Mexiko | Nummer 371 - Mai 2005

Gefährlicher Kampf gegen den Machismus

Mexikanische Frauenrechtlerinnen werden mit dem Tode bedroht

Sie haben sich mit mächtigen Männern angelegt. Die MitarbeiterInnen des CIAM (Allgemeines Zentrum zur Behandlung von Frauen) in Cancún bringen ihr Leben in Gefahr, weil sie misshandelte Frauen schützen. Sie wollen den Teufelskreis der Gewalt und des Machismus durchbrechen und gegen Machtmissbrauch vorgehen. Deshalb werden sie von den Männern der Frauen bedroht, denen sie helfen.

Dinah Stratenwerth

Wir wollen keiner Frau sagen, was sie zu tun hat. Wir wollen ihr helfen, herauszufinden, was sie braucht.“ Dies ist einer der Leitsätze des Frauenhauses CIAM in Cancún, auf der Halbinsel Yucatán. In einer kleinen Straße, weit weg von den All-Inklusive-Hotels versteckt sich das Büro von CIAM hinter einer hohen Mauer mit kleinen Fenstern, in denen Blumentöpfe stehen. Kameras bewachen das Haus, und die Tür öffnet sich wie von Geisterhand. Die 40 MitarbeiterInnen von CIAM müssen sich schützen. Seit Monaten werden sie von verschiedenen Männern mit dem Tod bedroht. Gegen sie stehen ein Drogenhändler, ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, ein Geschäftsmann, die vom Staat nichts zu fürchten haben, denn sie haben Macht. Doch das CIAM will weiterkämpfen.
Seit drei Jahren hilft das Zentrum im Monat durchschnittlich 300 Frauen. Es wird zum Großteil durch Regierungsgelder finanziert und ist eines von fünf Frauenhäusern für fast 50 Millionen Mexikanerinnen. CIAM-Direktorin Lydia Cacho betont, dass die Regierung dem CIAM nicht aus Spaß Geld schickt. „Das haben wir durch jahrelanges Kämpfen erreicht“, sagt sie, „denn sie konnten uns nicht mehr ignorieren.“
Die Direktorin des CIAM hat eine tiefe, metallische Stimme und einen durchdringenden Blick. Die Journalistin kam 1986 aus Mexiko-Stadt an die Karibikküste, um den Strand zu genießen, aber die Situation der Frauen schockierte sie. Sie wollte mehr für sie tun, als nur über ihre Probleme zu schreiben.
Im CIAM bekommen die Frauen vielfältige Hilfe: Manche brauchen eine Rechtsberatung, andere psychologische Unterstützung. Diejenigen, die von ihren Männern massiv bedroht werden, können im Frauenhaus des CIAM Zuflucht suchen. Und es sind viele Frauen in Mexiko, die täglich Gewalt erleben. Laut einer Studie der Mexikanischen Frauenbehörde (INMUJERES) von 2003 zu familiärem Zusammenleben, waren innerhalb von zwölf Monaten 43 Prozent der 200.000 befragten Frauen in Quintana Roo Opfer irgendeiner Form von Gewalt geworden.

Gefängnis Ehe

Diese Gewalt funktioniert wie ein Teufelskreis, erklärt Edit Rosales Flores, Sozialarbeiterin im CIAM. Sie spricht schnell und deutlich, als ob sie ganz sicher gehen möchte, dass sie all das in ihren Sätzen unterbringen kann, was ihr wichtig ist. „Zuerst beleidigt der Mann die Frau mit Worten. Darauf folgt schnell die physische Gewalt gegen die Frau. Hinzu kommt der Einsatz von ökonomischer Gewalt.“ „Ökonomische Gewalt“ übt ein Mann zum Beispiel aus, wenn er seiner Frau verbietet, zu arbeiten, oder wenn er ihr kein Geld gibt, um sich und die gemeinsamen Kinder zu ernähren. Die Männer nutzten die ökonomische Abhängigkeit ihrer Frauen aus, um ihre Macht zu stärken, so Edit Rosales weiter.
Eine Statistik des INAMU (Instituto Nacional de las Mujeres) zu Frauen und Arbeit zeigt, dass 2000 über 36 Prozent der Mexikanerinnen berufstätig waren. Von diesen ist nur circa ein Drittel verheiratet.
Bis zu einer Trennung von brutalen Männern ist es ein langer Weg, denn viele Frauen richteten es sich in ihrem Kreislauf der Gewalt ein, meint die Sozialarbeiterin. Der Mann prügelt und danach entschuldigt er sich und ist ein paar Tage lang zuvorkommend und freundlich, bis alles von vorne beginnt. Das Wichtigste für die CIAM-MitarbeiterInnen ist daher: Die Frauen müssen aus diesem Zirkel ausbrechen wollen.

