Film | Nummer 238 - April 1994

“Fresa y chocolate” und der Sozialismus

Interview mit Regisseur Tomás Gutiérrez Alea

“Fresa y chocolate” – der Film des kubanischen Regisseurs Tomás Gutiérrez Alea über die Begegnung eines kommunistischen Studenten mit einem politisch “suspekten” Schwulen hat beim kubanischen Publikum begeisterte Reaktionen ausgelöst. Auch international erregt das Werk große Aufmerksamkeit – unter an­derem wurde “Fresa y chocolate” bei der Berlinale der “Silberne Bär” ver­liehen. Die Resonanz gilt nicht nur den filmerischen Qualitäten des Films, sondern auch der politischen Brisanz der Themen, die “Fresa y chocolate” be­rührt: die Diskri­minierung von Homosexuellen auf Kuba, Wirtschaftskrise und Schwarzmarkthan­del, politische Engstirnigkeit und dogmatische Erstarrung.
Die kubanische Filmemacherin Rebeca Chávez hat die Entstehung von “Fresa y chocolate” aus der Nähe erlebt und die Dreharbeiten dokumentiert. Aus den zahlreichen Interviews, die sie während dieser Zeit mit Tomás Gutiérrez Alea führte, veröffentlichte die kubanische Literaturzeitschrift “Gazeta” die interessan­testen Passagen.
Ist “Fresa y chocolate” ein Schwulen­film, oder nimmt er die Verfolgung Ho­mosexueller als ein Beispiel für ge­sellschaftliche Intoleranz? Wie weit geht Tomás Gutiérrez Alea in seiner Kritik am kubanischen Staat?

gekürzt übernommen aus "La Gazeta", Übersetzung: Bettina Bremme

Rebeca Chávas: Wie ist das Projekt “Fresa y chocolate” entstanden?
Tomás Gutiérrez Alea: Es entstand aus einer Inspiration – wie alle meine Filme. Du siehst eines Sache, liest et­was, und be­ginnst nachzudenken. So war es mit der Geschichte “Der Wolf, der Wald und der Neue Mensch” von Senel Paz. Diese Er­zählung fand eine große Resonanz. Bereits jetzt existieren vier Theaterversionen und einige Buchausgaben.
Aber es war nicht diese Resonanz des Textes, aufgrund derer ich mich dazu ent­schloß, diesen Film zu machen. Ich las das Manuskript, bevor es prämiert wurde, be­vor es überhaupt bekannt war. Nach dem Lesen sagte ich mir: Hier gibt es einen ab­gerundeten, geeigneten Filmstoff, der interessant sein könnte, und rief Senel an. Er war einverstanden. Wenn – wie in die­sem Fall – der Eindruck sehr stark ist, und alles zusammenpaßt, kommt das Pro­jekt voran. Wir diskutierten viel dar­über, wie das Drehbuch weiterentwic­kelt werden könnte. Und heute scheint mir, als könnte der Film nicht nur für mich, meine Kar­riere und meine Filmographie interessant sein. Es ist ein Film, der sehr gut in die Situation paßt, in der wir zu Zeit leben, wo es darum geht, sich der vielen Irrtümer bewußt zu werden, die im Laufe der Jahre begangen wurden. In vieler Hin­sicht ist ein Wandel vonnöten; und dieser Film skizziert einen dieser Aspekte: das intole­rante Verhalten, das lange Zeit gegenüber einem Teil der Bevölkerung herrschte, den Homose­xuellen. Schließlich läßt die Into­leranz in einem Bereich auf die Intoleranz gegenüber anderen Dingen schließen.
Aber man macht keine Filme, um die Re­alität zu transformieren oder etwas zu ver­ändern. Filme werden in erster Linie pro­duziert, weil das Kino Genuß bringen soll. In diesem Sinne kann der Film sehr at­traktiv sein, bewegend, mit Humor und gleichzeitig einem sehr starken Gefühls­gehalt.

Senal hat sehr präzise darauf hinge­wiesen, daß das Thema seiner Erzäh­lungen die Intoleranz ist. Ist dies auch das Thema des Films?
Ja. Toleranz, die sich sowohl gegen­über den Homosexuellen als auch ge­genüber so vielen Bereichen äußert, die außerhalb der etablierten Normen, Schemata oder engstirnigen Wegen lie­gen.

