Nationalisten auf dem Vormarsch
Ollanta Humala gewinnt erste Runde der peruanischen Präsidentschaftswahlen
Dort, wo asphaltierte Straßen enden und die Menschen in Strohhütten leben, spricht der Kandidat Ollanta Humala am liebsten. In Manchay, einem Vorort Limas ohne regelmäßige Wasserversorgung und Kanalisation, kreischen und tanzen die Menschen, als sein Autokonvoi naht. Wie bei allen Wahlveranstaltungen trägt der Gründer der Nationalistischen Partei Perus auch in der letzten Woche vor dem Urnengang am 9. April ein T-Shirt im roten Farbton der peruanischen Fahne mit der Aufschrift „Liebe für Peru“. Und wie immer fordert er seine AnhängerInnen zu Beginn auf, die rechte Hand aufs Herz zu legen und gemeinsam die Nationalhymne anzustimmen. Auf seinen Zuruf „Erhebt die Hand, wenn ihr Nationalisten seid“, recken sich tausende Arme empor.
Der ehemalige Oberstleutnant der peruanischen Streitkräfte lässt sich in solcher Umgebung gern wie ein Revolutionär als „comandante“ feiern. Schließlich ist er nicht nur Hoffnungsträger der Armee, sondern auch der Armen. Und in deren Augen qualifizieren ihn seine beim Militär erworbenen Führungsqualitäten dazu, als Präsident das Oberkommando für das ganze Land zu übernehmen. Comandante Ollanta versucht, den Nationalismus in den Rang einer Bewegung zu erheben. In Manchay erhält er donnernden Applaus, als er ankündigt, er wolle das Parlament in ein nationalistisches Heer umformen. Ob er das Parlament auf demokratischem oder autoritärem Weg hinter sich scharen will, verrät er dabei nicht. Seinen ZuhörerInnen ist das egal. Die meisten Menschen in den Armenvierteln haben das Vertrauen in staatliche Institutionen gänzlich verloren.
Der Comandante als Quizmaster
Der Nationalismus dulde keine korrupten Politiker und Beamten, wettert Humala und droht mit einer Kürzung von Diäten und üppigen Pensionen. In der Manier eines Quizmasters bewegt er sich von der Bühne auf einem Laufsteg in die Menschenmenge hinein und fragt ins Mikrophon: „Wisst ihr, was ein einfacher Soldat verdient?“ Jawohl, die Leute wissen es, umgerechnet etwa 40 Dollar. Ein Lehrer? Auch das ist bekannt, der bekommt 200 Dollar. Und ein Kongressabgeordneter? Die ZuhörerInnen müssen passen, also springt ihr Comandante selbst ein: Sage und schreibe zehntausend Dollar! Ollanta Humala gelingt es ohne Mühe, Empörung zu schüren und seine AnhängerInnen aufzuwiegeln.
Der Nationalismus, verspricht er, werde selbstverständlich die Armut bekämpfen. Als Präsident will er 1,5 Milliarden Dollar jährlich in die marode Landwirtschaft pumpen. Infrastrukturelle Maßnahmen in Armenvierteln und eine Aufstockung der chronisch vernachlässigten Bildungs- und Gesundheitshaushalte stehen ebenso wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze ganz oben in seinem Programm. Transnationale Konzerne im Land sollen zu diesem Zweck Rohstoff- und höhere Gewinnsteuern entrichten. Im Originaltext Humala heißt das: Nationalisierung der Gewinne.
Ollanta Humala weiß: Die Mehrheit der Bevölkerung ist mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik Präsident Alejandro Toledos unzufrieden. Während dessen Amtszeit nahm das Bruttoinlandsprodukt zwar durchschnittlich um fünf Prozent pro Jahr zu, doch das Wachstum wurde vor allem von den transnationalen Rohstoffkonzernen getragen. Die fuhren aufgrund der enorm gestiegenen Nachfrage nach Gold, Kupfer, Zink, Gas oder Öl märchenhafte Gewinne ein, genossen aber weiter die ihnen einst von Diktator Alberto Fujimori zugesicherten Steuerprivilegien und schufen kaum neue Arbeitsplätze. Der Anteil der Menschen, die in Peru in Armut oder sogar in absoluter Armut leben, hat sich dagegen im gleichen Zeitraum nur unwesentlich verringert.
