Nachruf | Nummer 275 - Mai 1997

Liebe Barbara,

Marianne Braig

“mit jedem Menschen stirbt eine ganze Welt, seine Welt”. Dieses Zitat von Paul Westheim habe ich in einem Deiner vielen Artikel über Mexiko und über Menschen, die, wie Du, dieses Land lieb­gewonnen haben, gefunden. Er und noch viel mehr seine Übersetzerin und Frau, Marianne Frenk Westheim, weisen mir und den vielen, die Du an deiner Welt teilnehmen ließt, einen Weg durch dein vielseitiges Arbeiten und Leben. Über sie und Brigitte Alexander hast du in letzter Zeit nicht nur geschrieben, sondern kurz vor deinem Tod ein wunderschönes Radiofeature erabeitet, das dem­nächst beim SFB zu hören ist.
“Mexiko als Exil und Wahlheimat für Men­schen, die der individuellen Freiheit des künstleri­schen Schaffens verpflichtet sind und jede ideolo­gische Instrumentalisierung von Kunst ablehnen” und die deutschen ExilantInnen, die in Mexiko blieben und dort in der vielfältigen mexikanischen Kunst ein neues kreatives Betätigungsfeld gewon­nen haben, sind für Dich in den letzten Jahren im­mer wichtiger geworden. Nicht zufällig in einer Zeit, in der das Heine-Zitat “denk ich an Deutsch­land in der Nacht, so bin ich um den Schlaf ge­bracht” eine neue, traurige Bedeutung bekam, suchtest Du Menschen wie die 97 jahre alte ham­burger Jüdin Marianne Frenk Westheim mit mexi­kanischem Paß, die nicht an Nationalitäten glaubt und gerne mit Heine fragt: “Wozu brauchen wir eigentlich ein Vaterland?”.
Du fandest Gefallen daran, Grenzen zu über­schreiten und Dich zwischen Ländern, Disziplinen und Formen der Darstellung zu bewegen und zu vermitteln, und Dich damit zugleich immer wieder einzumischen. Du interessiertest Dich für die ver­schiedenen sozialen Bewegungen, die politischen Brüche und Kontinuitätslinien in Mexiko, für die Rebellion 1994 in Chiapas, den alltäglichen Kampf der Chilangos, der Bewohner der mexikanischen Hauptstadt, der in der Figur des Superbarrios eine Repräsentation fand, und selbstverständlich für die zapatistische Bewegung, die zwar zu den politi­schen Verlierern der mexikanischen Revolution gehört, doch bis heute das Imaginäre dieser Revo­lution wesentlich bestimmt. Mit Figuren wie Mar­cos, Superbarrio und Emiliano Zapata, mit Frauen der städtischen Bewegungen und den alten Zapati­sten befaßtest Du dich in Deinen unterschiedlichen wissenschaftlichen und journalistischen Veröffent­lichungen. Imagination, Mythen, Masken und Fi­guren aus Pappmaché faszinierten Dich wie die buntbemalten Dorfläden von Morelos oder das La­byrinth von Mexiko-Stadt. Doch es waren konkrete Menschen, an deren Problemen, Forderungen und Utopien Du teilhattest und mit denen Du Dich so­lidarisiertest. Ihre Welt hast Du immer wieder ent­stehen lassen in Radiosendungen, Artikeln, Aus­stellungen und Veranstaltungen.
Zugleich könntest Du, wie eine andere Berline­rin, Marlene Dietrich, von Dir gesagt haben: “Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin”. Deine Weltoffen­heit und Verbundenheit mit Mexiko wurzelte hier. Identitätskonflikte waren Dir fremd, anderes und andere vertraut. Diese Haltung prägte auch den Umgang mit der eigenen Stadt, in welcher Du me­xikanischen und anderen KünstlerInnen und Ver­treterInnen sozialer und politischer Bewegungen Begegnungen mit Deiner Stadt ermöglichtest. Un­terschiedliches sollte sich berühren können, ver­schiedene Blicke sich treffen, andere Perspektiven möglich werden. Die Zusammenarbeit mit Kunst­schaffenden, die Mitarbeit bei Ausstellungen der Arbeiten deutscher KünstlerInnen in Mexiko und mexikanischer KünstlerInnen in Berlin sowie die Begeisterung für die (Alltags)Kunst prägten wei­tere Deiner Arbeits- und Lebensbereiche. Begeg­nung suchstest Du nach dem 3. Oktober 1990 auch mit Schauspielerinnen, Musikerinnen, Tänzerinnen und anderen Künstlerinnen, “die aus einem Land kamen, das soeben von der Landkarte verschwun­den war”. Geprägt von der Vorstellung: “Wo im­mer in der Welt sich Frauen als Künstlerinnen mit der Gesellschaft auseinandersetzen, bewegen sie sich außerhalb und mittendrin” gestaltetest Du 1991 die erste Ausstellung von Künstlerinnen aus der ehemaligen DDR im ehemaligen Westberlin mit.
In diesem vielfältigen Leben und Arbeiten zwi­schen Mexiko und Berlin spielte seit fünf Jahren Deine Tochter Frieda die zentrale Rolle. Ihr La­chen und ihr Selbstbewußtsein zeugen von Deiner großen Liebe. Deine Familie und deine zahlreichen Freunde und Freundinnen in Berlin und Mexiko werden Ihr Deine Welt lebendig erhalten können. Dein Blick auf die Welt, der sich sowohl auf die warmen Farbtöne als auch auf die Grautöne rich­tete, der die Trauer, den Enthusiasmus und die Utopien von Menschen wahrnahm, ist in den bun­ten Ergebnissen Deiner Arbeiten präsent.
Barbara Beck, am 7. Juli 1949 geboren, ist am 12. März 1997 völlig unerwartet gestorben.


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