El Salvador | Nummer 346 - April 2003

Linke Hauptstadt, rechtes Land

Keine klaren Gewinner bei den Parlaments- und Kommunalwahlen

Verliert das Rechtsbündnis seine Parlamentsmehrheit? Kann die Regierungspartei ARENA die Hauptstadt San Salvador zurückerobern nachdem sie sechs Jahre in Händen der FMLN war? So lauteten die wichtigsten Fragen vor den Parlaments- und Kommunalwahlen in El Salvador am 16. März, die als Test für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr galten. Nachdem sie in den letzten Jahren mehrere Abspaltungen zu verzeichnen hatte, kann die ehemalige Befreiungsbewegung FMLN mit dem Ausgang der Wahlen durchaus zufrieden sein.

Franco Weiss

An der Machtverteilung im Parlament wird sich nach den Wahlen vom 16. März in El Salvador nicht viel ändern. Auch fünf Tage nach den Wahlen liegen noch keine endgültigen Resultate vor, zudem wurden die Wahlen in mehreren Landkreisen angefochten. Die vorläufigen Ergebnisse sehen die FMLN bei 31 Sitzen (wie vor drei Jahren) und die Regierungspartei ARENA bei 27 Abgeordneten (gegenüber 29 im Jahr 2000). Da die zweite große Rechtspartei, die „Partei der Nationalen Versöhnung“ (PCN), die in den letzten Jahren ARENA stets ein verlässlicher Bündnispartner war, zwei Mandate auf nunmehr 16 hinzugewinnen konnte, wird die Rechte ihre knappe Mehrheit (43 von 84 Sitzen) im Parlament vermutlich unverändert behalten.
Mit ihren 31 Parlamentssitzen hat die FMLN immerhin erneut eine Sperrminorität für Entscheidungen, welche eine Zweidrittelmehrheit benötigen – so zum Beispiel die Verabschiedung des Haushalts, die Aufnahme internationaler Kredite, die Wahl wichtiger FunktionärInnen staatlicher Institutionen und natürlich Verfassungsänderungen. Diese Sperrminorität hatte die FMLN im Verlauf der letzten Legislaturperiode verloren, als mit den so genannten „Erneuerern“ (Renovadores) ein Teil der Abgeordneten die Fraktion verließ oder ausgeschlossen wurde.
Die Renovadores um den ehemaligen FMLN-Präsidentschaftskandidaten Facundo Guardado, die vor allem gegen die FMLN Wahlkampf gemacht hatten, wurden mit ihrer Partei „Erneuerungsbewegung“ von den WählerInnen abgestraft. Sie blieben unter zwei Prozent der Stimmen und werden vermutlich nur einen Abgeordneten im Parlament haben.
Ebenfalls enttäuscht über den Ausgang des Wahlgangs ist die Mitte-Links-Partei CDU (Centro Democrático Unido), die in den letzten Monaten Verstärkung durch angesehene Politiker wie den bisherigen Bürgermeister San Salvadors, Héctor Silva, und den allseits geschätzten Intellektuellen Héctor Dada Hirezi bekommen hatte. Sie hatte bis zu 13 Sitze im neuen Parlament erhofft – kam aber nur auf gut sechs Prozent der Stimmen und vier bis fünf Mandate. Deren qualitatives Gewicht wird der CDU jedoch einige Bedeutung geben und ist sicherlich eine Bereicherung für das salvadorianische Parlament. Von den insgesamt elf angetretenen Parteien kamen des Weiteren nur mehr die Christdemokraten (PDC) ins Parlament, die ihren Abwärtstrend allerdings fortsetzten und noch fünf Abgeordnete stellen, einen davon in Koalition mit Erneuerern und der sozialdemokratischen PSD.

Antiquiertes Wahlsystem

Der knappe Vorsprung für die Rechte resultiert allerdings auch aus dem antiquierten Wahlsystem, das den eher konservativ wählenden ländlichen Departements einen überproportionalen Anteil an Abgeordneten sichert. Um dort gewählt zu werden, benötigt einE KandidatIn im Vergleich zu den KandidatInnen in der mehrheitlich links wählenden Hauptstadtregion nur ein Fünftel bis ein Sechstel der Stimmen. Die Weigerung der politischen Rechten, diesen Missstand zu beenden, ist ein Teil der Legitimitätskrise des politischen Systems. Ebenso wie der anachronistische Zustand in den Kommunen, in denen die Partei mit den meisten Stimmen gleich den ganzen Gemeinderat stellt.

