Die Ästhetik der Herrschaft
Menem hat die politische Kultur verändert
Eine Untersuchung der verblüffend leicht erreichten Veränderungen während der Amtszeit Menems muß zwei Aspekte berücksichtigen: Zum einen haben die konkreten Auswirkungen der sozioökonomischen Krisensituation weite Teile der argentinischen Bevölkerung dazu gebracht, ein stark geschwächtes Parlament, eine bis in die Reihen des Obersten Gerichts der Regierung untertänige Justiz, sowie eine immer machtvollere Exekutive zu akzeptieren. Zum anderen ändert sich das Wahrnehmungsverhalten von Politik durch “postmoderne” oder “post-politische” Betrachtungsweisen, die eng mit dem Aufstieg des Fernsehens als politischem Medium verbunden sind.
Innenpolitische Befriedung
Menems Vorgänger Raúl Alfonsín war es weder gelungen, dem sich ständig verschlechternden Verhältnis zwischen Zivilregierung und Militär entgegenzuwirken, noch die teilweise galoppierende Inflation in den Griff zu bekommen. Trotzdem schon unter Alfonsín die meisten Verfahren gegen die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen unter der Militärregierung eingestellt worden waren, stellte erst Menem eine innenpolitische Befriedung her, indem er auch die im Gefängnis sitzenden ehemaligen Junta-Mitglieder begnadigte. Die Strafverfolgung und die Verurteilung von denjenigen, die verantwortlich für die brutalste Repression waren, die Argentinien je erlebt hat, war ein überaus bedeutsamer Moment in der Wiederherstellung eines Gerechtigkeitsideals und des kollektiven Erinnerungsvermögens an die Ereignisse unter der Diktatur gewesen. Der plötzliche Abbruch von Hunderten von Gerichtsverhandlungen und vor allem die Begnadigung von verurteilten und inhaftierten Militärs aber machten Menschenrechte zu einem Thema von gestern, einer Vergangenheit, die Menem hinter sich bringen wollte. Somit leitete er einen Kurs des “Vergessens” ein, von dem das Militär profitierte. Durch das von der Regierung betriebene Zuschlagen der Aktendeckel – die so mit jeder Form von Gerechtigkeitsempfinden brach – wurde die Instabilität des Verhältnisses zwischen Regierung und Militär deutlich verringert. Aber anderseits wurde damit auch die Erinnerung an die Ereignisse des letzten Jahrzehnts stark geschwächt. Die Begnadigungen beenden ein Thema, das nicht nur politisch oder rechtlich bedeutsam ist, sondern auch eine herausragende moralische und kulturelle Relevanz hat.
Preisstabilität geht vor Sozialpolitik
Die Hyperinflation wurde erst einige Monate nach Menems Amtsantritt durch Maßnahmen des Wirtschaftsministers Domingo Cavallo unter Kontrolle gebracht. Die wiederkehrenden Wellen von sprunghafter Geldentwertung hinterließen tiefe Eindrücke politischer wie auch kultureller Art in der argentinischen Bevölkerung. Diese haben mittlerweile den Charakter einer Besessenheit gewonnen, so daß öffentlich und privat fortlaufend wiederholt wird, alles sei besser als eine Wiederkehr der Inflation. Somit kam es unter weiten Teilen der Bevölkerung zur unausgesprochenen Übereinkunft, der Regierung Menem einen “Blankoscheck” unter der Bedingung auszustellen, daß eine minimale Stabilität gewährleistet werde.
