Nummer 288 - Juni 1998 | Peru

Handlangerdienste für Fujimori

Der lange Arm des peruanischen Regimes reicht bis Hamburg

„Durch beharrliches Klingeln wurde ich aus dem Schlaf gerissen. Als ich die Tür öffnete, drängten sich mehrere seltsame Personen an mir vorbei in meine Wohnung. Ich dachte, da sie sich nicht auswiesen und nichts sagten, daß es Einbrecher wären. Erst gegenüber meiner Frau gaben sich die Männer als Polizisten zu erkennen.“ So schilderte Isaac Velazco, Europa-Vertreter der peruanischen MRTA (Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru), was sich am Morgen des 5. Mai in seiner Wohnung im Hamburger Schanzenviertel zugetragen hat.

Peter Nowak

Die Herren des Morgengrauen waren Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Hamburger Polizei. Neun Stunden durchsuchten sie die Wohn- und Arbeitsräume der Velazcos, kopierten die Festplatte ihrer Computer und beschlagnahmten zahlreiche schriftliche Unterlagen, Videokassetten und Arbeitsmaterialien.
Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft den Velazcos vor, von Hamburg aus die Besetzung der japanischen Botschafterresidenz in Lima geplant zu haben und ermittelt wegen Beihilfe zu erpresserischem Menschenraub und Geiselnahme. Isaac Velazco lebt seit vier Jahren als anerkannter politischer Flüchtling in Hamburg. Bei einem Unfall in Peru verlor er das Augenlicht. Unter abenteuerlichen Bedingungen gelang ihm die Flucht nach Kuba und dann in die BRD.

Stimmen gegen die Unterdrückung

Vom 17. Dezember 1996 bis 22. April 1997 waren die Velazcos weltweit vielgefragte Personen. In diesem Zeitraum hatte ein Kommando der MRTA die japanische Botschaft in Lima besetzt gehalten, um die Freilassung ihrer unter unmenschlichen Bedingungen eingekerkerten GenossInnen zu erreichen. Alle Guerilleras/os wurden beim Sturm auf die Botschaft am 22. April von Fujimoris Soldaten ermordet. Immer wieder prangerte Isaac Velazco die Menschenrechtsverletzungen des peruanischen Regimes an. Nicht nur deutsche, auch internationale Medien baten um Gesprächstermine. Norma Velazco war in Peru Menschenrechts- und MRTA-Aktivistin. Nach der Botschaftsbesetzung versuchte auch sie, die Öffentlichkeit für die Verhältnisse in dem Andenland zu sensibilisieren – vor allem über die Situation der Frauen in peruanischen Knästen.

Medien leisten Vorschub zur Kriminalisierung

Die Räume des FDCL waren nicht groß genug für die Medienverterter bei der Pressekonferenz mit Velazco am 22. Dezember 1996 unmittelbar nach der Botschaftsbesetzung. Doch schon damals schienen einige JournalistInnen eher an der Kriminalisierung von Velazco als an Infomationen über die Situation in Peru gelegen.
So hieß es unter dem Kürzel ‘ab’ in der Zeitung Die Welt: „Ein angeblicher Vertreter der Geiselnehmer in Lima hat gestern in Berlin eine Erklärung abgegeben… Der Ort der ‘Pressekonferenz’ war passend: Eine Guerilla-Kämpferin mit Gewehr ist im Flur des ‘Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Südamerika’ im Kreuzberger Mehringhof an die Wand gemalt.“
Noch deutlicher waren die im Tenor identischen Artikel von Roman Goergen im Januar und Februar 1997 im Tagesspiegel und in den Stuttgarter Nachrichten: „Daß der ‘Combatant’ Velazco für eine Gruppe, die vor Terror nicht zurückschreckt, von den deutschen Behörden unbehelligt Propaganda treiben kann, liegt an seiner guten Kenntnis des Strafrechts in der Bundesrepublik. Er weiß, daß er als Asylant nicht in die politischen Belange der Bundesrepublik eingreifen darf. Auch sonst wählt Velazco seine Formulierungen mit Bedacht – kein Gewaltaufruf kommt über seine Lippen, nur nüchterne Fakten, garniert mit etwas Ideologie.“ Trotzdem hat sich Georgen schon mal bei den Behörden vergewissert. „Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigt: ‘Velazco ist nur eine Person. Somit ermitteln wir nicht wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung’. Und solange er auch keine Straftaten begehe, werde nichts gegen ihn unternommen.“
Doch die BAW ermittelte schon gegen die Velazcos. Deren Aktivitäten hatten das Mißfallen der peruanischen Regierung ausgelöst, die in Schreiben an mehrere europäische Regierungen die Unterbindung dieser Aktivitäten verlangte. In Bonn fanden sie schnell Gehör.