Auf Chávez’ Spuren
Mit seinem wirtschaftspolitischen Programm sucht Ollanta Humala bewusst die Nähe anderer lateinamerikanischer Präsidenten wie Chávez oder Morales. Entsprechend lehnt er auch den bilateralen Handelsvertrag mit den USA ab, den Präsident Toledo allen Protesten zum Trotz gleich in der Woche nach der Wahl unterzeichnet hat und dem jetzt noch der Kongress zustimmen muss. Dem peruanischen Ökonomen Pedro Francke zufolge profitiert von diesem Vertrag lediglich die peruanische Textil- und Spargelindustrie. Für etwa 30 Prozent der Bevölkerung, die ihr Einkommen aus der Landwirtschaft beziehen, wird sich die wirtschaftliche Situation dagegen verschlechtern, wenn subventionierte Agrarimporte aus den USA demnächst zollfrei über die Grenzen gelangen. Die Unterzeichnung des Abkommens kommt nach Franckes Einschätzung den Interessen US-amerikanischer Groß-Investoren entgegen, deren Gewinnaussichten laut Vertragswerk von der peruanischen Regierung nicht geschmälert werden dürfen. Im Klartext bedeutet das: Keine künftige Regierung dürfte Gewinnsteuern erhöhen, eine Rohstoffsteuer oder gar Mitbestimmungsrechte für ArbeitnehmerInnen einführen. Auch ein Präsident Humala nicht.
Die Operation Löffel
Ollanta Humala hat noch etwas mit Hugo Chávez gemeinsam: Er scheiterte im Jahre 2000 mit einem Putschversuch gegen den damaligen Diktator Fujimori. Und er polarisiert die Bevölkerung. Vor allem das nationalistische Gedankengut des Kandidaten ist fast allen intellektuellen und demokratischen Kräften im Land ein Gräuel. Erst seit einem halben Jahr distanziert sich Ollanta beispielsweise von den Ansichten seines Vaters und politischen Mentors Isaac Humala oder seines Bruders Antauro Humala, die unter anderem die Todesstrafe für Homosexuelle fordern und einen Krieg mit Chile für unvermeidlich halten. Selbst als Antauro am Neujahrsmorgen 2005 mit einer Gruppe von Reservisten eine Polizeistation überfiel, Geiseln nahm und den Rücktritt Präsident Toledos forderte, hielt sich Ollanta zunächst mit Kritik zurück, obwohl bei der Aktion fünf Menschen starben.
Humala soll zudem während der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der maoistischen Guerilla Leuchtender Pfad im Jahre 1992 als Hauptmann „Capitán Carlos“ an der Ermordung und Folterung von Zivilisten beteiligt gewesen sein. Mehrere Zeugen wollen ihn wiedererkannt haben. Doch der Präsidentschaftskandidat bestreitet die Vorwürfe, und die Militärakte Ollantas ist auf mysteriöse Weise verschwunden. Fest steht: Ollanta Humala war in der fraglichen Zeit in der Militärbasis Tingo María stationiert. Und sämtliche Soldaten dieser Basis nahmen damals nach Auskünften von Miguel Jugo, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation APRODEH, an einer so genannten „Operation Löffel“ teil, bei der 39 Zivilisten ermordet wurden. Gegen die kommandierenden Generäle dieser Operation läuft zurzeit ein Ermittlungsverfahren.