Auch heute sind die kulturellen Stempel der Inflation deutlich zu sehen. Zunächst setzte sich die Haltung durch, daß alle anderen ökonomischen und sozialen Forderungen hinter der Erlangung von Preisstabilität zurückstehen müßten, was sogar von den Hauptbetroffenen der neuen Wirtschaftspolitik geteilt wurde. Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit war bereit, den Preis zu zahlen, der von der Regierung als notwendig dargestellt wurde, um ein erneutes Abgleiten in eine chaotische wirtschaftliche und soziale Lage zu verhindern. Somit wurden die Ausführungen von Menem und Cavallo über die Vorzüge des freien Spiels der Marktkräfte und über die negativen Auswirkungen von Staatseingriffen als Beschreibung einer Realität angenommen, die man zu akzeptieren habe. Die Wirtschaft wurde nicht mehr als Ausdruck veränderbarer sozialer Verhältnisse gesehen, sondern wurde zu einem Naturereignis, dessen Auswirkungen man eben ertragen müsse.
Außerdem wurde der Bevölkerung eingeredet, man könne zur schnellen Wiederherstellung von wirtschaftlicher Stabilität nicht alle institutionellen Formalitäten einhalten. Um die Inflation zu überwinden, müsse man die Entscheidungsbefugnisse in der Exekutive und nicht im Parlament konzentrieren. Da man schnell und einheitlich handeln müsse, seien Debatten im Kongreß zu vermeiden, da sonst kostbare Zeit zur Erlangung wirtschaftlicher Ordnung verloren ginge. So wurde die Rolle des Parlaments im politischen Prozeß als ein Hindernis für das Gemeinwohl dargestellt.
In diesem Zusammenhang bot sich Präsident Menem der Rückgriff auf zwei Handlungsweisen. Zum einen konnte und kann er das Parlament durch das verfassungsrechtlich bedenkliche Mittel des Erlassens von Dekreten übergehen. Diese Vorgehensweise hat die Exekutive zu einer legislativen Kraft gemacht und die Funktionen des Parlaments geschwächt. Zum anderen haben sich Menem wie auch Cavallo zu Vermittlern ihrer Politik in den Massenmedien gemacht und ein demagogisches Verhältnis zur Öffentlichkeit hergestellt. Der eine wurde so zum charismatischen Retter und der andere zum unfehlbaren Technokraten.
Populismus im nationalistischen Stil
Eine neue Form der Herrschaftsstrategie bildet sich heraus, in der sich Wirtschaftliberalismus mit dem politischen Stil vermischt, den Präsident Menem bei den Peronisten gelernt hat. 1989 erwarteten die Menschen vom neugewählten Menem, daß er ein populistisches Programm im nationalistischen Stil durchführen würde. Innerhalb einiger Monate allerdings überzeugte er viele seiner Anhänger von der Notwendigkeit, einen scharfen Kurswechsel hin zu einer neoliberalen und monetaristischen Politik zu verfolgen, die von Peronisten bisher stets als Ausdruck oligarchischer und anti-nationaler Haltung angesehen worden war. Diese ideologische Wandlung durchzog sowohl die Handlungen, als auch das Auftreten der Regierung.
Es ist erhellend, das öffentliche Auftreten Menems als populistischer Führer während der Präsidentschaftskampagne 1988 mit seiner Präsenz bei einer Militärparade zwei Jahre später zu vergleichen, um Zeichen einer einschneidenden kulturellen Neugestaltung zu verfolgen. Ein Wechsel wird deutlich, von Menem, dem Retter und der Hoffnung der Verarmten zu Menem, dem Garanten der Wiedereinsetzung der Mächtigen. Während des ersten Ereignisses stellte Menem alle Attribute eines plebejischen, massenmedialen Populismus zur Schau, während die Symbole der Aussöhnung von Militär und Zivilregierung bei der Parade das Militär erhöhten und somit die “Operationen” krönten, die mit der Begnadigung begonnen hatten.