Gesundheitsstreik beeinflusst Wahlen

Der seit Monaten anhaltende Streik im Gesundheitswesen gegen die Privatisierung der Sozialversicherung warf seinen Schatten auf diese Wahlen. Eine Serie von Demonstrationen wie sie San Salvador seit zwanzig Jahren nicht mehr erlebt hatte – die letzte am Donnerstag vor den Wahlen – waren Ausdruck der mehrheitlichen Ablehnung der Privatisierungsschritte des Gesundheitswesens. Das Gesundheitspersonal rief zusammen mit sozialen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen dazu auf, den Privatisierungsparteien der Rechten – ARENA und PCN – die Stimme zu verweigern.
Hohe Wellen schlug der Konflikt auch innerhalb der FMLN. Die Widersprüche zwischen der Partei und dem Bürgermeister von San Salvador, Héctor Silva, erreichten ihren Höhepunkt, als sich dieser gegen den Willen der Partei und der Ärzte und Ärztinnen als Vermittler im Konflikt anbot; eine Mission die kläglich scheiterte, aber seinen Abschied aus der Partei beschleunigte.

FMLN gewinnt erneut in San Salvador

Während Héctor Silva schließlich auf einem sicheren Listenplatz als Parlamentskandidat für die CDU antrat, musste sich die FMLN nur wenige Monate vor den Wahlen auf die Suche nach einem/r ErsatzkandidatIn begeben. Nachdem prominente KandidatInnen abwinkten und jegliche Koalitionen an den übertriebenen Forderungen der Kleinparteien scheiterten, musste sich die FMLN mit dem bisherigen Gemeinderat Carlos Rivas Zamora in den Kampf um San Salvador begeben.
Mit dem öffentlich kaum bekannten und relativ farblosen Kandidaten schien es zunächst, dass die Hauptstadt nach sechs Jahren erneut an die Rechte gehen würde. Aber nachdem erste Meinungsumfragen noch einen haushohen Sieg für die ARENA-Kandidatin, die ehemalige Erziehungsministerin Evelyn Jacir voraussagten, konnte Rivas Zamora danach in der WählerInnengunst stetig aufholen. Sagten die Umfragen in den Wochen vor den Wahlen noch allesamt ein äußerst knappes Resultat voraus, setzte sich der FMLN-Kandidat mit rund acht Prozent Vorsprung schließlich relativ deutlich vor der ARENA-Kandidatin durch.

Rote Kommunalverwaltungen

Auch sonst konnte sich die FMLN bei den Kommunalwahlen gut behaupten. Wie bereits 2000 wird sie erneut in acht der 14 Departementshauptstädten des Landes sowie in fast allen bevölkerungsstarken Kommunen des Großraums San Salvador regieren. Vor allem der klare Sieg in Soyapango ist für die ehemalige Guerilla ein großer Erfolg, zumal dort im erzreligiösen El Salvador zum ersten Mal ein bekennender Atheist zum Bürgermeister gewählt wurde.
Auf Departementsebene konnte die Linke die Hauptstädte von Cuscatlán (Cojutepeque) und Usulután (Usulután) erobern und verpasste einen Sieg in Cabañas (Sesuntepeque) nur knapp, musste allerdings im Westen in mehreren Landkreisen herbe Verluste hinnehmen und verlor dort unter anderem die Departementshauptsstadt Ahuachapán. Insgesamt wird (nach vorläufigen Zahlen) die FMLN noch 74 der 262 Kommunen regieren (nach 78 im Jahr 2000), während ARENA deutlicher verlor (von 126 auf 109) und die Nationale Versöhnungspartei durch ihre Zugewinne in den ländlichen Gebieten nunmehr 52 BürgermeisterInnen (bisher 33) stellt.

