Nummer 438 - Dezember 2010 | Uruguay

Erstmal wieder offen drüber reden

Keine Blockade mehr zwischen Uruguay und Argentinien wegen der Zellulosefabrik

Nachdem der internationale Gerichtshof in Den Haag ein gleichsam salomonisches Urteil über den Streit um die Zellstofffabrik am Río Uruguay gefällt hatte und die Blockade der wichtigsten Straßenverbindung zwischen beiden Ländern von den Protestierenden im Juni aufgegeben worden war, wird nun wieder inhaltlich zwischen den Staaten geredet. Gelöst ist der Konflikt freilich noch nicht. In Uruguay drohen indes weitere Megaprojekte.

Stefan Thimmel

Ganz geben sich die AktivistInnen auf der argentinischen Seite nicht geschlagen: Anfang September wurde die internationale Brücke General San Martín über den Río Uruguay, den Grenzfluss zwischen Uruguay und Argentinien, wieder für einige Stunden blockiert. Zuvor war der Verkehr für 79 Tage ungestört über die Brücke gerollt, die das argentinische Gualeguaychú mit dem uruguayischen Fray Bentos verbindet. Anlass für die Wiederaufnahme der Blockade waren Äußerungen des uruguayischen Außenministers Luis Almagro, der kategorisch ausgeschlossen hatte, dass die umstrittene Zellstofffabrik irgendwann geschlossen und abgebaut wird. Dieses Maximalziel wollen die argentinischen Umweltgruppen nicht aufgeben – und so kam der erneute Protest nicht überraschend.
Der Streit um die im uruguayischen Fray Bentos installierte Zellulosefabrik des finnischen Konzerns UPM (vormals im Besitz des ebenfalls finnischen Multis Botnia) schwelt seit 2006. Nach über drei Jahren Blockade der Brücke hatten die AktivistInnen aus dem argentinischen Gualeguaychú Mitte Juni 2010 aufgegeben.
Gelöst ist der Konflikt um die mit einer jährlichen Kapazität von einer Million Tonnen aktuell größten Fabrik zur Herstellung von Zellulosepaste freilich noch nicht. Die wichtigste Straßenverbindung zwischen den beiden Ländern ist zwar wieder passierbar – und nach über fünf Jahren harter, zum Teil chauvinistisch-aufgeladener Reibereien zwischen den beiden „Bruderstaaten“ ist auch wieder die Chance frei für offene Diskussion über dieses Megaprojekt in Uruguay. So zum Beispiel über den Wasserverbrauch: Nach Angaben von UPM werden in Fray Bentos täglich 86 Millionen Liter Wasser verbraucht. Oder über den Einsatz von Chemikalien: Täglich werden 400 Tonnen Chemie eingesetzt. Auch die Arbeitsplatzbilanz fällt anders aus als versprochen: Als die Fabrik 2005 genehmigt wurde, war das Versprechen von 9.000 dauerhaften Arbeitsplätzen das Argument der BefürworterInnen, darunter auch des Präsidenten Tabaré Vázquez. Heute arbeiten dort etwa 350 Angestellte. Die Provinz Río Negro, in der die Fabrik angesiedelt ist, ist diejenige mit der höchsten Arbeitslosigkeit im ganzen Land. Und es könnte auch endlich offen über die forstwirtschaftlichen Monokulturen generell gesprochen werden: Von 1990 bis 2009 hat sich die Fläche, auf der Eukalyptusbäume und Pinien angebaut werden, von 45.000 Hektar auf 900.000 Hektar verzwanzigfacht. Das bedeutet, dass in mehr als der Hälfte des Waldbestandes in Uruguay heute keine heimische Baumart mehr zu finden ist. Seit 1987 sorgten Subventionen, Steuererleichterungen und zinsgünstige Kredite für diese massive Ausbreitung der Monokulturen. Die Bäume wurden gezielt in extrem dünn besiedelten Regionen angepflanzt, Weideland und artenreiche Urwälder mussten profitorientierten Baumplantagen weichen. Als das Mitte-Links Bündnis Frente Amplio 2005 an die Regierung kam, wurden zwar die umstrittenen Subventionen abgeschafft, der Boom der „Grünen Wüsten“ ging aber ungebremst weiter.
