Film | Nummer 353 - November 2003

„Es ist nicht einfach Guatemalteke zu sein“

Testamento – der Dokumentarfilm über Alfonso Bauer Paíz

Der 84-jährige Rechtsanwalt Alfonso Bauer Paíz lebt in Guatemala. Seit mehr als einem halben Jahrhundert kämpft er für soziale Gerechtigkeit. Auf der Suche nach Würde für sein Land, verteidigt er es gegen Intervention, Militärregime und ausländische Multis. Er wird verfolgt, geht seinen Weg ins Exil und erlebt Stationen lateinamerikanischer Revolutionen.

Julia Felden, Jürgen Vogt

Ich habe ihn gesehen und sehe ihn noch immer.
Dieser Film gleicht so sehr dem Leben, dass er in seinem Betrachter weiterlebt.
Ein ehrlicher Film, ohne Schönfärberei oder Täuschung. Die Dinge, wie sie sind:
das Gehen schmerzt und verursacht Schmerzen.
Dies ist die Geschichte des langen Weges, den Alfonso Bauer gegangen ist.
Er geht an gegen das Leid seiner Heimat.
Unter Schmerzen, aber aufrecht – so wie sie.
-Eduardo Galeano-

Alfonso Bauer Paíz geht schnell,fast rennt er, als wolle er die Gerechtigkeit einholen und sie fragen: „Warum machst du einen Bogen um Guatemala?“ Der 84-jährige ist gut zu Fuß, mit täglichem Schwimmen hält er sich fit. Geboren 1918 in Guatemala-Stadt hat er von seinem deutschen Großvater den deutschen Namensteil geerbt. In seiner Biografie spiegelt sich das „Who-is-who“ der lateinamerikanischen Befreiungsbewegung: Che Guevara wird sein Freund, in Chile arbeitet er unter Salvador Allende, in Nicaragua berät er den sandinistischen Arbeitsminister.

Berufswunsch Anwalt

„Warum willst Du Anwalt werden“, fragt ihn sein Vater, „dafür bist du doch viel zu ehrlich.“ Der junge Alfonso studiert Rechtswissenschaften, um später als Anwalt maßgeblich am Sturz des Diktators Jorge Ubíco beteiligt zu sein. Er beginnt seinen Kampf für soziale Gerechtigkeit.
Er unterstützt sein Land gegen die United Fruit Company, wird Arbeits- und Wirtschaftsminister und bringt ein Gesetz zum Schutz der Ölvorkommen auf den Weg. Wenig später wird die Revolutionsregierung mit Unterstützung der USA gestürzt. Alfonso geht mit seiner Familie ins erste Exil nach Mexiko.
Im Jahre 1957 kehrt er in seine Heimat Guatemala zurück. Dort putscht 1963 erneut das Militär. Bei einem Attentat 1970 wird er schwer verletzt und geht kurze Zeit später nach Chile, in sein zweites Exil. Er arbeitet dort für den chilenischen Präsidenten Salvador Allende. Nach dem Militärputsch durch General Pinochet reist er über Peru nach Kuba. Vor seiner Rückkehr nach Guatemala, arbeitet er als Rechtsberater für die guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko. 1993 kehrt Alfonso Bauer Paíz wieder nach Guatemala zurück. Er nimmt seine alte Arbeit als Rechtsanwalt auf und wird sechs Jahre später als Abgeordneter in den Kongress gewählt. Doch dort herrscht Ex-Diktator General Ríos Montt.
Für Alfonso Bauer Paíz hat Politik Priorität – vor Familie und Freunden. Dennoch hat er drei Mal geheiratet und insgesamt fünf Kinder. Sein drittes Kind Yolandita, die wie ihr Vater auch sozial engagiert und politisch aktiv war, nimmt im Jahre 1969 Abschied: sie erschießt sich mit der Pistole ihres Vaters. Jahre später sterben zwei seiner Ehefrauen und mit ihnen auch ein weiteres Kind. Aber vor allem der Tod seiner Tochter Yolandita hat ihn mitgenommen, bis heute kommt er nicht darüber hinweg. Nach Jahren im Ausland lebt er heute mit seiner dritten Frau wieder in Guatemala-Stadt.

Religiöser Marxist?

In den Jahren des Exils in Mexiko lernt er das intellektuelle Leben kennen. Nach Guatemala zurückgekehrt tritt er einer Freimaurerloge bei. Gott und die Bibel stehen hier im Zentrum. Doch Alfonso Bauer Paíz glaubt nicht an Gott. Als er einmal zum Glauben befragt wird, erzählt er sein Credo: „Als Einstein geboren wurde, lag er in einer Wiege aus holländischer Seide. Er musste nichts dafür tun, dass die Welt ihn so empfing. Die Mehrzahl aller anderen Kinder wurde in traurigen Verhältnissen geboren. Deshalb nahm sich Einstein vor, der Menschheit für jenen guten Empfang bei seiner Geburt Ausgleich zurückzugeben. Und so denke ich auch.“
So zeigt der Film den Kämpfer für Gerechtigkeit, den Vater, der seine Ideale über die Familie stellt, den Freimaurer, der dem staunenden Publikum erklärt, wie eine Loge aufgebaut ist. Die Filmemacher verzichten fast gänzlich auf Kommentierungen. Seine Weggefährten kommen zu Wort, seine Familie und der Bauer Paíz selbst. Und immer gelingt ein stimmiges Ambiente: Sein Engagemant beim Wahlkampf für den Kongress, die Trauer in seinen Augen über den Verlust seiner Tochter, die Bierseeligkeit seines Freundes Ernesto beim Erzählen von Anekdoten…
Rätselhaft bleibt, warum die Filmemacher den Titel testamento – Letzter Wille – gewählt haben. Denn wenn der neue Abgeordnete Alfonso Bauer Paíz in der Nationalversammlung „Verdammte Scheiße“ grummelt, dann ist zu spüren, dass er noch viel vor hat. Und es lohnt seinen Weg bis dahin im Kino mitzugehen, nur gut zu Fuß sollten wir sein, sonst hängt uns der Alte ab.

testamento von Uli Stelzner und Thomas Walter, Deutschland 2003, 93 Minuten.

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