Hoffnungsträger der Armen
Die kulturelle Bedeutung des Wechsels von Kulisse und Aussage ist unschätzbar. Die Veranstaltung 1988 im Fußballstadion griff zurück auf die reichhaltigen Symbole der Geschichte des Peronismus. Menem erschien, ganz in weiß gekleidet, als Hoffnungsträger, um vergangenes Unrecht wiedergutzumachen, als Anwalt der Niederen, als Politiker, der, aus dem Inneren des Landes kommend und verwurzelt im Herzen der Massenbewegung, die Bedürfnisse und Sorgen der Menschen verstehen könne. Er versprach Umverteilung, Vollbeschäftigung und hohe Löhne in nächster Zukunft. Er benutzte Worte, die zur ideologischen Tradition seiner Zuhörerschaft paßten: Arbeit, Respekt, Würde, Zufriedenheit, Gerechtigkeit. Unter Verwendung von populistischer Rhetorik versuchte er, den Platz einzunehmen, der seit dem Tod Perons verwaist ist: ein charismatischer Staatschef; eine Führungspersönlichkeit außerhalb des bürokratischen Apparates; ein Mann aus dem Landesinneren unter Politikern aus Buenos Aires; jemand mit Ehrfurcht vor den historischen Traditionen der peronistischen Bewegung.
Auf dieses Erscheinungsbild, das durch seine körperliche Präsenz im offenen Wahlkampfwagen “menemóvil” noch unterstrichen wurde, gründete Menem seine Kandidatur und seine Wahlkampagne. Er bot dem politischen Theater seinen Körper an, der als fleischgewordene Versprechung seiner Botschaft sichtbar und berührbar war. Im Fußballstadion stieg er von Scheinwerferlicht umfangen in sein “menemóvil” – wie ein wahrer Held der volkstümlichen Erlösung, der mit der Ästhetik von Pop und Rock umzugehen weiß. In fluoreszierendem Weiß und von einem einzelnen Lichtstrahl erleuchtet, bewegte sich Menem durch das Stadion auf die Rednerbühne zu. In seiner Kampagne vermittelte Menem ständig das Gefühl von Nähe: man konnte ihn ankommen oder vorbeigehen sehen; man konnte ihm folgen.
Aufwertung der Militärs
Während der Militärparade vom 9. Juli 1990 zeigte der neue Menem, nunmehr Präsident, daß sein kulturelles Zitieren des Peronismus der 50er Jahre nicht mehr war als eben ein Zitat, ein fragmentarisches Ereignis, welches in Anführungszeichen gesetzt werden muß.
Der Anblick der Militärparade war bemerkenswert: Die Streitkräfte breiteten sich durch die Straßen der Stadt aus, und auf einem Podium, umgeben vom gesamten Kabinett, überschaute der Präsident, unbeweglich, das Vorbeimarschieren der Truppeneinheiten. Auch wenn die Streitkräfte formell den Repräsentanten der Republik salutierten, so legitimierten eben jene Vertreter, mit starren Blicken die Parade fixierend, die umstrittenste Institution Argentiniens. Menem, der weiß, wie man kulturelle Ereignisse aufbauen muß, wandelte diese Parade in eine Aussage zugunsten der Wiederbegründung des Paktes zwischen Gesellschaft und Armee um.
Menem war sich bewußt, daß die Begnadigung alleine nicht ausreichte, da sie sich auf zunächst juristischem und nicht auf kulturellem Gebiet bewegte. Deswegen trug er dafür Sorge, daß die Aufwertung des Militärs in einem innerstädtischen, bedeutsamen Rahmen stattfand. Der noch immer bestehende Konflikt zwischen Gesellschaft und Militär benötigte eine allegorische Auflösung in Form einer fünfstündigen Parade, die in einer langen und ermüdenden Übertragung die Fernsehbildschirme entlangrollte. Die stete visuelle Wiederholung von Panzern, Flugzeugen und marschierenden Einheiten hatte eine tiefgreifende ideologische Bedeutung, da durch die immer gleichen Bilder nur eine Aussage wahrzunehmen war: Die Zeit des Debattierens über die Diktatur ist vorbei. Gleichzeitig wurde zudem deutlich, daß jedwede Diskussion über eine Zukunft, deren Gestalt bereits in ihren Umrissen feststand, ebenfalls nicht erwünscht ist. Die Versöhnung der Regierung Menem mit den Streitkräften nahm andere Allianzen sowohl mit einheimischen Wirtschaftskräften wie auch mit den USA vorweg, was sich in der Zusammenkunft von Truppenverbänden, Mitgliedern der Zivilregierung und ausländischen Botschaftern deutlich widerspiegelte.
