Chile | Nummer 199 - Januar 1991

Götzendämmerung ?

Die “Cutufa-Schlacht”, frozzelt der linke Punto Final, habe das chilenische Heer größere Opfer gekostet als die Schlachten aus den Unabhängigkeitskriegen.Der Skandal um die illegale Finanzierungsgesellschaft Cutufa , die von Offizieren des Heeres, besonders des Geheimdienstes, gemanagt wurde, ist seit Wochen d a s Thema der chilenischen Medien; zusammen mit der der politischen Niederlage Pinochets in einem Konflikt mit der Regierung hat er zu einem schweren Autori­tätsverfall in seiner Rolle als Oberkommandierender geführt.

LN

September, der Monat mit seiner Häufung patriotischer Daten vom Jahrestag des Put­sches bis zum Tag der nationalen Unabhängigkeit hatten die Chilenen mit be­klommener Spannung entgegengesehen, weil er als ein Kräftemessen zwischen Militärs und der neugewählten Regierung gesehen wurde. Als Aylwin bei der traditionellen Militärparade von Teilen des rechten geladenen Publikums aus­gepfiffen wurde, signalisierte das die ungebrochene Arroganz der Rechten. Vom glänzenden Schein des Heeres in jenen Paradetagen ist wenig geblieben.
Seinen ersten schweren Fehler beging Pinochet, als er sich mit der Bundeswehr anlegte; er hatte seine Kräfte sträflich überschätzt. Es reicht wohl, an die Anek­dote zu erinnern, die Chile auch für unsere Medien plötzlich wieder interessant machte: als Schwule, Drogenabhängige und Gewerkschafter hatte Pinochet “unsere Jungs” geschmäht. Die energischen Proteste des AA konnten der chileni­schen Regierung eigentlich nur recht sein – der Oberkommandierende hatte ein­deutig seine Kompetenzen überschritten und sich in die Politik eingemischt. Um die wichtigen Beziehungen zur damaligen BRD nicht weiter zu belasten, konnte Aylwin gar nicht anders, als Pinochet zum Rapport zu bestellen und ihn zu rüf­feln…Für die Regierung der erste Punktgewinn.
Im Oktober fielen zwei Ereignisse zusammen, die sich in ihrer Wirkung poten­zierten: der Cutufa-Skandal und das alljährliche Ritual der Beförderungen im Heer.