Folter im Wohnzimmer

So wie die Frau von José Ramon Hernández. Als sie ein Kind war, wurde sie von ihrem Vater missbraucht. Nach ihrer Hochzeit ging die Gewalt weiter: Ihr Mann fand einen guten Posten bei der Anti-Entführungs-Spezialeinheit des Geheimdienstes AFI (Föderales Ermittlungsbüro) und lernte dort, wie man Gefangene foltert. Das Gelernte setzte er sogleich in die Tat um, im heimischen Wohnzimmer, mit seiner Frau als Opfer. Nach einer Odyssee durch drei verschiedene Frauenhäuser des CIAM-Netzwerkes, ständig bedroht von Hernández, kam sie mit ihren beiden Kindern schließlich in Cancún unter. Psychologische Hilfe und Friedenserziehung für die Kinder gaben ihr wieder Kraft. Heute lebt Hernández’ Ex-Frau irgendwo in Mexiko und sagt, dass sie sich zum ersten Mal stark und frei fühlt.
„Wir wollen die Frauen stärken, denn eine starke Frau ist unabhängig“, beschreibt Rosales eine ihrer Hauptaufgaben. Für dieses Engagement setzen die Mitarbeiterinnen von CIAM ihr Leben aufs Spiel. Denn Ex-Ehemann und Ex-Geheimagent Hernández kocht vor Wut. Im Februar erhielt die CIAM-Direktorin Lydia Cacho täglich Anrufe auf ihrem Handy: „Ich weiß, wo du wohnst. Ich weiß, dass du alleine wohnst. Und glaub nicht, dass ich dir einen schnellen Tod gönne.“ Sieben Mal zeigte Cacho Hernández an, passiert ist nichts. Bei der Generalstaatsanwaltschaft riet man ihr, sich lieber nicht mit dem Mann anzulegen, er genieße „sehr guten Schutz durch seine ehemaligen Chefs“.

Normalität Morddrohung

Einige feministische Abgeordnete aus Mexiko Stadt, mit denen Cacho zusammenarbeitet, kamen ob dieser Berichte selber nach Quintana Roo, um sich ein Bild zu machen. Ihr Ergebnis war ernüchternd: „Bei den Kerlen können wir auch nichts machen, Lydia. Gut möglich, dass sie dich umbringen.“, sagten diese, wie die Direktorin schildert.
Drohungen sind für die CIAM-Direktorin nichts Neues. Im November versuchte José Alfredo Jiménez Potenciano die mit den Blumentöpfen verzierte Mauer zu überwinden, um das CIAM-Team zu zwingen, ihm seine Frau „zurückzugeben“. Jiménez ist ein bekannter Drogenhändler im Staat Quintana Roo. Seine Frau entschloss sich Anfang November zu einer Anzeige, doch auf mysteriöse Weise verschwanden die Unterlagen über den Fall. Am 25. November, nach einer Schießerei zwischen Mitgliedern einer Drogenbande und der AFI, bei der neun Menschen ums Leben kamen, wurde eben jener Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft in Quintana Roo festgenommen, der die Klage von Jiménez Frau aufgenommen hatte. Er war einer der wichtigsten Mitarbeiter der Drogenhändler, narcos, in staatlichen Institutionen. Der Bericht über die Anklage tauchte wieder auf, aber „extrem verstümmelt“, wie Lydia Cacho beschreibt.
Ebenfalls im November 2004 ließ Cacho durch die Veröffentlichung eines Buches einen Kinderpornoring in Cancún auffliegen. Kinder und junge Frauen hatten ihr von ihrem Schicksal berichtet. In dem strandreichen Ferienort, derzeit weltweit auf Platz zwei der am meisten besuchten Touristenorte, habe sie daraufhin „eine Kloake geöffnet“. Kopf der Organisation ist Jean Succar Kuri, Mexikaner libanesischer Herkunft, der zur Zeit in den USA wegen Kindesmissbrauch im Gefängnis sitzt und auf seine Auslieferung wartet. Cacho steht auf einer seiner Todeslisten, die der Polizei von Quintana Roo vorliegen.
Succar Kuri leistet sich zwei Luxus-Anwälte in den USA, um freizukommen. Es ist gut möglich, dass er in Mexiko nie ins Gefängnis kommt, sondern freigekauft wird. Machismus und Korruption reichten hier einander die Hand, meint Lydia Cacho.

Mexikanische Pseudo-Emanzipation

Während Mitglieder der mexikanischen Regierung und Präsidentengattin Martha Sahagun am diesjährigen internationalen Frauentag die Fortschritte beim Thema Gleichberechtigung lobten, ist im Bundesstaat Quintana Roo Vergewaltigung in der Ehe noch immer kein Delikt. Auch Präsident Fox´ Frau benutzt den Begriff „Stärkung der Frau“, genau wie Sozialarbeiterin Edit im CIAM. In der Präambel der INAMU-Studie zu Frauen und Arbeit heißt es, Frauen müssten gestärkt werden, um „illegitime Gewalt anderer hinterfragen und herausfordern zu können“.
Laut Cacho und Edit Rosales ist aber eben auf diese Weise nicht an dieser illegitimen Gewalt zu rütteln , da sie eine Grundlage des machistischen Systems darstellt: „Der Machismus ist eine kulturelle Ideologie, die auf Machtmissbrauch beruht“, sind sich beide einig. Frauen wie José Hernandez´ Ex-Frau, so beschreibt Cacho, erlebten oft seit ihrer Kindheit Gewalt und könnten so die Opferrolle nie verlassen.
„Das ist wie ein vorgegebener Weg in ihrem Leben“, meint die Frauenrechtlerin, „und dazu passend gibt es einen männlichen Weg, auf dem dominante Verhaltensweisen gefördert und geschützt werden.“ Beispiele hat sie dafür genug, etwa die Haltung der staatlichen Zentren für Familienentwicklung (DIF). Da es in den DIF vor allem darum geht, möglichst die Familie als solche zu erhalten, könnten Frauen dort laut Cacho nicht geschützt werden. „Da heißt es: Wenn ihr Mann Sie verprügelt, weil Sie einen Minirock tragen, dann ziehen Sie sich was anderes an“, meint sie bitter.

Demo zum Orgasmus-Tag

Im CIAM hingegen sind sich die MitarbeiterInnen einig, dass eine Frau von einem gewalttätigen Ehemann getrennt werden muss. Jiménez´ Frau ist inzwischen ins Ausland geflohen. Und der Drogenhändler hat Cacho schon mehrere Ultimati gestellt: „Gib mir meine Familie wieder, oder ich bring dich um.“
Und die Angst? Lydia Cacho verzieht kaum das Gesicht. „Ich kann auf viele Arten sterben. Wenn du Angst hast, bist du durch diejenigen, die Macht haben, kontrollierbar. Aber wenn du bereit bist, für das, woran du glaubst, zu sterben, dann funktioniert das nicht mehr.“ Sehen alle MitarbeiterInnen das so? Sie hatten zwei Möglichkeiten, so Cacho: Das CIAM zu schließen und vor Korruption und Machismus zu kapitulieren, oder weiter zu kämpfen, egal was kommt. Und das wollen sie tun.
Nur ein Beispiel dafür ist eine Demonstration, die Anfang Mai in Cancún stattfinden wird – aber nicht anlässlich des Muttertags am 8., sondern zum „Internationalen Tag des weiblichen Orgasmus“ am 9. Mai.

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