Denkst du, daß diese Intoleranz in der heutigen kubanischen Gesellschaft vor­handen ist?
Ja, auf jeden Fall existiert sie weiter­hin. Die Erzählung und auch der Film spielen vor zwanzig Jahren, als die Schwulen­feindlichkeit und die Verfol­gung von Ho­mosexuellen noch schär­fer waren als heute. Damals kam es wirklich zu extre­men, abscheulichen Situationen, was glücklicherweise heute in dieser Form nicht mehr passiert. Trotzdem manifestiert sich weiterhin eine bestimmte Zurückwei­sung und eine Verständnislosigkeit ange­sichts dieses Phänomens – und das nicht nur in dieser Gesellschaft, sondern in allen Teilen der Welt. In einigen Ländern ist man schon etwas weiter fortgeschritten in dem Bewußtsein, daß Homosexua­lität weder eine Krankheit noch eine Abartig­keit oder Degeneration ist. Es ist eine Art und Weise des Anders­seins, die man ak­zeptieren muß.

Ein Schwulenfilm?
Nein. Wenn ich von dem Unverständ­nis rede, geht es mir um das gegensei­tige Un­verständis – auch von Seiten der Homose­xuellen. Was man zuweilen rechtfertigt, da Art und Weise der Wahrnehmung sich verzerren, wenn die Leute sich in ein Ghetto gedrängt sehen. Ich bin es leid, Homosexuelle zu erleben, die denken, daß im Grunde genommen alle Welt schwul sei, die alle anderen von ihrem Standpunkt überzeugen wollen. Dies ist auch eine Art, die Realität zu verzerren.
Von daher erscheint es mir übertrie­ben, von einem Schwulenfilm zu reden, bloß, weil er von dem Thema handelt. Der Film ergreift weder für die Ho­mosexuellen Partei noch ist es ein Film, der für die Homosexualität wirbt. Nein, darum geht es nicht, es geht darum, eine Situation der Verständnis­losigkeit zu zeigen.

Warum spielen die Frauen in deinen Filmen keine wichtige Rolle?
Ehrlich gesagt, kann ich dir diese Frage nicht beantworten, weil ich es nicht weiß. Es stimmt sicher, daß ich in meinem Werk weibliche Rollen nicht in der gleichen Weise entwickelt habe wie männliche. Das ist eine Welt, die ich vielleicht nicht ausreichend durch­drungen habe, auch wenn ich Versuche unternommen habe.

Seit deinem Film “Memorias del sub­desarrollo” hat die Stadt Havanna keine so herausgehobene Rolle mehr gespielt…
Havanna ist eine herrliche Stadt und bildet einen Teil des Kontextes, in dem sich die Spielhandlung von “Fresa y chocolate” entwickelt. Ich hoffte, die Stadt würde häufiger in Filmen auf­tauchen. Havanna ist meine Stadt, eine Stadt, die ich im Laufe der Jahre im­mer mehr zu genießen gelernt habe. Der gegenwärtige Prozeß der Ver­wahrlosung, den die Stadt erleidet, schmerzt mich sehr. Gefühlsmäßig be­deutet Havanna mir sehr viel, und ich würde am liebsten alles fotografieren, Sa­chen konservieren, um zumindest an die Leute zu appellieren, damit sie sich be­wußt werden, was verlorengeht. In dem Film versuchen wir dies auch direkt zu sagen. Ich weiß nicht, ob dies hinreichend gelingt, und ob wir es schaffen, etwas von diesem Glanz zu vermitteln, der auf so schmerzhafte Weise verloren geht.

Kuba durchlebt zur Zeit eine besondere Phase. Wird dies ein harter, polemi­scher Film werden?
Hart?

Der Film wird die Leute mit Realitäten konfrontieren, in denen sie sich bewe­gen, die sie aber nicht wahrnehmen wollen…
In diesem Sinne schon. Das wird für mich das Interessanteste sein. Ich bin mir der Inhalte, die wir mit dem Film vermitteln wollen, sicher. Ich weiß, daß es Leute gibt, die dies nicht verstehen, und ich denke, daß der Film dazu bei­tragen kann, daß viele von diesen Din­gen verständlich werden.

Du wirst immer mit kritischen Positio­nen in Verbindung gebracht…
Ich habe immer eine kritische Haltung ge­habt. Ich glaube, das war das Pro­duktivste, was ich in meinem Leben tun konnte. Dieser Filmemacher befaßt sich mit dem, was er glaubt, was im Sozialis­mus schlecht ist. Jemand hat mir gesagt – und ich bin damit voll einverstanden – daß das Drehbuch für den Sozialismus exzel­lent ist, aber die Inszenierung einiges zu wünschen üb­rig läßt, und von daher Ob­jekt der Kritik sein muß. Das ist die beste Art, zu seiner Verbesserung beizutragen.

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