Einfache Lösungen gesucht
In einem Land mit einer starken Präsidentschaft wie Argentinien spielt der Staatschef eine bedeutsame Rolle bezüglich der Diskursbestimmung. Menems Stil ist auf die Massenmedien zugeschnitten: er verachtet Ideen; er klammert komplexere Fragen häufig aus; er folgt den Rezepten für einfache Lösungen; er sieht auf nachdenkliche und beratschlagende Arten der politischen Entscheidungsfindung herab und er weist zynisch alle Werte der peronistischen Tradition zurück, die auf das Ideal einer gerechten Gesellschaft abzielen. Dieser Stil hat bedeutendes Gewicht in der gegenwärtigen kulturell-politischen Krise.
Die Konsequenzen sind deshalb so bedenklich, weil heutzutage nur vorsichtig abwägende Politikgestaltung, die Unabhängigkeit der drei Regierungsgewalten sowie das vollständige Funktionieren der politischen Institutionen einem präsidentialen Willen Paroli bieten könnten, der ganz und gar an den Interessen der Mächtigen ausgerichtet ist. Durch massenmediale Moral, Ästhetik und Kultur wurden die Grundwerte einer gerechten und kooperativen Gesellschaft durch einen Wirtschaftdarwinismus ersetzt, der prägend für eine neue, individualistische Ellenbogenkultur wirkt.
Audiovisuelle Hegemonie
Ein Aspekt der gegenwärtigen Auseinandersetzung zwischen Politik und Gesellschaft ist die Schwächung der öffentlichen Kultur. Als politische Diskussionen, parlamentarische Vertretung und andere Formen kollektiver Partizipation weniger bedeutsam wurden, besetzten die Medien und insbesondere das Fernsehen einen entscheidenden Platz zur Herstellung von Öffentlichkeit.
Heute ist es unmöglich, an Politik ohne Fernsehen zu denken. Diese Entwicklung gilt zwar für alle westlichen Länder, hat aber in Argentinien eine andere Bedeutung, da eine Bildungskrise sowie steigende Analphabetenraten mit einer audiovisuellen Hegemonie über die symbolische Dimension des Sozialgefüges zusammentreffen. Dieser Prozeß wird von privaten Fernsehkanälen vorangetrieben, die sich einzig an Profitmaximierung ausrichten. Im argentinischen Fernsehen gibt es kein starkes Gegengewicht zum Kapitalismus: Der einzige Staatssender befindet sich fest in Regierungshand, und es gibt keinerlei sonstige öffentliche Kanäle. Der Markt entscheidet derzeit alleine über Beschaffenheit, Ästhetik und Ideologie der audiovisuellen Sphäre.
In diesem Raum werden Politik und politische Kultur geformt, lediglich in Reaktion auf Verschiebungen und Interessen des kapitalistischen Marktes der symbolischen Güter, ohne daß es Gegengewichte oder Ausgleichsmechanismen gäbe. Eine gemeinsame Kultur wird vorgespiegelt, die Darsteller verbindet, deren symbolische und tatsächliche Macht sehr unterschiedlich sind. Dies mag zwar ein Minimum von kulturellem Zusammenhalt garantieren, ist aber nicht im Sinne einer Gemeischaft verbindend.