Menschenrechte spielten im Wahlkampf indes keine besondere Rolle, und so siegte der ehemalige Capitán Carlos sogar im Wahlbezirk Tingo María. Die Stimmen für Ollanta Humala waren vor allem ein Votum gegen eine Fortsetzung des neoliberalen Wirtschaftskurses. Denn abgesehen von den gescheiterten Linkskandidaten Javier Díez Canseco von der Sozialistischen Partei und Alberto Moreno von der Bewegung Neue Linke, die zusammen nicht einmal 0,8 Prozent der Stimmen erhielten, steht nur Humala für einen wirkliche Wende in der Wirtschaftspolitik. Humala schaffte es auch, die Bewegung der Kokabäuerinnen und -bauern und indigene Gruppen in seine nationalistische Bewegung zu integrieren. Im Gegensatz zu Evo Morales ist er jedoch kein Politiker, der beabsichtigt, Basisbewegungen in Entscheidungen einzubeziehen.
Freier Fall für Flores
Ollanta Humala muss sich nun in einer Stichwahl vermutlich Alan García stellen, dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei Revolutionäre amerikanische Volksallianz (APRA). García kommt nach Auszählung von 95 Prozent der Stimmen auf 24,4 Prozent und liegt damit um 0,8 Prozent vor seiner Mitbewerberin Lourdes Flores. Das wäre für die Vorsitzende des rechtskonservativen Bündnisses Nationale Einheit ein äußerst bitteres Ergebnis, lag sie doch in allen Umfragen bis Mitte Februar noch deutlich an der Spitze aller Kandidaten. Flores steht allerdings – auch wenn sie es im Wahlkampf gern kaschiert hat –ganz klar für die Fortsetzung des wirtschaftspolitischen Kurses Präsident Toledos. Unter anderem ist sie eine entschiedene Befürworterin des bilateralen Handelsvertrages mit den USA. Flores kam der Umstand zugute, dass Frauen für weniger korrupt gehalten werden als Männer, doch sie rekrutierte ihre WählerInnen vorwiegend aus der Mittel- und Oberschicht. Das reicht offenbar heute nicht mehr, um in Peru Wahlen zu gewinnen.
Alan García war bereits von 1985 bis 1990 Präsident des Landes. Damals wurden zehntausende ZivilistInnen vom Leuchtenden Pfad und der Armee massakriert, und die Wirtschaft versank bei einer Inflation mit Spitzenwerten um 7.000(!) Prozent im Chaos. García selbst wurde damals schwerer Menschenrechtsverletzungen beschuldigt und verdächtigt, sich illegal bereichert zu haben. Dass er nun dennoch davor steht, in die Stichwahl einzuziehen, liegt daran, dass er bestechende rhetorische Fähigkeiten besitzt und als einziger Kandidat über eine solide Parteibasis verfügt. Im Übrigen zog García schon bei den letzten Präsidentschaftswahlen knapp vor Lourdes Flores in die Stichwahl ein. Dort scheiterte er allerdings gegen Alejandro Toledo.
García gegen Humala
Ob García dieses Mal wieder unterliegt, steht noch in den Sternen. Politische BeobachterInnen räumen dem Ex-Präsidenten gegen Ollanta Humala größere Chancen ein als Lourdes Flores. Denn möglicherweise wird die große Mehrheit der WählerInnen von Lourdes Flores in der Stichwahl für den APRA-Chef stimmen. Für weite Kreise der Ober- und Mittelschicht ist zwar ein Präsident García, der noch in den 80er Jahren die Banken verstaatlichen wollte, eine Horrorvorstellung, aber auch das kleinere Übel gegenüber einem völlig unberechenbaren Humala. Den vierten Platz in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen errang mit sieben Prozent der Stimmen die Kandidatin Martha Chávez, Sprachrohr des in Chile inhaftierten Ex-Diktators Alberto Fujimori. Deren WählerInnen, könnten sich in der Stichwahl für Ollanta Humala entscheiden.
Wie auch immer die Stichwahl ausgeht –es ist nicht auszuschließen, dass dem Wahlsieger in ein paar Jahren ein ähnliches Schicksal droht wie einem seiner beiden Vorgänger. Während Alberto Fujimori im Gefängnis sitzt, darf Alejandro Toledo nach den Wahlen seinen politischen Bankrott anmelden: Seine Regierungspartei ist an der von ihm selbst eingeführten Vierprozentklausel gescheitert und wird nicht mehr ins neue Parlament einziehen.