Kuba | Nummer 347 - Mai 2003

Diplomatie aus dem Schützengraben

Die Todesurteile auf Kuba und die Beziehungen des Inselstaats zu den USA

Nach Jahren der Integration Kubas in die internationale Gemeinschaft verhärten sich die Fronten. Havanna beklagt Provokationen aus Washington. 70 Gegner der Regierung wurden inhaftiert, gegen drei Entführer einer Fähre Todesurteile vollstreckt. Was aber steckt hinter der Eskalation?

Harald Neuber

Seit Beginn dieses Jahres wurden in den Vereinigten Staaten von Amerika 25 Menschen hingerichtet. Einer der im staatlichen Auftrag Getöteten war geistig behindert, ein anderer minderjährig. Einen dritten Todeskandidaten rettet auch sein britischer Pass nicht. Ein vierter Mann in einem der Todestrakte der US-Gefängnisse hielt das langjährige Warten auf die Hinrichtung nicht mehr aus: Er bat um die eigene Exekution. Alle Angeklagten waren wegen schwerer Gewaltdelikte verurteilt. Diese Politik stieß in der internationalen Staatengemeinschaft weitgehend auf Akzeptanz.
Szenenwechsel: Kuba. Am 12. April erklärte die Regierung des Inselstaates 90 Seemeilen vor der US-Küste die Vollstreckung der Todesurteile über drei Männer, die anderthalb Wochen zuvor eine Personenfähre entführt hatten. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen meldeten ihren Protest an, sogar aus der Europäischen Union kam offizieller Protest. Weshalb aber sind die Proteste derart massiv? Der Verweis auf humanistische Beweggründe allein greift zu kurz.