CUTUFA

Die Aufklärung des Cutufa – Skandals steckt erst in den Anfängen, aber soviel ist bisher klar: etwa 1986 gründeten Offiziere des Heeres und Agenten des Geheim­dienstes CNI eine illegale Finanzgesellschaft, in der überwiegend Mili­tärs, aber auch Zivilisten ihre Gelder anlegten. Die Zinsen lagen mit 10-15 % monatlich erheb­lich über den banküblichen Zinsen; das “Gesellschaftskapital” soll in der Hoch-Zeit bis zu 50 Millionen US-Dollar betragen haben. Der Kreis der Anleger und Schuldner soll nach Aussagen des inzwischen inhaftierten Ex-Hauptmanns Castro ca. tausend Personen umfassen, davon 150 Offiziere aller Ränge.
Anlaß zur Aufdeckung der geheimen Gesellschaft war die Ermordung eines Mit­glieds im Juli vor einem Jahr. Angesichts der ungewissen Zukunft, 1989 standen die Präsidentschaftswahlen an, wollte der Restaurantbesitzer Sichel seine Einlage von ca. 1 Million. Dollar abziehen; das wurde ihm nach wiederholtem Drängen zugesagt. Die Rückzahlung aber hätte die Cutufa in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, so wurde er ermordet; Unterlagen, die seine Beteiligung an der Finanz­gesellschaft belegten, wurden von Geheimdienstagenten aus seinem Hause ent­fernt.
Der mit der Untersuchung des Mordes beauftragte Richter konnte (oder wollte ?) ein Jahr lang rein gar nichts herausfinden, obwohl die Witwe des Ermordeten von Beginn an die Geschäftspartner ihres Mannes verdächtigte. Erst im Septem­ber 1990 gelang der Durchbruch an die Öffentlichkeit, als ein Hauptmann wegen Scheckbetrugs verhaftet wurde. Seitdem haben sich die Ereignisse erheblich be­schleunigt; inzwischen sitzen zwei Offiziere in Haft, einer davon ist der Beteili­gung am Mord verdächtig; eine mit der Untersuchung des Scheckbetrugs beauf­tragte Richterin hat sich mysteriöserweise in ihrem Auto verbrannt.
Pinochet hatte zunächst einen General mit der internen Untersuchung beauftragt, inzwischen hat er zusätzlich seinen früheren obersten “Terroristenverfolger” ein­gesetzt, dem möglichen Mißbrauch staatlicher Gelder nachzuspüren; auf Antrag des Nationalen Verteidigungsrats wurde ein weiterer ziviler Richter zur Unter­suchung des Falles eingesetzt, bei dem selbst die rechte Zeitschrift “Qué pasa” auf das beliebte Bild von der Spitze des Eisbergs zurückgreift.
Offene Fragen bleiben in der Tat genug. Bis in welche militärischen Ränge rei­chen die Verwicklungen? Chilenische Zeitschriften verweisen immer wieder. Auf anonyme Militärs mit Erklärungen, daß Außenstehende sich keinen Begriff machen könnten, was intern los sei.
Sechzehn Offiziere wurden wegen ihrer Beteiligung an der illegalen Finanzge­sellschaft entlassen, weit über hundert andere erhielten Einträge in ihre Perso­nalakten, womit ihre militärische Karriere im nächsten Jahr beendet ist. Von den sechs im Herbst pensionierten Generälen werden unterschiedlich zwei bis vier Namen mit der Cutufa in Verbindung gebracht. Die im Heer entstandene Unruhe hat mit dem militärischen Ehrenkodex zu tun: Unter den Nicht-Beteilig­ten ist es die Betroffenheit über den Skandal selbst; unter den Beteiligten die Frage, ob noch aktive vermutlich beteiligte Generäle in gleicher Weise zur Ver­antwortung gezogen werden wie ihre Untergebenen.
Noch brisanter aber wird natürlich die Antwort auf die Frage, an was für Geschäften die Cutufa eigentlich verdiente. Angesichts der Gewinnspannen, d.h. den lukrativen Zinsen, können es keine legalen Geschäfte gewesen sein. Bislang kann die chilenische Presse dazu nur Spekulationen bieten, durch einige Indizien gestützt – und die weisen in Richtung Drogen- und illegaler Waffenhandel sowie Kreditgeschäfte zu Wucherzinsen. Sollte sich das bestätigen, stünden die Streit­kräfte und der Terrorapparat der CNI auch vor ihren rechten Sympathisanten ganz schön nackt da.(Die Luftwaffe übrigens, ohnehin agiler in der Phase des Übergangs zur Demokratie, gab auf Nachfrage zu verstehen, daß auch in ihren Reihen eine solche Anlagegesellschaft existiert habe, das Problem aber bereits intern bereinigt worden sei.

