Nummer 288 - Juni 1998 | Sport

Im Schatten von Baseball

In Nicaragua soll es mit dem Fußball aufwärts gehen

Während sich in Frankreich die Elite-Kicker um den WM-Titel streiten, beginnt in Hamburgs Partnerstadt León ein Projekt, das auf die Förderung des Jugendfußballs abzielt. Die Initiative Jugendfußball in León (IJL) versucht mit einem auf fünf Jahre angelegten Programm, Sozialarbeit in den Barrios mit der Einrichtung fester Trainingsstrukturen zu verbinden. Ausgangspunkt für dieses Bemühen war die vom FC St. Pauli unterstützte Gründung des FC Deportivo León im Februar 1998.

Dirk Pesara

Obwohl Nicaragua auf dem internationalen Fußball-Parkett bisher nicht in Erscheinung getreten ist, wird auch in diesem mittelamerikanischen Land gekickt. Und das schon seit vielen Jahrzehnten. Der Gründung des FC Diriangen in Diriamba 1917 folgten wenig später die Vereine Atenas de Masaya, Sporting Club Corinto, Alas de Managua und Metropolitano de León, die 1933 ihre erste Meisterschaftsrunde ausspielten. Dennoch erlangte Fußball in Nicaragua nie den Stellenwert, den der Volkssport Nummer eins Baseball („Beisbol“) nach wie vor einnimmt. Besonders in León ist dies augenfällig. Die Gründe hierfür liegen in der jeweils unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung der nicaraguanischen Regionen.
Vor allem englischen Geschäftsleuten ist es zu verdanken, daß der Fußball in Nicaragua überhaupt bekannt wurde. Die Regionen, in denen sich zur Jahrhundertwende rege Geschäftsbeziehungen mit dem „Mutterland des Fußballs“ entwickelten, wurden zu Zentren der Jagd nach dem runden Leder. Nicaraguanische Studenten, die aus England in ihr Heimatland zurückkehrten, sorgten wenig später dafür, daß sich der Fußballsport unter ihren Landsleuten zunehmend größerer Beliebtheit erfreute. Auch heute noch ist der nicaraguanische Fußball eng mit England verbunden. So wird das Estadio Camilo Ortega in Managua, das ehemalige Somoza-Stadion war 1979 von der siegreichen Revolutionsbewegung FSLN mit dem Namen des gefallenen Bruders des Präsidenten Daniel Ortega versehen worden, im Volksmund immer noch Estadio Cranshaw genannt. Denn es war Thomas Cranshaw, der für den Bau von Stadien und die Einrichtung von festen Trainingsstrukturen und Meisterschaften sorgte, insbesondere in Diriamba.
In León wurden die Weichen jedoch anders gestellt. Nicht britische Firmen dominierten die Region, sondern US-amerikanische Großgrundbesitzer. Folglich wurde auf den Baumwoll-Plantagen der Gringos Baseball gespielt. Während sich beim Baseball auch in León professionelle Strukturen entwickelten, führen die Fußballer der Hamburger Partnerstadt ein Schattendasein. Als amtierender nicaraguanischer Meister genießt die Leoneser Baseball-Crew große Popularität und erhält dementsprechend auch finanzielle Zuwendungen seitens der sandinistisch geführten Stadtverwaltung. Für die Förderung des Jugendfußballs blieben kaum Mittel übrig. Das soll sich ändern.

Nie mehr 3. Liga !!!

Der Revolutionskrieg der FSLN gegen die Somoza-Diktatur in den siebziger Jahren und der Contra-Krieg der USA gegen die Sandinistische Regierung während der achtziger Jahre hatten sportliche Aktivitäten generell und den Fußballsport speziell zum Erliegen gebracht. Die nicaraguanische Jugend lag mit AK-47 im Schützengraben. Sport war nebensächlich. Dies änderte sich erst 1989 nach dem Friedensabkommen von Esquipulas zwischen FSLN und Contra.
Seit Wiedereinführung einer Nationalen Meisterschaftsrunde im Jahr 1992 nahmen jährlich zwei Leoneser Auswahlmannschaften an den Qualifikationsspielen teil: Die Junioren (U-23) und die A-Jugend (U-19). Immerhin kamen die Teams bis in die Endrunde und der 3. Platz der A-Jugend im letzten Jahr stellt einen Achtungserfolg dar, auf den sich aufbauen läßt. Dementsprechend wird jetzt die Meisterschaft und der damit verbundene Aufstieg in die 2. Liga für die im August beginnende Runde der U-19 angestrebt. Mit der Gründung des FC Deportivo León im Februar diesen Jahres ist ein erster Schritt unternommen worden, um dieses Ziel zu verwirklichen. Feste Vereinsstrukturen sollen dabei die Attraktivität des Fußballs erhöhen und ihm zu größerer Popularität verhelfen. Ist das Logo des FC Deportivo entsprechend des Stadtnamens ein Löwe, so sind die Vereinsfarben Braun-Weiß aus Hamburg importiert. Mit neuen Trikots, die vom FC St. Pauli gespendet wurden, konnte die U-23 in ihre gerade begonnene Saison starten.

Bunter Hahn und rundes Leder

Das auf mehrere Jahre angelegte Projekt zielt darauf ab, Jugendarbeit mit der Entwicklung des Sports in León zu verbinden. Dabei werden zunächst feste Trainingsstrukturen (zwei- bis dreimal wöchentlich) für die bestehenden Mannschaften geschaffen. Diese Arbeit wird durch einen Trainer aus Deutschland ausgeführt. Ferner sollen durch aktive Werbung in den Stadtteilen Jugendliche für den Fußball begeistert werden. Jedes Jahr soll eine neue Jugendmannschaft (1998 die U-17) aufgebaut und ein nicaraguanischer Trainer ausgebildet werden. Sportliches Ziel ist es, daß der FC Deportivo León in fünf Jahren Jugendfußball in allen Altersstufen eingerichtet hat und bei der Betreuung nicht mehr auf Fußball-Brigadisten aus dem Ausland angewiesen ist. Selbstverständlich soll es in absehbarer Zukunft auch einen gut bespielbaren Sportplatz geben. Ein Gelände ist zwar vorhanden, befindet sich allerdings in schlechtem Zustand. Daher werden die Heimspiele des FC Deportivo auch in nächster Zeit auf dem Platz der Medizinischen Fakultät der Universität stattfinden.
Wenn auch die sozialen Mißstände in León noch nicht die Dimension von Managua oder der Atlantikküste erreicht haben, so sind auch in der Hamburger Partnerstadt die Folgen der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Aleman-Regierung unübersehbar. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, insbesondere unter Jugendlichen. Dadurch werden viele Heranwachsende zur Arbeit im informellen Sektor gezwungen. Doch reicht der Gewinn aus dem Wiederverkauf von Kaugummi, Erfrischungsgetränken, Zigaretten oder Hot-Dogs oftmals zu kaum mehr als zu einem warmen Essen. Aus diesem Grund wird es nach jedem Training oder Spiel für die teilnehmenden Jugendlichen eine warme Mahlzeit („Gallo Pinto“: Reis mit Bohnen) und Fruchtsaftgetränke geben.

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