El Salvador | Nummer 331 - Januar 2002

Flaschenpost auf der Suche nach Lesern

Seit dem Friedensabkommen hat sich auch das literarische Panorama El Salvadors verändert

Das Friedensabkommen zwischen Regierung und Guerilla von 1992 wurde zunächst als Beginn einer neuen Ära begriffen. Massenansammlungen auf zentralen Plätzen der Hauptstadt verkörperten die Hoffnung, dass das kleine zentralamerikanische Land nach und nach den Klauen des Autoritarismus entrinnen könnte. Linke Schriftsteller verstanden dies als Zeichen der Öffnung hin zu Themen, die vorher tabu waren. Die Chancen auf eine Steigerung der künstlerischen Produktion waren groß.

Luis Alvarenga; Übersetzung: Markus Müller

Historisch gesehen ist die Poesie, ganz zum Leidwesen von Essay, Drama und Roman, das am meisten gepflegte literarische Genre in El Salvador. Sie war es, die die radikalsten Brüche ästhetischer Paradigmen herbeigeführt hat. Das Patent dafür bekam bereits in den 50er Jahren die so genannte „Generation der Engagierten“, zu der Figuren wie Roque Dalton und Manlio Argueta gehörten. Die poetische Erneuerung hat auch die Professionalisierung salvadorianischer Schriftsteller voran getrieben. Gleichzeitig war sie ein Einschnitt im ethischen Sinne: Der Schriftsteller sollte fortan seine intellektuelle Arbeit in den Dienst der Massen stellen.

Der diskrete Charme der Poesie
Der Bürgerkrieg brachte auch für die Schriftsteller repressive Bedingungen mit sich. Autoren, die als Bezugspunkte für die Weiterentwicklung hätten dienen können, gingen ins Exil, schlossen sich der Guerilla an, wurden ermordet, oder erlebten eine Art inneres Exil. Die Poesie der 80er Jahre war zum größten Teil revolutionäre Poesie, aber nur ihrem Anspruch nach, denn sie stellte die herrschenden ästhetischen Modelle nicht in Frage. Wenn es auch Autoren gab, die nicht der Regel entsprachen, hatte diese Poesie einen allgemeinen Ton der unmittelbaren Anklage, die dem politischen Pamphlet sehr ähnlich war. Diese Poesie der Anklage wurde schließlich zu einer literarischen Mode. Als der Krieg zu Ende war, mussten die unter seinen Bedingungen aufgewachsenen Dichter die Feuerprobe des Zeitenwandels bestehen. Vielen gelang dies jedoch nicht.
Die salvadorianische Poesie der Neunziger zeigt eine deutliche Abkehr von den politischen Themen, an denen sie sich in den vorangegangen Jahrzehnten so übersättigt hatte. Wie jede Antwortbewegung, ließ sie von einem Extrem ab, um einem anderen in die Arme zu laufen: weg von jener Poesie, die die politische Anklage über jegliche Individualität stellte, hin zu persönlichen Dramen, abgehoben von allen politischen Umständen. Aber dieser Horizontwechsel brachte keine poetische Revolution mit sich, wie sie einst die „Generation der Engagierten“ vollzogen hatte. Tatsächlich wird heute die „post-engagierte Literatur“ proklamiert. Das poetische Panorama glänzt so hauptsächlich mit der Abwesenheit von Gehalt. Dennoch gibt es Dichter, die aus dieser Hoffnungslosigkeit herausragen. Dazu gehören Miguel Huezo Mixco, Alfonso Kijadurías und Carlos Santos.