Pinochet reibt sich an seiner Verfassung wund

Zeitlich parallel zu dieser Korruptionsaffaire bereitete Pinochet den jährlichen Höhepunkt militärischer Rituale vor – die Verkündung über Beförderungen und Abschiede der Kameraden; in dieser Entscheidungsgewalt über militärische Kar­rieren sehen chilenische Kommentatoren den eigentlichen internen Machtfaktor eines Oberkommandierenden. Die vermeintliche Sternstunde wurde zur bisher schwersten politischen Niederlage Pinochets, denn Aylwin akzeptierte nur vier der vorgeschlagenen sechs Beförderungen vom Brigadegeneral zum Generalma­jor; den dritten und vierten Vorschlag nach der hierarchischen Rangordnung akzeptierte er nicht.
Auf dem Spiel stand natürlich das Prinzip, daß das Militär der demokratisch ge­wählten Exekutive untersteht. Die Verfassung, unter Pinochet geschneidert, gibt eindeutig dem Präsidenten das letzte Wort; Pinochet stützte sich auf ein ebenfalls unter ihm erlassenes Gesetz, das Beförderungen nach Dienstalter zwingend vor­schreibt. Die Controlaría, die die Entscheidung auf ihre formale Richtigkeit zu überprüfen hatte, gab nach tagelangem Grübeln der Regierung Recht. Aylwin hatte einen entscheidenden politischen Sieg über Pinochet errungen, das Prinzip der Unterordnung der Militärs unter die Regierung in diesem Präzedenzfall durchgesetzt.
Selbstverständlich durfte die Regierung Aylwin in dieser Grundsatzfrage keine Schwäche zeigen, und sie war entschlossen, diesen Konflikt für sich zu entschei­den: Sie war vorbereitet, sich der Verfassung entsprechend gegen eine eventuelle negative Entscheidung der Controlaría mit der Unterschrift aller ihrer Minister unter das Dekret durchzusetzen.
Der Verlauf des Konfliktes zeigte darüber hinaus, wie isoliert Pinochet außerhalb des Heeres ist. Luftwaffe und Marine hatten es vorgezogen, ihre Beförderungs­vorschläge vorab mit dem Verteidigungsminister abzuklären – entsprechend rei­bungslos nach außen verlief die Angelegenheit.
Aber auch die politische Rechte hatte wenig Lust, in diesem Fall weiter auf Pino­chet zu setzen. Sie hat keine Initiative ergriffen, die widersprüchliche Gesetzes­lage vor dem Verfassungsgericht klären zu lassen. Noch sitzt übrigens Pinochet mit dem Schwarzen Peter in der Hand, was er mit den nicht-beförderten Generälen anfängt. Da sie von Dienstjüngeren übersprungen wurden, müßten sie nach ihrem Ehrenkodex ausscheiden. Davon ist bislang wider Erwarten keine Rede; für Parera hat Pinochet nur den Posten eines Militär-Attachés gefunden.

Vorsicht -nicht stürzen

Es sind eigene Fehler, die Pinochet in diese Lage manövriert haben. Sein Anspruch, die Streitkräfte unter einer zivilen Regierung als autonom behaupten zu können, ist schmerzhaft gedämpft worden. Angesichts der bekannt werden­den Korruption in Heer und Sicherheitsapparat stellt sich natürlich die Frage nach seiner Verantwortung für “seine” Leute, und sie wird innerhalb wie außer­halb des Heeres gestellt.
Der Konflikt um die Beförderungen zeigt darüber hinaus, daß innerhalb der Streitkräfte bedingungslose Loyalität gegenüber diesem Oberkommandierenden sich nicht mehr auszahlt – beide von Aylwin nicht beförderten Generäle waren entschiedene Pinochet- Leute; gegen Parera, den Kommandanten der wichtigen Garnison Santiago, sprach nicht nur das Pfeifkonzert der vom Militär geladenen Gäste gegen Aylwin auf der Septemberparade, sondern der Affront, daß er selbst bei der Parade dem Präsidenten (also Aylwin) den militärischen Gruß verweigert hatte. Der andere nicht beförderte General, Ramón Castro, war Pinochet bei einem anrüchigen Grundstücksgeschäft hilfreich.
In dieser Situation setzt die Regierung Aylwin auf Erosion der Position Pino­chets, nicht auf Sturz. Von offizieller Seite kein Wort über Rücktritt !Von Regie­rungsseite kein Schritt, der als Angriff verstanden werden könnte und möglicher­weise dazu führt, daß sich die Reihen der Kameraden noch einmal schließen.
Trotzdem finden sich Spekulationen in der chilenischen Presse, daß Pinochet spätestens im August nächsten Jahres “ehrenvoll” verabschiedet werde. Wie das ?
Voraussichtlich im Januar wird die zur Untersuchung der Menschenrechtsverlet­zungen eingesetzte Kommission “Wahrheit und Versöhnung” ihren Bericht an Aylwin übergeben; der zunächst bis November befristete Auftrag wurde verlän­gert. Obwohl die Kommission ihr Schweigegelöbnis bisher offenbar strikt einge­halten hat, also bislang keinerlei Details bekannt wurden, sollen auch rechte Mit­glieder der Kommission über die Ergebnisse betroffen sein. Welchen Gebrauch Aylwin von dem Bericht macht, ist ihm überlassen; der Auftrag an die Kommis­sion lautete nur, schwere Fälle von Menschenrechtsverletzungen (mit Todes­folge) zu dokumentieren. Aber es liegt in der Natur dieser Sache, daß sie politi­sche Konsequenzen wird haben müssen. Der Zeitpunkt dafür dürfte März sein, wenn das politische Leben nach dem chilenischen Sommer wieder beginnt. Aber auch dann ist kaum mit einem unter öffentlichem Druck erzwungenen Rücktritt zu rechnen.
Die von Aylwin bisher verfolgte Politik läßt eher vermuten, daß dann – während der Bericht über die Menschenrechtsverletzungen unter dem Tisch des Präsi­denten liegt – mit dem Ex-Diktator sein baldiger Abgang ausgehandelt wird.