Politik nach Mediendiktat
Der Diskurs der Massenmedien komprimiert die Gesellschaft und gibt das Bild einer einheitlichen kulturellen Landschaft vor, in der Widersprüche in einem weitläufigen Raum vieler Stimmen aufgelöst werden, die sich nicht unbedingt aufeinander beziehen. Es ist nicht so, daß die Medien besonders demokratisch wären, sondern sie müssen einfach alle Diskurse mit einbeziehen, um einen umfassenden, universalen Raum präsentieren zu können. Dieser Medienästhetik gibt die Politik nach. Die Medien werden als Vertreter der Allgemeinheit akzeptiert. Die Politik nimmt sogar die formalen und rhetorischen Limitierungen an, die ihnen die Medien auferlegen: Geschwindigkeit, Vielfalt, Redefluß – Eigenschaften, die häufig an eine politische Show oder an akustische Bruchstücke aus den USA erinnern.
Überzeugt von der Bedeutung der Medien bei der Herstellung von Öffentlichkeit, akzeptieren Politiker die Auffassung, daß Ideenaustausch, längere Debatten, komplizierte Ausführungen und die Darstellung tiefgründiger Positionen nicht fernsehgerecht seien. Sie pflegen eine mediale Selbstdarstellung, die sowohl auf der Vereinfachung ihrer Aussagen, wie auch auf der Illusion von Nähe und Vertrautheit basiert: “Wir sind nicht anders als ihr; wir repräsentieren euch und umgeben uns gleichzeitig mit Fernseh-Berühmtheiten. Wir vertreten die Menschen durch das, was ihnen am nächsten ist: der Fernseher im Wohnzimmer oder in der Küche.” Dadurch entsteht eine Armut an Meinungen, ein Ausdünnen immer komplexerer Probleme und ein Bilderfluß, in dem das “hier und jetzt” auf Vergeßlichkeit baut. Um zu existieren, brauchen Politiker – die klassischen Vermittler zwischen Bürgern und Institutionen – das Fernsehen, um zum Großen Allumfassenden Vermittler zu werden. Sie sind Gefangene der Massenmedien.
Dieser Wechselwirkung ist schwer zu widerstehen. Politik wird durch den Nachrichtensprecher aufgebaut, die Nachrichtensendungen gewichten die eingehenden Meldungen. Die Glaubwürdigkeit wird den politischen Köpfen genommen und nunmehr von den Chefetagen der Massenmedien aus verwaltet. Streitkultur wurde durch ein politisches Trugbild verdrängt, welches nicht in politischen Institutionen gedeiht, sondern in der Welt des Fernsehens beheimatet ist. Politik in den Massenmedien wird den Gesetzen untergeordnet, die den audiovisuellen Fluß steuern: starker Eindruck, große Mengen undifferenzierter visueller Information und eine künstliche Schwarz/Weiß-Malerei, die eher an eine Seifenoper als an ein öffentliches Forum erinnert.
Präsident Menem ist fraglos ein Meister der audiovisuellen Kommunikation. Sein Stil hat sich nahtlos dem Stil des Fernsehens angepaßt. Er hat sein Image nicht durch Darlegung von Ideen begründet, was eine kritische Auseinandersetzung verschiedener Werte und Interessen erlaubt hätte, sondern durch eindrucksvolle Kurzauftritte, die vorsichtig aufeinander abgestimmt sind und in denen ein simples Freund/Feind-Schema präsentiert wird.
Politik braucht Ideen und Bilder
Obwohl es nicht realistisch ist, nostalgisch von der Rückkehr der Politikformen zu träumen, die vor der Kulturrevolution der Massenmedien existierten, ist es doch schwer zu akzeptieren, daß Politik nur in dem von den Medien erlaubten Rahmen besteht. Man kann sich Veränderungen in der Politik der Medien vorstellen. Zweifellos sind Fernsehnachrichten nicht überall so schlecht wie in Argentinien, und müssen nicht alle Korrespondenten sensationssüchtige Agitatoren sein. Es gibt kein mit dem Fernsehen verbundenes Schicksal, dem man nicht entkommen könnte.
