“Fresa y chocolate” und der Sozialismus
Interview mit Regisseur Tomás Gutiérrez Alea
Rebeca Chávas: Wie ist das Projekt “Fresa y chocolate” entstanden?
Tomás Gutiérrez Alea: Es entstand aus einer Inspiration – wie alle meine Filme. Du siehst eines Sache, liest etwas, und beginnst nachzudenken. So war es mit der Geschichte “Der Wolf, der Wald und der Neue Mensch” von Senel Paz. Diese Erzählung fand eine große Resonanz. Bereits jetzt existieren vier Theaterversionen und einige Buchausgaben.
Aber es war nicht diese Resonanz des Textes, aufgrund derer ich mich dazu entschloß, diesen Film zu machen. Ich las das Manuskript, bevor es prämiert wurde, bevor es überhaupt bekannt war. Nach dem Lesen sagte ich mir: Hier gibt es einen abgerundeten, geeigneten Filmstoff, der interessant sein könnte, und rief Senel an. Er war einverstanden. Wenn – wie in diesem Fall – der Eindruck sehr stark ist, und alles zusammenpaßt, kommt das Projekt voran. Wir diskutierten viel darüber, wie das Drehbuch weiterentwickelt werden könnte. Und heute scheint mir, als könnte der Film nicht nur für mich, meine Karriere und meine Filmographie interessant sein. Es ist ein Film, der sehr gut in die Situation paßt, in der wir zu Zeit leben, wo es darum geht, sich der vielen Irrtümer bewußt zu werden, die im Laufe der Jahre begangen wurden. In vieler Hinsicht ist ein Wandel vonnöten; und dieser Film skizziert einen dieser Aspekte: das intolerante Verhalten, das lange Zeit gegenüber einem Teil der Bevölkerung herrschte, den Homosexuellen. Schließlich läßt die Intoleranz in einem Bereich auf die Intoleranz gegenüber anderen Dingen schließen.
Aber man macht keine Filme, um die Realität zu transformieren oder etwas zu verändern. Filme werden in erster Linie produziert, weil das Kino Genuß bringen soll. In diesem Sinne kann der Film sehr attraktiv sein, bewegend, mit Humor und gleichzeitig einem sehr starken Gefühlsgehalt.
Senal hat sehr präzise darauf hingewiesen, daß das Thema seiner Erzählungen die Intoleranz ist. Ist dies auch das Thema des Films?
Ja. Toleranz, die sich sowohl gegenüber den Homosexuellen als auch gegenüber so vielen Bereichen äußert, die außerhalb der etablierten Normen, Schemata oder engstirnigen Wegen liegen.
Denkst du, daß diese Intoleranz in der heutigen kubanischen Gesellschaft vorhanden ist?
Ja, auf jeden Fall existiert sie weiterhin. Die Erzählung und auch der Film spielen vor zwanzig Jahren, als die Schwulenfeindlichkeit und die Verfolgung von Homosexuellen noch schärfer waren als heute. Damals kam es wirklich zu extremen, abscheulichen Situationen, was glücklicherweise heute in dieser Form nicht mehr passiert. Trotzdem manifestiert sich weiterhin eine bestimmte Zurückweisung und eine Verständnislosigkeit angesichts dieses Phänomens – und das nicht nur in dieser Gesellschaft, sondern in allen Teilen der Welt. In einigen Ländern ist man schon etwas weiter fortgeschritten in dem Bewußtsein, daß Homosexualität weder eine Krankheit noch eine Abartigkeit oder Degeneration ist. Es ist eine Art und Weise des Andersseins, die man akzeptieren muß.
Ein Schwulenfilm?
Nein. Wenn ich von dem Unverständnis rede, geht es mir um das gegenseitige Unverständis – auch von Seiten der Homosexuellen. Was man zuweilen rechtfertigt, da Art und Weise der Wahrnehmung sich verzerren, wenn die Leute sich in ein Ghetto gedrängt sehen. Ich bin es leid, Homosexuelle zu erleben, die denken, daß im Grunde genommen alle Welt schwul sei, die alle anderen von ihrem Standpunkt überzeugen wollen. Dies ist auch eine Art, die Realität zu verzerren.
Von daher erscheint es mir übertrieben, von einem Schwulenfilm zu reden, bloß, weil er von dem Thema handelt. Der Film ergreift weder für die Homosexuellen Partei noch ist es ein Film, der für die Homosexualität wirbt. Nein, darum geht es nicht, es geht darum, eine Situation der Verständnislosigkeit zu zeigen.
Warum spielen die Frauen in deinen Filmen keine wichtige Rolle?
Ehrlich gesagt, kann ich dir diese Frage nicht beantworten, weil ich es nicht weiß. Es stimmt sicher, daß ich in meinem Werk weibliche Rollen nicht in der gleichen Weise entwickelt habe wie männliche. Das ist eine Welt, die ich vielleicht nicht ausreichend durchdrungen habe, auch wenn ich Versuche unternommen habe.
Seit deinem Film “Memorias del subdesarrollo” hat die Stadt Havanna keine so herausgehobene Rolle mehr gespielt…
Havanna ist eine herrliche Stadt und bildet einen Teil des Kontextes, in dem sich die Spielhandlung von “Fresa y chocolate” entwickelt. Ich hoffte, die Stadt würde häufiger in Filmen auftauchen. Havanna ist meine Stadt, eine Stadt, die ich im Laufe der Jahre immer mehr zu genießen gelernt habe. Der gegenwärtige Prozeß der Verwahrlosung, den die Stadt erleidet, schmerzt mich sehr. Gefühlsmäßig bedeutet Havanna mir sehr viel, und ich würde am liebsten alles fotografieren, Sachen konservieren, um zumindest an die Leute zu appellieren, damit sie sich bewußt werden, was verlorengeht. In dem Film versuchen wir dies auch direkt zu sagen. Ich weiß nicht, ob dies hinreichend gelingt, und ob wir es schaffen, etwas von diesem Glanz zu vermitteln, der auf so schmerzhafte Weise verloren geht.
Kuba durchlebt zur Zeit eine besondere Phase. Wird dies ein harter, polemischer Film werden?
Hart?
Der Film wird die Leute mit Realitäten konfrontieren, in denen sie sich bewegen, die sie aber nicht wahrnehmen wollen…
In diesem Sinne schon. Das wird für mich das Interessanteste sein. Ich bin mir der Inhalte, die wir mit dem Film vermitteln wollen, sicher. Ich weiß, daß es Leute gibt, die dies nicht verstehen, und ich denke, daß der Film dazu beitragen kann, daß viele von diesen Dingen verständlich werden.
Du wirst immer mit kritischen Positionen in Verbindung gebracht…
Ich habe immer eine kritische Haltung gehabt. Ich glaube, das war das Produktivste, was ich in meinem Leben tun konnte. Dieser Filmemacher befaßt sich mit dem, was er glaubt, was im Sozialismus schlecht ist. Jemand hat mir gesagt – und ich bin damit voll einverstanden – daß das Drehbuch für den Sozialismus exzellent ist, aber die Inszenierung einiges zu wünschen übrig läßt, und von daher Objekt der Kritik sein muß. Das ist die beste Art, zu seiner Verbesserung beizutragen.