hoffen, daß Politiker ihrem Auftrag ge­recht werden: einem Bedürfnis Ausdruck zu geben, das über das eigene hinausgeht und an deren Ausformung sie mitarbeiten. Politik braucht heute sowohl intellektuelle Perfektion wie auch mediale Vermittlung. Sie braucht Ideen ebenso wie Bilder. Die Ästhetik der audiovisuellen Medien neigt zum Ausschluß von Diskursen mit einem intellektuellen Anstrich. Dieser Konflikt drückt ein tief verwurzeltes Verhältnis aus, das von Intellektuellen und Politikern gleichermaßen angenommen wurde.
Politiker, Intellektuelle und Fernsehkom­mentatoren beziehen zumeist eine neutrale und “beschreibende” Haltung, wenn sie sich mit den Konsequenzen der Hegemo­nie der Massenmedien über die symboli­sche Dimension des gesellschaftlichen Lebens befassen. Einige bezweifeln die negativen Auswirkungen des Fernsehens, da die Öffentlichkeit Nachrichten umdeute und so neue Inhalte produziere. Sie ver­gessen dabei allerdings, daß die Bevölke­rung sich nur begrenzt neue Inhalte schaf­fen kann, da sie mit dem begrenzten Mate­rial arbeiten muß, das ihnen das Fernsehen anbietet. Natürlich werden von dieser Seite keine größeren Veränderungen im Umgang mit den Medien vorgeschlagen und auch nicht befürchtet, daß die Pri­vatinteressen der Medienmogule aus­schlaggebend bei der Bildung der öffentli­chen Meinung sind.
Reformperspektiven
Dieser Meinung, die durch ihren Opti­mismus bezüglich der Ergebnisse des ka­pitalistischen Marktes gekennzeichnet ist, kann man kritische und reformerische Perspektiven entgegensetzen. Intellektu­elle – besonders linke Intellektuelle – kön­nen eine entscheidende Rolle spielen, in­dem sie neue Denkanstöße geben, wie Medien auf eine demokratische, nach­denkliche, phantasievolle und durch­schaubare Weise genutzt werden können. Sicher, diese neuen Ideen würden auf eine enorm konzentrierte Macht treffen. Doch neue ideologisch-kulturelle Perspektiven können ein befriedigendes Echo in den Medien finden, gerade weil diese verplichtet sind, alles von einer gewissen öffentlichen Bedeutung einzubeziehen.
Die jüngsten Wahlen in Argentinien vom April dieses Jahres haben gezeigt, daß man sich Elemente einer politischen Kul­tur vorstellen kann, die nicht zwangsläufig zu Gefangenen der audiovisuellen Ideolo­gie und Ästhetik werden. Die Mitte-Links-Partei Frente Grande wurde in diesen Wahlen zur drittstärksten Kraft. Die Kan­didaten benutzten die Medien mit dem Ziel, vielschichtigere Diskussionen einzu­führen. Die Frente Grande wurde auf so­ziale Bedürfnisse aufmerksam, die weder vom Peronismus noch vom Radikalismus vertreten wurden, und verstanden es, aus den zunehmenden Rufen nach Transpa­renz, Ehrlichkeit und Fähigkeit im politi­schen Leben Vorteile zu ziehen.
Die Situation ist besonders lehrreich. Ei­nerseits bemerkten diese neuen politischen Akteure – einige kamen aus der Men­schenrechtsbewegung, andere aus künstle­rischen und intellektuellen Bereichen – die Macht der audiovisuellen Medien in der Herstellung von Öffentlichkeit. Gleich­zeitig aber lernten sie, mit dem Fernsehen umzugehen, ohne sich allen seinen Ri­tualen zu unterwerfen. Sie schlugen sogar eine neue Art des politischen Diskurses im Fernsehen vor.
Ein anderer politischer Stil, ein bewußt kritischer Umgang mit den Medien ist somit möglich. Grundlage dafür muß die Erkenntnis sein, daß die bedingungslose Akzeptanz der schlechtesten Aspekte der jetzigen massenmedialen Kultur das Her­vortreten neuer Ideen verhindert.

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