Kasten:

Ein Stimmungsbericht aus Chile

Mit der neuen Regierung hat es natürlich schon Veränderungen im Land ge­geben, z.B., was die Pressefreiheit, die Kultur, die Repressionskräfte betrifft, aber was die wirtschaftliche Lage und die Menschenrechte angeht, passiert in Chile überhaupt nichts.
Wirtschaftlich geht es weiter mit dem ultraliberalen Modell der Chicago-Boys, und das führt – zusammen mit der Ölkrise – zu einer Beschleunigung der In­flation. In den letzten beiden Monaten stieg sie um 8%. Das bedeutet, daß sich die sozialen Probleme verschärfen, daß die Menschen enttäuscht sind, aber sie haben Angst, laut zu protestieren, denn die Miltärregierung könnte ja wieder kommen. Die Regierung nutzt das aus und betreibt eine gegen die Armen ge­richtete Wirtschaftspolitik.
Davon profitiert die Rechte. Z.B. hat die UDI (ultrarechte Partei) jetzt Organi­sationen für Wohnungslose, Arbeitslose usw. aufgebaut, das bedeutet, daß dieselben, die keinerlei Änderung wollen, gleichzeitig die Unzufriedenheit des Volkes ausnützen für ihre Zwecke.
Was die Menschenrechte angeht, ist die Situation schlimm: Es werden weiter­hin überall in Chile laufend Leichen gefunden, viele Menschen klagen an, aber die Regierung tut nichts, damit die Schuldigen bestraft werden, vielmehr verhandelt sie weiter mit ihnen, mit der Rechten und mit Pinochet, dem Ver­antwortlichen für diese ganzen Schrecken. Es ist paradox, daß es immer noch politische Gefangene gibt, und die CNI (Geheimdienst) gleichzeitig weiter agieren kann. Die christdemokratischen Abgeordneten haben sogar, gemein­sam mit der Rechten, der CNI Haushaltsmittel für das nächste Jahr zugeteilt. Es gibt weiterhin politische Verbrechen und Entführungen. Kein einziger Fol­terer oder Mörder ist im Gefängnis oder vor Gericht.
Das alles, und dazu noch die Krise aller linken Parteien (PC, Sozialisten, Christliche Linke, MIR), das ist sehr entmutigend und ich frage mich jetzt oft, ob es sich wirklich gelohnt hat, so viele Jahre lang hart zu arbeiten und zu kämpfen, und alles andere zu vernachlässigen, um dazu beizutragen, eine ge­rechtere Gesellschaft aufzubauen.
R.S.

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