Nummer 335 - Mai 2002 | Peru

Die Wahrheit aussprechen

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission hat ihre Arbeit aufgenommen

Interview und Podiumsdiskussion mit Elena Muguruza, Juristin, von der Info-Stelle Peru und Nani Mosquera-Schwenninger vom Peru AK Tübingen. Nani Mosquera Schwenninger war im Februar in Peru und konnte die Arbeit der Wahrheitskommission beobachten.

Susanne Schmitz

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission wird Taten untersuchen, die von terroristischen Gruppen und vom Staat begangen worden sind. Ihr Untersuchungszeitraum wurde auf 1980 – 2000 festgelegt. Kommissionsmitglied ist unter anderen Sofia Macher, die lange Zeit Vorsitzende der nationalen Leitung des Menschenrechtsverbandes war und sehr großes Ansehen in Peru hat. Die Wahrheitskommission wurde im Juni 2001 gegründet und hat im Januar 2002 mit ihrer Arbeit begonnen, sie wird 18 Monate arbeiten (eventuell verlängert um fünf Monate). Ziele der Wahrheitskommission sind die Identifizierung der Verantwortlichen und die Untersuchung des Verhaltens von Institutionen in dieser Zeit des internen Krieges und der Folgen für die betroffenen Einzelpersonen und Gemeinschaften. Mitte April haben die ersten öffentlichen Anhörungen in Ayacucho stattgefunden. Die dort gehörten Fälle sind im Internet nachzulesen.
Im November 2002 werden wahrscheinlich zwei der Kommissionsmitglieder, Sofia Macher und Rolando Armes, nach Deutschland reisen.

Wie kam die Wahrheitskommission zu Stande? Welche Gruppen haben sich für ihre Gründung eingesetzt?

Die Wahrheitskommission war kein Geschenk, sie musste erkämpft werden. Ihre Gründung war ein großes Anliegen der Menschenrechtsorganisationen. Diese hatten Kontakt mit anderen Ländern, in denen es Wahrheitskommissionen gab. In der Zeit der Übergangsregierung von Präsident Paniagua gab es große Demonstrationen und Unterschriftensammlungen für eine Wahrheitskommission. Unter den Demonstrierenden waren viele Angehörige der Opfer, viele Frauen. Laut einer Meinungsumfrage im April 2001 waren 82 Prozent der Befragten für die Bildung einer solchen Kommission. Und nur Paniagua war in der Lage, eine neutrale Wahrheitskommission einzuberufen, daher war es sehr wichtig, dass sie noch in seiner Regierungszeit gegründet wurde. Es gab große Diskussionen über den Zeitraum, den sie untersuchen sollte. Belaúndes und Garcías Partei wollten natürlich, dass nur der Zeitraum ab 1990 untersucht würde, damit nur Fujimori als der schreckliche Verbrecher der peruanischen Geschichte dastehen würde. Nur Paniaguas Regierung konnte erreichen, dass der Untersuchungszeitraum auf 20 Jahre festgelegt wurde.

Welche Befugnisse hat die Kommission?

Die Wahrheitskommission in Peru ist kein Justizorgan und auch kein direktes Organ der Regierung. Das unterscheidet sie von anderen Wahrheitskommissionen. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden nicht automatisch die Bestrafung der Verantwortlichen nach sich ziehen. Man verspricht sich davon, dass sie unabhängiger arbeiten kann und nicht so etwas passiert wie in Argentinien, wo die Arbeit der Wahrheitskommission schließlich durch ein Amnestiegesetz gestoppt wurde. So kann die Kommission in Peru jetzt auch Fälle untersuchen, die schon vor Gericht behandelt worden sind wie das Massaker an den 250 Gefangenen in Lima im Jahre 1986, wo es schon ein festes Urteil gibt. Es wird keine Änderung des Urteils geben, auch wenn sich herausstellt, dass García die Verantwortung dafür hatte. Aber es wird öffentlich bekannt werden. Die Aufgabe der Wahrheitskommission ist es, die Fälle anzuhören und darüber hinaus selbstständig nach Zeugen zu suchen.

Wie wird nachher mit den Ergebnissen der Wahrheitskommission umgegangen werden?

Die Ergebnisse werden dem Ombudsmann übergeben, der dann eine Anklage erheben wird. Die ganze Dokumentation wird beim Ombudsmann aufbewahrt werden. Bei den Öffnungen der Massengräber, die zurzeit stattfinden, ist die Staatsanwaltschaft immer schon dabei, so dass direkt Anklage erhoben werden kann. Die Empfehlungen, die die Wahrheitskommission aussprechen wird, sind aber leider nicht verbindlich.

Am 8. und 9., 11. und 12. April haben in Huamanga und Huanta, Ayacucho, die ersten öffentlichen Anhörungen stattgefunden…

Ja, sie haben vor drei Tagen zum ersten Mal stattgefunden. Die Bevölkerung war darauf sehr gespannt. Bei den Anhörungen geht es vor allem darum, die Opfer sprechen zu lassen und den Menschen eine Stimme zu geben, die vorher nie eine Stimme hatten. Die Opfer werden so in den Mittelpunkt gestellt, sie bekommen ihre Würde wieder. Ayacucho ist die Region, in der die Auseinandersetzungen 1980 angefangen haben, hierher kommen die meisten Toten und Verschwundenen.
Mindestens 80 Prozent der Opfer kommen aus der indianischen Bevölkerung. Diese Menschen haben in Peru nie eine Rolle gespielt. Deshalb ist es so wichtig, dass sie jetzt erzählen können, was sie erlebt haben, und dass die gesamte peruanische Bevölkerung davon erfährt. Ihre Sprache wird akzeptiert. Und das ist das Besondere daran: die quechuasprachige Bevölkerung wird endlich gleichberechtigt mit einbezogen, man wendet sich an sie. Wenn man bei der Wahrheitskommission anruft und den Anrufbeantworter dran hat, hört man zu allererst Quechua. Das finde ich sehr wichtig. Das ist wirklich etwas sehr Besonderes in Peru.
Es ist das erste Mal, dass in Lateinamerika den Opfern auf diese Weise in öffentlichen Anhörungen eine Stimme gegeben wird. Das Vorbild sind die Anhörungen der Wahrheitskommission von Südafrika. In allen anderen lateinamerikanischen Ländern gab es keine öffentlichen Anhörungen der Wahrheitskommissionen.

Wie laufen diese Anhörungen ab?

Bis jetzt gibt es 2000 Zeugenaussagen, die vor der Wahrheitskommission gemacht wurden. Aus diesen Aussagen lädt die Kommission ausgewählte Fälle zu öffentlichen Anhörungen ein, an denen beispielhaft die Verbrechen und die heutige Situation der Opfer deutlich wird. Pro Tag werden acht Geschichten angehört. Die Anhörungen haben einen sehr formalen Charakter. Wichtig ist aber, dass es nicht darum geht, die Geschichten haargenau zu rekonstruieren, Details nachzufragen und Unklarheiten zu hinterfragen, sondern die Menschen sprechen zu lassen. Es gibt ein großes Bedürfnis der Menschen, öffentlich zu sprechen. Es gibt mehr Anfragen, zu sprechen, als die Wahrheitskommission dies ermöglichen kann. Es werden individuelle und auch thematische Anhörungen, zum Beispiel zu Frauen, stattfinden.

Verbrechen wie Vergewaltigungen an Frauen wurden von der Kommission zunächst nicht als Taten angesehen, denen sie nachgehen wird. Das hat sich jetzt geändert.

Die Menschenrechtsorganisationen in Peru haben massiv kritisiert, dass die an Frauen verübten Verbrechen nicht explizit im Dekret über die Arbeit der Wahrheitskommission als zu untersuchende Taten erwähnt waren. Sie forderten, dass die Situation der Frauen besonders betrachtet wird. Jetzt haben sie durchsetzen können, dass diese Aufgabe explizit als Aufgabe der Wahrheitskommission genannt wird, so dass auch BeraterInnen für diese Fragen eingestellt wurden.
Dabei hat man sich an dem Urteil des Jugoslawien-Tribunals von Februar 2001 orientiert, wo Vergewaltigungen an Frauen erstmals offiziell als Kriegsverbrechen anerkannt wurden und nicht nur als „Nebenschaden“, wie es vorher hieß.

Die Wahrheitskommission will auch mit den ehemaligen Präsidenten Fernando Belaúnde und Alan García Gespräche führen. Alan García hat als Präsidentschaftskandidat der sozialdemokratischen APRA letztes Jahr eine Erklärung unterschrieben, dass er als Präsident die Wahrheitskommission unterstützen würde. Wie reagieren sie jetzt?