Das Erscheinungsbild der Politiker entsteht nicht nur in den Medien. Wir können hoffen, daß Politiker ihrem Auftrag gerecht werden: einem Bedürfnis Ausdruck zu geben, das über das eigene hinausgeht und an deren Ausformung sie mitarbeiten. Politik braucht heute sowohl intellektuelle Perfektion wie auch mediale Vermittlung. Sie braucht Ideen ebenso wie Bilder. Die Ästhetik der audiovisuellen Medien neigt zum Ausschluß von Diskursen mit einem intellektuellen Anstrich. Dieser Konflikt drückt ein tief verwurzeltes Verhältnis aus, das von Intellektuellen und Politikern gleichermaßen angenommen wurde.
Politiker, Intellektuelle und Fernsehkommentatoren beziehen zumeist eine neutrale und “beschreibende” Haltung, wenn sie sich mit den Konsequenzen der Hegemonie der Massenmedien über die symbolische Dimension des gesellschaftlichen Lebens befassen. Einige bezweifeln die negativen Auswirkungen des Fernsehens, da die Öffentlichkeit Nachrichten umdeute und so neue Inhalte produziere. Sie vergessen dabei allerdings, daß die Bevölkerung sich nur begrenzt neue Inhalte schaffen kann, da sie mit dem begrenzten Material arbeiten muß, das ihnen das Fernsehen anbietet. Natürlich werden von dieser Seite keine größeren Veränderungen im Umgang mit den Medien vorgeschlagen und auch nicht befürchtet, daß die Privatinteressen der Medienmogule ausschlaggebend bei der Bildung der öffentlichen Meinung sind.
Reformperspektiven
Dieser Meinung, die durch ihren Optimismus bezüglich der Ergebnisse des kapitalistischen Marktes gekennzeichnet ist, kann man kritische und reformerische Perspektiven entgegensetzen. Intellektuelle – besonders linke Intellektuelle – können eine entscheidende Rolle spielen, indem sie neue Denkanstöße geben, wie Medien auf eine demokratische, nachdenkliche, phantasievolle und durchschaubare Weise genutzt werden können. Sicher, diese neuen Ideen würden auf eine enorm konzentrierte Macht treffen. Doch neue ideologisch-kulturelle Perspektiven können ein befriedigendes Echo in den Medien finden, gerade weil diese verplichtet sind, alles von einer gewissen öffentlichen Bedeutung einzubeziehen.
Die jüngsten Wahlen in Argentinien vom April dieses Jahres haben gezeigt, daß man sich Elemente einer politischen Kultur vorstellen kann, die nicht zwangsläufig zu Gefangenen der audiovisuellen Ideologie und Ästhetik werden. Die Mitte-Links-Partei Frente Grande wurde in diesen Wahlen zur drittstärksten Kraft. Die Kandidaten benutzten die Medien mit dem Ziel, vielschichtigere Diskussionen einzuführen. Die Frente Grande wurde auf soziale Bedürfnisse aufmerksam, die weder vom Peronismus noch vom Radikalismus vertreten wurden, und verstanden es, aus den zunehmenden Rufen nach Transparenz, Ehrlichkeit und Fähigkeit im politischen Leben Vorteile zu ziehen.
Die Situation ist besonders lehrreich. Einerseits bemerkten diese neuen politischen Akteure – einige kamen aus der Menschenrechtsbewegung, andere aus künstlerischen und intellektuellen Bereichen – die Macht der audiovisuellen Medien in der Herstellung von Öffentlichkeit. Gleichzeitig aber lernten sie, mit dem Fernsehen umzugehen, ohne sich allen seinen Ritualen zu unterwerfen. Sie schlugen sogar eine neue Art des politischen Diskurses im Fernsehen vor.
Ein anderer politischer Stil, ein bewußt kritischer Umgang mit den Medien ist somit möglich. Grundlage dafür muß die Erkenntnis sein, daß die bedingungslose Akzeptanz der schlechtesten Aspekte der jetzigen massenmedialen Kultur das Hervortreten neuer Ideen verhindert.