Die große Suche
Wenn die Poesie mittlerweile zum Aschenputtel der salvadorianischen Literatur wurde, so gilt das keineswegs für den Roman. Bis vor kurzem haben sich wenige salvadorianische Schriftsteller dem Schreiben von Romanen gewidmet. In der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts beschrieben sie in kostumbristischer Manier das Leben auf dem Land. Der Roman Trenes (1942) von Miguel Angel Espino stellte einen frühen experimentellen Bruch dar. Aber streng genommen ist Manlio Argueta (1937) der erste professionelle Romancier El Salvadors. (Er veröffentlichte mit Tage des Alptraums und Cuscatlán, am Meer des Südens Romane, die weltbekannt und auch ins Deutsche übersetzt wurden. Die Red.)
In gewisser Weise war dann Horacio Castellanos Moya ein großer Pionier novellistischer Erneuerung. Sein Buch La diáspora, das Mitte der 80er veröffentlicht wurde, bahnte einer neuen thematischen Auseinandersetzung den Weg, es ging um die Verkommenheit der Linken. Gleichzeitig entdeckte der gebürtige Honduraner mit diesem Buch bereits seine provokative Berufung, die in seinem Mitte der 90er Jahre veröffentlichten Buch El asco (Der Ekel) ihre größte Ausprägung fand. Castellanos Moya legt hier, ganz im Sinne des Österreichers Thomas Bernhardt, auf den er sich auch im Untertitel explizit beruft, den Finger in sämtliche Wunden der salvadorianischen Gesellschaft. Von den verdreckten Stränden, über die unsäglichen Skulpturen der Unabhängigkeitshelden, bis zu den „Durchfall fördernden Pupusas“, einem Höhenflug salvadorianischer Kochkunst; nichts lässt Castellanos Moya heil bei seinem bilderstürmerischen Rundumschlag. Neuerdings hat er in Spanien zwei Romane publiziert: La diabla en el espejo (Die Teufelin im Spiegel) und El arma en el hombre (Die Waffe im Menschen). Beide Bücher thematisieren den Verfall der salvadorianischen Gesellschaft: Das erste aus der Sicht einer bourgeoisen Frau und das zweite aus der Perspektive eines Auftragskillers, der ehemals Soldat in einer Eliteeinheit der salvadorianischen Armee war.
Der Nouveau Roman versucht bekanntlich, die Sprache jeglicher Subjektivität zu berauben, die Emotionen fleischlos und als bloße Objekte zu sehen. Eben darin liegt die Versuchung Castellanos Moyas: Dem Glauben an die Menschheit stellt er den puren Zynismus gegenüber.
Die Romane von Ricardo Lindo und Roberto Quezada scheren dagegen aus dieser Strömung aus. In Tierra und El canto aún cantado, kramt Lindo seine jüdischen Wurzeln hervor. Dies tut er mit einer poetischen Sprache, die ihn von der trockenen, oder auch wie einige sagen, „effizienten“ Sprache der sons-tigen zeitgenössischen Romane El Salvadors abhebt. Außerdem veröffentlichte er ein Bändchen mit Erzählungen für Kinder.
Der Roman Leoncavallo von Roberto Quezada ist eine Rückbesinnung auf die Utopie, Solidarität und humanistische Werte. Dem Autor gelingt es hier liebenswerte Charaktere zu entwerfen, eine Seltenheit in den aktuellen Romanen El Salvadors. Seine Protagonisten sind ebenso komplex wie deren ganz persönliche menschliche Dramen. Besonders ragen dabei diejenigen hervor, die sich dagegen auflehnen, revolutionäre Träume durch Opportunismus zu ersetzen. Ein interessantes Aufeinandertreffen zwischen Fiktion und historischem Roman findet sich auch in Carlos Castros Libro de los desvaríos, das die fiktiven oder realen Familienangehörigen einer historischen Figur wieder belebt: Es geht um Gerardo Barrios, ein Militär, der Mitte des 19. Jahrhunderts den Kaffe nach El Salvador brachte und auf diesem Weg die Geschichte des Landes veränderte.

Neue Wege
Literarische Forschung und Geschichtsschreibung wurden in El Salvador von jeher stiefmütterlich behandelt. Sämtliche Anstrengungen, das historische Verständnis der salvadorianischen Literatur zu vertiefen, waren immer Ergebnis ganz persönlicher Entscheidungen. Schließlich sind weder der Staat noch die Universitäten bereit, Forschungen zu unterstützen. Ein gutes Beispiel dafür ist Carlos Cañas Dinarte, dem es gelang, das Gesamtwerk von Francisco Gavidia zusammen zu klauben. Und obwohl Gavidia als Gründer der salvadorianischen Literatur überhaupt gilt, ist diese bedeutsame Sammlung noch nicht veröffentlicht worden.
Was den Essay anbetrifft, haben Rafael Lara Martínez, der die bisher vollständigste Anthologie der Poesie Roque Daltons veröffentlichte, Miguel Huezo Mixco und Ricardo Roque Baldovinos bedeutende Arbeit geleistet. Letzterer ist einer der wenigen professionellen Literaturwissenschaftler des Landes. Im Bereich der Literaturkritik sollte jedoch auch Geovani Galeas nicht unerwähnt bleiben, der auch eine Fernsehsendung leitet, in der über Kunst und Literatur debattiert wird.
Interessant ist auch der Fall von Miguel Huezo Mixco. Der ehemalige Guerillero ist einer der wenigen, denen Politik noch wichtig ist. Als Essayist schreibt er regelmäßig in verschiedenen Zeitungen, ebenso über Literatur wie über nationale und internationale Probleme.
Wenn man die salvadorianische Literaturproduktion der letzten zehn Jahre in einem Wort beschreiben müsste, so wäre der Begriff des Auseinanderdriftens sicherlich der treffendste. Die politischen Entscheidungen der ehemaligen Widersacher haben zum Auseinanderdriften der gesamten Gesellschaft geführt. Kurzfristige Sachzwänge und konkretes Zusammenlegen waren meist Kriterien für politische Entscheidungen. Dies hat einerseits zu Politikverdrossenheit und andererseits, was viel dramatischer ist, dazu geführt, dass ein nationales Projekt, das die langfristigen Bedürfnisse des Landes berücksichtigt hätte, gar nicht erst entstehen konnte. Der Akt des Schreibens ist ein rebellischer Akt, um der Verzweiflung entgegen zu treten. In El Salvador Schriftsteller zu sein ist ungefähr so, wie von einer einsamen Insel eine Flaschenpost auszusenden, in der Hoffnung, dass irgend jemand sie liest.

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