García reagiert ziemlich aggressiv. Es wurde sogar eine Anklage von Parteifreunden Garcías gegen die Wahrheitskommission eingereicht, in der es darum geht, dass die Kommission juristische Funktionen übernehmen würde, wozu sie nicht befugt sei. Die Wahrheitskommission übernimmt aber explizit keine juristischen Aufgaben, daher wird die Anklage keinen Erfolg haben. Die APRA-Mitglieder sagen, die Kommission sei nicht neutral, und sie möchten die Kommission in dem zurzeit stattfindenden Runden Tisch ansiedeln, an dem alle Parteien gemeinsam mitarbeiten. Damit möchten sie erreichen, dass in der Wahrheitskommission Kompromisse gefunden werden. Aber zu der Wahrheit kann man keine Kompromisse finden! Es gibt natürlich viel Druck von Alan García, da es bei ihm um die nächsten Wahlen geht. Vielleicht würden die Ergebnisse der Wahrheitskommission eine neue Kandidatur Garcías unmöglich machen. Bei Belaúnde ist es anders, er ist so alt, er wird nicht mehr kandidieren, bei ihm würde ich es für möglich halten, dass er sich entschuldigt.

Wie kommt es, dass Leute wie Beatriz Alva Hart, die unter Fujimori Vizeministerin im Arbeitsministerium war, oder Luis Arias Grazziani, ein ehemaliger Luftwaffengeneral, als Kommissionsmitglieder benannt wurden und dagegen überhaupt kein Vertreter der Angehörigen der Opfer?

Beatriz Alva Hart kommt aus dem rechten konservativen Spektrum in Peru, das man auch in der Kommission vertreten haben wollte. Es soll dort nicht um Rache gehen. Alva Hart wurde von Paniagua ernannt und dann später von Toledo bestätigt. Die Menschenrechtsorganisationen haben sehr schnell reagiert und es gab viel Kritik bei ihrer Ernennung. Vom Präsidenten gab es dazu aber keine klare Erklärung. Ihre Ernennung zeigt natürlich schon, dass es politischen Druck gab, sie zu berufen. Bis jetzt ist ihr Verhalten aber nicht zu kritisieren.
Zu Luis Arias Grazziani ist zu sagen, dass in der Kommission alle gesellschaftlichen Gruppen Perus repräsentiert werden sollten, vorher war noch kein Vertreter des Militärs dabei.
Dass die Angehörigen der Opfer nicht in der Wahrheitskommission vertreten sind, hat unterschiedliche Gründe: Zunächst einmal hatten sie keine angemessenen Organisation der Repräsentation. Aber letztendlich ist es ein Ausdruck der immer noch bestehenden Machtverhältnisse, sie kamen auf Druck des Militärs nicht hinein. Die Angehörigen der Opfer werden jetzt von den kirchlichen Gruppen vertreten.

Was kann die Arbeit der Wahrheitskommission für die Gesellschaft in Peru bedeuten?

Wir hoffen, dass ein gesellschaftlicher Reflektionsprozess angestoßen wird. Es wird um Fragen gehen wie und warum vor allem Indígenas umgebracht worden sind. Hat das etwas mit Rassismus zu tun? Wir hoffen, dass das Bewusstsein um Menschenrechte größer werden wird. Und dann muss man über die Armut in Peru sprechen. Die Wahrheitskommission wird auch Vorschläge zu Entschädigungen machen, individuelle und kollektive Entschädigungen für ganze Dorfgemeinschaften.

Wird sich die Wahrheitskommission auch um die Eigentumsproblematik der vertriebenen und geflüchteten Menschen kümmern?

Nein, das ist nicht Aufgabe der Kommission.

Arbeitet sie auch zu den Fällen der unschuldig Inhaftierten? Im März gab es einen dreiwöchigen Hungerstreik in einigen Gefängnissen.

Nein, das ist kein direktes Thema der Wahrheitskommission. Auf Druck der Menschenrechtsorganisationen sind in den letzten Monaten viele dieser unschuldig Inhaftierten freigelassen worden. Die Menschenrechtsorganisationen werden weiterhin an diesem Thema arbeiten, ich denke, dass alle unschuldig Gefangenen in der nächsten Zeit freikommen werden. Jetzt geht es vor allem darum, die Haftbedingungen für jene zu verbessern, die zu Recht verurteilt sind.

Weitere Infos unter www.cverdad.org.pe und
www.dhperu.org

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