Nummer 372 - Juni 2005 | Uruguay

Linksbündnis auf Erfolgskurs

Uruguays Regierungskoalition gewinnt bei Regionalwahlen

Auf dem Land legte die Frente Amplio-Encuentro Progresista-Nueva Mayoría Uruguay kräftig zu. Seit dem 8. Mai diesen Jahres stellt sie in acht der 19 Provinzen auch die Regionalregierungen. Entscheidend für den Erfolg der nationalen Regierungspolitik ist die Umsetzung des sozialen Notstandsplans PANES. Präsident Tabaré Vázquez hat sich durch seine konservative Haltung zur Abtreibung bereits erste Sympathien verspielt.

Stefan Thimmel

Uruguays Linkskoalition hat die konservative Hegemonie auf dem Land beendet. Nach der Regierungsübernahme am 1. März gelang es der Frente Amplio-Encuentro Progresista-Nueva Mayoría (FA-EP-NM) bei den Regionalwahlen am 8. Mai erstmals außerhalb von Montevideo, das die Linke seit 15 Jahren erfolgreich regiert, auch in sieben weiteren Provinzen den Sieg zu erringen. Insgesamt regiert sie damit über fast 75 Prozent der uruguayischen Bevölkerung.
Zehn der insgesamt 19 Provinzen konnte die konservative Oppositionspartei Blancos halten, die ehemalige Regierungspartei Colorados behauptete sich nur in einer Provinz. Für sie bedeutet dieses Ergebnis einen Fall in die Bedeutungslosigkeit. Denn die machtgewohnte „Traditionspartei“, die das Land mit Ausnahme der Zeiten der Militärdiktatur seit der Staatsgründung im Jahr 1828 fast ausschließlich alleine regierte, erreichte schon bei den Nationalwahlen am 31. Oktober 2004 nur noch zehn Prozent der Stimmen.
Bemerkenswert ist auch das Ergebnis im Departement Maldonado, in dem das Touristenparadies Punta del Este liegt. Hier wurde mit Oscar de los Santos ein 43-jähriger Bauarbeiter zum Gouverneur gewählt. Der ehemalige Kommunist ist ab jetzt verantwortlich für den Badeort in Lateinamerika, der jeden Sommer von hunderttausenden Reichen besucht wird.

Ehrlich ist Bürgermeister von Montevideo

In der Hauptstadt Montevideo, in der fast die Hälfte der 3,14 Millionen UruguayerInnen lebt, gelang es dem Linksbündnis mit fast 60 Prozent der Stimmen seinen Vorsprung vor den anderen beiden Parteien weiter auszubauen. Zum Nachfolger des über alle Parteigrenzen hinweg geachteten Architekten Mariano Arana (seit März Wohnungsbau- und Umweltminister) wurde mit dem 56-jährigen Chemiker Ricardo Ehrlich ein der MPP (Movimiento Popular de Participación) nahe stehender Bürgermeister (Intendente) gewählt. Der einflussreiche Landwirtschaftsminister José „Pepe“ Mujica hatte den ehemaligen Tupamaro Ehrlich gegen Widerstände in der Frente Amplio als einzigen Kandidaten der Linken in Montevideo durchgesetzt.
Da in Uruguay bei den Regionalwahlen noch das Listenwahlrecht gilt, können auf einer Liste mehrere KandidatInnen antreten, deren Wahlergebnisse dann summiert werden. Der Kandidat mit den meisten Stimmen auf der insgesamt siegreichen Liste ist damit gewählt. Ein Verfahren, das in fast allen Provinzen praktiziert wurde, das heißt fast überall gab es mehrere KandidatInnen – auch der Linkskoalition. Nicht so in Montevideo. Mujica, der sein Parteien- und Organisationsbündnis MPP in der Regierung nicht ausreichend vertreten sieht, wollte zumindest in der Hauptstadt den Anspruch der mit Abstand stärksten Fraktion im Linksbündnis FA-EP-NM durchsetzen.
Ehrlich, bis zu seiner Wahl Dekan der Chemie-Fakultät der Universität von Montevideo, ist ein typischer Vertreter der neuen Politikerklasse in Uruguay. Schon seit Ende der 60er Jahre Aktivist der Tupamaros, wurde Ehrlich 1972 verhaftet, konnte aber kurz vor dem Putsch der Militärs 1973 nach Argentinien fliehen und nach Frankreich ins Exil gehen. 1987 kehrte er nach Uruguay zurück.

Erste Schritte für 2005

Schwerpunkt der neuen nationalen Regierungspolitik für 2005 ist der Soziale Notstandsplan PANES. Es ist das erste Mal seit den Reformjahren des Präsidenten Batlle y Ordóñez Anfang des 20. Jahrhunderts, dass der Staat sich überhaupt um die sozial Ausgegrenzten kümmert.
Das neu geschaffene Sozialentwicklungsministerium unter Führung von Marina Arismendi, der Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Uruguays, will Mitte Mai mit der Auszahlung des „Bürgereinkommens“ (Ingreso Ciudadano) beginnen. Dafür wurden seit Anfang März die Sozialdaten registriert, letztendlich sollen in der ersten Phase 300.000 Personen, das heißt fast ein Zehntel aller UruguayerInnen, zu den Begünstigten zählen.
Zusammen mit Gewerkschaften, NROs, Kirchen und anderen soll das soziale Netz von unten geknüpft werden. Dies ist ausschlaggebend für den Erfolg des Neubeginns der Linkskoalition, denn hier wird sich entscheiden, wie viele Genossen der selbsternannte „Compañero Presidente“ Vázquez wirklich hat, beziehungsweise gewinnen wird.
Zu Gute kommt der neuen Regierung dabei ein deutlicher Wachstumsanstieg um 12,3 Prozent im Jahr 2004 im Vergleich zu 2003, dem absoluten Krisenjahr. Das Bruttoinlandsprodukt erreichte 13,24 Milliarden US-Dollar, eine Steigerung von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Genauso hoch liegt jedoch die Auslandsschuld Uruguays, die damit auch die größte Hypothek für die neue Regierung darstellt. Die Frage, wie politisch mit der Schuldenlast umzugehen ist, ist auch innerhalb der Linkskoalition das heißeste Eisen.
Wie sich schon in den Übergangsmonaten zwischen dem Wahlsieg Ende Oktober 2004 und dem Regierungsantritt am 1. März 2005 angekündigt hatte, geraten bei diesem Thema immer wieder Finanz- und Wirtschaftsminister Danilo Astori und Landwirtschaftsminister José „Pepe“ Mujica aneinander. Mujica, der mit populären Aktionen Punkte macht (so zwang er im April die Schlachthöfe dazu, verbilligtes Fleisch, „Pepe-Fleisch“, auf den Markt zu bringen), versucht gerade die extrem verschuldeten kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebe zu entlasten, um Tausende Familien vor dem Ruin zu retten. Etwas, was der Politik von Astori absolut widerspricht. Dieser will die Staatsausgaben senken. Dazu verhandelt er auch in Washington mit dem IWF über die Auslandsschulden, lässt aber auch keinen Zweifel an der Zahlungswilligkeit des Landes aufkommen und lobt die Zusammenarbeit mit den internationalen Finanzinstitutionen in den höchsten Tönen. Vázquez hält sich in dieser Auseinandersetzung noch vornehm zurück, obwohl er sich zuerst eher auf der reformistischen Seite von Astori positioniert hatte.