Repressionen gegen die Velazcos

Die deutschen Behörden versuchen schon seit längerem, Velazco mundtot zu machen. Ende September 1997 verhängte der Hamburger Innensenat gegen ihn ein partielles politisches Betätigungsverbot. Verboten ist ihm jegliche Äußerung, die „im Zusammenhang mit den Zielen und dem Verhalten der MRTA in Peru die Anwendung von Gewalt befürwortet, rechtfertigt oder ankündigt“. Bei Zuwiderhandeln droht eine Geldstrafe zwischen 1.000 und 5.000 DM oder eine Haftstrafe. In der Verbotsbegründung wurde Velazco vorgeworfen, die Botschaftsbesetzung in Lima gerechtfertigt und damit die außenpolitischen Interessen der BRD „erheblich gefährdet zu haben“. Konkret wurden ihm Äußerungen zur Last gelegt, die er in einem CNN-Interview unmittelbar nach dem Sturm auf die Botschaft sowie in zwei in der Hamburger Monatszeitschrift Angehörigen Info abgedruckten Interviews gemacht haben soll. Velazcos Anwalt Hartmut Jacobi hat Widerspruch gegen die Entscheidung erhoben. Jetzt sei es nur noch ein kleiner Schritt, die Presse zu verbieten, die schreibt, was Velazco sagt, so seine Befürchtung. Schon wenige Woche später sollte die sich bestätigen.
Gegen die presserechtlich Verantworlichen des von den „Angehörigen, Freunden und Freundinnen politischer Gefangener in der BRD“ herausgegebenen Angehörigen Info wurde ein Verfahren wegen Billigung von Straftaten eingeleitet. Grundlagen dieses Verfahrens sind ein Kommuniqué der MRTA, ein nachgedrucktes Radiointerview mit Norma Velazco, eine Liste mit den Namen schwerkranker Gefangener in den Gefängnissen Perus sowie eine Zusammenstellung von Artikeln über den Terror des Fujimori-Regimes.
Daß sich die Staatsanwaltschaft aus der Fülle der Medien, in denen Velazco interviewt wurde, ausgerechnet das Angehörigen Info rauspickte, war sicher kein Zufall – die Publikation wurde schon häufig mit Verfahren überzogen. Nach einigen Monaten wurde dieses Verfahren eingestellt.
Isaac Velazco hielt auf der Internationalen Che-Guevara-Konferenz Ende September 1997 in Berlin eine Rede, in der er die Maßnahmen gegen ihn als Handlangerdienst für das Fujimori-Regime bewertete. Er sei von der MRTA als Europasprecher benannt worden, doch auch andere lateinamerikanische Guerillaorganisationen hätten Sprecher in Europa gehabt. Erinnert sei da nur an die SandinistInnen oder die FMLN aus El Salvador.

Gute Kontakte zwischen Bonn und Lima

Es ist nicht das erste Mal, daß sich die BRD-Regierung auf die Seite des peruanischen Regimes stellt. Als im vergangenen Juni eine Delegation der Angehörigen von peruanischen politischen Gefangenen gemeinsam mit den Madres de la Plaza de Mayo aus Argentinien während einer Rundreise durch die BRD über die Situation der Menschenrechte in Peru informieren wollte, verweigerte das Bonner Außenministerium die Einreise.
Die guten Kontakte der Repressionsorgane sind alllerdings schon älter. 1990 besuchten Vertreter der peruanischen Staatssicherheitsbehörden den Hochsicherheitsknast Köln-Ossendorf. Die peruanischen Vertreter tauschten sich mit den deutschen Behörden über die effektivsten Isolationsmaßnahmen aus.

Solidarität mit Velazco

In Hamburg haben sich Ende letzten Jahres rund 30 Organisationen, wie zum Beispiel die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Hamburger Flüchtlingsrat und die Bürgerschaftsfraktion der Grün-Alternativen Liste in einem Aufruf gegen das Betätigungsverbot für Isaac Velazco ausgesprochen. Nach der Razzia haben die Rote Hilfe e.V. in Hamburg und die Chile AG Braunschweig die Initiative ergriffen. Sie sammeln Unterschriften für eine Resolution, in der die Behörden zur unverzüglichen Einstellung aller Verfahren gegen die Velazcos und die Rückgabe der beschlagnahmten Materialien aufgefordert werden. Die Velazcos haben weitere Solidarität dringend nötig, denn die BAW behält sich mit der Erklärung, daß eine Festnahme bisher nicht erfolgt sei, weitere Schritte vor.

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