Ermöglicht wurde die erstmalige Entspannung im Konflikt zwischen Argentinien und Uruguay durch das Urteil des internationalen Gerichtshofes in Den Haag. Argentinien hatte am 5. Mai 2006 dort Klage eingereicht. Das Urteil fiel salomonisch aus: Am 20. April 2010 entschieden die Richter, dass einerseits Uruguay mit der Baugenehmigung für das mit über einer Milliarde US-Dollar bis dahin größte Investitionsprojekt in Uruguay gegen das 1975 von beiden Staaten ratifizierte Abkommen zur gegenseitigen Konsultationsverpflichtung verstoßen habe. Andererseits komme es aber nach Meinung des Gerichts nicht zu den von Argentinien beanstandeten Umweltverschmutzungen im Río Uruguay, und die Republik Uruguay habe ihre Verpflichtungen zur Umweltkontrolle ausreichend wahrgenommen. Der Betrieb der Zellstoff-Fabrik könne daher fortgesetzt werden und Uruguay sei zu keinerlei Ausgleichszahlungen, wie von argentinischer Seite gefordert, verpflichtet.
Für Uruguay bedeutet das Urteil allerdings eine kleine Delle, hatte doch der erste Mitte-Links-Präsident des Landes, Tabaré Vázquez, nur 15 Tage nach seinem Amtsantritt die Genehmigung für den Bau der Botnia-Fabrik am Río Uruguay erteilt – obwohl er sich noch im Wahlkampf vehement dagegen ausgesprochen hatte. Vázquez musste sich vom Gerichtshof vorwerfen lassen, die internationalen Abkommen mit Argentinien verletzt zu haben. Zumindest auf politischer Ebene zwischen den beiden Staaten scheint der Konflikt, der in den letzten fünf Jahren fast zu einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und zu einem persönlichen Zerwürfnis zwischen den beiden ehemaligen Präsidenten, Néstor Kirchner und Tabaré Vázquez, geführt hatte, damit aber dennoch gelöst zu sein. Drei Monate nach dem Schiedsspruch aus Den Haag vereinbarten die beiden amtierenden Staatsoberhäupter, Cristina Fernández de Kirchner und José Mujica, ein Abkommen zur gemeinsamen Kontrolle des Grenzflusses Río Uruguay. Eine Kommission mit je zwei WissenschaftlerInnen aus beiden Ländern soll die Umweltverschmutzung durch Industrieanlagen überwachen. Über die genauen Details des Abkommens wird derzeit noch verhandelt. Auf uruguayischer Seite geht es den Umweltorganisationen weniger um die Forderung nach einer Verlegung der Fabrik in Fray Bentos, sondern vielmehr darum, eine grundsätzliche, kritische Diskussion über den nach wie vor zunehmenden Ausverkauf des fruchtbaren Landes an ausländische Konzerne, die Ausweitung der Monokulturen in Forstwirtschaft und der Gen-Soja-Pflanzungen, die Steuerbefreiungen und den mangelnden Schutz sowie die unzureichende Förderung der kleinen Landwirtschaftsbetriebe endlich zu beginnen.
Nach einem Ende des Investitionsbooms in Uruguay sieht es allerdings nicht aus: Die Direktinvestitionen aus dem Ausland haben in den vergangenen vier Jahren einen durchschnittlichen Umfang von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Kein anderes Land in Südamerika kommt auf diese Quote. Und weitere Megaprojekte sind bewilligt oder sind in der Genehmigungsphase.
Die Zellstoffmultis Arauco (Chile) und Stora Enso (Schweden-Finnland) beabsichtigen, eine weitere Fabrik mit einer Jahreskapazität von 1,3 Millionen Tonnen am Río de la Plata zu bauen. Insgesamt sollen 2,3 Mrd. US-Dollar investiert werden.
Eine weitere Milliarden-Investition für eine Zellstofffabrik plant das portugiesische Unternehmen Portucel. Und zukünftig wird es im bislang kaum erschlossenen Inland auch um Bergbau gehen.
Der multinationale Konzern Zamin Ferrous hat die Genehmigung erhalten, jährlich 18 Millionen Tonnen Eisenerz abzubauen, aufzubereiten und in der Küstenprovinz Rocha (die bisher zu Recht mit dem Slogan „Rocha – ein Naturparadies“ für sich wirbt) einen gigantischen Hochseehafen zum Abtransport des Materials zu bauen.
Die Auseinandersetzung um dieses Megaprojekt werden die betroffenen Viehzüchter und Kleinbäuerinnen – und bauern sowie die Umweltorganisationen in Uruguay ohne internationale Unterstützung führen müssen – denn eine internationale Brücke, die spektakulär zu blockieren wäre, findet sich im dünn besiedelten Inland von Uruguay nicht.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren