Nummer 547 - Januar 2020 | Politik | Uruguay

DIE RECHTE ÜBERNIMMT

Frente Amplio muss nach 15 Jahren in die Opposition

In der Stichwahl um die Präsidentschaft in Uruguay konnte sich der Kandidat des Linksbündnisses Frente Amplio, Daniel Martínez, nicht gegen seinen rechten Kontrahenten Luis Lacalle Pou durchsetzen. Lacalle Pou konnte nach dem ersten Wahlgang drei Rechtsparteien und zwei Kleinstparteien hinter sich versammeln. Mit der knappen Niederlage von Martínez geht die 15-jährige Regierungsära der Frente Amplio zu Ende.

Von Karl-Ludolf Hübener & Martin Ling

Für Uruguay ist es bitter, für Lateinamerikas progressives Lager ein weiterer herber Schlag: Das Linksbündnis Frente Amplio („Breite Front“) muss am 1. März 2020 nach 15 Jahren den Präsidentensessel räumen. Auf Tabaré Vázquez folgt dann mit dem 46-Jährigen Luis Lacalle Pou ein rechter Präsident.

Er kam in der Stichwahl am 24. November auf 48,8 Prozent, nur 1,5 Prozent mehr als Daniel Martínez. In der ersten Wahlrunde am 27. Oktober hatten nur knapp 40 Prozent die Frente Amplio und ihren Kandidaten gewählt. Dass es vier Wochen später noch einmal spannend werden sollte, ist wohl kaum dem wenig mitreißenden Spitzenkandidaten Martínez zu verdanken. Vielmehr war es gelungen, die vernachlässigte Basis und lange vergessene soziale Bewegungen zu mobilisieren.

Erinnerungen an die blutige Militärdiktatur

Wähler*innen, die mit Martínez und der Frente unzufrieden sind, votierten auch wegen eines Aufrufs von Guido Manini Rios, Ex-Oberbefehlshaber des Militärs und Gründer der rechtsextremen Partei Cabildo Abierto, anders als in der ersten Runde: Soldat*innen sollten auf keinen Fall Frente Amplio wählen. Hinzu kamen Drohungen ehemaliger Offiziere gegenüber linken Politiker*innen. Sie riefen Erinnerungen an die blutige Militärdiktatur wach. Der Aufruf erwies sich als durchaus kontraproduktiv: In der zweiten Runde stimmte danach selbst jede*r vierte Wähler*in von Cabildo Abierto für die Frente Amplio.

Am Ergebnis der Kongresswahlen, die zeitgleich zur ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 27. Oktober stattfanden, verbesserte dies allerdings auch nichts mehr.

Rechtsruck im Kongress, Rechtsruck im Präsidialamt

In beiden Kammern verlor die Frente Amplio ihre absolute Mehrheit. Sieben Parteien sind künftig im Kongress vertreten: Die Frente kommt auf 45 Abgeordnete und 13 Senator*innen, die Blancos des künftigen Präsidenten Lacalle Pou auf 31 Abgeordnete und zehn Senator*innen, die neoliberalen Colorados auf 13 Abgeordnete und vier Senator*innen und die rechtsextreme Cabildo Abierto auf sieben Abgeordnete und drei Senator*innen. Sowohl die Colorados als auch die Cabildo Abierto des rechtsradikalen Ex-Generals Manini Ríos unterstützen Lacalle Pou. Das gilt auch für die beiden Kleinparteien Partido Independiente (Unabhängigkeitspartei) und Partido de la Gente (Partei der Leute), die jeweils einen Sitz im Abgeordnetenhaus ergatterten, so wie die konservative Umweltpartei PERI. Die kleine linke Partei Unidad Popular verlor hingegen ihren einzigen Abgeordneten. Der Rechtsruck im Kongress hat nun durch den Rechtsruck im Präsidialamt seine Ergänzung erhalten.Die Frente Amplio hat in den vergangenen 14 Jahren bei aller berechtigten Kritik Vieles richtig gemacht. Dank einer großzügigen Sozialpolitik sank die Armut. Die Rechte von Arbeiter*innen wurden erweitert und damit die Gewerkschaften gestärkt. Soziale Einschnitte werden sie wohl nicht kampflos hinnehmen. Unter den Frente-Präsidenten wurden zudem zivile Rechte gestärkt und ausgeweitet, dazu zählen die legale Abtreibung, die gleichgeschlechtliche Ehe, LGBTI-Rechte und die Cannabisfreigabe und -regulierung. Der ursprüngliche Plan, mit der Freigabe und Regulierung von Cannabis anzufangen und dann mit anderen Suchtmitteln weiterzumachen, um dem illegalen Drogenhandel mit seiner Gewaltkriminalität die lukrative Geschäftsgrundlage zu entziehen, verlief im Sande – auch, weil das ohne Kooperation mit den Nachbarstaaten kaum möglich ist. Die meisten Regierungen sind jedoch mit der „War on Drugs“-Politik Washingtons einverstanden. Die US-hörige Phalanx in Lateinamerika wird nun außenpolitisch durch Lacalle Pou gestärkt.
Der Frente fehlte der Mut, sich den Kampagnen der Rechten offensiv entgegenzustellen. Das gilt insgesamt für das aus Sicht vieler Wähler*innen wichtige Thema der Inneren Sicherheit, das die Frente lange vernachlässigt hat und bei dem sie sich von den rechten Parteien vor sich hertreiben lässt. Im relativen Verhältnis liegen nur noch Venezuela, Brasilien und Kolumbien in der Mordrate pro 100.000 Einwohner*innen in der Region vor Uruguay, einst als Schweiz Südamerikas apostrophiert. 414 Menschen wurden 2018 ermordet, mehr denn je, seit solche Statistiken dort geführt werden. 2019 ist die Mordrate zwar leicht rückläufig, wird aber vermutlich mit dem historisch zweithöchsten Stand enden.

Kurswandel beim Thema Sicherheit bei der Frente

Da auch Raubüberfälle und Diebstähle zunehmen und sich die privaten Nachrichtensender größtenteils mit der Ausschmückung der Gewalttaten beschäftigen statt sich der Ursachenforschung zu widmen, ist das Thema Unsicherheit in der Gesellschaft breit präsent. Mit der Angst macht die Rechte Druck, und die Frente hat dies zu einem Kurswandel bewegt. Zu Beginn ihrer Regierungszeit lag die Betonung noch auf Rehabilitation, nun wird sanktioniert. Das Jugendstrafrecht wurde verschärft. Martialisch ausgerüstete Polizist*innen der Guardia Republicana machen mit Razzien die Armenviertel noch unsicherer. Kameras im öffentlichen Raum sind in uruguayischen Städten an vielen Ecken und Enden zu finden.Durchaus überraschend scheiterte das zeitgleich mit den Wahlen am 27. Oktober abgehaltene Referendum über die Initiative „Leben ohne Angst“ (Vida sin miedo) des Blanco-Politikers Jorge Larrañaga, das unter anderem vorsah, dass Militärs wie einst in der zivil-militärischen Diktatur auf den Straßen für Ordnung sorgen sollten. 46 Prozent hielt das zwar nicht von ihrer Zustimmung ab, doch für die Mehrheit reichte es nicht. Kein einziger Präsidentschaftskandidat mochte die Initiative öffentlich unterstützen. Doch Jorge Larrañaga wird nun Innenminister. „Leben ohne Angst“ durch die Hintertür?

Die Sozialausgaben blieben unangetastet

Die knappe Niederlage von Martínez zeigt, wie polarisiert Uruguay ist. Lacalle Pou hatte im Wahlkampf erkannt, dass viele Menschen bei aller generellen Kritik an der Frente Amplio doch an deren Sozialpolitik festhalten wollten. Deswegen erteilte er einer neoliberalen „Schocktherapie“ à la Macri in Argentinien eine Absage und versprach, die Axt nicht an den Sozialausgaben anzusetzen. Zweifel sind angebracht, da er das von der Frente geerbte Haushaltsdefizit beseitigen, aber keineswegs Steuern erhöhen will.

Während im Nachbarland Argentinien nach vier Jahren mit Mauricio Macri der Neoliberalismus gerade abgewählt wurde, ist in Uruguay nun eine Vertiefung des neoliberalen Modells zu erwarten. An dieser wirtschaftspolitischen Ausrichtung hielt selbst die Frente Amplio fest. Der milliardenschwere Vertrag mit dem finnischen Konzern UPM über eine dritte Zellulosefabrik, die 2022 ihren Betrieb aufnehmen soll, ist dafür das prominenteste Beispiel. Die Zelluloseproduktion geht mit Eukalyptus-Monokulturplantagen einher, die verheerende Umweltschäden nach sich ziehen. Umweltschutz schrieb die Frente so klein, dass sie auf ein Umweltministerium gleich gänzlich verzichtete. Luis Lacalle Pou hat angekündigt, erstmals eines einzurichten. Aber sicher nicht, um Uruguay auf einen nachhaltigen Entwicklungspfad zu bringen.

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