“Heute Irak – morgen Kuba“

Stellungnahmen hoher US-Funktionäre zufolge geht vom Krieg Washingtons gegen den Ölstaat Irak auch „eine deutliche Botschaft an Kuba“ aus. Das zumindest erklärte unlängst der gebürtige Kubaner und derzeitige Sonderberater von US-Präsident George W. Bush für Lateinamerika, Otto Reich. Der Präsidentenberater mit guten Verbindungen zur extremen Rechten im kubanischen Exil forderte in den vergangenen Wochen wiederholt, dass Washington nach der Invasion in Irak nun auch Kuba ins Visier nehmen müsse. Solche Verlautbarungen nimmt die Regierung in Havanna mit zunehmender Sorge zur Kenntnis.
Aus dem diplomatischen Korps der USA sprachen sich sowohl der US-Botschafter in der Dominikanischen Republik, Hans Hertell, wie auch Jeb Bush, Gouverneur von Florida und Bruder des amtierenden Präsidenten, dafür aus, die Politik gegen Kuba erheblich zu verschärfen. „Ich denke, dass von dem derzeitigen Geschehen im Irak ein sehr positives Signal ausgeht“, sagte US-Diplomat Hertell gegenüber Journalisten in Santo Domingo, „es ist ein Beispiel für Kuba“. Auf den Demonstrationen rechter Gruppen des kubanischen Exils in den USA wurden in den vergangenen Wochen Plakate in die Kameras gehalten, auf denen die Hoffnung der Antikommunisten prägnant zusammengefasst war: „Heute Irak – morgen Kuba“. Die Stimmung in Miami erinnert an das Jahr 1989, als der us-kubanische Sänger Willy Chirino mit dem Salsa-Hit: „Ya viene llegando (nuestro dia)“ den Fall der sozialistischen Regierung feierte und damit in den lokalen Charts aufstieg. Der Tag ist noch nicht gekommen.
Klar ist aber: Nach Jahren relativer Entspannung verschlechtern sich die Beziehungen zwischen beiden Staaten rapide und vor allem nachhaltig. Die neue radikale Linie der Bush-Administration knüpft an die Kuba-Politik Washingtons während des Kalten Krieges an. In den USA wurden seit 1959 über 600 Mordanschläge auf Staats- und Regierungschef Fidel Castro geplant. Besonders in den ersten Jahren nach der Revolution wurden von den USA aus Sabotageakte durchgeführt und paramilitärische Gruppen wie die vom US-Bundesstaat Florida aus operierende »Alpha 66« ausgebildet.
Im Schatten des Irak-Krieges schwenkt Washington nun nach Jahren der vorsichtigen Kooperation in einem selbst für langjährige Beobachter überraschend schnellen Tempo wieder um. Gemeinsame Abkommen – vor allem in Migrationsfragen – werden missachtet, laufende Verhandlungen zu bilateralen Fragen wie der Bekämpfung des Drogenhandels blockiert. Nach Informationen der kubanischen Regierung werden Informanten des US-Geheimdienstes als Oppositionelle getarnt, eine Strategie, die in den antikubanischen Gesetzen der USA legalisiert wird. So autorisiert der 109. Absatz des antikubanischen Helms-Burton-Gesetzes von 1996 „die (finanzielle und logistische) Unterstützung der demokratischen und Menschenrechtsgruppen“. In der Definition wenige Absätze später werden dabei „geheimdienstliche Tätigkeiten“ explizit nicht ausgeschlossen, „sofern sie den gesetzmäßigen Tätigkeiten der US-Regierung dienen“.
Es ist eine Doppelstrategie: Während verfassungsfeindliche Gruppen entgegen internationalen diplomatischen Regeln von der US-Interessenvertretung aus gefördert werden, schließen die USA ihre Grenzen für KubanerInnen. Der Kuba-Experte und führende Mitarbeiter der Hilfsorganisation Oxfam-Belgien, Xavier Declercq, erklärt dazu: „Die US-Interessenvertretung hat die Ausstellung von Visa quasi eingestellt. Damit wird künstlich ein neue Flüchtlingskrise provoziert. Kommt es aber erneut zu einer Situation wie 1994, was spräche dann gegen eine Intervention der USA, um `die Leben der Kubaner zu retten´?“ Nur in diesem Kontext seien Flugzeug- und Schiffsentführungen auf Kuba in den vergangenen Wochen zu verstehen. Mehrmalige Proteste gegen die in den USA bestehende Straflosigkeit für die Entführer blieben ebenso folgenlos wie der damit offensichtliche Verstoß der US-Behörden gegen internationales Recht. Offenbar sollte die Regierung in Havanna durch diese staatlich geförderte Kriminalität zu drastischen Reaktionen gezwungen werden, die der Anti-Castro-Propaganda dienen. Geht der Plan auf?
Als eine Gruppe von Männern in der ersten Aprilhälfte nach drei Flugzeugentführungen eine Personenfähre kaperte und die 50 Passagiere – meist Frauen und Kinder – mit dem Tod bedrohte, reagierten die Strafverfolgungsbehörden auf der Insel hart. Über die drei Anführer der Gruppe verhängten Gerichte in Havanna nach einem gut einwöchigen Strafverfahren Todesurteile. Die Richtersprüche wurden umgehend vollstreckt. Hat die sozialistische Regierung Kubas damit Öl ins Feuer gegossen? „Ob willentlich oder nicht waren die Entführer in diesem Moment (der Tat) bereits Teil eines übergeordneten politischen Konfliktes“, schreibt der linke Soziologieprofessor Heinz Dieterich aus Mexiko. Nur vor dem Hintergrund der gesteigerten Bedrohung Kubas durch die USA – und nicht nur moralisch, sondern eben auch pragmatisch – seien die Strafen zu bewerten. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass sich die kubanische Regierung der Reaktionen auf internationaler Ebene wohl bewusst war. Außenminister Felipe Pérez Roque jedenfalls erklärte wenige Tage nach dem Urteil, man sei „nicht willens, den Provokationen mit verschränkten Armen zuzusehen“. Man muss die Frage stellen, welchen Schaden Havanna erwartete, wenn es nicht derart gehandelt hätte.
Auch Staatschef Fidel Castro zeigte sich davon überzeugt, »dass wir den Kampf gegen die Provokationen aus den USA führen müssen, eben weil sie auf einen ernsteren Konflikt mit den USA abzielen«. Es solle ein Klima erzeugt werden, das gar militärischen Aktionen gegen Kuba den Weg bereite. Trifft dies zu, wären die Vorbereitungen einer „finalen Eskalation“ der USA gegen Kuba wie es Declereq sieht mit den Einreisebeschränkungen für KubanerInnen in die USA, den so provozierten Entführungen, den Urteilen und dem Protest dagegen bereits im fortgeschrittenen Stadium. Die drastischen Strafen sind also keineswegs ausschließlich ein Signal nach innen. Die Regierung des Inselstaates versucht, den Provokationen der Gegenseite aus den USA Einhalt zu gebieten. Gelingt dies nicht, wird sie sich international jedoch weit ins politische Abseits katapultieren. Havanna pokert hoch.
Für eine bewusste Zuspitzung und entsprechende propagandistische Auswertung spricht noch ein anderes Detail: Nach der Hinrichtung zweier Terroristen vor drei Jahren auf Kuba waren international kaum Proteste zu hören, im aktuellen Fall jedoch kam sogar von den EU-Außenministern scharfe Kritik. Sie drohten in einer gemeinsamen Erklärung „ernsthafte Konsequenzen“ an. In diplomatischen Kreisen gibt es kaum ein Beispiel für eine vergleichbare Reaktion. Weshalb also sind die Reaktionen nach der jüngsten Anwendung der Todesstrafe auf Kuba derart massiv? Kubas Regierung vermutet, dass ein geplanter mittelbarer Konflikt mit der Dämonisierung des Landes beginnt.

Schwere Diskussion um die Todesstrafe

Dieser Taktik dient auch die Kritik von Menschen, die der kubanischen Revolution bislang solidarisch begegneten. So erklärte der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago aus Protest gegen die Anwendung der Todesstrafe in einem offenen Brief seine Distanzierung zum sozialistischen Inselstaat, der Schriftsteller Eduardo Galeano schloss sich an. Für den Belgier Declercq greifen diese Urteile zu kurz: „Haben die Kritiker auch protestiert, als in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 über 2000 Menschen arabischer Herkunft von der Straße weg verhaftet wurden, in vielen Fällen nur, weil sie eine dunklere Haut hatten? Haben sie gegen die 75 Hinrichtungen in den USA im vergangenen Jahr protestiert? Kritisieren sie den Bruch des Völkerrechtes durch den Angriff der USA auf Irak? Protestieren sie dagegen, dass auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo auf Kuba Kinder in Käfigen gehalten werden?“ In Anbetracht der Reaktionen der EU sei offensichtlich, dass es hier eine Gruppe gebe, die mit allen Mitteln verhindern wolle, dass Kuba in das Handelsabkommen von Cotonou zwischen den AKP-Staaten und der EU aufgenommen wird. Verschiedene Staaten aus Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum (AKP – Staaten) wird in diesem Abkommen ein günstiger Zugang zur EU gewährt. Ricardo Alarcón, der Parlamentsvorsitzende Kubas, versuchte die Wogen zu glätten. »Es war eine Maßnahme, die wir ergriffen haben, weil wir sie ergreifen mussten, um den Angriffen aus Washington zu begegnen«, so Alarcón.
Trotzdem sieht sich die Solidaritätsbewegung mit Kuba in der Defensive. „In den ersten Tagen haben wir etliche empörte Anrufe bekommen“, berichtet Reinhard Thiele von „Cuba sí“. Nach hitzigen Diskussionen fand man eine Position. Die „Arbeitsgemeinschaft in der PDS“ verurteilte die Todesstrafe, verwies aber auf den politischen Kontext. Ähnlich argumentiert der Oxfam-Mitarbeiter Declercq, wenn auch „zunächst nicht für die Organisation“, sondern privat: „Die Verhängung der Todesstrafe gegen die drei Entführer war in meinen Augen falsch, obgleich die bewaffnete Aktion das Leben zahlreicher Zivilisten, Kubaner und Ausländer, in ernsthafte Gefahr brachte. Nach meiner Meinung ist die Todesstrafe ethisch nicht vertretbar. Auch das legitime Recht eines Staates, sich gegen Schwerkriminalität zur Wehr zu setzen, kann die Entscheidung nicht rechtfertigen, einen Menschen zu töten.“ Auch er beurteilt die Richtersprüche als „pragmatische Entscheidung der kubanischen Behörden“ und stimmt mit dem Soziologen Dieterich überein. Der hatte moralische, pragmatische und juristische Beurteilung gefordert. Moralisch sei die Strafe abzulehnen, streng juristisch sei sie haltbar (und nicht „willkürlich“, wie es in der Erklärung der EU-Minister heißt) und pragmatisch nachvollziehbar. Im Gegensatz zu den USA und anderen nun protestierenden Staaten hatte Kuba die Todesstrafe über Jahre hinweg nicht angewandt . Zuletzt wurde sie im Strafverfahren über die beiden zentralamerikanischen Söldner verhängt, die für eine Reihe von Bombenanschlägen während eines internationalen Jugendfestivals im Sommer 1997 verantwortlich waren. Damals starb ein italienischer Tourist. Im Mai 2000 dann hatte Rubén R. Ferro, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, die Einstellung der Todesstrafe auf Kuba angekündigt – ein Vorhaben, das von Beginn an von der Terrordrohung aus den USA behindert wurde. Solange aus dem Nachbarland terroristische Gruppen ungehindert operieren können, wird es keinen „Normalzustand“ geben können. Solange gerade die Regierung der einzig verbleibenden Großmacht internationale Abkommen mit dem Ziel missachtet, Kuba zu destabilisieren, wird die Todesstrafe nicht abgeschafft werden.

Der Autor ist Redakteur für Lateinamerika bei der Tageszeitung junge Welt www.jungewelt.de


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