Stimmbeteiligung und Stimmenzahl

Die Wahlkampagne selbst und die Meinungsumfragen sagten es voraus: Die Wahlbeteiligung würde niedrig sein. Die gut 41 Prozent offizielle Stimmbeteiligung ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da im Wahlregister noch immer Tausende Verstorbene enthalten sind, genauso wie Hunderttausende Menschen, die mittlerweile ihr Glück als MigrantInnen in den USA versuchen. Somit dürfte die reale Wahlbeteiligung zwischen 50 und 60 Prozent gelegen haben – höher als noch vor drei Jahren, aber für lateinamerikanische Verhältnisse ist sie nach wie vor relativ niedrig.
Die Wahlkampagne war trotz einiger Anstrengungen seitens verschiedener Medien und von Nichtregierungsorganisationen, die diverse Debatten organisierten, eher flau verlaufen. Am strahlenden Lachen der KandidatInnen in den Fernseh-Wahlspots war teilweise kaum erkennbar, ob Zahnpasta oder einE KandidatIn angepriesen werden sollte, programmatische Diskussionen kamen viel zu kurz. Überschattet wurde der Wahlkampf von gewalttätigen Auseinandersetzungen. Insgesamt forderte die Wahlkampagne zehn Todesopfer, wobei vier Aktivisten der FMLN gezielten Attentaten zum Opfer fielen, während die Ursachen in den anderen Fällen größtenteils in persönlichen Streitigkeiten oder sozialer Kriminalität zu suchen waren.
Vor allem für die beiden großen Parteien galt der Urnengang auch als Testlauf für die Präsidentschaftswahlen im März 2004. Es ist anzunehmen, dass die relative Wahlschlappe Konsequenzen in der Regierungspartei ARENA haben wird, in der neoliberale Unternehmer vor kurzem das Ruder vollständig übernommen haben.
Ex-Präsident Calderón Sol hat bereits öffentlich gefordert, der gesamte Parteivorstand müsse nun zurücktreten. Die Partei brauche Politiker und keine Unternehmer, so der Tenor der Forderungen der zuletzt an den Rand gedrängten stärker ideologischen Rechten. Parteichef Archie Baldocchi ist bereits zurückgetreten. Offiziell zumindest seiner Krebserkrankung, wegen der er in den letzten Monaten ohnehin viel Zeit zur Behandlung in den USA verbrachte.
Grund zum Jubel gibt es allerdings auch bei der Linken nicht allzu viel. Das Land ist von einer linken Wahlmehrheit nach wie vor weit entfernt, denn selbst FMLN und CDU zusammen haben „nur” rund 40 Prozent der Stimmen erhalten. In der FMLN herrscht nach dem Sieg in der Hauptstadt verständlicherweise Optimismus. Der Triumph des unbekannten Kandidaten Rivas Zamora legt nahe, dass für die WählerInnen die Parteienbindung und das politische Projekt wichtiger sind als der/die KandidatIn selbst.
Die Diskussion um den richtigen Kandidaten für die kommenden Präsidentschaftswahlen kann für die Partei eine erneute Zerreißprobe bedeuten. Noch am Wahlabend forderte die traditionell linke, heute allerdings geschwächte LehrerInnengewerkschaft Andes öffentlich die Kandidatur von Schafik Handal, historischer Führer der Kommunistischen Partei und seit FMLN-Gründung Teil ihrer Führungsriege. Unter dem Jubel der Anwesenden bei der FMLN-Wahlfete akzeptierte Handal „Präsident El Salvadors zu sein“. Doch diese Kandidatur birgt internen Sprengstoff, ist sie doch kaum koalitionsfähig und somit keine Gewinnoption.
Nur drei Tage später hat denn auch Oscar Ortiz, wiedergewählter Bürgermeister von Santa Tecla, seine Vorkandidatur erklärt. Ortiz wird in der Partei vor allem von jenen unterstützt, die auf eine relativ breite Wahlallianz setzen. Bleibt zu hoffen, dass die Kandidatenkür in der salvadorianischen Linken diesmal ohne Selbstzerfleischung und Spaltung gelingt.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren