Liebe Barbara,
“mit jedem Menschen stirbt eine ganze Welt, seine Welt”. Dieses Zitat von Paul Westheim habe ich in einem Deiner vielen Artikel über Mexiko und über Menschen, die, wie Du, dieses Land liebgewonnen haben, gefunden. Er und noch viel mehr seine Übersetzerin und Frau, Marianne Frenk Westheim, weisen mir und den vielen, die Du an deiner Welt teilnehmen ließt, einen Weg durch dein vielseitiges Arbeiten und Leben. Über sie und Brigitte Alexander hast du in letzter Zeit nicht nur geschrieben, sondern kurz vor deinem Tod ein wunderschönes Radiofeature erabeitet, das demnächst beim SFB zu hören ist.
“Mexiko als Exil und Wahlheimat für Menschen, die der individuellen Freiheit des künstlerischen Schaffens verpflichtet sind und jede ideologische Instrumentalisierung von Kunst ablehnen” und die deutschen ExilantInnen, die in Mexiko blieben und dort in der vielfältigen mexikanischen Kunst ein neues kreatives Betätigungsfeld gewonnen haben, sind für Dich in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Nicht zufällig in einer Zeit, in der das Heine-Zitat “denk ich an Deutschland in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht” eine neue, traurige Bedeutung bekam, suchtest Du Menschen wie die 97 jahre alte hamburger Jüdin Marianne Frenk Westheim mit mexikanischem Paß, die nicht an Nationalitäten glaubt und gerne mit Heine fragt: “Wozu brauchen wir eigentlich ein Vaterland?”.
Du fandest Gefallen daran, Grenzen zu überschreiten und Dich zwischen Ländern, Disziplinen und Formen der Darstellung zu bewegen und zu vermitteln, und Dich damit zugleich immer wieder einzumischen. Du interessiertest Dich für die verschiedenen sozialen Bewegungen, die politischen Brüche und Kontinuitätslinien in Mexiko, für die Rebellion 1994 in Chiapas, den alltäglichen Kampf der Chilangos, der Bewohner der mexikanischen Hauptstadt, der in der Figur des Superbarrios eine Repräsentation fand, und selbstverständlich für die zapatistische Bewegung, die zwar zu den politischen Verlierern der mexikanischen Revolution gehört, doch bis heute das Imaginäre dieser Revolution wesentlich bestimmt. Mit Figuren wie Marcos, Superbarrio und Emiliano Zapata, mit Frauen der städtischen Bewegungen und den alten Zapatisten befaßtest Du dich in Deinen unterschiedlichen wissenschaftlichen und journalistischen Veröffentlichungen. Imagination, Mythen, Masken und Figuren aus Pappmaché faszinierten Dich wie die buntbemalten Dorfläden von Morelos oder das Labyrinth von Mexiko-Stadt. Doch es waren konkrete Menschen, an deren Problemen, Forderungen und Utopien Du teilhattest und mit denen Du Dich solidarisiertest. Ihre Welt hast Du immer wieder entstehen lassen in Radiosendungen, Artikeln, Ausstellungen und Veranstaltungen.
Zugleich könntest Du, wie eine andere Berlinerin, Marlene Dietrich, von Dir gesagt haben: “Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin”. Deine Weltoffenheit und Verbundenheit mit Mexiko wurzelte hier. Identitätskonflikte waren Dir fremd, anderes und andere vertraut. Diese Haltung prägte auch den Umgang mit der eigenen Stadt, in welcher Du mexikanischen und anderen KünstlerInnen und VertreterInnen sozialer und politischer Bewegungen Begegnungen mit Deiner Stadt ermöglichtest. Unterschiedliches sollte sich berühren können, verschiedene Blicke sich treffen, andere Perspektiven möglich werden. Die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden, die Mitarbeit bei Ausstellungen der Arbeiten deutscher KünstlerInnen in Mexiko und mexikanischer KünstlerInnen in Berlin sowie die Begeisterung für die (Alltags)Kunst prägten weitere Deiner Arbeits- und Lebensbereiche. Begegnung suchstest Du nach dem 3. Oktober 1990 auch mit Schauspielerinnen, Musikerinnen, Tänzerinnen und anderen Künstlerinnen, “die aus einem Land kamen, das soeben von der Landkarte verschwunden war”. Geprägt von der Vorstellung: “Wo immer in der Welt sich Frauen als Künstlerinnen mit der Gesellschaft auseinandersetzen, bewegen sie sich außerhalb und mittendrin” gestaltetest Du 1991 die erste Ausstellung von Künstlerinnen aus der ehemaligen DDR im ehemaligen Westberlin mit.
In diesem vielfältigen Leben und Arbeiten zwischen Mexiko und Berlin spielte seit fünf Jahren Deine Tochter Frieda die zentrale Rolle. Ihr Lachen und ihr Selbstbewußtsein zeugen von Deiner großen Liebe. Deine Familie und deine zahlreichen Freunde und Freundinnen in Berlin und Mexiko werden Ihr Deine Welt lebendig erhalten können. Dein Blick auf die Welt, der sich sowohl auf die warmen Farbtöne als auch auf die Grautöne richtete, der die Trauer, den Enthusiasmus und die Utopien von Menschen wahrnahm, ist in den bunten Ergebnissen Deiner Arbeiten präsent.
Barbara Beck, am 7. Juli 1949 geboren, ist am 12. März 1997 völlig unerwartet gestorben.