Erste Risse

Nicht nur deswegen ist das Image des Präsidenten mittlerweile (wenn auch nur leicht) angekratzt. KritikerInnen werfen ihm einerseits zu viel Symbolik und zu wenig konkrete Handlungen vor, andererseits aber auch einen Hang zu autoritären Entscheidungen und fehlendes Bemühen, Entscheidungen zu begründen. Symbolik (und Wahlkampf) war sicher der „Ausflug“ mit anschließender öffentlicher Sitzung des gesamten Kabinetts Ende April in eine 600 EinwohnerInnen zählende Siedlung. Vázquez löste damit ein Versprechen ein, dass er im Wahlkampf im letzten Jahr gegeben hatte und wollte dies auch als Zeichen für mehr Dezentralisierung im absolut auf die Hauptstadt Montevideo ausgerichteten Uruguay verstanden wissen.
Alarmierend ist allerdings seine Haltung zur Abtreibungsfrage. Nach einem Besuch beim Erzbischof von Montevideo kündigte er an, dass er, falls es eine Mehrheit für die Legalisierung der Abtreibung geben sollte, sein präsidiales Veto einlegen werde. Das nehmen ihm viele in der Frente Amplio und vor allem in den sehr aktiven Frauenorganisationen übel. Abgesehen vom autoritären Führungsstil, der sich mit dieser Haltung andeutet und der viele überraschte, sehen viele vor allem die traditionell bewährte, schon seit Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts in Uruguay gesetzlich verankerte Trennung von Staat und Kirche in Gefahr.
Vázquez stellt sich auch taub gegenüber den massiven Protesten gegen die Errichtung einer Cellulose-Fabrik am Oberlauf des Río de la Plata. Eine Entscheidung, die noch von der konservativen Vorgängerregierung gegen den Willen der lokalen Bevölkerung, sämtlicher Umweltverbände und auch gegen den vehementen Einspruch der argentinischen Regierung getroffen wurde. Die Umweltauswirkungen der geplanten Industrieanlage sind ungeklärt und grundsätzlich gibt es große Vorbehalte gegen die weitere Förderung der Forstwirtschafts-Monokulturen, die den Holz-Rohstoff für diese (und andere geplante) Fabriken liefern sollen.

Anordnung zu Ausgrabungen

In die Aufklärung der während der Diktatur von den Militärs begangenen Verbrechen ist dagegen endlich Bewegung gekommen. Mitte April begannen Wissenschaftler nach einer Anordnung des Präsidenten mit Ausgrabungen auf Kasernengeländen. Schon nach wenigen Tagen wurden die sterblichen Überreste mehrerer Menschen gefunden. Die Identifizierung ist noch nicht abgeschlossen, aber es scheint sicher, dass es sich um während der Militärdiktatur von 1973 bis 1985 Verschleppte handelt. Auch mit Argentinien wird endlich bei der Aufklärung der Verbrechen zusammengearbeitet, was der ehemalige Präsident Batlle wie alle seine Vorgänger immer verweigert hatte. Ob über das Gesetz zur Straflosigkeit, das 1989 von einer Mehrheit der Bevölkerung in einem Plebiszit (noch unter dem Eindruck der Militärherrschaft) bestätigt wurde, neu diskutiert werden soll, ist noch ungeklärt. Im Prinzip ist Vázquez dagegen, aber zumindest die Fälle, die nicht unter das Gesetz zur Straflosigkeit fallen, sollen endlich aufgeklärt werden. Und da hat der Präsident Ermessenspielraum, den er nutzen zu wollen scheint – bis 2009, wenn in Uruguay die nächste Wahl ansteht.
Bis dahin ist wohl auch mit Feiern zunächst einmal Schluss. Wenn es nicht doch bald wieder ein Referendum gibt. Die UruguayerInnen lieben das Abstimmen. Und das Thema liegt auch schon auf der Hand: Es könnte passieren, dass sie sich über das eventuelle Veto des Präsidenten hinwegsetzen und in einem Referendum für die Legalisierung der Abtreibung unter bestimmten Bedingungen stimmen. Noch ist es nicht soweit, aber sicher wird es nicht lange dauern, bis auch die linke Regierung sich mit einem Referendum konfrontiert sieht.

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