Im Zickzackkurs an den Verhandlungstisch?
Der öffentliche Druck zur Beendigung des “schmutzigen Krieges” wächst
Trotz vollmundiger Bekundungen, gegen die Menschenrechtsverletzungen vorzugehen und einen Friedensprozeß einzuleiten, ist die Politik der liberalen Regierung Samper, seit August dieses Jahres im Amt, von einer nicht zu überhörenden Doppelzüngigkeit geprägt. Ende September setzte sie im kolumbianischen Senat ein Gesetz durch, demzufolge Zwangsverschleppungen durch Soldaten zwar verboten sind, aber als Dienstvergehen weiterhin unter die Militärgerichtsbarkeit fallen. Dies bedeutet faktisch, daß die Streitkräfte nach wie vor für die gerichtliche Verfolgung ihrer eigenen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind; der Bock darf weiterhin den Gärtner spielen.
Gleichzeitig ließ die Regierung in den Militärgarnisionen Büros für Menschenrechte einrichten. In der Armee wurde ein Schriftstück verteilt, das die Soldaten darüber informierte, daß sie sich weigern dürfen, Befehle zu verfolgen, die die Menschenrechte verletzen. Präsident Samper traf sich zu Gesprächen mit den nationalen Menschenrechtsorganisationen. Amnesty international wurde eingeladen, ein ständiges Büro in Kolumbien zu eröffnen. Eine Kampagne von amnesty international, die alarmierenden Berichte anderer internationaler Menschenrechtsorganisationen und der Besuch von UNO-Sonderberichterstattern Anfang Oktober in Kolumbien verstärkten den äußeren Druck auf die Regierung Samper. In der internationalen Öffentlichkeit wächst das Bewußtsein darüber, daß in Kolumbien nur auf dem Papier demokratische Verhältnisse herrschen. Allein seit 1986 fielen schätzungsweise 20.000 Personen dem “schmutzigen Krieg” zwischen Streitkräften, Paramilitärs und Guerilla zum Opfer, bei weitem mehr als in Chile während 17 Jahren Militärdiktatur.
Am 9. und 10. Februar veranstalten die kolumbianische Kampagne “Menschenrechte – Sofort” und europäische Nichtregierungsorganisationen in Brüssel eine internationale Konferenz. Eingeladen sind auch Mitglieder der kolumbianischen Regierung, die sich in Anwesenheit von VertreterInnen der UNO und des Europaparlamentes zur Menschenrechtssituation in Kolumbien äußern sollen. “Diese Regierung will auf keinen Fall – und das ist ein Faktor, der sehr hilfreich sein kann – der Verletzung der Menschenrechte bezichtigt werden”, so Dr. Jaime Prieto Méndez, Koordinator von “Menschenrechte – sofort” gegenüber den Lateinamerika Nachrichten.
“Menschenrechte – Sofort!”
Bei seinem Amtsantritt Anfang Oktober hatte der liberale Präsident Samper angekündigt, er wolle den schmutzigen Krieg beenden und sei auch grundsätzlich zu Verhandlungen mit der Guerilla bereit. Damit setzte er sich von der Position seines liberalen Parteifreundes und Amtsvorgängers Gaviria ab, der nach dem Scheitern der letzten Friedensverhandlungen 1992 einen kompromißlosen “integralen Krieg” gegen die Aufständischen geführt hatte. Die drei in der “Coordinadora Guerillera Simón Bolívar” zusammengeschlossenen Organisationen FARC, ELN und EPL, die sich im August mitten in ihrer militärischen Offensive “Abschied für Gaviria” befanden, bekundeten ebenfalls ihre Verhandlungsbereitschaft. Die Regierung Samper lehnte ein direktes Dialogangebot der FARC jedoch mit dem Argument ab, die Guerilla müsse klare Beweise für ihren Friedenswillen liefern.
Seitdem sind die Auseinandersetzungen auf beiden Seiten von der Koexistenz von verbalen Friedensbekundungen und der unverminderten Fortführung der bewaffneten Auseinandersetzungen geprägt.
Der von Samper ernannte staatliche “Hochkommissar für den Frieden” Carlos Holmes kam Anfang November zu dem Ergebnis, das Klima sei mittlerweile für Verhandlungen geeignet, man müsse allerdings langsam und schrittweise vorgehen. Immerhin scheint mittlerweile nicht nur die Regierung, sondern auch das Militär widerwillig akzeptiert zu haben, daß die Gespräche auch ohne einen einseitigen Waffenstillstand der Guerilla beginnen. Jaime Prieto Méndez hofft, daß der gesellschaftliche Druck nicht nur die Kriegsparteien wieder an einen Tisch zwingt, sondern daß auch über die komplexen Ursachen des Konfliktes diskutiert wird: “Bisher haben Regierung und Guerilla immer allein verhandelt. Heute wollen sich viele Sektoren der Gesellschaft, wie zum Beispiel die Kirche, die Gewerkschaften, die politischen Parteien, die Menschenrechtsgruppen, Intellektuelle, am Friedensprozeß beteiligen.” Ein Zeitplan für den Beginn von Gesprächen steht allerdings nach wie vor nicht fest.